Hans Vredeman de Vries und die Folgen
Es war das zweite Mal, dass sich in der Folge der in Lemgo und Antwerpen gezeigten Ausstellung "Hans Vredeman de Vries und die Renaissance im Norden" (2002) Wissenschafterinnen und Wissenschaftler aus Europa und Übersee trafen, um die angestoßenen Forschungen zu Vredeman zusammenzufassen, auszuwerten und daraus neue Ansätze und Perspektiven zu entwickeln. Bereits im November 2003 hatte das Muzeum Historyczne Miasta Gdanska in Kooperation mit dem Weserrenaissance Museum ein Symposion mit dem Titel "Netherlandish artists in Gdansk in the time of Hans Vredeman de Vries" veranstaltet, welches das Werk und den Einfluss Vredemans und anderer niederländischer Künstler in Gdansk beleuchtete.
Die Vorträge des Lemgoer Kongresses befassten sich ganz überwiegend mit der Vredeman-Rezeption in Europa, mit seinen Architekturtraktaten und Ornamentdrucken, mit der Perspektive, mit seinem Einfluss auf die angewandten Künste und die Grabmäler. Einzelne Beiträge hatten indes auch werkimmanente Fragen zum Gegenstand, Überlegungen zu möglichen Vorbildern und - dem entsprechend - zu Vredemans Originalität, seiner Innovationskraft. Den Eröffnungsvortrag am Vorabend hielt Walter Liedtke (New York) über "Vredeman de Vries and the Dutch architectural painters", ein Überblick über die Architekturmalerei in der Folge von Vredemans perspektivischen Erfindungen.
Die Rezeption Vredemans war maßgeblich durch die massenhafte Verbreitung der Druckgraphik im 16. Jahrhundert und letztlich durch die Ausbildung des Verlagswesens in den Niederlanden gefördert worden. Heiner Borggrefe vom Weserrenaissance-Museum Schloss Brake wies in seiner Einführung auf die eminente Bedeutung dieser Voraussetzungen hin, die zu einer "europäischen Mode der Gestaltung" geführt haben. Die alten Kataloge der Frankfurter Messe bieten hier einen konzisen Überblick über die zeitgenössischen Verkaufsangebote. Die Abhängigkeit vom gedruckten Medium zog sich wie ein roter Faden durch sämtliche Beiträge der Konferenz.
Der opulente Einstieg blieb Anthony Wells-Cole (Leeds) vorbehalten, der an einer Fülle von Beispielen über die "'Barbarous and Ungraceful Ornaments'? Hans Vredeman de Vries and his influence in England" aufzeigte, in welcher Breite die Architektur- und Ornamentdrucke von Hans und seinem Sohn Paul seit dem 3. Viertel des 16. Jahrhunderts in England rezipiert wurden. Einzelmotive sind aus den Stichen entlehnt, aber auch ganze Partien kopiert, und in die verschiedensten Medien übertragen worden, in Stuckdecken, Gemälde, plastischen Bauschmuck, Tapisserien, sogar in Landkarten und noch im 18. Jahrhundert in englische Druckwerke. Nicht zuletzt aufgrund seiner übergreifenden Forschungen zum Phänomen der Einflüsse kontinentaler Ornamentdrucke auf "Art and Decoration in Elizabethan and Jacobean England" (1997) konnte Wells-Cole die Chancen, aber auch die Grenzen benennen, die Forschungen zur Rezeption der Druckgraphik in Architektur und angewandter Kunst mit sich bringen. Hugo Johannsen (Kobenhavn) betonte in seinem Vortrag über "Hans Vredeman de Vries and Denmark. The significance of his graphic oeuvre for architecture, arts and crafts in Denmark" den Eklektizismus, mit dem auf das Universum von Ideen in Vredemans Drucken zurückgegriffen wurde. Bereits in den ersten Beiträgen wurde deutlich, dass wechselseitige Datierungen für Vorlagen und Objekte möglich sind und dies auch entsprechendes Licht auf die Aktualität bei der Erwerbung von Druckgraphik wirft, wenn etwa die Säulenschäfte am Torportal des Schlosses Frederiksborg gerade einmal zehn Jahre jünger sind als die Vredemansche Vorlage. Durchaus treffend von "Vredemanism" sprechend, dem "Trademark of the workshop of Arent Passer in Reval/Estonia", skizzierte Krista Kodres (Tallinn) das Werk des Bildhauers in Reval unter dem Einfluss Vredemanscher Erfindungen. Für weitere Kunstlandschaften würdigten denselben Gesichtspunkt Ivan Muchka (Praha) über "Die Inspirationsquellen der Grabdenkmäler der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts in den böhmischen Ländern" und Piotr Oszczanowski (Wroc?aw) mit "Hans Vredeman de Vries and Silesian art in the mannerism age".
Den vielfältigen Variationen innerhalb eines einzelnen rezipierten Elementes spürte Arnold Bartetzky (Leipzig) mit seinen Überlegungen über "Hans Vredemans geschweifte Beschlagwerkgiebel. Zur Aneignung und Verbreitung des Motivs in der Architektur Mittel- und Nordeuropas" nach. Die bemerkenswerte Tatsache, dass die Giebel der Vredeman-Drucke im Ausland erfolgreicher waren als in den Niederlanden, erklärt sich in Gebieten ohne direkten künstlerischen Austausch schlüssig aus ihrer immanent gedachten "Modernität". Die höfische Architektur und "Vredeman de Vries as a propagator of architectural novelties" derselben thematisierte Krista De Jonge (Leuven). Während diese Beobachtungen den Vorbildern der Inventionen Vredemans galten, untersuchte Petra Sophia Zimmermann (Köln) ihre Rezeption in verschiedenen Säulenbüchern. Die wenigen gezeigten Publikationen waren jedoch nur bedingt tauglich, das anspruchsvolle Thema "Hans Vredeman de Vries und die Folgen in der Architekturlehre" abzuhandeln. Als einen Meister der perspektivischen Modifikationen, der die Axionometrie einführte, präsentierte Piet Lombaerde (Antwerpen) Vredeman in seinem Vortrag "New representation techniques of the object: Vredeman de Vries and Jan van Schille" und zeigte im gleichen Zusammenhang auf, dass Vredeman die mathematisch korrekte Perspektive durchaus zugunsten der idealen Ansicht veränderte.
Anja Grebe (Nürnberg) untersuchte "Die Möbelentwürfe von Hans Vredeman de Vries. Zwischen Schreinervorlagen und Sammlerwerk". Dabei konnte sie feststellen, dass die Innovationen in dieser Gattung nicht bei Konstruktionen oder Typenentwicklung lagen, sondern im Ornament. Die Druckserie scheint eine reduzierte Auswahl der umfangreicheren Zahl von Einzelblättern für Möbel von Ducerceau zu bilden. Möglicherweise wurde sie auf Anregung des Verlegers produziert, war vielleicht sogar als Sammlerserie gedacht, um eine Marktlücke zu bedienen. Ein weiterer Beitrag zu Möbeln von Ria Fabri (Antwerpen) fiel wegen Erkrankung der Referentin aus. Der Abendvortrag von Lubomir Konecny (Praha) galt "Paul and Hans Vredeman de Vries, the five senses, and the five architectural orders".
Ursula Härting (Hamm) wies auf "Vredemans Möbel und Vasen in flämischen Gemälden" hin. Rauminterieurs gelangten in Holland nach 1610 zu großer Beliebtheit, wobei sie in engem Kontakt mit den beiden Möbelserien der Vredemans blieben. Jeremy Howarth (Buckingham) referierte sodann über "The influence of Hans Vredeman de Vries on Hendrick van Steenwyck I and II" und Axel Rüger (London) fragte "Indebted to Hans Vredeman de Vries? The case of the architectural painter Bartholomeus van Bassen". Van Bassens Neuerungen im Vergleich mit Vredeman-Interieurs liegen eindeutig in den elaborierten, ornamentierten Deckengestaltungen. In "Grimmer, Neefs und Co. - Die Genealogie der Antwerpener Architekturmaler am Beginn des 17. Jahrhunderts" stellte Thomas Fusenig (Essen) die Entwicklung der dortigen Architekturmalerei nach 1586 unter besonderer Berücksichtigung des Kirchenmalers Grimmer dar. David Kunzle (Los Angeles) sprach über "Hans Vredeman de Vries and propaganda of the French religious wars" und Frank Muller (Nancy) skizzierte "Die Gesetz-und-Gnade-Allegorie Vredemans im Kontext der lutheranischen Ikonographie". Insbesondere zur Form des untersuchten Gemäldes handelte Sergiusz Michalski (Tübingen) mit "Vredeman de Vries und van den Blockes Apotheose Danzigs".
"Die alte und newe manier' in Vredeman de Vries' Perspektive" war Gegenstand der Ausführungen von Michael Gnehm (Zürich). Bei Vredeman wird die Gotik als eigenständige Architekturauffassung präsentiert, was aber zweifellos keine abwertende Haltung gegenüber der Antike und der Renaissance mit sich bringt. Die Perspektive regelt die "Maßlosigkeit" der "gotischen Ordnung". Die biblischen Wurzeln der Ordnungen suchte Hendrick de Keyser in seinem Traktat "Architectura Moderna Ofte Bouwinge van onsen Tyd" von 1631 im Dialog mit Vredemans Architectura, wie Christine Fritsch-Hammes (Pennsylvania) in ihrem Vortrag "Architectura Moderna and Amsterdam's Modern' Identity" ausführte.
Barbara Uppenkamp (Hamburg) stellte "Die Aedicula-Bekrönung des Kanzelaufgangs aus der Hamburger Petrikirche" vor, die im dortigen Museum für Kunst und Gewerbe wieder aufgefunden wurde, ein monumentales Schnitzwerk, dessen Ursprungszusammenhang mit Vredeman noch nicht abschließend geklärt ist. Schließlich präsentierte Angelica Dülberg (Dresden) "Zwei Deckenmalereien in Sachsen unter dem Einfluß von Hans Vredeman de Vries", für die sie Stiche Vredemans - Grottesken und Gartenansichten - nachweisen konnte, aus denen verschiedene Zitate zu neuen Kompositionen verarbeitet wurden. Mit Dülberg und den Decken in Mitteleuropa schloss sich der Kreis der Rezeptionsgeschichte, der mit Wells-Cole in England begonnen hatte.
In der Abschlussdiskussion, die Thomas DaCosta Kaufmann (Princeton) leitete, wurden die italienischen Ideale und der nordeuropäische Geschmack noch einmal thematisiert. Vredeman war Vermittler, ganz entscheidend gefördert durch das Verlagswesen. Die Frage, wer letztlich über die Verwendung von Ornamentdrucken entschied (Auftraggeber, Architekt, entwerfender oder ausführender Künstler), blieb ebenso offen wie die nach einer international einheitlichen Terminologie des Ornaments. Dennoch: Im 18. Jahrhundert sollte es in Mitteleuropa mit dem Laub- und Bandelwerk erneut zu einer weit verbreiteten "Mode der Gestaltung" kommen, die ähnlich stark vom gedruckten Medium abhing. Die Wechselwirkungen von massenhaft verbreiteter Druckgraphik und ihrer Rezeption in Architektur und Dekoration haben die Forschung bislang selten und nur im Rahmen der Architekturtheorie interessiert. In Lemgo gab es viel versprechende neue Ansätze, die auch für Untersuchungen zu späteren "europäischen Moden der Gestaltung" nützlich sein werden.
Recommended Citation:
Martin Pozsgai: [Conference Report of:] Hans Vredeman de Vries und die Folgen (Weserrenaissance-Museum Schloss Brake, Lemgo, Jan 30–Feb 1, 2004). In: ArtHist.net, Mar 4, 2004 (accessed Dec 18, 2024), <https://arthist.net/reviews/453>.
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