REV-CONF 02.08.2003

Strategien medialer Geschichtsvermittlung

Nürnberg, 12.–20.07.2003

Bericht von Martin Hellmold

Mit dem Skateboard in die NS-Zeit. Strategien medialer Geschichtsvermittlung im Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände Nürnberg

Dauerausstellungen zum Nationalsozialismus haben bundesweit - insbesondere aber in Bayern - Konjunktur. So wurde am 20. Oktober 1999 die Dokumentation Obersalzberg (Berchtesgaden) und am 5. November 2001 das Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände (Nürnberg) eröffnet. München hingegen zögert: Während die von Oberbürgermeister Ude im Sommer 2002 untersagte Präsentation einer neuen Abteilung im Münchener Stadtmuseum seit dem 6. Juni 2003 zugänglich ist [1], sind die Realisierungschancen des geplanten NS-Dokumentationszentrums in der bayerischen Landeshauptstadt derzeit völlig unklar. [2].

Mit seinem offensiven Einsatz audiovisueller und "neuer" Medien, einem weitgehenden Verzicht auf traditionell museale Exponate sowie einer für deutsche Verhältnisse bisher ungewöhnlich inszenatorischen Methodik nimmt die mit "Faszination und Gewalt" betitelte Dauerausstellung im Nürnberger Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände auf der Skala der Vergleichsprojekte zweifellos eine Extremposition ein.

Der "Ulmer Verein" nutzte das Nürnberger Modell nun als Ausgangspunkt für eine Auseinandersetzung über die Repräsentation der nationalsozialistischen Vergangenheit in Dauerausstellungen und lud am 19. und 20. Juli 2003 zu seinem sechsten "Workshop zur Ausstellungsanalyse" nach Nürnberg, an dem freie AusstellungskuratorInnen ebenso teilnahmen wie MitarbeiterInnen verschiedener Institutionen (u.a. Haus der Kunst München, Deutsches Historisches Museum Berlin, Rheinisches Archiv- und Museumsamt Abtei Brauweiler, Museum Blindenwerkstatt Otto Weidt Berlin, Kulturreferat der Stadt München, Institut für Medienwissenschaft der Universität Bochum).

Zur Begrüßung des von Christian Fuhrmeister konzipierten und moderierten Workshops erläuterte Franz Sonnenberger, Direktor der Museen der Stadt Nürnberg, die Position des Dokumentationszentrums innerhalb der Neuordnung der sechs städtischen Museen. Dabei betonte er besonders den Aspekt der Besucherorientierung und stellte die vielfältigen Methoden zur Vermittlung der "Kernbotschaften" der Museen vor, die in Nürnberg zur Anwendung kommen. Dazu zählen die "Verlebendigung" der Exponate durch Hörbilder und Hörstücke, historische Führungen durch Schauspieler, Rekonstruktionen, Puppentheater etc. Der massive Einsatz audiovisueller Medien im Dokumentationszentrum wurde somit als Teil einer breiteren Strategie der Vermittlungsarbeit erkennbar, innerhalb derer intensiv mit Narrativierungen gearbeitet wird.

Der Leiter des Zentrums, Hans-Christian Täubrich, beschrieb die Konzeption der Dauerausstellung "Faszination und Gewalt" als Kombination zweier Faktoren, nämlich der Erzählung von Aufstieg und Fall des Nationalsozialismus mit Schwerpunkt auf den Reichsparteitagen in Nürnberg einerseits und des historischen Baukörpers der Kongresshalle als "wichtigstem Exponat" andererseits. Die Balance zwischen beiden Elementen sei eine der Herausforderungen bei der Einrichtung der Ausstellung gewesen. Alle Fragen zur Gestaltung des Rundgangs seien mit Blick auf den Bildungsauftrag als der primären Aufgabe des Hauses gelöst worden. Täubrich verteidigte dabei die Entscheidung für eine narrative Ausrichtung der gesamten Präsentation, die von einigen TeilnehmerInnen aufgrund ihrer zwangsläufig unterkomplexen Repräsentation historischer Ereignisse kritisiert worden war, mit Verweis auf das größtenteils jugendliche Publikum. Mit ihrer dramaturgischen Aufbereitung orientiert sich "Faszination und Gewalt" an filmischen Erzählformen, die dem Interesse und der Lektürefähigkeit speziell von Jugendlichen und jungen Erwachsenen entgegenkomme. Die innerhalb eines zweistündigen Besuches weitgehend nachvollziehbare, narrativ strukturierte und medial aufbereitete Dokumentation zur deutschen Geschichte zwischen 1933 und 1945 schaffe zudem lediglich eine Grundlage für die weiterführende didaktische Betreuung im Studienforum. Für die notwendige Ergänzung und Aktualisierung sorgten zahlreiche Sonderveranstaltungen wie Vorträge, Filme oder Diskussionen.

Im weiteren Verlauf des Workshops wurden drei Aspekte der Nürnberger Dauerausstellung durch ergänzende Referate erschlossen und zur Diskussion gestellt.

Zur Kontextualisierung der zahlreichen in den Ausstellungsrundgang integrierten filmischen Dokumente stellte Judith Keilbach (FU Berlin) die Muster des Umgangs mit historischem Filmmaterial vor, die sich in den neueren TV-Dokumentationen zu vergleichbaren Themen etabliert haben. In einer konzentrierten Analyse unterschied sie den Modus der "Illustration" von jenem der "Reflexion". Die illustrative Nutzung der fraglichen filmischen und fotografischen Bilder gehe in der Regel von einer Authentizitätsprämisse aus, die dem Material das Potenzial eines "transparenten Blicks auf die Wirklichkeit" unterstelle. Konträr dazu sei ein Verständnis der Bilder als historische Objekte zu beobachten, die durch die Zeit ihrer Entstehung geprägt wurden und somit keineswegs frei sind von ideologischen Signaturen. Dem Faktum, dass viele Bilder seinerzeit nicht zweckfrei, sondern als Träger propagandistischer Botschaften produziert wurden, könne durch Strategien wie der kontrapunktischen Montage, der Thematisierung von Produktionszusammenhängen oder der direkten Problematisierung der Bilder im Begleittext Rechnung getragen werden. Der weitgehend illustrative Umgang mit dem historischen Bildmaterial in der Nürnberger Ausstellung wurde anschließend kontrovers diskutiert.

In diesem Zusammenhang kamen auch die musikalischen Elemente der Ausstellung zur Sprache. Wie in zahlreichen vergleichbaren TV-Features, so Keilbachs erhellender Hinweis, werde auch im Dokumentationszentrum die Musik signifizierend, d.h. als Mittel zur Steuerung der Rezeptionshaltung der BesucherInnen eingesetzt. Ein mehrfach verwendeter Soundtrack erzeuge eine elegische Stimmung und könne somit ein Verständnis der NS-Geschichte als einer mahnenden Tragödie nahe legen.

Ingmar Reither (KPZ Nürnberg) setzte sich mit dem baulichen Eingriff Günther Domenigs auseinander, der sich als spektakuläre Geste, als "Speer im Speer" (Domenig), aggressiv gegen die monumentale Überwältigungsarchitektur der Kongresshalle richtet und schnell zum Markenzeichen des Dokumentationszentrums geworden ist. Im Spiegel der journalistischen und architekturkritischen Rezeption ("Keil", "Blitz" etc.) beschrieb Reither die Bedeutungspotenziale dieses symbolträchtigen Aktes einer Wiederaneignung durch Dekonstruktion. Stahl und Glas stünden im scharfen Gegensatz zur Massivität des mit Granit verkleideten Veranstaltungsbaus. Domenigs Eingriff, so Reithers These, könne dabei durchaus als eigenständiges Environment begriffen werden.

Insgesamt zeige sich, dass Architektur und Ausstellung sinnvoll miteinander verzahnt worden seien: Die Abfolge kleiner und großer, hoher und niedriger Räume sei für den Ausstellungsrundgang insofern gut genutzt worden, als die Videoprojektionen, Terminals und Bildschirme jene "Fenster" eröffneten, die realiter nicht vorhanden seien.

Die Diskussion erörterte insbesondere das Spannungsverhältnis von Architektur und Ausstellung: Letztere, so der Vorwurf, sei einerseits durch "mangelndes Störungspotenzial" gekennzeichnet und nutze andererseits zu selten die Möglichkeit, die Besucher mit der Ruine der Kongresshalle zu konfrontieren, um mit zeichenhaften Brechungen ein nachhaltiges Besuchserlebnis zu evozieren.

Die von Judith Keilbach bereits vorbereitete Problematik einer Verwendung filmischer und fotografischer Bilder als historisch-dokumentarischer Texte war stand auch im Zentrum des von Christian Fuhrmeister (Ulmer Verein/LMU München) moderierten Ausstellungsrundgangs am zweiten Tag. Das Konzept der Ausstellungs-Workshops des Ulmer Vereins, nämlich die gemeinsame Erörterung konkreter Präsentations- und Vermittlungsfragen in situ, wurde mustergültig realisiert: Die intensive Diskussion, an der sich auch Martina Schuster, die Koordinatorin des Studienforums, beteiligte, beschäftigte sich zunächst mit der latenten Dynamik der Eingangssituation, die das beschnittene Großfoto einer "Vorführung von Flugabwehrgeschützen auf dem Zeppelinfeld, 12. September 1938" mit dem hinterleuchteten Foto einer begeistert grüßenden Menge auf der Zeppelintribüne kombiniert. Das Spannungsfeld zwischen der kuratorischen Freiheit - oder dem Zwang? - zu derartigen Inszenierungen und dem mit der überarbeiteten Version der Ausstellung "Verbrechen der Wehrmacht " erreichten Standard von quellenkritischem Umgang mit historischem Bildmaterial wurde ausgesprochen kontrovers beurteilt. Dies galt auch für weitere Exponate, die unterschiedliche Stadien der Bildbearbeitung aufweisen (Vergrößerung, Beschneidung, Isolation einzelner Bildelemente, Seitenverkehrung und Multiplikation, Wechsel von Positiv und Negativ sowie Spiegelung). Neben diesen handwerklich-pragmatischen Aspekten fokussierte der Rundgang das allgemein als positiv wahrgenommene Terminal mit der medialen Präsentation eines Fotoalbums, in dem virtuell geblättert werden kann, sowie die ebenso als gelungen bezeichnete Verschränkung der (utopischen) Architektur des Reichsparteitagsgeländes mit dem KZ-System und dem Prinzip der "Vernichtung durch Arbeit" im Mittelteil der Ausstellung.

Den Abschluss des Workshops bildete ein konzentriertes Gespräch der TeilnehmerInnen mit Eckhart Dietzfelbinger und Hans-Christian Täubrich, den verantwortlichen Kuratoren. Die zuvor gemeinsam erarbeiteten Fragen wurden ausführlich kommentiert und kontextualisiert, u.a. mit Verweis auf die finanziellen und organisatorischen Rahmenbedingungen, den wissenschaftlichen Beirat und das Kuratorium des Dokumentationszentrums [3]. Da man die Ausstellung als "lebendigen Prozess" begreife, sei die Realisation von Anregungen keineswegs ausgeschlossen.

Anmerkungen
[1] Vgl. http://www.stadtmuseum-online.de/aktuell/chiffre.htm.
[2] Seit wenigen Tagen ist der Band, der das zweiteilige Symposium von Dezember 2002 und Januar 2003 dokumentiert, bei der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit (http://www.stmuk.bayern.de/blz/index2.html ) bzw. beim Kulturreferat der Stadt München (http://www.muenchen.de/referat/kultur/ ) erhältlich: Ein NS-Dokumentationszentrum für München. Ein Symposion in zwei Teilen. Tagungsband. München 2003. Vgl. in diesem Zusammenhang auch http://www.stmuk.bayern.de/blz/gutachten.pdf
[3] Vgl. http://www.museen.nuernberg.de/reichsparteitag/pages/pressemitteilungen/p080 1kurbei.rtf

Empfohlene Zitation:
Martin Hellmold: [Tagungsbericht zu:] Strategien medialer Geschichtsvermittlung (Nürnberg, 12.–20.07.2003). In: ArtHist.net, 02.08.2003. Letzter Zugriff 28.03.2024. <https://arthist.net/reviews/420>.

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