REV 20.01.2004

Amy Dempsey: Stile, Schulen, Bewegungen

Rezensiert von Andrea Schmidt-Niemeyer
Redaktion: Rainer Donandt

Überblicksdarstellungen sind so gefragt wie nie zuvor - ein nicht- wissenschaftliches Publikum, das in die Museen und in Ausstellungshäuser moderner Kunst drängt, sucht Rat - nicht nur in Führungen, sondern auch im gemütlichen Selbststudium zuhause. Diesem Bedürfnis kommen die Verlage schon allein aufgrund ökonomischer Interessen nach und so entstanden Reihen wie die 'Schnellkurse' des DuMont Verlag, die Taschen-Verlags- ICONS oder die '50 Klassiker' des Hauses Gerstenberg. Auf kleinstem Raum werden möglichst viele Informationen vermittelt, dicht gedrängt folgen Namens-, Werk- oder Jahreszahlnennungen, dekorativ vermengt mit unzähligen (meist kleinen) Abbildungen. Manchem bleibt dies oftmals zu oberflächlich - nimmt solche Publikationen allenfalls zum schnellen Nachschlagen in die Hand.

Amy Dempseys Publikation kommt nicht so leicht und handlich daher, sondern bietet einen fundierteren Überblick zur Entwicklung der westlichen Kunst der Moderne und zwar nicht nur in den Bereichen der Malerei und Plastik, sondern auch im Kunsthandwerk / Design sowie der Architektur. Stilgeschichten zur Kunst der Moderne gibt es in dieser Präsentationsform nicht - nur vergleichbare Arbeiten, die andere Schwerpunkte setzen.[1]

Dempseys Anspruch ist, eine "breit angelegte Einführung (...) und [einen] Leitfaden für eine der dynamischsten und aufregendsten Kunstepochen" (S. 6) zu bieten, mit dem Ziel, "den Ursprung der Entwicklung zu zeigen, den Lesern einen Weg in die Welt der modernen Kunst zu weisen und sie mit dem nötigen Rüstzeug auszustatten, eigene Rückschlüsse ziehen zu können." (S. 7) Das mag an manchen Stellen gelungen sein, doch ist der qualitative Unterschied der einzelnen Kapitel teilweise gravierend.

Gegliedert ist die Abhandlung in fünf große Kapitel, die chronologische Einschnitte setzen - von "1860-1900: Aufstieg der Avantgarde" bis "1965 bis heute: Jenseits der Avantgarde", denen dann insgesamt 100 kleinere Abschnitte - von der Länge zwischen fünf bis zu einer Seite variierend - folgen, die unter dem Titel "Stile, Schulen, Bewegungen" subsumierbar erscheinen. Jedem dieser Kapitel wird ein Zitat eines Künstlers oder Kritikers als Einstimmung in das Thema vorangestellt und am Schluss folgt eine Auflistung wichtiger Sammlungsbestände und Literatur. Bei letzterem erscheint die Auswahl manchmal etwas willkürlich, doch ist positiv anzumerken, dass auch deutschsprachige Publikationen nicht fehlen. Im Anhang werden im Glossar nochmals 200 weitere Stile, Schulen und Bewegungen vorgestellt und ein umfangreiches Register - mit allen angeführten Richtungen, über 1000 Kunstschaffenden sowie mit der Kunst Verbundenen wie Sammler oder Mäzene - ermöglicht systematisches Nachschlagen.

Um Kritik an ihrer Auswahl zuvorzukommen, stellt Amy Dempsey gleich im Vorwort fest, dass diese "subjektiv, aber nicht willkürlich" (S. 6) sei. Trotzdem lässt sich nicht nachvollziehen, warum wenig bekannte und einflussreiche Strömungen wie der 'Salon de la Rose + Croix' (S. 56) im Hauptteil erwähnt werden, andere jedoch wie 'Colour-Field Painting' nur im Glossar. Dort findet man ebenso die sicherlich wichtige deutsche Nachkriegsverbindung 'Zero', die sonst nur noch kurz im Kapitel 'GRAV' (S. 226) genannt wird. Wobei an dieser Stelle anzumerken ist, dass die knappen Angaben des alphabetischen Verzeichnisses manchmal exakter und aufschlussreicher sind als die längeren Texte, die diesem vorausgehen.

Leider wird aus dem kurzen - zweiseitigen - Vorwort nicht deutlich, was Dempsey unter der "Kunst der Modernen" versteht. Gerade im deutschsprachigen Raum hätte man sicherlich chronologisch viel früher eingesetzt.[2] Am ehesten erklärt sich ihr Auswahlmodus wohl am Ende des ersten Kapitels zum 'Impressionismus', indem sie insbesondere dessen "Ablehnung der tradierten Kunstkonvention und der Werturteile der Kritiker" hervorhebt. An selber Stelle betont sie außerdem, dass die impressionistischen Maler "den Beginn des Modernismus" bewirkt hätten, "indem sie einen Prozess einleiteten, der die Konzeption und die Wahrnehmung des Kunstobjekts revolutionierte" (S.18). Doch ließen sich mit solchen Aussagen nicht ebenso gut auch Ausführungen zu Arbeiten von Jacques-Louis David oder Francisco de Goya beginnen? Was bedeuten denn überhaupt ‚Stile, Schulen, Bewegungen" für die Kunst der Moderne? Im Vorwort spricht Dempsey in diesem Zusammenhang auch von "Tendenzen" bzw. "Entwicklungen". In den einzelnen Kapiteln stehen gleichberechtigt Ausstellungsgemeinschaften, kunsthistorisch tradierte Begriffe, aber auch neue Medien (wie z.B. "Installation" oder "Videokunst") nebeneinander - alles unter der Prämisse, dem Leser ein Verständnis für diese 'Begrifflichkeiten' zu ermöglichen. Wer hier allerdings einen Beitrag zur Diskussion zum Begriff der Avantgarde oder dem Phänomen der Moderne erwartet, würde enttäuscht werden und an dem eigentlichen Anspruch vorbeigehen.

Dem Vorwort im wahrsten Sinne des Wortes einverleibt ist eine ausklappbare, bunte Zeittafel (S.8-11), die mit den Kategorien "Kunst für den Menschen", "Kunst und Stil" und "Kunst und Gefühl" die noch folgenden Hauptstichworte auf drei Ebenen chronologisch auffächert, "um auf einen Blick gleichzeitige Stil- und Bewusstseinsschichten zu zeigen" (S.7). Die von manchen als anschaulich gepriesene Tafel[3] erschien mir nur verwirrend und in der Aufteilung mehr als gewagt. Warum taucht z.B. 'Expressionismus' in der blau hinterfangenen Rubrik "Kunst und Gefühl", jedoch nicht beim gelben Sektor "Kunst für den Menschen" auf? Genauso hätte man sich den "Sozialen Realismus" auch an anderer Stelle als im pinken "Kunst und Stil" vorstellen können.

Aufgrund der Fülle des behandelten Materials wirkt manches gelegentlich zu komprimiert, eher irreführend als für den Laien erhellend. Stereotype Auflistungen von Künstlern, Ausstellungsdaten, die dem abgehandelten Stichwort zuzuordnen sind, Bildunterschriften, die oftmals wortwörtlich nur das wiederholen, was bereits im Text erwähnt wird, holprige Formulierungen, die vielleicht Folge der Übertragung sind, da der Part der zweiten Übersetzerin sich wesentlich besser lesen lässt, bremsen bisweilen den Lesefluss.

Mit Amy Dempsey wagt sich eine kundige Kunsthistorikerin an das gestellte Thema - so studierte sie bei der auf die Kunst des 20.Jahrhunderts spezialisierten Rosalind Krauss an der Columbia University, New York und promovierte am Courtauld Institute of Art, London über französische und amerikanische Kunst. An vielen Stellen merkt man eine breit fundierte Wissensgrundlage - an den meisten, aber leider nicht an allen.

So taucht gerade im Bereich der französischen Kunst die eine oder andere Unstimmigkeit auf. Bei den Impressionisten wird z.B. herausgestellt, dass die unabhängige Ausstellung 1874 Vorbildfunktion für das 20. Jahrhundert habe (S. 14) - ohne zu berücksichtigen, dass bereits Courbet (1855) und Manet (1867) mit Privatausstellungen das Publikum zu erreichen suchten. An anderer Stelle (S. 50) wird Gauguin explizit vom 'Cloissonismus' ausgeschlossen - eine These, die jede etwas ausführlichere Bildmonografie widerlegen kann. Ebenso befremdlich wirkt das Wörtchen "fast" (S. 141), wenn es um die Abstraktion von Brancusi geht: ist denn seine 'Endlose Säule' nur "fast" abstrakt? Die Bildunterschriften sind ein heikles Thema - unabhängig von den bereits erwähnten störenden wortgleichen Übernahmen aus dem Text. Manche Informationen sind so dürftig, dass sie ein weiteres Nachrecherchieren eigentlich schon notwendig machen: so wird bei dem Werk von Maurice Denis 'Huldigung für Cézanne' (1900) zwar korrekterweise erwähnt, dass sich die Gruppe der Nabis um ein Stilleben dieses Post- Impressionisten versammelt habe (S. 51), aber weder hier noch im gesamten Kapitel wird erklärt, worin diese Bewunderung denn bestand. Die Bemerkung im selben Kapitel, dass Bonnards Vater - nachdem er vom Sieg seines Sohnes bei einem Plakat-Wettbewerb erfahren habe - im Garten vor Freude getanzt habe (ibid), ist für ein Werk, das in erster Linie ein besseres Verständnis zur modernen Kunstentwicklung vermitteln möchte, irriterend aber in seiner Anekdotenhaftigkeit ein für Überblickswerke im englischen Sprachraum vielleicht nicht unübliches, jedenfalls auch an anderen Stellen anzutreffendes Stilmittel.

Die Verwendung des Begriffs "Fotorealismus" (S.50) im Zusammenhang mit der französischen Kunst des späten 19. Jahrhunderts erscheint so verwegen, dass ich zugunsten Dempseys hier von einem Übersetzungsfehler ausgehen möchte. Bei dem unter dem Stichwort 'Symbolismus' zitierten Aurier-Artikel (1891) (S. 41) bleibt die meines Ermessens wichtige Tatsache unerwähnt, dass dieser Aufsatz zu Gauguins Schaffen erschien, der darin als Initiator einer neuen Kunst gepriesen wurde. Wohltuend dicht sind dagegen die Informationen zu Cézannes Stellenwert im 'Post- Impressionismus' - hier (S. 45) gelingt es Dempsey in wenigen Sätzen seine Vorgehensweise und Zielsetzung verständlich und treffend darzulegen.

Um die in den Kapiteln mittels Querverweisen belegten Zusammenhänge zwischen den einzelnen Bewegungen deutlicher zu machen, hätte man sich gewünscht, dass nicht nur die chronologische Abfolge entscheidend, sondern inhaltliche Verwandtschaften auch durch Textnähe verdeutlicht worden wäre. So verwundert es, wenn einerseits dem 'Expressionismus' (S. 70-74) unmittelbar sich 'Die Brücke' anschließt (S.74-77), aber 'Der Blaue Reiter' (S. 94-97) erst später anzutreffen ist. Einem mit der deutschen Moderne des frühen 20. Jahrhunderts vertrauten Leser muten die entsprechenden Abschnitte an der ein oder anderen Stelle mitunter gewagt an - beispielsweise, wenn der 'Expressionismus' als "Alternative zu dem Begriff Post-Impressionismus" (S. 70) vorgeschlagen wird oder wenn als plastische Vertreter dieses Stils nur Barlach und Lehmbruck genannt werden, deren entsprechende Zuordnung nicht einmal von allen Kunsthistorikern akzeptiert wird. Ein grober Fehler ist Dempsey mit der Behauptung unterlaufen, dass der Einsteinturm in Potsdam von Mendelsohn zerstört sei (S. 73), ist dieser faszinierende Bau doch gerade kürzlich (1999) vollständig restauriert wiedereröffnet worden.[4] Nicht nachvollziehbar ist, weshalb Dempsey Käthe Kollwitz als Vertreterin der 'Neuen Sachlichkeit' bezeichnet (S. 149) und in diesem Kapitel überhaupt nur die sogenannten Veristen aufnimmt - Magischer Realismus oder Künstler, die mit ihrer Kunst zu Beginn des Nationalsozialismus für Kontinuität sorgten (wie Alexander Kanoldt und Georg Schrimpf), finden keine Erwähnung. Solch mangelnde Differenzierung findet sich auch in dem Kapitel 'Pop Art' (S.217-221) - sind doch die europäischen Vertreter dieser Bewegung wesentlich politischer und gesellschaftskritischer als die Amerikaner, die teilweise arglos Themen und Techniken der Werbung und der Massenmedien übernehmen. Und die Aussage, Lichtenstein habe selbst die Rasterpunkte per Hand gemalt (S. 221) stimmt in dieser Ausschließlichkeit nicht, da Schablonen ein wichtiges Hilfsmittel für ihn waren.

Mit dem 'Kubismus' scheint Dempsey eine zeitliche Schwelle überschritten zu haben, hinter der sie vertrautere Bewegungen und Schulen beschreiben kann - die Beiträge sind flüssiger zu lesen, wirken durchdachter und informativer. Trotzdem seien hier noch einige wenige Stellen hervorheben, die mir inhaltlich nicht ganz unproblematisch erscheinen.

So ist es m.E. nicht haltbar, Nazi-Deutschland und das faschistische Italien kulturpolitisch auf eine Linie zu stellen (S. 159). Natürlich wurde in beiden Diktaturen Kunst politisch missbraucht, doch Mussolinis Weg war sicherlich kein antimodernistischer [5] - eine Faktum, das möglicherweise denjenigen Probleme bereitet, für die immer noch 'modern' mit 'freiheitlich' gleichzusetzen ist. Ebenso verkürzt ist es, Giacomettis Figuren nur als "Ausdruck der Isolation des Menschen und seines Kampfes" zu interpretieren (S. 178), wenn Äußerungen von ihm belegen, wie sehr er mit wahrnehmungsphysiologischen und phänomenologischen Fragestellungen rang. Und ist es nicht ein Widerspruch in sich, wenn einerseits 'Outsider Art' als "jede Kunst, die von Menschen außerhalb des Kunstbetriebs produziert wird" (S. 180) definiert wird und als einzige Abbildung ein Werk von Nek Chand herhalten muss, das eine Stiftung finanziert?

Diese Hinweise sollen nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Kapitel insgesamt einen hohen Informationsgehalt besitzen und ausgewogen formuliert sind. Die beanstandeten Stellen überwiegen keineswegs, verdienen angesichts des offensichtlich angestrebten Handbuchcharakters der Publikation aber der kritischen Hervorhebung . Trotz solcher Einschränkungen kann diese Publikation als wichtige und notwendige Überblicksdarstellung zur facettenreichen Kunstentwicklung des späten 19. und 20. Jahrhunderts nur empfohlen werden. Nimmt man dieses vollgepackte Informationspaket als das, was es in dieser Fülle nur sein kann - nämlich erste Orientierung - dann besitzt dieses Werk mit seinen zahlreichen, teilweise sogar ganzseitigen Farbabbildungen und den Literatur- und Museums-Querverweisen einen nicht zu unterschätzenden Wert. Schon allein die Lust bei manchen Artikeln, mehr wissen zu wollen, macht die Lektüre lohnend.

Anmerkungen:

[1] Z.B. Edward Lucie-Smith: Bildende Kunst im 20. Jahrhundert, Köln 1999, das streng chronologisch vorgeht oder Hubertus Butin (Hg.): DuMonts Begriffslexikon zur zeitgenössischen Kunst, Köln 2002, in dem alphabetisch zentrale Begriffe der aktuellen Kunstszene abgearbeitet werden.

[2] Vgl. beispielsweise Werner Busch: Das sentimentalische Bild. Die Krise der Kunst im 18.Jhd. und die Geburt der Moderne, München 1993.

[3] Vgl. Rezensionen unter http://www.kultur-literatur-kinder-und- jugendliteratur.de/3865020569.html oder http://painting.about.com/cs/paintinghistory/gr/pr-artschools.htm.

[4] Ebenfalls falsch ist die Behauptung, Paul Klee sei Schweizer (S. 130). Zwar war seine Mutter Schweizerin, doch entgegen aller Bemühungen bis zu seinem Tod blieb Paul Klee wie sein Vater laut Pass Deutscher - eine Tatsache, die von großer Tragweite für seinen künstlerischen Nachlass war und ist.

[5] Vgl. hierzu u.a. Susanne von Falkenhausen, Mussolini Architettonico. Notiz zur ästhetischen Inszenierung des Führers im italienischen Faschismus, in: Inszenierung der Macht. Ästhetische Faszination im Faschismus, Ausstkat. Berlin (West) 1987, S. 243-252.

Dempsey, Amy: Stile, Schulen, Bewegungen. Ein Handbuch zur Kunst der Moderne, E.A. Seemann Verlag 2002
ISBN-10: 3-86502-056-9, 304 p.

Empfohlene Zitation:
Andrea Schmidt-Niemeyer: [Rezension zu:] Dempsey, Amy: Stile, Schulen, Bewegungen. Ein Handbuch zur Kunst der Moderne, 2002. In: ArtHist.net, 20.01.2004. Letzter Zugriff 20.04.2024. <https://arthist.net/reviews/46>.

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