REV-CONF 15.10.2004

Visuelle Erinnerungskulturen

Kunstgeschichtliches Seminar, Humboldt-Universität zu Berlin, 29.09.–03.10.2004

Bericht von Katja Bernhardt
Redaktion: Godehard Janzing

11. Tagung des Arbeitskreises deutscher und polnischer Kunsthistoriker und Denkmalpfleger:

Visuelle Erinnerungskulturen und Geschichtskonstruktionen in Deutschland und in Polen, Teil I: 1800-1939

Als sich der Arbeitskreis vergangenes Jahr in Warschau zu seiner 10. Tagung traf, war die Veranstaltung überschattet von einer durch die Medien beider Länder aufgeputschten Debatte über das vom Verband der Vertriebenen angeregte „Zentrum gegen Vertreibungen“. Diese Debatte hatte in anschaulicher und eindrücklicher Weise vorgeführt, wie mit Hilfe der Medien versucht wurde, Geschichtsverständnis zu lenken, und sie war deutlicher Ausdruck der Angst vor der visuellen Wirkungskraft eines solchen, künstlich geschaffenen Erinnerungsortes. Mit dem diesjährigen Tagungsthema „Visuelle Erinnerungskulturen und Geschichtskonstruktionen“ hat der Arbeitskreis das medientheoretische Problemfeld, das sich in dieser Debatte spiegelte, zu seinem Untersuchungsgegenstand gemacht. [1]

In den Begrüßungsworten von Dethard von Winterfeld und Andrzej Tomaszewski trat deutlich der Wunsch hervor, dem in den letzten Monaten neuerlich angespannten deutsch-polnischen Verhältnis ein sachliches Gespräch gegenüber zu stellen. So musste Dethard von Winterfeld die einleitend von ihm selbst mit Blick auf die 15jährige Geschichte des Arbeitskreises und auf den EU-Beitritt Polens gestellte Frage, ob eine solche deutsch-polnische Arbeitsgruppe nicht inzwischen obsolet geworden sei, mit einem nachdrücklichen „Nein“ beantworten. Dabei hob er nicht nur die Notwendigkeit des deutsch-polnischen Fachgespräches hervor, sondern kritisierte auch das langsame Sterben der Slawistik an den deutschen Universitäten.

Sowohl für das geteilte Polen als auch für Deutschland war die Einigung der Nation ein wesentlicher Zielpunkt und als Strukturmerkmal der Epoche prägend, betonte Adam Labuda in seinem einführenden Referat. Dies habe zu einem politischen Antagonismus geführt. Von der Forschung, die sich bisher mit dem Modell der Nation annäherte, seien insbesondere die trennenden Elemente herausgearbeitet worden. Untersuchungen nach anderen Schnittebenen, z.B. nach regionalen oder konfessionellen, ließen dahingegen ein stärker differenziertes Bild der deutsch-polnischen Wechselbeziehungen erwarten. Darüber hinaus sei eine „gemeinsame Sprache finden, die das Gespräch ermögliche“ [2] und auf deren Ebene die unterschiedlichen Formen des Erinnerns, so z.B. die Vertreibungsdebatte, als ein semantisches Feld betrachtet und in ihren Erscheinungen untersucht werden könnten. Hierbei ermögliche gerade die Kunstgeschichte mit ihren fachspezifischen Methoden, die spezifische Wirkkraft visueller Darstellungen, die als bildgewordene Vergangenheit unmittelbar auf die Beurteilung der Gegenwart und somit schließlich auf die Ausformung der Zukunft einwirkten, näher zu untersuchen.

In seinem Abendvortrag „Geteilte Erinnerungsorte, europäische Erinnerungsorte“ konstatierte Étienne François eine Art „Vergangenheitsbesessenheit“ der gegenwärtigen Gesellschaft. Dabei gerate die Rolle des Berufshistorikers zu Gunsten von Journalisten, Zeitzeugen, Opfern usw. zunehmend in den Hintergrund. Geschichte diene dabei als Folie für die Austragung politischer und ideologischer Konflikte. Für diese Kommunikation ständen „Erinnerungsorte“ zur Verfügung, wobei nach Pierre Nora „Erinnerungsorte“ als Gedächtnis der Nation verstanden werden. [3] Nachdem in den letzten Jahren für einzelne Nationen solche Erinnerungsorte „inventarisiert“ und untersucht wurden, sei es nun notwendig, das Konzept auf Europa auszudehnen. Dabei sei man jedoch mit dem Paradox konfrontiert, dass die Nationen als staatliches Gebilde in Europa zwar immer mehr an Bedeutung verlören, jedoch als Erinnerungsgemeinschaft mehr den je gefragt seien. Daher müsse man das Gedächtnis Europas als eine Art Strahlenbündel betrachten, das durch das Prisma der Nationen gebrochen würde. Europäische Erinnerungsorte würden aus der Sicht der verschiedenen Nationen unterschiedlich erinnert. Es entständen „geteilte Erinnerungsorte“.

Die erste Sektion „Historie und Zeitgeschichte in der Kunst des 19. Jahrhunderts“ setzte einen zeitlichen Fokus. Der Vortrag von Tatjana und Michael Zimmermann: „'Eine Art Nirgendwo' - Polens Ortlosigkeit in der Phantasie des 19. Jahrhunderts“ brachte eine interessante Ausweitung aus literaturgeschichtlicher Perspektive. Tatjana Zimmermann beschrieb den literarischen, gedanklichen Raum in Adam Mickiewiczs Poem „Pan Tadeusz“ (1834) als einen Ort „Nirgend“, der bestimmt wird von einer kreisenden Zeit, in welcher Geschichte, Gegenwart und Geist zu einem idealen Raum zusammenfließen. Diesem Blick aus der polnischen Perspektive, wurde durch Michael Zimmermann der Blick von Außen gegenübergestellt. Zimmermann analysierte das Theaterstück „Ubu roi“ von Alfred Jarry (Uraufführung 1896). In der zeitgenössischen Wahrnehmung galt Polen als „ausreichend legendär und zerstückelt“, um als ein Ort „Nirgend“, in gedanklicher Umkehr als „Überall“, schließlich als „Hier“ gelten könne. Jarry nehme daher mit seiner Satire weniger die polnischen, sondern vielmehr die eigenen französischen Verhältnisse unter die Lupe.

Die folgenden Vorträge zur Historiendarstellung leitete Aleksandra Idzior mit einem Vergleich der Gemälde von Piotr Michalowskis: „Samosierra“ (um 1850), Adolf Menzels „Friedrich und die Seinen in der Schlacht von Hochkirch“ (1856) und Emanuel Leutze „Washington überquert den Delaware“ (zwischen 1849 und 1851) ein. Die Werke seien von der Grundidee getragen, in die Mythologisierung historischer Ereignisse aktuelle nationale Ideale einzuarbeiten, wobei Michalowski auf den Typus der „heldenlosen Schlacht“ zurückgreift, Leutze und Menzel hingegen konkrete Personen als Verkörperungen nationaler Größe in den Mittelpunkt ihrer Bilder stellten.

Die 1905/06 von sieben unterschiedlichen Verglasungsfirmen gestalteten Fenster der Marienkirche in Liegnitz stellte Frank Martin vor. Die Darstellungen spielten auf die lange christliche Tradition der Gegend an, wobei die Legenden, die sich um den Tod Heinrich II. in der Schlacht bei Wahlstatt ranken, eine herausragende Stellung einnehmen. Zugleich würden die dynastischen Bezüge zwischen Piasten und Hohenzollern, somit der Anspruch letzterer auf Schlesien hervorgehoben. Stilistische und thematische Heterogenität seien dabei als künstlerisches Mittel zu verstehen, mit Hilfe derer der Eindruck von historisch Gewachsenem erzeugt werden sollte.

Weniger die historische Darstellung selbst als vielmehr deren Rezeption standen im Mittelpunkt des Referates von Michal Mencfel. Die „Schlacht bei Grunwald“ (1878) von Jan Matejko wurde im 19. und 20. Jahrhundert zu einer „nationalen Reliquie“ stilisiert und als kanonischer Ausdruck der Auseinandersetzung zwischen Polen und dem Deutschen Orden, respektive zwischen polnischer und deutscher Nation begriffen.

Die zweite Sektion konzentrierte sich auf das Wirken der Brüder Edward und Athanasius Raczynski. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts bewegten diese sich, als Vertreter der polnischen Großadels, im Spannungsfeld zwischen polnischem nationalen Aufbegehren und Preußenverehrung. Die unterschiedlichen Erinnerungskulturen, die beide Brüder pflegten wurden durch zwei Referate anschaulich. Edward Raczynski habe sich mit der Kirche in Rogalin „ein Wunschbild einer erhabenen Familientradition“ in Sinne der Nation zu kreieren versucht, so das Fazit von Jaroslaw Jarzewicz. Die Kirche, die dem Maison Carrée in Nîmes nachgebildet ist, sei im Kontext polnischer, deutscher und französischer Projekte sowohl als Familiengruft wie auch als Memorialkirche für den 1809 gefallenen Cousin Marceli Lubomirski zu verstehen. Athanasius Raczynski, der als Kunstmäzen und Diplomat eine enge Beziehung zu Preußen unterhielt, verzichtet hingegen bei der Konzipierung seiner Ahnengalerie sowie bei dem eigens für diese errichteten sakralartigen Bau auf dem Gut „Gaj Maly“ auf patriotische Bezüge, wie Elise Grauer darlegte.

Stefan Trinks schloss diese Sektion mit einer Analyse der Titelillustration zu der von Athanasius Raczynskis verfassten „Geschichte der neueren deutschen Kunst“ (1836-41). In dieser Grafik positioniere sich Adolf Menzel, der den Auftrag erhalten hatte, bisweilen gar im Widerspruch mit den Auffassungen Raczynskis zu verschiedenen Kunstströmungen der Zeit. Maßgeblich hierfür sei deren unterschiedliches Verhältnis zur „Natura“ oder anders gesagt zu dem Anspruch Dürers: „Die Kunst aus der Natur zu weisen“ gewesen.

Die beiden Vorträge der Sektion „Erinnerungsorte“ näherten sich ihrem Thema unter historischen Gesichtspunkten. Stefan Laube untersuchte anhand der materiellen Veränderungen, die im 19. Jahrhundert an der Kathedrale in Gnesen und an der Schlosskirche in Wittenberg vorgenommen wurden, wie die mit diesen Kirchen verbundenen religiösen Kulte bzw. historischen Ereignisse zunehmend unter der Maßgabe der konkreten politischen Situation politisiert und in nationale Erinnerungsorte umgestaltet wurden. Der Vergleich zwischen dem Völkerschlachtdenkmal in Leipzig und der Jahrhunderthalle in Breslau, den Maximilian Eiden vorstellte, sowie die Analyse der Funktion und der Nutzung, insbesondere als Austragungsorte der Jahrhundertfeiern 1913, mündeten in der Rekonstruktion zweier unterschiedlicher Denkmalskonzepte, die beim Völkerschlachtdenkmal einen völkisch-nationalen, bei der Jahrhunderthalle einen liberalen Charakter tragen würden.

Mit der vierten Sektion „Kunstgewerbe, Fest- und Alltagskultur“ wurde der traditionelle Rahmen der Kunstgeschichte fruchtbringend überschritten. Die Beliebtheit der sogenannten „Danziger Möbel“ im 19. und 20. Jahrhundert könne nicht allein aus einer modischen Strömung heraus verstanden werden, vielmehr seien sie Kristallisationspunkt eines geteilten Erinnerungsortes. Während sich in den Möbeln aus polnischer Sicht die Blütezeit der Stadt zur Zeit der Zugehörigkeit zum polnischen Königreich widerspiegelte, so Piotr Korduba, galten sie auf der deutschen Seite zunächst als Ausdruck regionaler Identität. Am Ende des 19. Jahrhunderts avancierten sie, nunmehr mit einer deutschnationalen Konnotation zum typischen Ausstattungsstil für öffentliche Einrichtungen. Roger Pilachowski widmete sich der „Polnischen Nationalikonographie zwischen historischer Legitimation und politischer Konsensstiftung auf Medaillen, Abzeichen und Plaketten in Galizien 1914-1918“. Diese industriell herstellbaren Gegenstände dienten einer massenwirksamen Visualisierung politisch-nationaler Symbolik. Sie wurden im Laufe des Ersten Weltkrieges mittels visueller Zitate und historischen Verweise zu „patriotischen ‚Bildkondensaten'“, die zum Kampf für einen souveränen polnischen Staat aktivieren sollten. Darüber hinaus lenkte Konrad Vanja die Aufmerksamkeit auf ein in Vergessenheit geratenes Genre - die Vivatbänder und Susanne Peters-Schlidgen stellte „Kultur- und Traditionsgut polnischer Zuwanderer in der sich entwickelnden Industriegesellschaft des Ruhrgebietes“ vor.

In der Sektion „Stadtbilder und Stadt-Bilder“ stand zunächst die architektonische Formung des Stadtbildes von Posen im Mittelpunkt. Das Fazit des Vortrages „Ein neues Gesicht für die wilhelminische Stadt. Die Posener Architektur und ihre Gestalter in der Zeit der Zweiten Republik Polen (1918-1939) von Szymon Piotr Kubiak lautete, dass es mit Hilfe der Architektur nicht gelang im Posener Stadtbild das „Polnische“ zu manifestieren. Lediglich in der bewussten stilistischen Andersartigkeit, der in neobarocken und neoklassizistischen Formen gehaltenen Bauten, gegenüber dem neoromanischen wilhelminischen Schloss würde der intendierte Bruch mit der wilhelminischen respektive deutschen Geschichte der Stadt deutlich. Hanna Grzeszczuk-Brendel gelangte mit ihrer Untersuchung zum Wohnungsbauwesen in Posen zwischen 1914 und 1918 zu der Erkenntnis, dass eine einfache Dichotomie „heimisch-fremd“ und „preußisch-polnisch“ keinen ausreichenden Erklärungsrahmen für die Posener Architektur bilde. In den folgenden Vorträgen wurden Formen und Intentionen der medialen Vermittlung von Stadtbildern thematisiert. Birte Pusback zeigte am Beispiel der Freien Stadt Danzig, wie deutschen Architekturbildbände auf die Inszenierung der Historizität der Stadt abzielten. Diese sollte in stimmungshaften und von zeitlichen Bezügen zur Gegenwart freien Bilder eingefangen werden. Die polnische Seite bediente sich einer anderen Bildstrategie, indem sie konkrete zeichenhafte Hinweise auf die polnische Geschichte (Wappen usw.) als Beweis des polnischen Charakters der Stadt nutzte. Marina Dimitrieva untersuchte in ihrem Vortrag: „Drei Gesichter der Stadt Wilna in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert“ anhand von Bildbänden und literarischen Quellen, wie ein und dieselbe Stadt aus dem Blickwinkel der in ihr lebenden unterschiedlichen nationalen Gruppen, Litauer, Polen und Juden, jeweils zu verschiedenen Erinnerungsorten herausgeformt wurde.

Es scheint nicht verwunderlich, dass die vorletzte Sektion unter der Überschrift „Denkmäler“ die meisten Vorträge in sich vereinte. Denkmäler können als Substrate von Geschichtskonstruktionen begriffen werden, die durch ihre Materialität diese Geschichtsvorstellungen der Erinnerung der jeweiligen Stadt, Nation, Bevölkerungsgruppe usw. bewahren sollen. Neben traditionell kunstgeschichtlichen Untersuchungen wiesen Beiträge, die den Umgang mit Denkmälern, z. B. deren Umwidmung oder Einbeziehung in Feierlichkeiten, thematisierten neue, interessante Wege der Auseinandersetzung. Stefan Dyroff richtete seine Untersuchung auf das Schicksal deutscher Denkmälern in den polnischen Westprovinzen der Zwischenkriegszeit. Er arbeitete die unterschiedlichen Formen des Umgangs mit den Denkmälern heraus, die von Evakuierung über spontane Denkmalsstürze bis hin zu einer gezielten Demontage, Versuchen der Polonisierung und gar des Verkaufes an Deutschland reichten. Darüber hinaus sei eine deutliche Differenzierung nach Denkmalskategorien erkennbar. So konzentrierte man sich in erster Linie auf die Zerstörung von Herrscher- und Politikerdenkmälern, während Erinnerungstafeln für lokale Persönlichkeiten oder Kriegerdenkmäler von der Demontage verschont blieben. Im Vortrag „Der Bismarkturm in Stettin als Beispiel der Entstehung neuer Erinnerungsstätten im wilhelminischen Deutschland“ verwies Rafal Makala auf die architekturhistorischen Bezüge, die Wilhelm Kreis in seinem Projekt (1909-1915) aufgriff. Diese seien in der Architektur der römischen Kaiserzeit oder im Theoderichgrab in Ravenna zu suchen. Gemeinsam mit der künstlerischen Ausgestaltung des Turmes seien sie jedoch in so allgemeinen Chiffren gehalten, dass Geschichte hier weniger nachvollzogen, sondern eher erspürt und erahnt werden sollte. Als künstlich erschaffener Erinnerungsort stände der Turm in einem engen Verhältnis zur Propaganda Pommerns als „deutsches Bollwerk gegen das Slawentum“. In den weiteren Vorträgen der Sektion beschäftigte sich Michal Wozniak mit dem Projekt eines Denkmals für Friedrich des Großen für die Marienburg aus Anlass des 100jährigen Jubiläums der Einbeziehung des polnischen Königlichen Preußens in das Königreich Preußen, Tadeusz Zuchowski analysierte das Tannenbergdenkmal in Krakau sowie dessen Wiederaufbau 1976 und schließlich zeigte Andrzej Szczerski wie die Grablegungsfeierlichkeiten für Paul Hindenburg und Józef Pilsudski für die Demonstration nationaler und historischer Ansprüche instrumentalisiert wurde.

Die letzte der thematischen Sektionen stand unter der Überschrift „Deutsche polnische Ikonographie 1919-1939“. Dass Geschichtskonstruktion ein komplexer Prozess ist, in dem sich unterschiedlichste Ebenen miteinander verflechten, zeigte Robert Born in seinem Vortrag: „Germanen und Slawen. Strategien und Formen der Vermittlung bis 1939“. War das völkische Germanenbild des wilhelminischen Zeitalters fast ausschließlich literarisch geprägt, so traten seit Beginn des 20. Jahrhunderts Forschungsergebnisse der modernen Archäologie hinzu. Insbesondere nach dem Ersten Weltkrieg stellte diese sich in völkische Dienste, indem sie nunmehr wissenschaftlich die Höherwertigkeit der Germanen gegenüber den Slawen „beweisen“ und so territoriale Ansprüche zu legitimieren suchte. Für die Verbreitung dieser „Erkenntnisse“ spielten einprägsame und massenwirksame Darstellungen, wie Schulwandbilder oder Alben mit Sammelbildern eine herausragende Rolle. Auch die polnischen Ansprüche auf deutsche Gebiete argumentierten mit Bildern, wie Piotr Piotrowski mit seiner Analyse des Buchs: „Ziemia gromadzi prochy“, das 1939 von Józef Kisielewski [4] herausgegeben wurde, verdeutlichte. Das Buch ist mit Zeichnungen von Sosnowski versehen, der sich für die visuelle Argumentation einer breiten Palette an Darstellungsmöglichkeiten bedient. So stehen neben beschaulichen Landschaftsfotos, die Ewigkeit und slawische Heimat vermitteln sollen, Illustrationen in einem dynamischen Plakatstil oder aber grafisch gestaltete Landkarten, die mit einer pointierten Farbensprache den territorialen Anspruch augenscheinlich lassen werden.

Den Abschluss der umfangreichen Vortragsreihe bildete die Informationsbörse, in der neue Forschungsprojekte und Promotionsvorhaben vorgestellt wurden. Diese werden schon bald auf den Internetseiten des Arbeitskreises veröffentlicht. [5] Zusätzlich gab es eine Buchpräsentation, die zugleich zwei neue Publikationsreihen vorstellte: So feierte die Schriftenreihe des Arbeitskreises: „Gemeinsames Kulturerbe - Wspólne Dziedzictwo“ mit der Herausgabe des Tagungsbandes der 9.Tagung des Arbeitskreises: „Der Umgang mit dem kulturellen Erbe in Deutschland und Polen im 20. Jahrhundert“ ihren Auftakt. [6] Zum anderen wurde der erste Band der vom Kunstgeschichtlichen Seminar der Humboldt- Universität Berlin herausgegebenen „Humboldt-Schriften zur Kunst- und Bildgeschichte“ vorgestellt. Dieser beinhaltet die Beiträge der vor drei Jahren am Kunstgeschichtlichen Seminar organisierten Tagung: „Die Kunsthistoriographien in Ostmitteleuropa und der nationale Diskurs“. [7] Darüber hinaus präsentierte Ewa Chojecka ein umfangreiches Werk, das erstmalig einen Überblick über die Kunstgeschichte Oberschlesiens zu geben versucht. [8] Eine Exkursion am letzten Tagungstag, die zu polnischen Erinnerungsorten in Berlin führt, rundete die Tagung ab.

Insgesamt kann von einer sehr gelungenen Tagung gesprochenen werden. Wesentlichen Anteil daran hat das überzeugende Tagungskonzept, wie es sich in der Gliederung der Sektionen niederschlug. Diese zeigten unterschiedliche Untersuchungsebenen und mögliche methodische Herangehensweise auf. Darüber hinaus eröffnete das Tagungsthema ein ausgesprochen weites und zumeist noch unbeackertes Feld für kunsthistorische Untersuchungen, wobei die Ausweitung des traditionellen kunstgeschichtlichen Rahmens um Themenfelder wie z. B. Gebrauchs- und Kleinkunst, Festkultur usw. und die sich hierin manifestierende Verschiebung des Selbstverständnisses der Kunstgeschichte hin zur Bildwissenschaft inspirierend und fruchtbringend war. Insbesondere jene Beiträge, die interdisziplinäre Ansätze verfolgten, eröffneten neue, interessante Blickwinkel. Kritisch anzumerken ist, dass mit der Wahl des vergleichsweise breiten historischen Zeitraums, 1800-1939, sehr unterschiedliche Phasen der Geschichtskultur nebeneinander gestellt wurden, ohne deren unterschiedliche Geschichtsbilder und Formen der medialen Vermittlung näher zu differenzieren.

Man darf auf die Fortsetzung des Themas, die voraussichtlich in zwei Jahren erfolgen wird, gespannt sein. Die nächste Tagung des Arbeitskreises wird vom 30. August - 4. Oktober 2005 in Bedlewo bei Posen zum Thema „Landgüter in den Regionen des gemeinsamen Kulturerbes von Deutschen und Polen. Entstehung, Verfall und Bewahrung unter besonderer Berücksichtigung des 19. und 20. Jahrhundert“ stattfinden. [9]

Anmerkungen:

[1] Die Tagung wurde vom Kunstgeschichtlichen Seminar der Humboldt-Universität unter Mitwirkung des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa ausgerichtet. Die Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit, die Robert-Bosch-Stiftung, die Deutsche Forschungsgemeinschaft sowie die Marga und Kurt Mölgaart - Stiftung finanzierten die Tagung. Als Schirmherr bzw. -dame konnten der Minister für Kultur der Republik Polen, Waldemar Dabrowski, und die Staatsministerin und Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Dr. Christina Weiss, gewonnen werden.

[2] Vgl.: Gregor Thum: Die fremde Stadt. Breslau 1945, Berlin, 2003.

[3] Vgl.: Pierre Nora [Hrsg.]: Erinnerungsorte Frankreichs, München, 2004.

[4] Józef Kisielewski, Ziemia gromadzi prochy, Poznan, 1939 [dt. Übersetzung von 1939: Die Erde bewahrt das Vergangene].

[5] http://www.bkge.de/arbeitskreis/5970.html

[6] Andrea Langer (Hrsg.): Der Umgang mit dem kulturellen Erbe in Deutschland und Polen im 20. Jahrhundert. Beiträge der 9. Tagung des Arbeitskreises deutscher und polnischer Kunsthistoriker und Denkmalpfleger in Leipzig 26.-29.09.2002 [=Das gemeinsame Kulturerbe / Wspólne Dziedzictwo, Bd.1], Warszawa, 2004.

[7] Robert Born, Alena Janatkovà, Adam Labuda (Hrsg.): Die Kunsthistoriographien in Ostmitteleuropa und der nationale Diskurs [=Humboldt-Schriften zur Kunst- und Bildgeschichte, Bd.1], Berlin, 2004.

[8] Ewa Chojecka, Jerzy Gorzelik, Irma Kozina, Barbara Szczypka-Gwiazda: Sztuka Górnego Slaska, Katowice, 2004.

[9] Call for Papers erschienen bei H-ArtHist am 15. Oktober 2004: http://www.arthist.net/SearchD.html

Empfohlene Zitation:
Katja Bernhardt: [Tagungsbericht zu:] Visuelle Erinnerungskulturen (Kunstgeschichtliches Seminar, Humboldt-Universität zu Berlin, 29.09.–03.10.2004). In: ArtHist.net, 15.10.2004. Letzter Zugriff 29.03.2024. <https://arthist.net/reviews/438>.

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