REV-EX 03.08.2005

51. Internationale Kunstausstellung. La Biennale di Venezia

Venedig, 12.06.–06.11.2005

Rezensiert von Susanne König
Redaktion: Caroline Philipp

Seit dem Bestehen der Biennale in Venedig wurde gegen das Konzept der Länderpavillons die Kritik erhoben, dass durch die separierte Ausstellungsorganisation der einzelnen Pavillons kein internationaler Dialog, sondern eine im Grunde kunstfremde, nationale Repräsentation der beteiligten Länder stattfinde. Immer wieder war der Vorwurf zu hören, dass die Auswahlkriterien etablierte Positionen gegenüber progressiv neuen Tendenzen bevorzugten und nicht dem kulturellen Bewusstsein, sondern der Maximierung des Tourismus und dem Kunstmarkt dienten. Obwohl die Kritik so alt ist wie die Biennale selbst, nehmen auf der diesjährigen Biennale kaum noch Künstler in ihrer Arbeit auf die Problematik des Ausstellungskonzepts Bezug.

Eine der wenigen Ausnahmen stellt Tino Sehgal dar, der mit seinem Beitrag auf die ökonomischen Bedingungen der Biennale verweist. In einem Nebenraum des deutschen Pavillons wird der Besucher aufgefordert, mit dem „Aufsichtspersonal“ über ökonomische Systeme zu diskutieren. Das Gespräch soll der Besucher jedoch nicht ohne Gegenleistung absolvieren, denn es wird ihm die Hälfte des geleisteten Eintrittspreises in die Giardini - somit ein Viertel des Gesamteintrittspreises - in Aussicht gestellt. Über ein mitgeteiltes, täglich wechselndes Codewort kann sich der Besucher 3,75 Euro an der Kasse abholen. Das von Sehgal angebotene Gespräch über das globale ökonomische System bis hin zur Frage nach alternativen Märkten hat den ökonomischen Betrieb der Biennale im Auge. Während sonst das bereitgestellte Budget in die Produktionskosten, den Transport und die Versicherung der Kunstwerke fließt, beteiligt Sehgal den Besucher wirtschaftlich an diesen Vorgängen. Sein Verzicht auf ein materialisiertes Produkt und seine Verweigerung sich in den Kunstmarkt einzubringen, führt das Betriebsystem Biennale ad absurdum: Sehgal lässt das Fotografieren und Filmen des Kunstwerks verbieten, womit er zusätzlich seine Verweigerung, seine Kunst Material und damit zum möglichen Zugriffsobjekt der Ökonomie werden zu lassen, in ironischer Weise verdeutlicht. Für dieses im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit ungewöhnliche Verbot wurde eigens Personal eingestellt. Nicht nur die äußeren Bedingungen zeigen die Ablehnung der Ökonomisierung der Kunst, sondern auch der ephemere Charakter des Kunstwerkes selbst belegt diese künstlerische Haltung. In seiner Arbeit im Hauptraum des Pavillons scheint Sehgal auch eine Brücke zur allgemeinen Biennalekritik schlagen zu wollen, da der halb gesungene halb gesprochene Text „Oh, this is so contemporary, this is so contemporary..., Tino Sehgal, 2005“ einen ironischen Verweis zur oft vermissten zeitgenössischen Kunst darstellen könnte. Auf Grund solch mangelnden Bezugs wurde seit 1980 die sehr erfolgreiche informative Aktualitäts-Schau „Aperto“ von Harald Szeemann ins Leben gerufen, die jedoch zum 100-jährigen Bestehen der Biennale im Jahr 1995 vom damaligen Leiter Jean Clair aufgelöst worden ist.

Eine weitere Arbeit, die das Ausstellungskonzept der Venedig Biennale einbezieht, ist die Arbeit „European Influenza“ (2005) von Daniel Knorr im rumänischen Pavillon. Knorr entschied, den Pavillon leer zu lassen, um darüber die Spuren und Hinterlassenschaften der letzten Präsentationen sichtbar zu machen. Gleichzeitig bekämpft der in Berlin lebende Rumäne ein Vorurteil vieler westlicher Europäer hinsichtlich der nächsten EU-Erweiterung, dass die neuen Beitrittsländer nur eine ökonomische Last darstellen würden. Jedem Besucher schenkt er ein Exemplar seines aufwendigen Buchprojekts, das neben seinen eigenen Fotografien aktuelle Essays bedeutender Denker, Künstler und Kunsthistoriker aus ganz Osteuropa enthält. So zeigt er zwar durch den leer gelassenen Raum, dass Rumänien ökonomisch zwar nicht das stärkste Land in Europa ist. Andererseits macht er durch das Buch mit seinen unterschiedlichen Beiträgen deutlich, dass die neuen Beitrittsländer im kulturellen Bereich eine bedeutende Bereicherung für Europa sein werden.

Während sich die Kunstszene mit dem System der Länderpavillons abgefunden zu haben scheint, konzentriert sich ihre Aufmerksamkeit auf die ergänzende Gruppenausstellung außerhalb der Länderpavillons. In diesem Jahr wurde zum ersten Mal innerhalb der 110-jährigen Geschichte einer weiblichen Leitung die Ausstellungsorganisation anvertraut, den beiden spanischen Kuratorinnen María de Corral und Rosa Martinez. Die beiden Kuratorinnen organisierten keine gemeinsame Ausstellung, sondern teilten die beiden Ausstellungsorte Italienischer Pavillon und Arsenale unter sich auf. Diese Vermeidung der Kooperation spiegelt sich in den Ausstellungen wieder. In der von María de Corral kuratierten Ausstellung im italienischen Pavillon werden fast alle 42 zumeist etablierten Künstlerpositionen von den 70er Jahren bis heute in einem eigenen Raum präsentiert. Die dadurch übersichtliche und klar gegliederte Ausstellung vermag die einzelnen Arbeiten angemessenen zu präsentieren. Dies entspricht einer übersichtlichen Museumsausstellung und überwindet die chaotische Überfüllung der letzten Biennale, verhindert aber durch die separaten Räume den dialogischen Diskurs der Arbeiten untereinander. Aber auch dort wo einzelne künstlerische Positionen zusammen präsentiert werden, lassen sich aufgrund ihrer unterschiedlichen formalen und inhaltlichen Komponenten keine Verbindungen herstellen. So wirkt die Ausstellung eher wie der Versuch einen Überblick über die Kunst der letzten 30 Jahre zu geben. In einer Art „Gemischtwarenladen“ versammelt de Corral so unterschiedliche Arbeiten wie die von Francis Bacon, Antoni Tàpies, Bruce Nauman, Marlene Dumas und Barbara Kruger. Ihre Wahl bei den jüngeren Exponaten fiel sowohl auf die politisch aufgeladene Arbeit von Jun Yang, der in seinem Film „Hero - This is We“ (2005) die sozialen und politischen Veränderungen durch den technischen Fortschritt und den ökonomischen Gewinn in China dokumentiert, als auch auf die formalistische Malerei eines Matthias Weischer aus Leipzig. In dieser Beliebigkeit, die auch einige hervorragende Arbeiten zeigt, bezieht die Kuratorin weder Position noch wird eine eindeutige Haltung erkennbar. Sie nennt diese Art des Aus- und Zusammenstellens „The Experience of Art“, wobei hierunter allerdings jegliche Form von Kunst subsumiert werden könnte. Somit kann an beiden Themenausstellungen dieselbe dialogferne Einzelpräsentation wie bei den Länderpavillons kritisiert werden, obwohl sie doch gerade als deren Gegenpol ins Leben gerufen worden waren.

Entsprechende Versäumnisse sind auch in der Ausstellung „Always a little Further“ von Rose Martinez festzustellen, auch wenn sie durch die gegebene Hallensituation im Arsenal vermehrt auf die gemeinsame Präsentation einiger Künstler eingegangen ist. Doch die wenigsten ihrer Kombinationen verknüpfen sich wirklich zu einem für den Betrachter bereichernden Dialog. So verwundert im ersten Raum, dass Arbeiten der Guerilla Girls, deren feminismuskritische Texte wie „Do women have to be naked to get into the Met. Museum?“ den Besucher begrüßen, mit der Arbeit „A Noiva“ (2001) von Joanna Vasconcelos kombiniert werden, welche einen überdimensionalen Kronleuchter aus Tampons darstellt. Solch plumpe weiblich besetzte Konnotation vermag kaum, einen bedeutsamen Beitrag zum feministischen Diskurs zu leisten. Zugute halten muss man der Kuratorin, dass sie hauptsächlich jüngere Positionen ausgewählt und einige fernöstliche Positionen integriert hat. Doch versammelt sie zu unterschiedliche künstlerische Haltungen, als dass ihre eigene dadurch sichtbar würde. Die Frage, warum sie diese Ausstellung in dieser Art an diesem Ort konzipiert hat, bleibt im Grunde offen.

Für der Ausstellungen in den Länderpavillons setzen viele der großen Industriestaaten vor allem in Einzelpräsentationen auf Traditionelles: Frankreich stellt eine Arbeit von Annette Messager aus, welche die Kindergeschichte Pinocchios thematisiert, Großbritannien das Künstlerduo Gilbert & George und die USA den Altmeister Ed Ruscha. Dagegen lassen sich wenige Länder durch jüngere Künstler repräsentieren. Neben dem deutschen Pavillon werden zum Beispiel im schweizerischen Pavillon die vier jüngeren Künstler Gianni Motti, Shahryar Nashat, Marco Poloni und Ingrit Wildi ausgestellt. Eine Kooperation zwischen den nordischen Staaten Norwegen, Schweden und Finnland, die sich einen Pavillon auf der Biennale teilen, scheiterte in diesem Jahr schon im Vorfeld. Die Pläne der von Schweden eingeladenen Künstler Miriam Bäckström und Carsten Höller waren so ausladend, dass ihre Realisation den ganzen Pavillon beanspruchte. Dies führte dazu, dass die junge finnische Künstlerin Laura Horelli ihren Beitrag zurückzog. Ihr konnte nicht der Platz geboten werden, den sie für die Präsentation benötigt hätte. Bäckström und Höller haben in ihrer Klanginstallation die beiden gläsernen Außenwände des nordischen Pavillons
entfernt und die Außengeräusche durch Mikrofone ins Innere des Pavillons geleitet, wo sie sich mit den Geräuschen des Innenraumes vermengen. Da sich auch der norwegische Künstler Matias Faldbakken in seinem filmischen Beitrag „Black Screen“ durch die Klanginstallation gestört fühlt, werden seine Arbeit und die von Bäckström und Höller im täglichen Wechsel gezeigt.

Hinsichtlich des Vorwurfs, dass die Biennale ausschließlich der Maximierung des Tourismus diene, scheint ein Blick auf ihre Gründungsgeschichte, die Besuchszahlen und die Presseresonanz angebracht. Die Biennale wurde im Jahr 1895 auf Initiative einiger venezianischer Literaten, Künstler und dem Dichter und Bürgermeister Riccardo Selvatico als internationale Ausstellung zur Steigerung des noch spärlichen Tourismus in Venedig gegründet und registrierte bei ihrer ersten Durchführung 224 327 Besuche. Der große Erfolg veranlasste die Wiederholung der Ausstellung. Ihren ersten Rekord erlangte die Biennale im Jahr 1909 mit 457 960 Besuchen, der im Jahr 1976 mit 692 000 Besuchen noch überboten werden konnte. In den 90er Jahren sind die Besuchszahlen stark zurückgegangen und erst in den letzten Jahren waren sie wieder auf ca. 300 000 Besuche angestiegen. Der Anstieg verdeutlicht, dass es einen Trend „Biennale“ gibt, deren Ausstellungskonzept, jedoch ohne das umstrittene Konzept der Länderpavillons, weltweit in vielen Städten nachgeahmt wird. Das gesteigerte Interesse an dieser Ausstellungsform zeigt sich auch in den Medien. So widmete die Kunstzeitschrift „art“ im Jahr 1995 der Biennale lediglich drei Seiten, während sie dieses Jahr eine Vorschau von 40 Seiten veröffentlichte.

Die Betrachtung des historischen Biennale-Konzepts, das Tourismusmaximierung zu einem seiner Ziele erhoben hatte, lässt nun fragen, warum dieser Ausstellung immer wieder der Vorwurf eines Tourismusevents gemacht wurde. Eine Antwort ist darin zu vermuten, dass die Institution „Venedig Biennale“ in den letzten Jahrzehnten einen anderen kulturellen Stellenwert anstrebte und wie an den vielen Besuchern der etablierten Kunstszene abzulesen auch reichlich Beachtung erlangt hat. Ihrem neuen Präsidenten David Croff, der von Hause aus Banker ist, scheint es für die seit letztem Jahr in eine Stiftung überführte Biennale vor allem darauf anzukommen, hohe Besuchszahlen zu verbuchen. Dass Croff eine breite Popularität erreichen will, verdeutlichen auch die beiden diesjährigen Ausstellungen, die so ausgerichtet sind, dass für nahezu jeden Geschmack etwas geboten ist.

Zuletzt soll noch auf die „Verleihung des Goldenen Löwen“ eingegangen werden. Sicherlich verwundert es nicht, dass eine Ausstellung, die sich konzeptionell an den internationalen Großausstellungen des 19. Jahrhunderts orientierte, auch deren Bewertungssysteme übernommen hat. So waren die Medaillen der Weltausstellung eine beliebte Form, hierarchische Rangfolgen unter den einzelnen (Kunst-)Produkten und Künstlern herzustellen und ihre Herkunftsländer ins Rampenlicht zu stellen. Aus historischer Sicht erscheint es nachvollziehbar, dass die Biennale durch unterschiedliche Preise künstlerische Arbeiten hervorheben wollte und damit die Künstler heroisierte, woran auch in den Jahrzehnten des Faschismus festgehalten wurde. Zu Recht war die Preisvergabe eine der zentralen Kritikpunkte des Protests der 1968er-Jahre, die daraufhin in den Reformen von 1970 abgeschafft wurde. Dadurch verlor die Biennale zwar ihre spektakuläre Dramatik. Umso unverständlicher ist die Wiedereinführung im Jahre 1984, für die keine Begründung gegeben und die offenbar kritiklos seitens der Künstler und Kritiker hingenommen wurde. Willig nahmen damals Sigmar Polke und der institutionskritische Künstler Daniel Buren ihre Preise entgegen. Auch in diesem Jahr wurden die begehrten Goldenen Löwen aus Venedig vergeben, nämlich an drei Frauen und einen Mann. Dass in diesem Jahr überproportional viele Preise an Künstlerinnen gingen, hängt möglicherweise auch damit zusammen, dass die künstlerische Leitung in weiblicher Hand lag und ausnahmsweise fast die Hälfte der ausgestellten Arbeiten von Künstlerinnen stammt. Barbara Kruger bekam den Goldenen Löwen für ihr Lebenswerk, Annette Messager den Goldenen Löwen für den besten Länderpavillon und Thomas Schütte erhielt für seine Frauentorsi den Goldenen Löwen als bester Künstler der internationalen Ausstellung. Den Goldenen Löwen als beste Nachwuchskünstlerin unter 35 Jahren erlangte Regina José Galindo. Die guatemaltekische Künstlerin präsentiert das Video ihrer Performance „Who can erase the traces?“ (2003), in der sie alle Haare ihres ganzen Körpers abrasierte und dann mit einer Schüssel voll Blut durch die Stadt Guatemala lief. Vorab hat sie ihre Füße ins Blut eingetaucht und ging solange bis die Fußabdrücke auf dem Boden verschwunden waren, um dann die Füße wieder von neuem ins Blut zu tauchen.

Abschließend lässt sich feststellen, dass auch in diesem Jahr das Konzept der Biennale in Venedig unverändert geblieben ist: Die einzelnen Länder sind für ihre jeweiligen Pavillons verantwortlich und die künstlerischen Beiträge gehen durch die separaten Auswahlkriterien keinen Dialog ein. Die beiden Kuratorinnen richten sich in den beiden ergänzenden Ausstellungen durch die breit angelegte Überblicksschau eher an die Besuchermassen, als das sie ein wirkliches Anliegen vermitteln wollten.

Katalog zur Ausstellung:
51. International Art Exhibition, La Biennale di Venezia, 3 Bände, Venedig:
Marsilio Editori, 2005, 820 S., ISBN: 88-317-8685-7, 70,00 Euro
Homepage: www.labiennale.org
Literatur zur Biennale Venedig (in Auswahl):
Glozer, Laszlo: Garten der Künste. Hundert Jahre Biennale, Stuttgart 1995
Institut für Auslandsbeziehungen (Hrsg.): Biennale Venedig. Der deutsche Beitrag 1895-1995, bearbeitet von Christoph Becker und Annette Lagler, Ostfildern 1995
Rizzi, Paolo/ Martino, Enzo Di: Storia della Biennale 1895-1982, Mailand 1982

Empfohlene Zitation:
Susanne König: [Rezension zu:] 51. Internationale Kunstausstellung. La Biennale di Venezia (Venedig, 12.06.–06.11.2005). In: ArtHist.net, 03.08.2005. Letzter Zugriff 19.04.2024. <https://arthist.net/reviews/474>.

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