La théorie des transfers culturels et les beaux-arts Methoden des Kulturtransfers und die Bildenden Künste Atelier de travail
Der Begriff des „Kulturtransfers“ hat sich mittlerweile so stark verbreitet, dass man mit den Werken, die ihn im Titel führen, ganze Regale füllen könnte. War diese Forschungsrichtung zunächst konzipiert als sozialhistorische Antwort auf die vergleichende Literaturgeschichte, der man vorwarf, sich mit einer methodologisch ungesicherten „Einflußgeschichte zu begnügen, so ist die Mitte der 1980er Jahre maßgeblich von Michel Espagne und Michael Werner entworfene Forschungsrichtung nun schon seit längerer Zeit in die Werkstatt des Historikers vorgedrungen.[1] Auch die Kunstgeschichte nutzt dieses Werkzeug, wovon vor allem die zahlreichen am Kunsthistorischen Institut der Freien Universität Berlin entstandenen Doktorarbeiten sowie die Publikationen und Forschungsprojekte des Deutschen Forums für Kunstgeschichte in Paris zeugen.[2] Die Konferenz mit dem bescheidenen Untertitel „Werkstattgespräche“ versuchte, innerhalb dieses schon abgesteckten Forschungsrahmens neue Perspektiven aufzuzeigen und eine jüngere Generation zu einem interdisziplinären Austausch zwischen Geschichte und Kunstgeschichte anzuregen. Dass die Tagung im Centre Marc Bloch stattfand, kann ebenfalls als „Neulandgewinnung“ aufgefasst werden, denn dieses zentral am Schiffbauerdamm gelegene deutsch-französische Forschungszentrum ist in erster Linie für seine Arbeiten zur Geschichte und Sozialgeschichte bekannt. Dass nunmehr auch die in manchen Kreisen der Sozialhistoriker als frivol betrachtete Kunstgeschichte hier Einzug halten konnte und der amtierende Direktor Olivier Beaud ihr sogar ein permanentes Bleiberecht in Aussicht gestellt hat, ist - abgesehen vom Erkenntnisgewinn der Tagung selbst - schon ein eindeutiger Gewinn.
Als deutliches Zeichen von starkem Interesse kann die große Zahl der Teilnehmenden gedeutet werden: Bei zwölf Referenten blieben jedem nur je 20 Minuten Redezeit. Dank der demonstrativen Blicke auf die Uhr der jeweiligen Sektionsleiter blieb die Tagung im Zeitrahmen, ohne dass die Diskussion zu kurz gekommen wäre.
In seiner Begrüßung erinnerte Alexandre Kostka zunächst an die Unterscheidung von historischem „Vergleich“ und „Transfer“ und erläuterte aktuelle Tendenzen der Geschichtsforschung, die diesen beiden Begriffen die jüngst von Michael Werner vorgeschlagene Theorie der „histoire croisée“ hinzufügen. Anhand von konkreten Beispielen aus verschiedenen Epochen wies dann der Kunsthistoriker Martin Schieder darauf hin, dass Kunstobjekte besondere Fragen aufwerfen, die mit den Forschungsansätzen der Historiker zwar vieles gemeinsam haben, jedoch eine besondere Sensibilität voraussetzen. Die ästhetische Autonomie des Werkes entzieht sich dem Streben des Historikers nach faktengestützter Eindeutigkeit und nötigt zum permanenten Dialog zwischen der künstlerischen Form und dem historischen Kontext. Daher ist es notwendig, so viele Fakten wie möglich zusammenzutragen, und dies sowohl aus dem ursprünglichen Kulturkreis als auch aus dem „rezipierenden“, um nicht nationalen Stereotypen bei der Beurteilung von Kunst zu unterliegen. Zu dieser Anhäufung von Fakten und Fragen trug das Kolloquium sicherlich bei - ohne dabei Anspruch auf Vollständigkeit erheben zu wollen.
Der erste von vier Teilen war mit „Kulturtransfer vor der Nationenbildung“ überschrieben. War die „Nation“ das unumgängliche Paradigma des 19. Jahrhunderts, so erlaubt die Zeit des 17ten und 18ten einen freieren Umgang mit dem Begriff des „Transfers“; dabei offenbarte sich das von den Historikern in letzter Zeit vorgeschlagene Konzept des „Raumes“ als fruchtbar. Zu Beginn sprach Isabella Woldt (Hamburg) über den polnisch-litauischen Sarmatismus, (d.h. die Kunst des altpolnischen Kulturkreises) und seine künstlerische Verbildlichung im 17. und 18. Jahrhundert. Sie positionierte sich kritisch gegenüber dem Forschungsstandpunkt, der danach fragt, ob die sarmatischen Porträts ein eigenes Genre seien, und ging stattdessen der Frage nach, wie sich eine Hinwendung zur westlichen Kunst in diesen Gemälden künstlerisch ausdrückte. Als Vermittler zwischen den westlichen Nationalstilen und der altpolnischen, sarmatischen Kultur fungierten dabei Magnaten, die Bildungsreisen ins Ausland unternahmen.
Danach stellte Max Tillmann (Berlin) den kurbayerischen Hof zur Zeit von Max Emanuel vor. Dabei sollte das Kulturtransferproblem in kultursoziologischer Perspektive angewendet werden. Ausgehend von einem Familienporträt des Jahres 1691, das die ganze Gefolgschaft zeigt, wurde die Situation einer „cour mêlée“ erläutert, an der sich Hofkreise und „untere Schichten“ mischen. Während des spanischen Erbfolgekrieges um das Weltreich Karls II. (1701-1714), glaubte der Wittelsbacher an eine Möglichkeit zur Weltpolitik, die sich jedoch zum Fiasko entwickelte. Zunächst in Holland, dann in Compiègne unterhielt der auf französische Subsidien angewiesene, vom Kaiser in Reichsacht gelegte Kurfürst einen aufwendigen Hofstaat, der den tatsächlichen Machtverlust durch symbolische Kulturpolitik zu kompensieren versuchte. Max Emmanuel nahm die niederländische und französische Kultur aufmerksam wahr, wobei sich die Frage stellt, ob diese „fremden“ Kulturen im Gegensatz zu einer eigenständigen „bayerischen“ Identität stand. Nicht deutlich wurde, inwiefern der Geschmackswandel Max Emmanuels seinen politischen Allianzenwechsel spiegelt, bzw. sogar vorwegnimmt.
Der „Kulturtransfer und Gemäldeimport im friderizianischen Berlin am Beispiel von Johann Ernst Gotzkowsky (1710-1775)“ ist das Thema einer an der FU Berlin im Entstehen begriffenen Doktorarbeit von Nina Schepkowski. Gotzkowsky ist bekannt aufgrund seiner mutigen Haltung während der Besetzung Berlins im Siebenjährigen Krieg, verdient jedoch eingehendere Aufmerksamkeit. Als Unternehmer erwarb sich Gotzkowsky zunächst das Vertrauen des Königs durch sein Engagement bei der vom Hofe besonders geförderten Seidenproduktion. Von seiner Seidenproduktion, für die er französische Arbeiter abgeworben hatte, gingen umfangreiche Lieferungen an den Hof Friedrichs II., der entscheidend zu seiner Förderung beitrug. Bei seiner Tätigkeit als Händler und Kunstagent stellte er eine eigene Sammlung von rund 600 Bildern zusammen. Ein Großteil der Sammlung wurde an Katharina die Große verkauft und bildet heute den Grundstock der Eremitage.
In der mit „Abgrenzung und Aneignung“ betitelten Sektion referierte zunächst Jan Werquet (Trier) über die Baupolitik Friedrich Wilhelms IV. im Rheinland. In dieser seit dem Wiener Kongress preußischen Provinz musste die monarchische Tradition neu ausgehandelt werden, da die historische Legitimation im ehemals französisch beherrschten linksrheinischen Gebiet fehlte. Wenn die preußische Krone auch dem Verlangen der Bevölkerung nach einer Verfassung nicht nachkommen wollte, so waren zumindest symbolische Zugeständnisse im Bereich der Kunst von Nöten. Der erst 1840 seinem Vater nachfolgende Kronprinz hoffte, im westlichen Teil Preußens eine gesteigerte persönliche Handlungsfähigkeit zu erlangen; durch die Architektur des von ihm geschätzten Baumeisters Schinkel sollte ein sich bewusst von Frankreich distanzierender preußisch-rheinischer Baustil favorisiert werden. Die Geschichte der Umsetzung dieser Pläne zeigt, auf wie komplexe Weise sich die „Aushandlung“ von politischen Kräfteverhältnissen und ästhetischen Konzeptionen im Kunstwerk niederschlägt.
Danach sprach Tanja Baensch (Berlin) über Konzepte kulturpolitischer Aneignung von Elsass-Lothringen im Kaiserreich am Beispiel des Straßburger Museums. Nach 1871 bildete die im Frankfurter Vertrag an das Reich abgetreten Region eine der direkten Verwaltung des Reiches unterstellte Provinz, deren Kulturpolitik ein besonderer Symbolwert zuwuchs. Die von dem Leiter der königlichen Museen in Berlin, Wilhelm von Bode, entscheidend mitbestimmte Museumskonzeption versuchte, gleichzeitig nationale und regionale Repräsentationspflichten zu erfüllen. Die Museumsdirektoren waren zugleich Professoren der Universität, was ihren Status aufwertete. Von einem enzyklopädischen Anspruch wurde zugunsten eines hohen künstlerischen Wertes und der Erhaltung von holländischer Malerei, Renaissance- und Cinquecentomalerei abgewichen.
Nach der Mittagspause folgten zwei Vorträge zum Thema „Stadtplanung und Memorialisierung“. Zunächst berichtete Christian Joschke (Université Marc Bloch, Straßburg) über die Kunstphotographie um 1900 und betrachtete dabei „Hamburg, London und Paris im Vergleich.“ Die internationale Ausstellung der Amateurphotographien von 1893 diente als Beispiel, um die politische Bedeutung der Bilder und ihres Umfeldes herauszustellen. In einer Zeit der politischen Umwälzungen schien die Hamburger Oberschicht die Amateurphotographie mit ihrem demokratischen Grundsatz gewählt zu haben, um die geteilte Gesellschaft zu beruhigen und ihren eigenen Standpunkt im öffentlichen Raum zu sichern. Anhand einer Liste der 59 Preise, die bei der Ausstellung vergeben wurden, lässt sich nachvollziehen, dass die gesamte Gesellschaft der Stadt Hamburg zu den Spendern gehörte.
Dann präsentierte Elsa Vonau vom Centre Marc Bloch in französischer Sprache ihre Forschungsarbeiten über die Gartenstadt: „Les débats sur la cité-jardin en Europe et leur impact sur la constitution de l‘urbanisme en France“. Sie stellte die große Bedeutung der ursprünglich aus England stammenden Idee der Gartenstadt für die französische Stadtplanung von 1901-1914 dar. Um den methodologischen Schwierigkeiten im Transfer zu begegnen, wurde der Begriff des „jeu de miroir“ eingeführt. Durch sehr schnelles Wachstum der Städte bedingt, mussten zahlreiche Vorstädte angelegt werden, wo auf bisher landwirtschaftlich genutzten Flächen meist Wohnungen für die Mittelschicht geschaffen werden mussten. Für eine Lösung, die ein gesundes Leben mit Grünräumen ermöglichen sollte, diente England als Vorbild für schließlich oft utopische Pläne. Die Gründung des „Musée social“ und der Gesellschaft für sozialen Wohnungsbau waren wichtig für die urbanistischen Projekte. Weitere Vereine, wie die „association des cités-jardin“ und der „comité des espaces libres“ mit den später folgenden verschiedenen Kongressen zum sozialen Wohnungsbau, wie derjenige 1905 in Lüttich regten verschiedene Überlegungen zu Gartenvierteln und Freiräumen in der Stadtplanung an.
Der letzte Teil des Tages stand unter der Überschrift „Internationalisierung der Kunst und die Suche nach dem Neuen Stil“. Hier war Knut Helms (Berlin) der erste Redner mit seinem Beitrag über die Zusammenarbeit französischer Kunstkritiker und Kunstpolitiker mit deutschen Künstlern in der Dritten Republik. Dem Vortragenden ging es um das Aufdecken und Hinterfragen eines Netzwerkes, das er ausgehend von dem symbolistischen Schriftsteller Gustave Kahn erläuterte. Wie dieser, so hofften junge zeitgenössische Schriftsteller, durch das Schreiben in vielen verschiedenen Zeitschriften in den Kreisen der bürgerlichen Mittelschicht und der Aristokratie bekannt zu werden. Auf den ersten Blick erstaunlich war die Offenheit gegenüber ausländischen Künstlern. Deutsche Maler wie Max Liebermann wurden als naturalistische Nachfolger der Barbizonisten positiv aufgenommen; dies kann auch als „strategische“ Aufwertung eines ausländischen Malstils gewertet werden, um innerhalb des französischen „système des beaux-arts“ die eigene Stellung zu behaupten.
Gisela Möller brachte das wichtige, bisher unzureichend untersuchte Thema der dekorativen Künste zur Sprache. Ein Vermittler wie Justus Brinckmann, der von 1877 bis 1915 das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe leitete, bereitete durch seine umfangreichen Ankäufe auf der Pariser Weltausstellung von 1900 den Weg für einen Kulturtransfer vor, dessen genaue Ausmaße mangels detaillierter Vorstudien kaum zu ermessen sind. Bei der Wahl der Einkaufsstücke kann der in Paris heimisch gewordene Exilhamburger Samuel Bing als wichtiger Impulsgeber angesehen werden. Justus Brinckmann kaufte vor allem Keramik, während Möbel (zum Beispiel von Gaillard und Guimard) im Regelfall nur gekauft wurden, um darauf oder darin das Steinzeug im Museum ausstellen zu können.
Andrea Meyer (Berlin) beschäftigte sich mit Reproduktionen von Werken Jean François Millets in Deutschland und deutete bereits mit dem Schlagwort „Zerrbilder“ an, worum es sich dabei handeln würde. Im deutschen Kaiserreich gestatteten technische Umwälzungen die Verbreitung von losen Kunstblättern, zu denen auch Reproduktionsgraphiken einiger Gemälde von Millet zählten. Sie erlangten eine sehr große Popularität, vermittelten jedoch eine völlig verzerrte Vorstellung der originalen Bilder. Mit anderen Farben und weiteren formalen Änderungen ist eine allgemeine Tendenz zur Verfälschung des Bildinhalts festzustellen. Die andächtig ins Gebet versunkenen Bauern des Bildes „L‘Angelus“ sind plötzlich entgegen dem Original sauber gekleidet, tragen weiße Hemden und intakte Schuhe. Diese Veränderungen ließen eine Identifikation des Bürgertums zu, evozierten einen idyllischen Charakter. Die Rezeption des Ouvres von Millet beschränkte sich auf das einfache Dorfleben, während dramatischere Kompositionen in deutschen Publikation kaum erwähnt und nie abgebildet wurden. Diese die harmonischen Seiten betonende Rezeption kam einer bewussten Distanzierung vom „jakobinischen“ Millet-Kult der Dritten Republik gleich.
Friederike Kitschen (Deutsches Forum für Kunstgeschichte, Paris) beschloss den Tag mit einem Ausblick auf die Zeit nach 1945 und mit einem Einblick in die deutsche Kunstkritik nach den Kriegen anhand des Malers Paul Cézanne, des „lieben Gottes der Malerei“. Obwohl nach 1933 die Anzahl der Bilder Cézannes in Deutschland erheblich vermindert war, blieb Cézanne in der deutschen Kunstkritik immer präsent. Im Jahre 1912 war von Fritz Novotny eine Cézanne-Monographie herausgegeben worden, die 1934 auch in englisch und französisch erschien. In der Zeit des Nationalsozialismus gab es keine ausdrückliche Verfemung, weshalb es auch für Cézanne keine „Stunde Null“ nach 1945 gab.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Auswahl der Referenten einen Einblick sowohl auf den aktuellen wie den im Aufbau bestehenden Forschungsstand vermittelte. Auffallend war die schon eingangs erwähnte starke Präsenz von Dissertationsprojekten aus der FU Berlin, sowie der Impulse der am Deutschen Forum für Kunstgeschichte in Paris angesiedelten Forschungsvorhaben. Dies war kein Zufall, ist doch einer der Organisatoren, Martin Schieder, auch Leiter des von der Thyssen-Stiftung finanzierten Projektes „Deutsch-französischer Kunsttransfer 1945-63“. Wenn die Gesprächsleitung sich am Schluss auch ein wenig gezwungen um ein Gespräch bemühte, so entstand doch meistens ein reger und anregender Austausch von Forschungsfragen und -problemen der einzelnen Teilnehmer. Sehr positiv bleibt die strenge Zeitplanung in Erinnerung, die am Abend pünktlich die Gelegenheit bot, bei einem „Vin d‘honneur“ die Gespräche in lockerer Runde fortzuführen.
Anmerkungen:
[1] Vgl. die hervorragende Synthese von Hartmut Kaelble, in id. u. Jürgen Schriewer (Hg.): Vergleich und Transfer. Komparatistik in den Sozial, Geschichts- und Kulturwissenschaften. Frankfurt Campus, 2003, S. 468 - 493. [2] Z.B. die von Thomas W. Gaehtgens, Uwe Fleckner und Martin Schieder geleitete Reihe „Passagen/Passages“, deren achte Publikation kürzlich erschienen ist: Alexandre Kostka u. Françoise Lucbert (Hg.): Distanz und Aneignung. Relations artistiques entre la France et l‘Allemagne 1870-1975/ Kunstbeziehungen zwischen Deutschland und Frankreich 1870-1945, Berlin, Akademie Verlag 2004.
Recommended Citation:
Almut Ochsmann: [Conference Report of:] La théorie des transfers culturels (Centre Marc Bloch, Berlin, Dec 16, 2004). In: ArtHist.net, Mar 30, 2005 (accessed Nov 24, 2024), <https://arthist.net/reviews/427>.
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