REV-CONF Nov 4, 2025

Debt. Unsettling Matters of Interest

Universität Bremen / Gesellschaft für Aktuelle Kunst (GAK), May 22–23, 2025

Report by Friederike Schneider, Europa-Universität Viadrina, Frankfurt (Oder)
Editor: Steffen Haug

Debt. Unsettling Matters of Interest.

In Schuldenverhältnissen konstituieren sich nicht nur ökonomische Dynamiken, moralische Bewertungen und Machtasymmetrien, es überlagern sich darin auch historische und gegenwärtige Relationen zwischen Einzelnen und Kollektiven, intersektionale Differenzen und ökologische Konsequenzen globalisierten Wirtschaftens. Der Reflexion dieser materiellen Kontexte von Schulden widmete sich das von Susanne Huber (Universität Bremen) und Annette Hans (Gesellschaft für Aktuelle Kunst) organisierte und in Kooperation mit Asli Serbest (Hochschule für Künste Bremen) und Friederike Nastold (Universität Oldenburg) realisierte Symposium.

Die transdisziplinäre Annäherung an die Thematik versammelte internationale Forschungsbeiträge aus politischer Theorie und Philosophie, Geschichte, Soziologie, Human- und Sozialgeographie sowie Architektur und Kunsttheorie. Im Mittelpunkt stand die Frage nach der Materialität und Körperlichkeit der Bedingungen, in die Schulden eingebunden sind. Anstatt von einer abstrakten Schuldenrelation auszugehen, in der finanzielle Defizite und moralische Verpflichtungen als universelle Zahlungsmoral zusammenfallen, beleuchteten die Beiträge die je unterschiedliche historische und geografische Situiertheit einzelner Konstellationen. In dieser Perspektive diskutierte das Symposium, wie die konkreten Auswirkungen von Schulden bestimmte Gruppen und Umgebungen strukturell unterschiedlich betreffen und zugleich durch verschiedenste Praktiken und Gegebenheiten geformt werden. Damit wurde auch der Tendenz, die Entwicklung kapitalistischer Akkumulation als zunehmende Abstraktion zu verstehen, kritisch begegnet. [1] Ein weiteres Augenmerk lag auf dem Motiv der Spekulation im Finanzkapitalismus und seinen Entsprechungen in Verwertungsprozessen von Kunst als Ware sowie in spekulativen künstlerischen Praktiken. [2] Wie Schuldenverhältnisse sich in Körpern, zwischenmenschlichen Beziehungen und ökologischer Umwelt manifestieren, wurde in Bezug auf Eigentum und Wert, Infrastrukturen und politischem Aktivismus diskutiert.

Die Beiträge beleuchteten einerseits das thematisch und fachlich vielseitige Spektrum geisteswissenschaftlicher Forschung über diese Zusammenhänge und setzten andererseits einen theoretischen Rahmen für die im Anschluss eröffnete, ebenfalls ko-kuratierte Gruppenausstellung „Unter dem Gewicht atmest du anders. Schuld und Haben“ mit Beiträgen u. a. von Alice Creischer, Denise Ferreira da Silva und Arjuna Neuman, Santu Mofokeng und Natascha Nassir-Shahnian. Damit schloss das übergreifende Projekt sowohl an Cameron Rowlands recherche-orientierte Ausstellung über koloniale Schulden „Amt 45i“ [3] am Museum für Moderne Kunst (MMK) in Frankfurt am Main (2023) als auch an die 2012 von Thomas Macho am HKW Berlin organisierte Konferenz „Bonds: Schuld, Schulden und andere Verbindlichkeiten“ [4] an und führte künstlerische Perspektiven und kulturwissenschaftliche Auseinandersetzungen zusammen.

Einführend wurde daran erinnert, dass nicht nur in Bremen, dem Bundesland mit der höchsten Pro-Kopf-Verschuldung und einer Stadt mit signifikanter Kolonial- und NS-Geschichte, Fragen nach gesellschaftlichem Soll und Haben politisch umkämpft sind: sei es, ob Reparationen gezahlt werden, ob Raubkunst restituiert wird oder wofür Staatsschulden aufgenommen werden. Seit der globalen Finanzkrise von 2007/08 und der folgenden europäischen Schuldenkrise wird letzteres unter dem Stichwort „Schuldenbremse“ aktuell mit erneuter Dringlichkeit diskutiert.

Die Analyse von Schuldenbeziehungen als Mechanismus „gouvernementaler Prekarisierung“ [5] lässt nicht außer Acht, dass sie immer auch Medium der Subjektivierung sind, wie Isabell Lorey (Köln) in ihrem herausragenden Eröffnungsvortrag betonte. Durch neoliberale Austeritätspolitik und den Rückbau des Sozialstaats wachsen mit der Verantwortung des selbstunternehmerischen Individuums auch die Privatschulden an. In der „Schuldenökonomie“ [6], in der Kreditprodukte zur alltäglichen Notwendigkeit geraten, entwickelt die Nähe finanzieller Schulden zu moralischer Schuld kapitalistische Hebelwirkung. Entgegen maskulinistischer Interpretationen, in denen soziale Abhängigkeiten nur als Schuldbeziehungen denkbar sind, von denen es sich zu befreien gelte, verweist der Begriff nie zurückzahlbarer, queerer „schlechter Schulden“ [7] auf die Anerkennung des geteilten Prekärseins allen menschlichen Lebens.

Dass hingegen die politisch herbeigeführte Prekarität historische Kontinuitäten der Ungleichheit aufrechterhalte, referierte Felix Krämer (Erfurt) in seinem Beitrag. Er machte darauf aufmerksam, dass im US-amerikanischen Wohlfahrtsstaat des 20. Jahrhunderts Praktiken der Risikobewertung und Kriminalisierung sowie Diskurse finanzieller Untauglichkeit die strukturell ungleichen Auswirkungen von Schulden verdeckten. Sie erweisen sich als Fortsetzung rassistischer Teilungen seit der Sklaverei und Reconstruction-Ära, die sich im Ausschluss vor allem Schwarzer Frauen von staatlicher Infrastruktur ebenso wie in Leiharbeit von Strafgefangenen und Polizeigewalt äußern und die historischen Schuldverhältnisse verkehren. Daran anschließend wurde diskutiert, inwiefern das Zusammenwirken dieser Faktoren die Klassengrenzen und die ‚color line‘ verschiebt oder neu zieht.

In einer Dekonstruktion des materialistischen und idealistischen Wertbegriffs leitete Luce Delire (Berlin) Schulden aus der Gemeinsamkeit von Gebrauchs- und Tauschwert ab: dem unmittelbaren bzw. erwarteten Nutzen. Wenn diese Aussicht auf einen Nutzen zu Eigentum werden kann, erscheinen Schulden als dessen notwendige Kehrseite. Damit werde die „magische“ finanzielle Operation der Schulden, etwas zu geben, das nicht existiert, um es alsdann zurückzufordern, zu einem unhintergehbaren Problem, dessen materielle Konsequenzen adressiert werden müssten. Unter Bezug auf den alternativen Horizont der Gastfreundschaft fragte sie, wie wechselseitige Verbindlichkeiten aus ihrer kolonialen Verstrickung mit Privateigentum und militärischer Macht gelöst und im Sinne politischer Ästhetik neu inszeniert werden können.

Die spekulativen Infrastrukturen von Fiktion, Geld und Kunst betrachtete der Kurator und Kunsttheoretiker Bassam El Baroni (Espoo) vor dem Hintergrund eines drohenden ökologischen Kollaps im „too-late“-Kapitalismus. In der „libidinal economy of leverage“ steigt sowohl der Verschuldungsgrad als auch der Druck, alle sozialen, politischen, ökonomischen und emotionalen Kompetenzen als monetarisierbare Hebel einzusetzen, dem sich kaum zu entziehen ist – zumal in der Kunst. Wie die affektive und libidinöse Aufladung von Börsenspekulation in den 1990er Jahren zu einem grotesken Wettstreit um immer höhere Plateausohlen führte, reflektierte Toon Fibbe in einer Performance und mit einer Installation aus Kleiderständer und besagten Schuhen. Die Inszenierung in Drag hinterfragte vergeschlechtlichte Zuschreibungen von emotionaler Hysterie in einer zugleich als rational markierten Finanzwelt, indem sie die materielle Ebene der Performativität von Geschlecht herausstellte.

In humangeografischer Perspektive argumentierte Vasna Ramasar (Lund) für die gemeinsame Betrachtung der komplexen Verflechtungen von Kreditwirtschaft, kapitalistischer Ressourcenausbeutung und Klimawandel, in der sich die „slow violence“ [8] von Verschuldung und ihre Überschneidung mit sexualisierter Gewalt zeigt. Mit dem Wissen indigener, nicht-anthropozentrischer Kosmologien ließen sich gegenüber dem „Green Colonialism“ [9] alternative Zukünfte denken. In Bezug auf letztere nahm Fritz-Julius Grafe (Zürich) John Bergers fiktive Romanstadt „Troy“ zum Ausgangspunkt, um mit dem Portemanteau „Groy“ ein Programm infrastruktureller Maßnahmen vorzuschlagen, das Grünes Wachstum nicht allein als finanziell tragfähigste Lösung betrachtet, sondern als demokratisches Ressourcenmanagement umsetzt.

Mit alternierenden Bildabfolgen abwechslungsreich illustriert, machte Ibrahim Kombarji (New York/Beirut) die konkreten Auswirkungen der exorbitanten Staatsverschuldung in der visuellen Kultur Beiruts sichtbar, zu der die Bankenspekulation zwischen 1997 und 2019 im Libanon geführt hatte. Wenn die transparente Architektur der Finanzinstitute sich in verbarrikadierte Hinterausgänge verwandelt, Alltägliches mit Tüten voller Geldscheine bezahlt werden muss und in den Sozialen Medien Banküberfälle auf das eigene Ersparte trenden, wird die materielle Dimension der Schuldenkrise besonders greifbar.

Soziale Protestformen und organisierten Widerstand gegen Schuldenregime fokussierten auch die Beiträge aus der soziologischen Bewegungsforschung von Lucí Cavallero (Buenos Aires) und Christoph Sorg (Berlin). Während Sorg mit David Graeber die verbreitete Selbstverständlichkeit der Rückzahlung von Schulden ansprach [10], die von einer Vielzahl transnationaler Initiativen für Schuldenabolition in Frage gestellt wird, richtete Cavallero den Blick auf die Verschränkung von extraktiver Finanzwirtschaft, reproduktiver Arbeit und femizidaler Gewalt. Gerade die Auswirkungen auf feminisierte und rassifizierte Körper gelte es zu politisieren, was diese in den von Argentinien ausgehenden Sorgestreiks auf die Tagesordnung setzen, wenn sie die Schulden unbezahlter Care-Arbeit einfordern. [11]

Mit einer gelungenen Auswahl internationaler Forschungsbeiträge griff das Symposium in die vielstimmig geführte Debatte um Schulden ein und stellte ihre politische, soziale und ökologische Brisanz heraus. Die Heterogenität der aufgezeigten Perspektiven war dabei die Stärke des schlüssig aufgebauten Programms. Von dieser Vielschichtigkeit kann nicht zuletzt eine transdisziplinäre Kunstwissenschaft profitieren. Dadurch, dass der Fokus auf Materialitäten und historische Bedingungen gelegt wurde, wurden die (trans-)formativen Kapazitäten von Schulden erhellt und diese als Scharnier zwischen machtvollen Verhältnissen, moralischen Bedeutungen und materiellen Strukturen erkennbar. Die gezeigte Videoarbeit von Denise Ferreira da Silva und Arjuna Neuman „Ancestral Clouds Ancestral Claims“ (2023) ist ein starkes Beispiel dafür, wie die Relation der Schulden elementare Partikel und die Zeit durchkreuzende Bedeutungsebenen verbindet. Während sich Werke wie Natascha Nassir-Shahnians „ABNORMAL 01 Glitch“ (2025) oder Santu Mofokengs „Aus/Luderitz“ (1997) anhand von Bremer Kolonialunternehmungen auf dem afrikanischen Kontinent auf koloniale Schuld/enverhältnisse bezogen, wäre es spannend gewesen, diesen Diskussionsstrang noch stärker im Programm des Symposiums aufzugreifen. Schließlich bleibt festzuhalten, dass Schuldenverhältnisse, wie es der Titel des Symposiums treffend formuliert, in der Tat eine beunruhigende und mehrdeutige Angelegenheit bleiben, deren gesellschaftliche Relevanz auch in Zukunft außer Frage steht.

Anmerkungen:
[1] Vgl. Leigh Claire La Berge: „There Is No More Abstraction“. In: Eva Maria Stadler, Jenni Tischer (Hg.): „Abstraction & Economy: Myths of Growth“, Berlin 2024, S. 71-80.
[2] Vgl. Marina Vishmidt: „Speculation as a Mode of Production: Forms of Value Subjectivity in Art and Capital“, Leiden 2018.
[3] Ausstellung „Amt 45i“ im Museum MMK in Frankfurt am Main, Laufzeit: 11.02.-15.10.2023, https://www.mmk.art/de/whats-on/cameron-rowland#_ftnref53.
[4] Konferenz „Bonds: Schuld, Schulden und andere Verbindlichkeiten“ im Haus der Kulturen der Welt in Berlin, Laufzeit: 06.-08.12.2012, https://www.bondsconference.de/home.
[5] Isabell Lorey: „Demokratie im Präsens. Eine Theorie der politischen Gegenwart“, Berlin 2020, S. 163.
[6] Maurizio Lazzarato: „Die Fabrik des verschuldeten Menschen“, Berlin 2012, S. 25.
[7] Stefano Harney/ Fred Moten: „Die Undercommons. Flüchtige Planung und schwarzes Studium“, Wien 2016, S. 69.
[8] Vgl. Rob Nixon: „Slow Violence and the Environmentalism of the Poor“, Harvard 2013.
[9] Vgl. Nnimmo Bassey et al.: „Beware Europe’s New Green Colonialism“, Rosa Luxemburg Stiftung/ Kickass Books, 2023, online: https://www.keg.lu.se/en/index.php/vasna-ramasar/publication/618ef0f8-78d0-4422-a522-e64c3e6ecc73.
[10] Vgl. David Graeber: „Schulden“, Frankfurt/Main 2012, S. 8 ff.
[11] Vgl. Lucí Cavallero, Verónica Gago: „A Feminist Reading of Debt“, London 2021.

Recommended Citation:
Friederike Schneider: [Conference Report of:] Debt. Unsettling Matters of Interest (Universität Bremen / Gesellschaft für Aktuelle Kunst (GAK), May 22–23, 2025). In: ArtHist.net, Nov 4, 2025 (accessed Nov 5, 2025), <https://arthist.net/reviews/51061>.

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