REV 10.12.2012

Doosry, Lauterbach, Pommeranz: Die Frucht der Verheißung

Rezensiert von Pia Rudolph
Redaktion: Karin Leonhard
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Frühneuzeitliche Kräuterbücher waren für die praktische Nutzung in der Natur ungeeignet. Sie erweisen sich als zu umfangreich, um damit vor die Tür zu treten, stellten aber dank ihrer Illustrationen einen eigenen Garten für das Bücherregal dar. Ähnlich mutet der mit hervorragenden Reproduktionen ausgestattete Katalog zur Ausstellung „Die Frucht der Verheißung“ an, mit dem man in diesem Sinne eine Orangerie für zu Hause erwirbt. Der eigentliche Katalogteil umfasst mit dicht gedrängten Informationen gerade 26 Seiten. Die Objekte werden darin nicht einzeln beschrieben, wie es der Leser von Ausstellungskatalogen gewohnt ist. Die Herausgeber beschritten andere Wege.

In neun Sektionen beschäftigen sich die Ausstellungsmacher und Spezialisten mit den verschiedensten Themen rund um die Frucht der Verheißung: Hesperidenmythen, Religion, Bräuche, Porträts, Stillleben, Botanik, Orangerien, Zitrushandel, Tischkultur. Eine Sektion besteht dabei aus einem bzw. zwei Essays und anschließenden Beschreibungen ausgewählter Stücke, die innerhalb der Ausstellung zu sehen waren. Von den 204 im Katalogteil erwähnten Objekten werden zwölf ausführlich kommentiert. Dafür versuchen die Essays unter dem jeweiligen Titel ihrer Sektion so viele Ausstellungsobjekte wie möglich zu berücksichtigen. Dies führt dazu, dass der Besucher der Ausstellung in den jeweiligen Aufsatz hineinlesen muss, wenn er zu einem Werk mehr erfahren möchte. Die Autoren wiederum stellten sich der anspruchsvollen Herausforderung, in ihren Essays zahlreiche Objekte aus verschiedensten Kunstlandschaften und Epochen zu betrachten. Da die Objektbeschreibungen nicht den Großteil des Katalogs ausmachen, kann sich der Leser auf zwölf ausführliche Beiträge zur Kulturgeschichte der Zitrusfrüchte freuen.

In ihrem weit ausgreifenden Aufsatz „Die goldenen Äpfel der Hesperiden. Antike Mythen und ihre bildliche Spuren“ beschäftigt sich Yasmin Doorsy weniger mit den goldenen Äpfel, sondern mehr mit dem Hesperiden-Mythos und seiner Rezeption in der Kunst von der Frühen Neuzeit bis ins 19. Jahrhundert. Damit macht sie unter anderem deutlich, welche Vorstellungen außerhalb der christlichen Tradition mit den Zitrusfrüchten verbunden waren, auch wenn sie nicht mehr im gewohnten Verbund mit antiken Akteuren auftraten. „Der antike Mythos hatte die Hesperidengärten am äußersten Ende der bekannten Welt gesucht und ihnen damit die Bedeutung eines unerreichbaren, paradiesischen Ortes verliehen.“ (63)

„Immer wieder haben Menschen versucht, sich der Paradiesverheißung im Zeichen der Zitrusfrüchte zu vergewissern“ (107), heißt es in Christiane Lauterbachs Beitrag „Adams Apfel. Zitrusfrüchte in der christlichen und jüdischen Kunst“. Gekonnt betrachtet sie die Imaginationswelten zur Zitronatzitrone und zum Adamsapfel aus christlicher und jüdischer Perspektive. Dabei finden sowohl jüdische Festtage, die dabei verwendeten Gegenstände – wie die Etrogdose zur Aufbewahrung von Zitronen für das jüdische Laubhüttenfest – als auch der christliche Blick auf diese Bräuche Berücksichtigung.

Die mit dem Thema Bestattungsriten besonders vertraute Kustodin des Museums für Sepulkralkultur, Ulrike Neurath-Sippel, zeigt in ihrem Essay „Zitrusfrüchte im Totenbrauchtum“, wie tief verwurzelt die Tradition, eine Zitrone mit ins Grab zu geben, war, bis in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts immer weniger Menschen diesem Brauch folgten. Dabei behandelt Neurath-Sippel deutlich mehr Aspekte als die bisherige volkskundliche Forschung.

Ekaterini Kempertzis‘ Beitrag „Soziale Distinktion, Hoffnung und Leid, paradiesische Gefilde. Zitrusfrüchte als Bedeutungsträger im Porträt“ informiert den Leser über die Bedeutungsebenen, die Zitrusfrüchte losgelöst von christlichen oder mythologischen Zusammenhängen im Porträt erlangen. „Sie reichen vom Kennzeichen sozialer Zuverlässigkeit, Anspielungen auf medizinische Verwendung und Kostbarkeit der Früchte bis hin zu ihrer Funktion als Ausdruck einer Hoffnung auf ein gutes Heranwachsen und Leben sowie als Verweis auf Tod und Trauer.“ (152) Die Zitrusfrucht in Verbindung mit der Kindheit und Kinderbildnissen scheint ein vielversprechendes Thema darzustellen, das nach mehr Forschung verlangt.

In „Meisterwerke der Natur – Zitronenfrüchte in Stilleben“ stellt Regina Deckers eine große Bandbreite an Stilleben mit Zitrusfrüchten aus Italien, Spanien, dem deutschsprachigen und niederländischen Raum sowie den USA vor – in einer Zeitspanne von 1615 bis 2010. Die sehr breite Auswahl, die dem Konzept des Katalogs entspricht, wirkt bisweilen zu umfangreich. Einzelne Beobachtungen gehen in der Materialfülle unter. Beispielsweise ist Georg Flegels „Stilleben mit Obst und Backwerk“, das außerdem einen Papagei und einen Hirschkäfer zeigt, sicher eine Anspielung auf Dürers Werk. [1]

Erneut einen breiten Überblick bietet Johannes Pommeranz‘ Essay „Von ,Adams Paumen‘ und ,Citrin epffel‘. Zu Zitrusgewächsen in deutschen Pflanzenbüchern der Frühen Neuzeit.“ Souverän führt er dem Leser einen anderen Blick auf die Zitrusfrüchte vor, der zunächst durch wissenschaftliches Streben geprägt ist und sich der bildenden Kunst doch nicht entziehen kann. Ein botanisches Werk ganz anderer Art stellt der zweite Beitrag dieser Sektion vor. Das dreibändige Nürnberger Hesperidenwerk von Johann Christoph Volkamer, dessen unvollständiger dritter Band erstmals in der Ausstellung präsentiert wurde, betrachtet Iris Lauterbach im Katalog ausführlich, begleitet von reichem Bildmaterial. Es bleibt zu hoffen, dass eine Edition sowie intensive Beschäftigung der Forschung mit dem Werk durch diesen aufschlussreichen Aufsatz vorangetrieben werden.

„Das Bild der Orangerie in der Mitte Europas, vermittelt durch Architekturtraktate des 16. bis 18. Jahrhunderts“ entwirft Helmut-Eberhard Paulus. Er bringt dem Leser dabei den Zauber der Orangerien näher, die „immer die ganzheitliche Symbiose aus Kunst und Natur, aus Garten und Architektur, aus Pflanze und metaphorischer Bedeutungswelt“ (271) darstellte. Was beim Anblick der minutiös konzipierten Orangerien und Lustgärten nicht vergessen werden darf, macht Paulus deutlich: Sie sollten nicht nur die Augen erfreuen, sondern darüber hinaus auch den Geist anregen.

Johann Pommeranz‘ zweiter Beitrag in diesem Band „,Schöne Zitron und Appelsina‘. Die Anfänge des transalpinen Zitrushandels und seine Bildquellen“ begibt sich auf die Spuren der Zitronenhändler und präsentiert dabei überzeugende Erkenntnisse: „Entgegen der vorherrschenden Forschermeinung ist [...] zu vermuten, dass bereits vor 1600 ein lebhafter Zitrushandel in deutschen Städten stattfand.“ (328) Daran anschließend findet sich ein kleinerer Beitrag von Stephanie Gropp „Von gefallenen Früchten bis Brausepulver. Handel und Konsum von Zitrusfrüchten im 19. und 20. Jahrhundert.“ Die Entzauberung der exotischen Köstlichkeiten durch die Industrie und ihr Versuch durch Werbung und Verpackungsmaterial die Magie um die Orange zu erhalten, kommentiert Günther Grass knapp mit: „Das Brausepulver hat angefangen“. (349)

Silvia Glasers Aufsatz „Die Zitrusfrucht in der Tafelkultur ,mit Carviol, Artichiken, Spargel, Citronen, und dergleichen aus beste ausgezieret‘“ wirft einen Blick auf Ausstattungsobjekte, die entweder von Zitrusfrüchten geziert waren oder für deren Aufbewahrung und Weiterverarbeitung entworfen wurden. „Zur wirkungsvollen Präsentation der exotischen Früchte entwickelte man im Rahmen bestimmter Anlässe die unterschiedlichsten Arten und Formen von Tafelzierrat, bei denen Zitronen zum unverzichtbaren Bestandteil wurden.“ (354) Es ist erstaunlich, dass einige phantastisch anmutende Entwürfe für Tafelaufsätze mit Zitronenkorb tatsächlich zur Ausführung kamen. Mit einem Gang in die Küche schließt der Katalog. Karin Kranach kommt in „,Wie mann einen hecht inn limonij macht‘. Zitrusfrüchte in frühen Kochrezepten als Spiegel des Kulturtransfers“ zu dem Resümee, dass „die Verwendung von Zitrusfrüchten [...] zwangsläufig in den Orient geführt [hat]. Dies zeigt, wie stark der Einfluss der orientalischen, speziell der sarazenischen Küche auf die mittel- und westeuropäische war [...].“ (385)

Dass ein so spezielles Ausstellungsthema solch reiche Früchte hervorbringen wird, hat die Besucher der Sonderausstellung des Germanischen Nationalmuseums sicherlich überrascht. Von Spanien bis Polen, von Italien bis Belgien wurden Kunstwerke herbeigeholt, die das Auge des Betrachters verführen sollten und Sehnsüchte nach den warmen Gefilden hervorriefen, aus denen die Zitrusfrüchte stammen. Auch die Vielzahl der Objekte auf denen Zitrusfrüchte zu finden waren oder sie gar vollständig einnahmen, war beeindruckend. Dieser von Pommeranz und anderen zusammengestellte, facettenreiche Früchtekorb hielt für jeden Geschmack etwas bereit.

[1] Vgl. Fritz Koreny: Albrecht Dürer und die Tier- und Pflanzenstudien der Renaissance. München 1985, S. 112ff.

Yasmin Doosry, Christiane Lauterbach, Johannes Pommeranz: Die Frucht der Verheißung. Zitrusfrüchte in Kunst und Kultur, Nürnberg: Selbstverlag 2011
ISBN-13: 978-3-936688-57-3, EUR 45,00

Empfohlene Zitation:
Pia Rudolph: [Rezension zu:] Yasmin Doosry, Christiane Lauterbach, Johannes Pommeranz: Die Frucht der Verheißung. Zitrusfrüchte in Kunst und Kultur, Nürnberg 2011. In: ArtHist.net, 10.12.2012. Letzter Zugriff 28.03.2024. <https://arthist.net/reviews/4354>.

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