Tagungsbericht zum Symposium „Frei-Raum unter dem Berliner Fernsehturm: Historische Dimensionen eines Stadtraums der Moderne“
TU Berlin, 3. Mai
Tagungsbericht im Auftrag der Veranstalter von Jascha Philipp Braun, Technische Universität Berlin
Seit nunmehr über 20 Jahren wartet die weitläufige, bis heute nicht mit einem offiziellen Namen versehene Freifläche zwischen dem Berliner Fernsehturm, dem Roten Rathaus und der Spree mit Marx-Engels-Forum, Marienkirche und Neptunbrunnen auf ein wegweisendes Konzept für die Zukunft. Viel ist seit 1990 nicht passiert. Erst die Entdeckung der überraschend gut erhaltenen Gewölbekeller des mittelalterlichen Rathauses durch Archäologen 2010/2011 hat den historischen Kern der Stadt wieder in das Bewusstsein vieler Berliner gerückt. Seitdem wird lebhaft über eine Neugestaltung der von Rathaus- und Karl-Liebknecht-Straße eingefassten, im Geist der späten Moderne gestalteten Freifläche diskutiert.
Das vom Institut für Kunstwissenschaft und Historische Urbanistik der TU Berlin, vertreten durch das Center for Metropolitan Studies und das Fachgebiet Kunstgeschichte ausgerichtete Symposium nahm das derzeit große Interesse zum Anlass, um allen weiteren Zukunftsplanungen zunächst eine fundierte Deutung und Bewertung der gegenwärtigen Gestaltung aus DDR-Zeiten voranzustellen.
Ganz bewusst entschieden sich Kerstin Wittmann-Englert und Paul Sigel, welche die ganztägige Tagung konzipiert hatten, im Titel für den wertneutralen Begriff „Freiraum“. Damit war deutlich das Grundanliegen der Veranstaltung formuliert, nämlich die möglichst sachliche und unvoreingenommene Auseinandersetzung mit einem immer wieder hitzig diskutierten Gegenstand.
Im ersten Themenblock referierte zunächst BENEDIKT GOEBEL (Berlin) über die baulichen Veränderungen, die das Areal bereits seit dem Ausbau Berlins zur Industriestadt im vorletzten Jahrhundert erfahren hat. Sein Vortrag zeigte auf, dass die umfassende Neuordnung der 1960er und 70er Jahre keineswegs eine Zäsur darstellt. Im Gegenteil, der heutige „Freiraum unter dem Fernsehturm“ war bereits in den Jahrzehnten davor immer wieder einschneidenden städtebaulichen Transformationen unterworfen.
CHRISTIAN FREIGANG (Berlin) gab im Anschluss einen allgemeinen Überblick über die Gestaltung prominenter städtischer Plätze als staatliche Repräsentationsräume. Die von ihm besprochenen Hauptbeispiele – die Place de la Concorde in Paris, die Mall in Washington und die Freiraumplanung in Brasília – bezeugten, welche vielseitigen Funktionen staatlich geplanten Vorzeigeplätzen im Laufe der Geschichte zukamen.
Nach diesen beiden Einführungsvorträgen, die die Kontextualisierung erleichtern sollten, folgten Vorträge zum eigentlichen Thema. ROMAN HILLMANN (Berlin) legte die Planungsgeschichte der zu DDR-Zeiten neu gestalteten Stadtmitte dar. So war zu erfahren, dass der Erhalt der Marienkirche aus dem 13. Jahrhundert, die von SED-Politikern zum Abriss freigegeben werden sollte, engagierten Architekten und Planern zu verdanken ist und der 1969 fertig gestellte Fernsehturm an den Start einer Sputnik (mit dem Schaft als Rauchwolke und der silbernen Kugel als Satellit) erinnert.
HARALD ENGLER (Erkner) spürte daraufhin der Sozialgeschichte des DDR-Platzes nach. Sein Vortrag befasste sich mit der Vielzahl der Akteure, die sich im Alltagsleben oder auch zu besonderen Veranstaltungen auf der großen Freifläche aufhielten und sie bespielten. Zu den Nutzern des Areals gehörten Besucher aus anderen Bezirken der DDR, die die Einkaufsvielfalt in der Rathaus- und Karl-Liebknecht-Straße schätzten genauso wie die Punker-Szene oder „Rollbrettfahrer“.
Einen persönlichen Einblick in die Entstehungsgeschichte der heutigen Freiraumgestaltung gab AXEL ZUTZ (Berlin). In seinem Beitrag kam in einem Filminterview der einst an der Planung des Areals beteiligte Landschaftsarchitekt Hubert Matthes zu Wort. Dieser berichtete über den Ursprungsentwurf seines Kollektivs und die vielen Umplanungen bei dessen Umsetzung. Zutz wies darauf hin, dass die realisierte Gestaltung mit ihren geometrischen Formen Anklänge an einen Barockgarten aufweist.
Die folgende Sektion eröffnete ECKHART GILLEN (Berlin). Der Referent zeichnete die verworrene Entstehungsgeschichte des von dem Bildhauer Ludwig Engelhardt entworfenen Marx-Engels-Denkmals nahe der Spree nach, dessen Realisierung bereits seit den 1950er-Jahren geplant, aber erst gut 30 Jahre später Wirklichkeit wurde. Die auffälligen Unterschiede der älteren Entwürfe zum letztlich 1986 fertig gestellten Denkmal interpretierte Gillen als augenscheinlichen Verlust der geradezu utopischen Vorstellungen, die noch die junge DDR prägten.
Von sehr aktuellen Entwicklungen berichtete im Anschluss MARTINA LEVIN (Berlin). In ihrem Beitrag stellte sie die Entwürfe des mit der Erneuerung der Freiraumgestaltung um den Sockelbau des Fernsehturms beauftragten Büros „Levin Monsigny Landschaftsarchitekten“ vor. Dabei betonte sie, dass sich die derzeitigen Maßnahmen am überlieferten Bestand, wie er vom Kollektiv um Matthes geplant wurde, orientieren würden.
Am Ende der insgesamt acht 30-minütigen Vorträge stand PAUL SIGELs (Berlin) Referat. Seine Ausführungen fassten die Entwicklungen der vergangenen 20 Jahre, in denen vor allem die benachbarten Areale Schlossplatz und Alexanderplatz im Mittelpunkt des Interesses standen, zusammen, verwiesen auf die zum Teil gravierend unterschiedlichen Deutungsmuster und Wertungen des Freiraums und leiteten über zur abschließenden Podiumsdiskussion.
Die aus ausgewiesenen Kennern zusammengesetzte und von Arnold Bartetzky moderierte Runde befasste sich mit Fragen zum künftigen Umgang mit der spätmodernen Freifläche, deren Zukunftsoptionen zwischen völliger Freihaltung und dichter Bebauung liegen. Während die Denkmalpflegerin GABI DOLFF-BONEKÄMPER (Berlin) das großzügige Panorama als Stärke der jetzigen Platzgestaltung hervorhob, betonte MANFRED KÜHNE (Berlin) von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, dass der Senat sich bisher auf kein Konzept geeinigt habe, zumal eine Neuordnung des Areals zunächst Sache des Bezirks Mitte sei. Der ehemalige Kultursenator THOMAS FLIERL (Berlin) erinnerte daran, dass dieser zentrale Stadtbereich durch die Alexanderplatz-Demonstration im November 1989 eine positive Aneignung erfahren habe, weshalb die erhaltene Gestaltung aus DDR-Zeiten nicht per se aufgrund ihres Entstehungszeitraums diskreditiert sei. Stadtplaner FLORIAN MAUSBACH (Berlin) wünschte sich hingegen die Entwicklung zu einer stärker bürgerlich geprägten Mitte.
Wie bereits in den Vorträgen und den sich anschließenden Diskussionsrunden wurde auch in der Podiumsdiskussion wieder deutlich, dass die Perspektive des Freiraums unter dem Fernsehturm mit seinen historisch komplexen Dimensionen vor allem von der Bewertung des DDR-Erbes abhängt. Während einige Tagungs-Teilnehmer die überlieferte Konzeption als geplantes Ensemble mit Qualitäten betrachteten (so Hillmann und Dolff-Bonekämper), bezeichneten andere die Platzgestaltung als reines Zufallsprodukt, das folglich nicht zwingend erhaltenswert sei (so vor allem Goebel).
Der Blog des Verfassers zu den Themen Baukultur und Denkmalschutz:
http://stadtbildberlin.wordpress.com/
Recommended Citation:
Jascha Braun: [Conference Report of:] Frei-Raum unter dem Berliner Fernsehturm (TU Berlin, May 03, 2013). In: ArtHist.net, Jun 5, 2013 (accessed Oct 15, 2024), <https://arthist.net/reviews/5525>.
This work is licensed under a Creative Commons Attribution-Noncommercial-No Derivative Works 4.0 International License. For the conditions under which you may distribute, copy and transmit the work, please go to https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/