REV 24.03.2004

Cynthia Hahn: Portrayed on the heart

Rezensiert von Kristin Böse, Köln
Redaktion: Rainer Donandt

Der Titel "Portrayed on the Heart" von Cynthia Hahns vorliegender Publikation bezieht sich auf jene von Gregor den Großen formulierte didaktische Funktion von bildlichen Darstellungen, deren Verinnerlichung gleichsam auf eine Vervollkommnung des Menschen zielte. Dieser Aufgabe war auch die bildliche Hagiographie des Mittelalters verpflichtet, "in inducing a movement beyond words and images - in creating an effect on the soul." (S. 331) Die Frage, welche Bildstrategien entwickelt wurden, um von der Heiligkeit der dargestellten Person zu überzeugen, und wie die Bildrhetorik auf die Wahrnehmung von Heiligkeit Einfluß zu nehmen vermochte, versucht sie am Beispiel der illuminierten "libelli" [1] des 10. bis 13. Jahrhunderts zu beantworten. Diese Handschriften stellten aufgrund ihres Bildprogramms eine eigene Gruppe innerhalb der oft auch schmucklosen "libelli" dar, welche verschiedene hagiographische Texte zur Verehrung eines Heiligen, wie die Vita, das Offizium, Hymnen und Gebete, enthielten. Die in "Portrayed on the Heart" analysierten "libelli" geben der Autorin die Möglichkeit, ihre bisher in verschiedenen Aufsätzen veröffentlichen Erkenntnisse zum Thema von Hagiographie und Bildnarration zu synthetisieren sowie Wesen und Stellenwert von Heiligkeit im frühen und hohen Mittelalter aus mediävistischer Perspektive theoretisch zu hinterfragen. In diesem Sinne stellt das Buch eine anspruchvolle Einführung in das Forschungsfeld mittelalterlicher Heiligkeit dar.

Neben der gattungsspezifischen sowie chronologischen Einordnung ihres Forschungsgegenstandes im ersten Kapitel, werden besonders im zweiten Merkmale der mittelalterlichen Hagiographie sowie rhetorische Strukturen in Bildviten Heiliger behandelt. Ausführlich bespricht Cynthia Hahn die Rolle von Wiederholungen sowie Topoi, welche Aspekte der Bildvita formal- und ereignisanalog mit anderen Heiligenviten oder mit dem Leben Christi in Text- und Bildzeugnissen verknüpft, um die Heiligkeit des Protagonisten zu belegen. Sowohl die Wiedererkennbarkeit von Topoi und deren bewußte Manipulation als auch paradoxe Strukturen, wie den Tod des Heiligen als Wiedergeburt zu feiern, spielten mit der Erwartungshaltung der Rezipienten. Zusätzlich hebt Hahn sogenannte "frames" hervor, welche als literarische und künstlerische Zeichen bereits den Deutungsrahmen von Text- oder Bildvita vorgeben konnten. In den Kapiteln drei bis neun, dem Herzstück der Arbeit, behandelt Hahn die Bildviten der "libelli" gemäß der in ihnen favorisierten Heiligentypen: Märtyrer und Jungfrauen, Bekenner wie Bischöfe, Mönche, Nonnen, Könige und Königinnen. "To underline the conventionalities and standard qualities of saints'Lives types in order to understand the genre", gibt der Autorin Anlaß zu der entsprechenden Unterteilung (58). Zugleich erfolgt die Anordnung auch nach chronologischen Prinzipien: Den Auftakt bilden die Märtyrer mit der um 900 datierten Bildvita des Hl. Romanus von Antiochien, während Matthew Paris' Vita des Hl. Amandus von ca. 1240 den Endpunkt dieser so lange erfolgreichen Gattung der "libelli" markiert. In jedem Kapitel führt Hahn mit Verweis auf die aktuelle Forschungslage in die Problematik des Heiligentyps ein, dessen Charakteristik nachfolgend skizziert und auf dessen Rezeptionsangebote stets eingegangen wird. Alle behandelten Handschriften werden zusätzlich in einem Verzeichnis im Anhang aufgeführt.

Ein Blick auf das Inhaltsverzeichnis läßt bereits erahnen, daß eine nach Heiligentypen strukturierte Untersuchung nicht einfach ist. Die Kapitelüberschriften verweisen mal auf den hagiographischen Typ, mal auf die sozial- oder geschlechtlich kodierte Rolle der Protagonisten und zuweilen klingen auch Leitfragen an, die das nachfolgende Kapitel bestimmen (in 4: "The Virgin as Corpus. Bodily Offering"). Hahn begegnet diesem Problem in jedem ihrer Kapitel, indem sie Überschneidungen zwischen den Typen zur Sprache bringt. Vielleicht wäre es hier und da sinnvoller gewesen, den Begriff des Heiligentyps weitaus öfter als geschehen durch termini wie "Profil", "Muster" oder "Ausprägung" zu ersetzen. Und vielleicht wären Ergebnisse ihrer Arbeit noch gestärkt worden, wenn Hahn an der einen oder anderen Stelle verschiedene Typen berührende Merkmale in einem eigenständigen Kapitel besprochen hätte. Das betrifft zum Beispiel Überlegungen zur geschlechtspezifischen Ausprägung von Heiligkeit, die so auf die Kapitel vier und acht verteilt sind.

Cynthia Hahn arbeitet in ihren Analysen eng am Objekt und so ist es für den Leser stets anregend, ihren entlang der Bildvita getroffenen Beobachtungen und entwickelten Argumentationsketten zu folgen. Dabei ist ihre Arbeit am Bild stets durch eine komplexe Herangehensweise gekennzeichnet, die das Verhältnis von Text und Bild aus verschiedenen Perspektiven stets mit dem Ziel in den Blick nimmt, die Bildvita als "réécriture" und damit als eigenständigen hagiographischen Text zu erfassen. Dazu gehört die Frage, welche Episoden für eine Bildvita ausgewählt wurden, wie sie zusammengefügt einer eigenen Erzähllogik folgen und inwiefern die Aussage der Bilder durch Bezüge bestimmt wird, welche sich zu anderen Texten ("Intertextuality") und Bildern ("Interpictoriality") herstellen lassen. Ein Beispiel dafür ist der Rückgriff in den Bildviten der Bischöfe auf die sich in Darstellungen von Predigten und Taufen konstituierende Missionstätigkeit der Apostel.

Hahns Aufmerksamkeit für Intertextualität und "Interpictoriality" zielt letztlich auf das Verstehen von Bildstrategien, welche die Wahrnehmung des Betrachters lenken sollten. Überzeugend sind ihre Beobachtungen zur Art und Weise, wie sich das Spannungsfeld Martyrium konstituiert und dabei Pole zwischen dem Märtyrer/Märtyrerin und den Schergen/Richter durch Blickstrategien, Körpergestaltung und Körperverhalten geschaffen werden, die letztlich die Tugenden der Heiligen offenbaren (Hl. Quentin/Hl. Lucia) (S. 84ff., 117). Trotzdem sollte der Leser seine kritische Distanz bewahren gegenüber dem visuellen Beziehungsnetz, in das die Autorin ihre Bildviten einbettet. Beispielsweise ist nicht einzusehen, warum zu Füßen des predigenden Hl. Kilian in der Fuldaer Handschrift von ca. 970 Heiden akklamieren und somit Darstellungen des spätantiken Kaiserzeremoniells aufgerufen werden sollten (S. 136). Die Gestensprache erinnert eher an jene bildlichen Darstellungen, die die Reaktion der Heiden auf die Predigten der Apostel festhalten. Unklar bleibt auch, welche Folgen Hahns Vergleich zwischen den Segensgesten der Hl. Radegunde und jenen der Bischöfe haben soll (S. 267). Wenn überhaupt, dann ist ein Vergleich im Kontext von Wunderheilungen und Dämonenaustreibungen möglich, hingegen findet das bischöfliche Segnen im Kontext sakramentaler Handlungen in der Bildvita Radegundes (nicht zuletzt aufgrund geschlechtspezifischer Rollenzuweisungen) keinen Niederschlag. Ein dahingehender Vergleich macht dann das dem Bischof vergleichbare soziale Engagement Radegundes deutlich. Die Liste unpräziser Bildvergleiche und daraus resultierender Schlußfolgerungen ließe sich noch um das eine oder andere Beispiel erweitern. Diese analytischen Unsauberkeiten verstimmen ganz besonders jene Leser, welche dem breiten methodischen Ansatz der Autorin einiges abgewinnen können.

Nichtsdestotrotz liegt die Stärke von Cynthia Hahns Untersuchung darin, die komplexen Konstruktionsmechanismen von Heiligkeit in Bildviten offenzulegen. Darüber hinaus ist Hahn stets bemüht, ihre an den "libelli" des hohen Mittelalters erarbeiteten Erkenntnisse einzuordnen in Konstanten und grundlegende Entwicklungen der mittelalterlichen Hagiographie. Sowohl im neunten Kapitel, das den Arbeiten Matthew Paris gewidmet ist, wie besonders auch im Epilog betont sie den Beitrag, den gerade die Bildhagiographie der Buchmalerei neben der bereits durch Wolfgang Kemp untersuchten Glasmalerei für die narrativen Innovationen des 13. Jahrhundert geleistet hat. [2] Zugleich fragt sie mit Bezug auf die Arbeit von Joanna Cannon und André Vauchez zum Kult Margheritas da Cortona, warum im späten Mittelalter mehr als zuvor verschiedene Bildmedien Aufgaben der Etablierung und Propagierung von Heiligkeit übernahmen und die Buchmalerei ihren Stellenwert als bevorzugte Gattung verlor. [3] Es ist gerade jene neue öffentliche Rolle von Bildern, die eben andere Bildmedien sowie eine Interaktion der verschiedenen Bildmedien untereinander erforderte.

Anmerkungen:

[1] Der Begriff zuerst bei Wormald, Francis: Some Illustrated Manuscripts of the Lives of the Saints; In: Bulletin of the Rylands Library 35 (1952), S. 248-268.

[2] Kemp, Wolfgang: Sermo Corporeus: Die Erzählung der mittelalterlichen Glasfenster, München 1987.

[3] Cannon, Joanna / Vauchez, André: Margherita of Cortona and the Lorenzetti: Sienese Art and the Cult of a Holy Women in Medieval Tuscany, Pennsylvania 1999.

Hahn, Cynthia: Portrayed on the heart. narrative effect in pictorial lives of saints from the tenth through the thirteenth century, Berkeley, Calif. [u.a.]: University of California Press 2001
ISBN-10: 0-520-22320-9, XIII, 442 S

Empfohlene Zitation:
Kristin Böse: [Rezension zu:] Hahn, Cynthia: Portrayed on the heart. narrative effect in pictorial lives of saints from the tenth through the thirteenth century, Berkeley, Calif. [u.a.] 2001. In: ArtHist.net, 24.03.2004. Letzter Zugriff 19.04.2024. <https://arthist.net/reviews/54>.

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