REV 20.02.2004

Arne Karsten: Künstler und Kardinäle

Rezensiert von Ulrich Köchli
Redaktion: Claudia Sedlarz

Wenngleich die Spekulanten und Architekten des nachpäpstlichen Rom in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und später der italienische Faschismus der Ewigen Stadt einschneidende Veränerungen zugefügt haben, so ist dennoch offensichtlich: Rom ist in seinem historischen Kern eine barocke Stadt. Vorbildlich in jeder Hinsicht hat dabei die rastlose Bautätigkeit der Familien der regierenden Päpste jener Zeit gewirkt: ihre Paläste etwa, allesamt errichtet während der entsprechenden Pontifikatsjahre, prägen noch heute das Bild der Stadt. Die Palazzi Borghese, Ludovisi, Barberini, Pamphili und Chigi bergen nach wie vor bedeutende Kunstsammlungen oder haben wie jener der Ludovisi (Parlament) oder der Chigi (Sitz des Ministerpräsidenten) im neuen Staat eine zentrale Funktion erhalten. Die genannten Familien stehen im Zentrum der Untersuchungen Karstens zum Mäzenatentum im römischen Barock, womit der untersuchte Zeitraum auf die Jahre 1605 bis 1667 begrenzt wird.

Ausgehend von der Beobachtung, dass Rom in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts im Gegensatz zum unaufhaltsamen Bedeutungsverlust in politischer Hinsicht eine kulturelle Blütezeit erlebt hat, formuliert Karsten die These, dass diese Hausse der künstlerischen Konjunkturkurve geradezu eine Frucht "propagandistischer Rückzugsgefechte" (S. 9) gewesen sei. Verstärkend, und für die kulturelle Vielfalt noch wichtiger kam eine weitere Besonderheit des Kirchenstaates hinzu: Der spezielle Charakter als kirchliche Wahlmonarchie führte dazu, dass in relativ kurzen Abständen jeweils neue Familien an die Macht kamen, die durch gezielte Kunstpatronage allfällige Defizite ihre soziale Herkunft betreffend zu beheben gedachten. Und soziale Aufsteiger waren alle Papstfamilien des 16. und 17. Jahrhunderts.

Karsten fokussiert in seiner Arbeit den Blick auf die Kunstpatronage der offiziellen Kardinalnepoten, denen er in der familiären Aufgabenverteilung zur Absicherung und Konsolidierung des neu erreichten Familienstatus die Rolle eines "familieninternen ,Kulturbeauftragten'" (S. 8) zuschreibt. Scipione Borghese, der Kardinalnepot Pauls V. (1605-1621), übernahm hierin eine Vorbildfunktion für die kommenden Nepotenfamilien. Ein "thematisches Leitmotiv römischer Barockkunst" (S. 25) gibt der Kardinal in seinem Prestigebau par excellence, der Villa Borghese: Die Wiederkehr des goldenen Zeitalters durch die rastlose Tätigkeit der regierenden Papstfamilie, deren Herrschaft göttlichem Heilsplan selbst zu verdanken ist. Während Scipione Borghese 16 Jahre zur Etablierung seiner Familie zur Verfügung standen, galt es für seinen Nachfolger Ludovico Ludovisi, den Nepoten des bei seiner Wahl bereits greisen und kranken Gregor XV. (1621-1623), innerhalb kürzester Zeit eine Etablierungsstrategie zu entwickeln, da ein baldiges Ableben des Papstes drohte. Der laut Karsten "begabteste, intelligenteste und zugleich energischste" (S. 41) der Kardinalnepoten konnte dabei neben seinen unbestreitbaren Fähigkeiten auf eine gehörige Portion Glück bauen. Beides ging seinem Nachfolger, dem bei Pontifikatsbeginn Urbans VIII. (1623-1644) noch jugendlichen Kardinalnepoten Francesco Barberini weitgehend ab, wurde freilich kompensiert durch die Möglichkeit, während langer 21 Jahre fast unbeschränkten Zugriff auf die - allerdings immer spärlicher fliessenden - finanziellen Ressourcen des Kirchenstaates und der Apostolischen Kammer zu haben. Machtpolitisch wurde gerade in diesen Jahren, die geprägt waren durch die Auseinandersetzungen des 30jährigen Krieges und den Kampf der beiden europäischen Grossmächte Frankreich und Habsburg um Hegemonie, das politische Gewicht des Papsttums immer mehr marginalisiert. Aber auch die Barberini selbst hatten sich gegen Ende ihres Pontifikats ins Abseits manövriert, offenbar geworden während des desaströsen Castro-Krieges der Jahre 1641/43. "Je schwächer die tatsächliche Position, desto lauter wird die Propaganda ausfallen" (S. 136) - so Karstens Resümee. Das überwältigende Deckenfresko des Pietro da Cortona im Palazzo Barberini ist die beeindruckende Bestätigung.

Unter Innozenz X. Pamphili (1644-1655) zeichnete sich eine Wandlung im Amt des Kardinalnepoten ab: Nicht nur, dass dem phlegmatischen Neffen Camillo Pamphili ein erfahrener Staatssekretär im Range eines Kardinals vor die Nase gesetzt wurde, er litt zudem unter der machtbewussten Dominanz seiner Mutter Donna Olimpia Maidalchini-Pamphili - von ihren Zeitgenossen verächtlich "papessa" genannt. Nachdem er im Januar 1647 auf das Kardinalat verzichtet hatte, heiratete er seine grosse Liebe, die jung verwitwete Olimpia Aldobrandini-Borghese. Mit diesem spektakulären Schritt handelte er sich freilich den Zorn seiner Mutter ein, welche seine Verbannung vom Hof erwirkte. Hatte sich Camillo als Kardinalnepot sogleich stark als Mäzen engagiert, erlosch die Kunstförderung während seiner Verbannung aus der Ewigen Stadt gänzlich. Erst nach der Versöhnung mit dem Papst ergriff er - diesmal allerdings als weltlicher Nepot des Papstes - wieder mit Nachdruck die Initiative, denn die von Innozenz nacheinander ernannten und dann wieder verstossenen Kardinalnepoten Francesco Maidalchini und Camillo Astalli hatten sich als gänzlich unfähig erwiesen, die Rolle des familiären "Chefmäzens" auszufüllen.

Unter dem Pontifikat Alexanders VII. Chigi (1655-1667) war die Krise des etablierten Nepotismus offensichtlich geworden, der kontinuierliche Machtverlust des Kardinalnepoten nurmehr schwer zu verbergen, mithin aber auch die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit durch Kunstpatronage kaum mehr zu übertünchen. Der Kardinalnepot Flavio Chigi strebte denn auch eine relevante politische Position gar nicht mehr an, was ihm den Weg frei machte, "persönliche Vorlieben zum Ausgangspunkt seiner Kunstpatronage machen zu können" (S. 222). Auf diese Weise musste das Amt jedoch vermehrt zu Ärgernis gereichen, denn seine Funktion zur Familienbereicherung war kaum noch kaschiert. Bis zur formellen Abschaffung des Nepotismus sollte es jedoch noch ein Vierteljahrhundert dauern.

Karstens Arbeit stellt eine radikale Abkehr von einer Kunstbetrachtung um ihrer selbst willen dar und analysiert stattdessen Mäzenatentum und Kunstproduktion konsequent als Resultat des höchst komplexen Phänomens "Kunstpolitik", wobei - zuweilen durchaus polemisch im Ton - mit hartnäckigen (kunst-)geschichtlichen Mythen gebrochen wird. Dabei wird vor allem deutlich: Das Bild des Kardinalnepoten als kunstbegeisterter Schöngeist, der sich mit persönlicher Neigung und entsprechender Kennerschaft seiner Bau- oder Sammlerleidenschaft hingibt, ist ein Anachronismus. Dergleichen kam mitunter vor, war aber nicht handlungsbestimmend. Die Vorgängerfamilien hatten ein Handlungsmuster vorgegeben, das die nachfolgenden Familien nachzuahmen und zu überbieten trachteten. So etwa im Bau eines prunkvollen Familienpalastes, entsprechender Villen in Stadtnähe und auf dem Land, aber auch im Erwerb von Gemäldesammlungen. Dass bei der Anlage von Bildergalerien oftmals wahllos aufgekauft wurde, was der Markt gerade bot, bestätigt dieses Resümee.

Weil aber die Interferenzen von Kunstproduktion und Macht, sowie familienpolitischer Grosswetterlage so offensichtlich sind, gelingt dem Autor eine breit angelegte historische Gesamtschau der für Papsttum und Kirchenstaat so entscheidenden Epoche zwischen 1600 und 1670, virtuos geschrieben und mit zahlreichen zum grossen Teil farbigen Illustrationen ausgestattet. Hinzuweisen ist auch auf das kommentierte Bibliographieverzeichnis, das Studenten und interessierten Laien den Einstieg in das komplexe Thema "Rom im Barock" und den Überblick über die vielfältigen Forschungsergebnisse wesentlich erleichtern kann.

Karsten, Arne: Künstler und Kardinäle. vom Mäzenatentum römischer Kardinalnepoten im 17. Jahrhundert, Köln [u.a.]: Böhlau Verlag 2003
ISBN-13: 978-3-412-11302-5, VI, 258, [44] S, ca. 39.90 EUR

Empfohlene Zitation:
Ulrich Köchli: [Rezension zu:] Karsten, Arne: Künstler und Kardinäle. vom Mäzenatentum römischer Kardinalnepoten im 17. Jahrhundert, Köln [u.a.] 2003. In: ArtHist.net, 20.02.2004. Letzter Zugriff 24.04.2024. <https://arthist.net/reviews/53>.

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