REV-CONF 20.01.2025

Anna Dorothea Therbusch im Kontext. Künstlerinnen und Künstler des 18. Jhs.

Berlin, Gemäldegalerie, Staatliche Museen zu Berlin, 26.–27.09.2024

Bericht von Sabine Engel, Universität der Künste, Berlin
Redaktion: Henry Kaap

An prominentester Stelle des Kabinetts für Malerei des deutschen 18. Jahrhunderts der Berliner Gemäldegalerie hängt inzwischen ihr vermutlich letztes, unvollendet gebliebenes „Selbstporträt“ von 1782, das sie lebensgroß ganzfigurig in einer weißen Robe sitzend, von einem Buch aufschauend, und mit einem dicken, in der Regel nur von Männern getragenen Einglas zeigt. Dank der jüngsten Forschungen zu Anna Dorothea Therbusch, geb. Lisiewska (1721–1782), hat sich dieses Gemälde als „eines der bedeutendsten Künstlerselbstbildnisse des 18. Jahrhunderts“ (Sarah Salomon) erwiesen. Die zu ihrer Zeit europaweit bekannte und gefragte Malerin rückte mit ihrem 300. Geburtstag wieder stärker in den Fokus. Zwar wurde ihr coronabedingt in der Heimatstadt Berlin nur eine kleine Ausstellung zuteil. Doch resultierte aus dieser auf Initiative von Nuria Jetter in Zusammenarbeit mit Sarah Salomon und Anja Wolf ein zweijähriges, an der Berliner Gemäldegalerie angesiedeltes Forschungsprojekt, das Ende 2024 mit der Präsentation der dabei gewonnenen Erkenntnisse sowohl in Buchform (Anna Dorothea Therbusch in Berlin und Brandenburg. Werke, Technik, Kontext, Petersberg 2024) als auch mit einem Symposium (26.–27. Sept. 2024) abschloss.[1] Zeitgleich – und dies macht das inzwischen überregionale Interesse an Therbusch deutlich – erschien jüngst eine erste englischsprachige Monographie über sie, verfasst von der an der University of South Alabama lehrenden Christina K. Lindeman (The Art of Anna Dorothea Therbusch (1721–1782), Amsterdam 2024).

Den dem Symposium vorausgehenden Abendvortrag hielt Katharina Küster (Landesmuseum Württemberg, Stuttgart), die 2008 die erste umfassende, als Dissertation vorgelegte Biografie samt Werkverzeichnis zu Therbusch schrieb (noch als Küster-Heise). Sie beleuchtete die Netzwerke der Künstlerin, die sich erst nach der Erziehung ihrer fünf Kinder und noch zu Lebzeiten ihres Ehemannes, im Alter von 40 Jahren auf Reisen begab, um konsequent ihre Karriere in Stuttgart, Mannheim und Paris zu verfolgen, bevor sie wieder nach Berlin zurückkehrte.

Am Folgetag wurde das Argument einer „karrierebewussten Künstlerin“ von Gernot Mayer (Universität Wien) in einem an Quellenfunden sehr reichen Vortrag weitergeführt. Während die Aufnahme Therbuschs 1762 in die Académie des Arts, Stuttgart, und 1763 in die Accademia Clementina, Bologna, durch die Einlieferung von Selbstbildnissen zustande gekommen war, wurde die Mitgliedschaft in die Académie Royale de Peinture et de Sculpture in Paris 1767 durch ein „Nachtstück“ und 1768 die Ehrenmitgliedschaft in der K.k. Kupferstecherakademie in Wien durch das „Porträt des Landschaftsmalers Jakob Philipp Hackert“ bewirkt. Ganz im Stil des französischen Rokoko gemalt, hatte sich Therbusch mit diesem Bild als Pariser Künstlerin inszeniert. Mit einem zugleich eingereichten Gemälde, eine Tizians „Danae“ ikonographisch entlehnte „Artemisia“, präsentierte sie sich in Wien als Historienmalerin. Dass sie sich als solche verstand, geht aus einem bislang unbekannten Brief an Wenzel Anton von Kaunitz, Schlüsselfigur an der Wiener Akademie, hervor. 1772 wurde es in der Realzeitung der Wissenschaft und Künste kritisiert, da die „übermäßige Länge des Körpers“ dem herrschenden Schönheitsideal und ein liegender Akt der Darstellungstradition der „Artemisia“ widersprachen.

Nuria Jetter (Gemäldegalerie Berlin) hielt dem in ihrem Beitrag zum Abschluss des Symposiums allerdings entgegen, dass die „Artemisia“ 1771 im Bildersaal der Akademie ausgestellt war und dass der Direktor der Kupferstecherakademie, Jacob Matthias Schmutzer, dem Kupferstecher Johann Jacob Kaupertz empfahl, das Bild für seine eigene Aufnahme in die Akademie zu reproduzieren. Jetter argumentierte außerdem, dass leidende Heldinnen der Antike einen beachtlichen Platz unter Therbuschs Historien einnehmen und die Auseinandersetzung der Künstlerin mit französischen Darstellungen des menschlichen Gesichtsausdrucks (Le Brun, Greuze) bezeugen. Bereits nach Mayers Vortrag war deutlich, was für eine umsichtige und scharfblickende Frau in Therbusch zu finden ist. Sie kokettierte mit Gendertypen, sprach von einem „weiblichen Pinsel“ und gab im Gegensatz zu vielen anderen Künstlerinnen ihrer Zeit deutlich zu erkennen, dass sie trotz aller Übernahmen anders male als ein Mann.

Léonie Paula Kortmann (Julius-Maximilians-Universität Würzburg) stellte Ergebnisse aus ihrer aktuellen Dissertation zu Malerinnen des 18. Jahrhunderts vor, wobei sie den Fokus auf Therbuschs Künstlerporträts richtete. Alle Bildnisse, die sie von ihren männlichen Kollegen, Malern, Architekten, Bildhauern und Kupferstechern, fertigte, wurden zu deren offiziellen Porträts; Visitenkarten, geschaffen von einer international bekannten Künstlerin. Dies dokumentiert eine Netzwerkstruktur von sich gegenseitig befördernden Künstler:innen.

Sanja Hilscher (Akademie der Bildenden Künste Stuttgart) schloss sich mit einem Beitrag zu Therbuschs im Rahmen des Symposiums häufig diskutierten „Stuttgarter Selbstporträt“ (1761) an, ihrem Aufnahmestück in die Stuttgarter Académie des Arts. Bemerkenswert bleibt an diesem Werk die zur Schau gestellte, erotische Nacktheit der Künstlerin, die bereits zu unterschiedlichsten Interpretationen Anlass gab. Deutlich wurde außerdem, dass Therbusch, um ein solch vielschichtiges und komplexes Bildnis malen zu können, sich auch während ihrer Zeit als erziehende Mutter künstlerisch weitergebildet und auch die höfische Sammlung der Hohenzollern, speziell Rembrandts „Selbstporträt mit einem Samtbarett“ (1634), gesehen haben muss. Anders wäre das kalkulierte Hell-Dunkel auf ihrem Selbstbildnis kaum erklärbar.

Fortgesetzt wurde die Untersuchung von Porträts durch Sarah Salomon (Gemäldegalerie Berlin), die die Selbstbildnisse der Schwestern Anna Dorothea und Barbara Rosina, der ältesten der Lisiewska-Töchter, die ihre Geschwister mit ausgebildet hatte, einander gegenüberstellte. Barbara Rosina, später verheiratete Matthieu, dann verheiratete de Gasc, war zunächst Hofmalerin in Anhalt-Zerbst, dann in Braunschweig-Wolfenbüttel, während Therbusch solch eine Stellung nie innehatte. Stattdessen griff diese „nach den Sternen“, fand an den berühmtesten Akademien Europas Aufnahme und agierte deutlich selbstbewusster in ihrem Künstlerinnendasein als die Schwester. Nichtsdestotrotz zeigte sich, dass Anna Dorothea sich in ihren Selbstporträts immer wieder auf Barbara Rosina bezog, was eine frühere Datierung von Therbuschs „Stuttgarter Selbstbildnis“ zur Folge haben könnte.

Die Ergebnisse von maltechnischen Untersuchungen zu Therbusch und ihrem Bruder Christoph Friedrich Reinhold Lisiewsky, mit dem sie eine Zeitlang zusammenarbeitete, wurden durch Anja Wolf (Gemäldegalerie Berlin), die auch die Restaurierung des „Berliner Selbstporträts“ verantwortet hatte, Jens Bartoll (Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg) und Maria Zielke (Kulturstiftung Dessau-Wörlitz) vorgelegt. Anhand einer entdeckten Quadrierung als Mittel der Übertagung konnte gezeigt werden, dass Therbusch ihr großes „Berliner Selbstbildnis“ unterbrach, um sich zunächst dem kleinformatigen „Nürnberger Selbstporträt“ (1782), einem Kniestück, zu widmen, das sie lediglich in einem anders farbigen Gewand hinter einem steinernen Fensterrahmen und mit anderen Requisiten wiedergibt. Dieses Vorgehen, bei entstehenden Selbstbildnissen Bezug auf vorhergehende, seien es ihre eigenen, seien es die ihrer Schwester Barbara Rosina, zu nehmen, ließ sich ebenso an Anna Dorotheas anderen Selbstporträts feststellen.

Allein die Gegenüberstellung von Therbuschs „Porträt der Henriette Herz“ (1778) und der nur fünf Jahre später entstandenen Büste der berühmten Berliner Saloniere von Johann Gottfried Schadow scheint gewagt. Größer könnte die Differenz zwischen zwei Werken kaum ausfallen, zwei diametral sich entgegenstehende Kunstauffassungen, verführerisches Rokoko auf der einen, kühler Klassizismus auf der anderen Seite. Und dennoch, so Claudia Czok (Berlin) und Hannah Lotte Lund (Berlin), es ist allein durch das Therbuschporträt, dass Henriette Herz, née de Lemos (1764–1847), gelobte und getadelte Akteurin der Emanzipation, Eingang in die Geschichte fand. Es zeigt in einer recht erotischen Darstellung die erst 14jährige, dem Arzt Marcus Herz Anverlobte, als Hebe, Mundschenkin der Götter. Dass solch ein Bild im schärfsten Widerstreit zu dem tatsächlichen Leben der Jüdin stand, braucht nicht erst erwähnt zu werden. Zu untersuchen wäre allerdings, inwieweit sich solch eine Darstellung in die Tradition der venezianischen „Belle Donne“ einschreibt, von denen freilich erst vor kurzem nachgewiesen wurde, dass es sich häufig um Geschenke für den Bräutigam handelte.[2]

Die nicht persönlich anwesende Christina K. Lindeman basierte ihren Beitrag auf ihrer gerade erst erschienenen Monographie zu Therbusch, indem sie vor allem auf deren ganzfigurige weibliche Akte einging. Lindeman stellte heraus, wie gewagt und kalkuliert zugleich das Vorgehen Anna Dorotheas war, mit ihren erotischen Akten in eine dezidiert männliche Domäne vorzudringen, wo Künstlerinnen ihrer Zeit – und dies in den eigenen Worten der Therbusch (1776) – sich doch zumeist auf Miniatur- und Porträtmalerei beschränkten. Dementsprechend wurden ihre mythologischen Aktdarstellungen nicht von allen geschätzt. Daniel Chodowiecki etwa widerte 1784, zwei Jahre nach ihrem Tod, die Vorstellung an, dass „es ein altes Weib war“, die „mit ihrem Pinsel wollüstige Ideen zu erwecken“ trachtete.

Das Symposium konnte nicht allein den späten, komethaften, dabei strategisch geplanten Aufstieg Therbuschs vor Augen führen, sondern machte darüber hinaus deutlich, wie gewandt und aufgeschlossen sich die Berlinerin gegenüber zeitgenössischen kunsthistorischen Theorien sowie Werken älterer und alter Meister positionierte, die sie mittels ihrer Malerei kommentierte. Sie irritierte Erwartungshaltungen und überschritt immer wieder Grenzen.

An dieser Stelle muss ein großer Dank an Nuria Jetter gehen, die sowohl den Anstoß zu dem Forschungsprojekt gab, als auch federführend für das abschließende Buch verantwortlich zeichnet.[3] Zunächst als bloßes Vademecum zu den einzelnen Arbeiten Therbuschs in Berlin und Brandenburg gedacht, ist ein beachtlicher Katalog ihrer Werke entstanden, der längst nicht mehr in jede Reisetasche passt. Stattdessen kann er die Grundlage bilden zu einem dringend benötigten, revidierten Catalogue Raisonné der mehr als 250 hinterlassenen Werke der Anna Dorothea Therbusch. Jetters Verdienst ist es zudem, in akribischer Genauigkeit das Leben der Malerin und ihrer familiären Umstände recherchiert zu haben, was sowohl tabellarisch als auch als Aufsatz in dem Band seinen Niederschlag findet. Dem schließt sich ein Text wiederum von Jetter zur längst fälligen Untersuchung des frühen Oeuvres der Künstlerin an, über das bis dahin so manche Unklarheit herrschte. Weiterhin sind Beiträge von Jetter und Gerd Bartoschek zur Rezeption Therbuschs nach ihrem Tod zu finden.

Neben kunsttechnologischen Untersuchungen, inbegriffen Pigmentanalysen, zu Anna Dorotheas Werk von Anja Wolf und Jens Bartoll sei noch Sarah Salomons Aufsatz zu Therbuschs gesicherten sechs Selbstporträts hervorgehoben. An ihnen lassen sich quasi alle Stationen ihres Lebens und künstlerischen Werdegangs ablesen, seitdem sie sich in den 40ern befand. Desgleichen sticht das „hohe Status- und Selbstbewusstsein der Malerin“ (26) auf jedem von ihnen hervor. Beachtlich ist zudem, dass die Mehrzahl dieser Bildnisse die Künstlerin, die bis kurz vor ihrem Tod im Alter von 61 Jahren malte, in bereits fortgeschrittenen Jahren zeigt, wie es sonst nur von Selbstbildnissen Rosalba Carrieras (1675–1757) bekannt ist. Beide Malerinnen eint zudem der ehrliche, ungeschönte Blick auf das eigene Aussehen und Alter sowie ihr „ungebrochener Stolz auf das Erreichte“ (43). Während vielleicht noch andere Parallelen zwischen Carriera und Therbusch aufzuzeigen gewesen wären wie in dem um 1708 mit Rötel gefertigten „Selbstporträt“ Rosalbas[4] im Berliner Kupferstichkabinett und dem „Stuttgarter Selbstbildnis“ Anna Dorotheas, lässt sich abschließend neben dem unbeirrbar „analytischen Blick“ (39) Therbuschs nur noch einmal auf ihr vollkommen unkonventionelles Vorgehen verweisen, sei es, was ihre Karriere betraf, sei es in ikonographischer und genderübergreifender Hinsicht, wenn sie sich etwa auf ihrem letzten „Selbstbildnis“ des „männlichen Topos der Sehhilfe als ‚drittem Auge‘ als Zeichen von Weisheit und Ansehen“ (43) bediente.

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Anmerkungen:
[1] Tagungsprogramm: https://arthist.net/archive/42249.
[2] Tizians Frauenbild. Schönheit, Liebe, Poesie, hg. v. Sylvia Ferino-Pagden/ Francesca Del Torre Scheuch/ Wencke Deiters, Ausst.Kat. Wien, Kunsthistorisches Museum, Mailand 2021.
[3] Anna Dorothea Therbusch in Berlin und Brandenburg. Werke, Technik, Kontext, hg. v. Nuria Jetter in Zusammenarbeit mit Sarah Salomon und Anja Wolf, Petersberg 2024.
[4] Angela Oberer: The life and work of Rosalba Carriera (1673-1757). The queen of pastel, Amsterdam 2020, S. 282 u. Abb. 30.

Empfohlene Zitation:
Sabine Engel: [Tagungsbericht zu:] Anna Dorothea Therbusch im Kontext. Künstlerinnen und Künstler des 18. Jhs. (Berlin, Gemäldegalerie, Staatliche Museen zu Berlin, 26.–27.09.2024). In: ArtHist.net, 20.01.2025. Letzter Zugriff 20.01.2025. <https://arthist.net/reviews/43727>.

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