Im traditionellen kunsthistorischen Kanon rangieren Gärten als ephemere Kunstwerke, die naturgemäß einem stetigen Wandel unterliegen, eher am Rande. Die historische Gartenforschung als Zweig der Denkmalpflege konzentrierte sich lange vor allem auf repräsentative Anlagen des 17. bis 19. Jahrhunderts und nahm erst in jüngerer Zeit auch kleinere Gärten des 20. Jahrhunderts in den Fokus. Max Liebermanns Garten am Wannsee oder Emil Noldes Garten in Seebüll gelten als Künstlergärten und erhalten dadurch fast automatisch den Titel eines Gesamtkunstwerks, gleichsam als ob der Künstlerstatus ihrer Erschaffer auf den Garten abstrahle. Ist der Garten jedoch nicht „Hobby“ oder Nebenprodukt eines bildenden Künstlers, sondern selbst das zentrale Werk eines Gartenkünstlers besteht oftmals noch Argumentationsbedarf ob der Relevanz für das Fach Kunstgeschichte. Die aktuelle Ausstellung im Potsdam Museum „Karl Foerster. Neue Wege – Neue Gärten“ und der begleitende Katalog sind daher aus kunsthistorischer Sicht in einer doppelten Perspektive interessant: Historisch beleuchten sie Foersters künstlerische Strategie, die Pflanzenzucht als kreativem Ausgangsmaterial mit der Entwicklung von Kompositionsprinzipien anhand von Farbe und Form sowie die Verbreitung dieser ästhetischen Grundsätze durch aufwendige Publikationen, in denen Text und Bild eng korrelieren, systematisch zu verschränken. Gleichzeitig leistet die Ausstellung auch in zeitgenössischer Perspektive museologische Pionierarbeit, indem sie selbst durch mediale Verschränkung den Versuch unternimmt, das flüchtige Medium Garten als ephemeres Kunstwerk zu begreifen und das multisensorische Naturerlebnis von Farbe, Bewegung, Duft und Licht ins Museum zu holen.
Initiativen zum Jubiläumsjahr
Karl Foersters (1874–1970) war als Staudenzüchter und Autor bislang vor allem Gärtner:innen und Pflanzenliebhaber:innen geläufig, besonders seine Rittersporn-Züchtungen mit klingenden Namen wie „Blauwal“ oder „Tropennacht“ sind unter „Foersterianern“ begehrt. Foersters Haus und Garten in Potsdam-Bornim sind als Gesamtkunstwerk des frühen 20. Jahrhunderts zunehmend zur Pilgerstätte für Gartenhistoriker:innen und Hobbygärtner:innen geworden und einige seiner literarischen Gartenbücher wurden in den letzten Jahren neu aufgelegt.[1]
Über diesen interessierten, jedoch geographisch zumeist auf Berlin und Brandenburg beschränkten Kreis hinaus ist Karl Foerster indes wenig bekannt. Im Jubiläumsjahr seines 150. Geburtstags soll sich dies nun ändern: Sein facettenreiches Lebenswerk wird mit einer Reihe von Publikationen und vor allem der monographischen Ausstellung im Potsdam Museum gewürdigt,[2] allerdings auch seine Anpassungsfähigkeit an wechselnde politische Regime erstmals kritisch hinterfragt.
Stationen des Lebens und der „Wiederentdeckung“
Aus einer bürgerlichen Familie stammend, war Karl Foersters Entscheidung für den Beruf des Gärtners eher unkonventionell. Der Erfolg seiner 1903 gegründeten Staudengärtnerei stellte sich bald ein, sodass sich Foerster bereits 1910 vergrößerte und das bis heute existierende Haus und den Schaugarten in Potsdam-Bornim errichtete. Von Beginn an verfolgte Foerster eine doppelte Strategie: hervorragende Züchtungsarbeit gepaart mit geschicktem Selbstmarketing. Sein äußerst aufwendiges Selektionsverfahren mündete in überragend blühfreudige, wetterbeständige und gesunde Sorten, von denen etwa ein Drittel bis heute kultiviert wird – ein ungewöhnlich großer Prozentsatz in der schnelllebigen Welt der Pflanzenzucht.[3] Er publizierte aufwendig gestaltete Kataloge, hielt Vorträge, war Mitbegründer der künstlerisch und bibliophil angelegten Zeitschrift „Gartenschönheit“ und verfasste etwa 30 literarische Gartenbücher. Durch die nahtlose Verschränkung aller Tätigkeitsfelder positionierte er sich nicht nur als Züchter und Unternehmer, sondern vielmehr als Gartenkünstler mit einer charakteristischen Ästhetik, die im Gesamtkunstwerk von Haus und Garten in Bornim erfahrbar wurde.
Bald erweiterte sich das Unternehmen auf die Arbeitsgemeinschaft Foerster-Mattern-Hammerbacher, die zunächst vor allem Privatgärten plante, sich aber ab 1938 zunehmend auf staatliche Großaufträge fokussierte, die eine deutliche Nähe zur Führungsebene des NS-Regimes aufwiesen.[4] 1940 war Foerster außerdem in die NSDAP eingetreten. Nach Kriegsende scheint ihm dies allerdings weder in der sowjetischen Besatzungszone noch in der DDR zum Stolperstein geworden zu sein. Die Gärtnerei existierte weiterhin, ab 1959 mit halbstaatlicher Beteiligung, nach Foersters Tod 1970 wurde sie ganz in einen „Volkseigenen Betrieb“ umgewandelt. Foerster selbst konzentrierte sich im Alter zunehmend auf die Verbreitung des Konzeptes von Staudensichtungsgärten sowie seine Publikationstätigkeit und erhielt wiederholt staatliche Ehrungen der DDR.
Die wachsende Bekanntheit Karl Foersters vollzog sich in mehreren Schüben: Zu DDR-Zeiten bereits als Ehrenbürger der Stadt Potsdam gewürdigt, fielen Haus und Garten nach seinem Tod 1970 an seine Ehefrau Eva. Nach der Wende scheiterten mehrere Versuche den Gärtnerei-Betrieb zu privatisieren und zu sanieren. 1993 trat Foersters einzige Tochter Marianne das Erbe der Eltern an, doch erst mit der Einbindung in die Bundesgartenschau 2001 wurde der Garten auch einem breiteren „Nach-Wende“-Publikum bekannt. Besonders gelungen scheint die schrittweise Überführung in eine Privatstiftung, die ab 2010 unter der treuhändischen Verwaltung der Deutschen Stiftung Denkmalschutz für den Erhalt und die Rekonstruktion des Gesamtkunstwerkes verantwortlich ist. So ist der Garten im Potsdamer Vorort Bornim heute ganzjährig kostenlos geöffnet.
Spagat zwischen Würdigung und kritischer Aufarbeitung
Die aktuelle Schau im Potsdam Museum stellt sich der Herausforderung, Foersters Lebenswerk ohne Angst vor „blinden Flecken“ zu untersuchen, wobei besonders der Begleitkatalog diese Multiperspektivität geradezu vorbildlich abbildet. In prägnanten Kurzessays wird der bisherige Forschungsstand nicht nur übersichtlich zusammengefasst, sondern durch tiefergehende Recherchen zu familiärem und beruflichem Netzwerk deutlich erweitert.
So bietet der Katalog wertvolle Einführungen zur Züchtungsarbeit (Konrad Näser), zur Entwicklung der Gärtnerei und den angeschlossenen Unternehmen durch die wechselnden politischen Systeme hindurch (Marius Schmidinger, Vroni Heinrich), sowie erstmals neue Erkenntnisse zur Geisteshaltung des Elternhauses (Heidi Howcroft, Felix Merk, Swantje Duthweiler) und der überaus wichtigen Rolle der Frauen und engeren Mitarbeiter für Karl Foerster, der „kein Freund des Tagesgeschäfts war“[5] (Heidi Howcroft, Marianne Kretschmann). Offen bleibt jedoch ein abschließendes Urteil zu Foersters Verhalten während der NS- und DDR-Zeit: War es entwaffnende Naivität oder geschickte Anpassung verbunden mit dem Ausblenden von allem Unbequemen?
Mit der Wahl der Landschaftsarchitektin und Autorin Heidi Howcroft als Kuratorin der Ausstellung hat das Potsdam Museum eine kluge Weichenstellung vorgenommen, um neben allen historischen Dimensionen auch die Frage nach Foersters Bedeutung für heutiges Gartendesign zu stellen. Besonders sein Buch „Einzug der Gräser und Farne in die Gärten“ (1957) wird als richtungsweisender Meilenstein für die Entwicklungen des New American Garden und des New Perennial Garden gewürdigt. Somit gelingt es, Foersters Namen über den lokalen Berlin-Brandenburgischen Bedeutungsradius hinweg zu heben und in eine Reihe mit den bedeutenden zeitgenössischen Gartengestaltern wie Piet Oudolf, Dan Pearson zu stellen.
Wie stellt man einen Garten aus?
Ausstellungen zu Gartendesign sind bislang eine Rarität. Das Garden Museum in London ist seit seiner Wiedereröffnung 2017 Vorreiter, doch im deutschsprachigen Raum existiert bislang kaum Vergleichbares. Nicht umsonst bemerkt Heidi Howcroft in ihrem Vorwort zum Katalog, „Dass eine Ausstellung einem Gärtner gewidmet ist, ist Ehre auch für alle grünen Berufszweige.“[6] Durch kreative Strategien leistet die Potsdamer Schau daher regelrechte Pionierarbeit in der deutschen Museumsszene. Der Multisensorik eines Gartens entsprechend begegnen Besucher:innen in den vier Ausstellungsräumen verschiedensten Medien, die ineinandergreifen: den Eingang überspannt ein Nachbau der türkisfarbenen Pergola, die ursprünglich den Senkgarten, das Herzstück des Bornimschen Anwesen, einfasste. Präparierte Rittersporne haben durch Trocknung zwar an Farbe eingebüßt, vermitteln aber als „Gartenreliquien“ einen Eindruck von „Lebensgröße“. Umso farbintensiver wirken die Ölgemälde „Rittersporn und Lilie“ (1907) von Reinhold Lepsius und das „Große Rittersporngemälde“ (1931) Ludwig Bartniks, die als Vorlagen für Foersters Kataloge und Publikationen entstanden, die ebenfalls in vielen Originalausgaben in Vitrinen vertreten sind. Eine Wand voller Nahaufnahmen Foersterscher Züchtungen strahlt in seinem Lieblingsfarbdreiklang Blau-Rot-Gelb und rückt durch das Mittel der Vergrößerung alle Nuancen der Blütenfarben und -formen ganz nah an die Aufmerksamkeit der Besucher:innen, gleichsam als schaue man mit dem Züchter selbst durch die Lupe. Noch immersiver ist ein Kabinettzimmer, in dem vor einer großformatigen, hinterleuchteten Ansicht aus dem Senkgarten die sog. „Goethebänke“ stehen, schlanke Sitzgelegenheiten, die auch im Bornimschen Garten zum meditativen Verweilen einladen. Auf diese Weise schlägt die Ausstellung sehr überzeugend eine sensorische Brücke zu dem eigentlichen Ort. Historische und zeitgenössische Fotos, Planmaterial, Tonaufnahmen, Foersters originaler Schreibtisch sowie eine Auswahl seiner Blumenvasen runden die Brandbreite der Objekte ab. So gelingt es dem Potsdam Museum mit vergleichsweise schlichten Mitteln die Foerstersche Ästhetik im musealen Raum erfahrbar zu machen und Schaufreude zu wecken.
Im Nachklang zu Ausstellung und Katalog bleibt vor allem ein Schlagwort präsent: mediale Verschränkung. So wie Foerster selbst seine Züchtungsarbeit, seine Gartenentwürfe und Publikationen als Einheit begriff, die eine erkennbare Künstlersignatur auszeichnen, gelingt es auch dem Potsdam Museum Foersters als Schlüsselfigur für die Entwicklung moderner Gartenkunst zu würdigen und seine Ästhetik durch geschicktes Ausstellungsdesign multisensorisch erfahrbar zu machen. Damit sind Ausstellung und Katalog eine nützliche Referenz für die Zukunft, auch über „grüne Themen“ hinaus.
Aus kunsthistorischer Sicht eröffnen sich auch weiterführende Fragen, gerade zur Bewertung und Bewahrung von historischem Pflanzenmaterial. So wie für die Restaurierung und Sicherung von Gemälden genaue Kenntnisse der Farbpalette von Bedeutung sind, fungieren Stauden als Palette des Gartens. Sie tragen den Hauptanteil an Farbe und Textur. Als lebendiges Pflanzenmaterial sind sie allerdings besonders fragil und bedroht, da sie durch Vernachlässigung schnell aus der Kultivierung fallen können. An diesem Punkt wird Kunstgeschichte auch anschlussfähig an aktuelle ökologische Fragen, sind doch besonders Foersters Züchtungen darauf angelegt klimaresistent und pflegearm zu sein, um so in „Gärten für intelligente Faule“ zu passen – die ideale Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart.
[1] Karl Foerster, Einzug der Gräser und Farne in die Gärten, sowie einiger bedeutungsvoller Blattschmuckstauden, 7. Auflage 2000 (1. Auflage 1957); Karl Foerster, Warnung und Ermutigung. Meditationen, Bilder und Visionen, 9. Auflage 2010 (1. Auflage 1959); Karl Foerster, Ferien vom Ach, Lebensbetrachtungen eines weisen Gärtners, 13. Auflage 2017 (1. Auflage 1962); Karl Foerster/Heike Kühn, Es wird durchgeblüht. Thema mit Variationen, Neuauflage 2016 (1. Auflage 1968); Karl Foerster/Norbert Kühn, Blauer Schatz der Gärten. 5 Auflage 2015 (1. Auflage 1940).
[2] Marianne Foerster, Der Garten meines Vaters Karl Foerster, hrsg. von Ulrich Timm, München 2024 (1. Auflage 2005); Clemens Alexander Wimmer, Gärtner der Nation. Die vier Leben des Karl Foerster, Weimar 2024.
[3] Konrad Näser, Karl Foersters Züchtungsarbeit, in: Karl Foerster. Neue Wege - Neue Gärten, Katalog der Sonderausstellung im Potsdam Museum - Forum für Kunst und Geschichte 2024 (nachfolgend Katalog Potsdam genannt), S. 24-25.
[4] Schmidinger, Biografische Wegmarken und Meilensteine, in: Katalog Potsdam, S. 134–135; Christian Hlavac, Rezension zu Clemens Alexander Wimmer, Gärtner der Nation. Die vier Leben des Karl Foerster, Ilmtal-Weinstraße 2024, in: Historische Gärten. Zeitschrift der Österreichischen Gesellschaft für historische Gärten, 30. Jg. Heft 1 / 2024, S. 51.
[5] Marius Schmidinger, Biografische Wegmarken und Meilensteine, in: Katalog Potsdam, S. 134.
[6] Heidi Howcroft, S. 11.
Steller, Thomas; Howcroft, Heidi (Hrsg.): Karl Foerster. Neue Wege – neue Gärten (= Veröffentlichungen des Potsdam Museum; 43), Potsdam: Monumente Publikationen 2024
ISBN-13: 978-3-86795-196-8, 194 S., 24,80 EUR
Empfohlene Zitation:
Katharina Falser: [Rezension zu:] Karl Foerster. Neue Wege – Neue Gärten (Potsdam, 09.03.–18.08.2024). In: ArtHist.net, 24.06.2024. Letzter Zugriff 27.11.2024. <https://arthist.net/reviews/42197>.
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