REV-CONF 19.11.2005

Kunstgeschichte an den Universitäten in der Nachkriegszeit

Institut für Kunstgeschichte der Universität Karlsruhe, 14.–15.10.2005

Bericht von Ruth Heftrig
Redaktion: Godehard Janzing

Kunstgeschichte an den Universitäten in der Nachkriegszeit (1945-1955)

Die von der Guernica-Gesellschaft e.V. mit dem Institut für Kunstgeschichte der Universität Karlsruhe (TH) veranstaltete Tagung „Kunstgeschichte an den Universitäten in der Nachkriegszeit (1945-1955)“ nahm sich erstmals in vergleichender Perspektive fachhistorischer Phänomene der Nachkriegszeit in Ost- und Westdeutschland an. Sie knüpfte konzeptionell und inhaltlich an eine Tagung zur Kunstgeschichte im Nationalsozialismus an, die im Herbst 2002 am gleichen Ort stattgefunden hatte (1). In seiner Einführung wies Norbert Schneider (Karlsruhe) auf eine mögliche Gefahr der - im Gegensatz zu politisch motivierten Ansätzen der 68er-Generation - heute weitgehend ideologiefrei betriebenen Fachgeschichtsforschung hin: Trotz interessanter neuer Forschungsperspektiven drohten Detailforschungen bei einer „positivistischen Scheinneutralität“ stehen zu bleiben. Diese Befürchtung - hier als Aufforderung zur kritischen Bewertung der Karlsruher Zwischenergebnisse verstanden - bestätigte sich im Laufe der Veranstaltung jedoch nicht.

In der inhaltlichen Einführung wies Martin Papenbrock (Karlsruhe) auf ein Ost-West-Gefälle der Forschungsliteratur hin, in der spezifische fachhistorische Arbeiten zur deutschen Nachkriegskunstgeschichte nahezu gänzlich fehlen. Ausnahme ist ein kurzer Beitrag Willibald Sauerländers im Sammelband „Wissenschaft im geteilten Deutschland“, der jedoch nur die westdeutsche Nachkriegssituation thematisiert (2). Für die Besatzungszeit und die frühe Bundesrepublik existieren keine Veröffentlichungen zur Kultur- und Wissenschaftspolitik, während für die SBZ/DDR umfassende sozialhistorische Studien vorliegen (3). Deshalb ist zu hoffen, dass Papenbrocks Appell Gehör findet, die zu leistenden Arbeiten gemeinsam anzugehen. Für die Kunstgeschichte im Nationalsozialismus gibt es bereits erste Ansätze solch einer arbeitsteiligen Forschung (4). Wichtige Impulse gab der Referent zum Tagungsbeginn: Wie wirkten die politischen Kontexte und Ereignisse auf das Fach in Ost und West ein? Wie definierte es sich als gesellschaftliche Kraft? Welche Inhalte bestimmten Forschung und Lehre in Ost und West? Fand wissenschaftlicher Austausch über die Staatsgrenzen hinweg statt? Wie verhielten sich die im Amt verbliebenen Dozenten gegenüber den im „Dritten Reich“ emigrierten Fachkollegen?

Die Tagung gliederte sich in zwei Blöcke: Der erste war einzelnen ostdeutschen Instituten sowie der DDR-Kunstgeschichte insgesamt gewidmet. Peter H. Feist (Berlin) sprach als Beteiligter und Zeitzeuge über fachliche und ideologische Hintergründe der Kunstwissenschaft im östlichen Teil Deutschlands. Während die Jahre der Besatzungszeit noch von einem relativen Liberalismus geprägt gewesen seien, habe ab 1950 ein zunehmender Einfluss der SED an den Universitäten eingesetzt. Forschung und Lehre wurden von Staatsseite auf den Marxismus-Leninismus ausgerichtet, in der Kunstgeschichte mangelte es allerdings an Dozenten bzw. „Erziehern“ mit entsprechendem Hintergrund. Hierin sieht Feist zu Recht einen großen Unterschied zum „Dritten Reich“, als im Fach auf eine lange Tradition nationalistischer Ansätze zurückgegriffen werden konnte. „Linke“ Kunsthistoriker hingegen gab es kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in Deutschland (noch) nicht. Die ab 1951 durch den Parteiapparat der SED einsetzenden ideologischen Schulungen führten zur neuen inhaltlichen Ausrichtung der Kunstgeschichte, (z.B. Konzentration auf „Arbeiterkunst“, auf das „Erbe“ des Realismus und der Renaissance). Positiv bewertete der Vortragende ostdeutsche Forschungsleistungen wie z.B. die Auseinandersetzung mit der Gegenwartskunst oder soziologisch geprägte Ansätze, welche die Entstehungszusammenhänge von Kunst berücksichtigten. Gerne hätten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die erste Diskussionsrunde noch weiter ausgedehnt, um aus erster Hand mehr über die Aushandlungsprozesse von Lehrplänen, die Bedingungen für Auslandsreisen oder den wissenschaftlichen Austausch zwischen Ost und West zu erfahren.

Nikola Doll (Berlin) knüpfte mit dem Fokus auf die Ost-Berliner Kunstgeschichte an ihren Vorredner an. Sie erörterte das Ende der Nachkriegszeit im Kunsthistorischen Seminar der Humboldt-Universität und zeigte die personellen, thematischen und methodischen Zäsuren auf. Ein Ergebnis war die Beobachtung, dass nicht wichtige Politikereignisse die seminarinternen Vorgänge prägten, sondern vielmehr „zufällige“ Personalentscheidungen, die auch die inhaltliche Ausrichtung bestimmten. Laut Doll endete die Nachkriegsperiode mit der Entlassung des elf Jahre zuvor berufenen Richard Hamann im Jahr 1958. Sein formal unterqualifizierter Nachfolger war Gerhard Strauss, ein wissenschaftspolitisch engagierter, früherer Mitarbeiter der Deutschen Zentralverwaltung für Volksbildung. In den vorausgehenden, langwierigen Personalverhandlungen kamen unterschiedliche Wissenschaftler wie Paul Frankl, Dagobert Frey, Theodor Hetzer, Eberhard Hempel, Georg Schmitt, Karl Maria Swoboda, Georg Hoeltje oder Hermann Weidhaas ins Spiel. Die Diskussion eröffnete die wichtige Frage nach den Verdrängungsmechanismen der 1950er Jahre. Es zeichnete sich hierbei ab, dass sich die Gruppe der kunsthistorischen „Täter“ im Westen zügiger etablieren konnte als im Osten, so etwa der Gründer des Herder-Instituts in Marburg Dagobert Frey.

Christine Kratzke (Leipzig) gab einen Überblick über räumliche Ausstattung, Lehrpersonal und Themenschwerpunkte des Leipziger Instituts für Kunstgeschichte, dessen Ordinarien Theodor Hetzer (1935-1946), Heinz Ladendorf (1951-1958) und Johannes Jahn (1958-1964) die thematischen Schwerpunkte der Zeit vor 1945 weitgehend fortsetzten, während sie sozialistische Entwicklungen „verschliefen“ (so eine zeitgenössische Beurteilung von 1952). Sowohl Ladendorf, der 1958 die DDR in Richtung Köln verließ, als auch sein Nachfolger Johannes Jahn gerieten aus unterschiedlichen Gründen in Konflikte mit SED-Funktionären. Ladendorf war offenbar Opfer einer Kampagne seitens der SED geworden, nachdem er sich einer Überprüfung durch FDJ-Studenten verweigert hatte. Auch Johannes Jahn, obgleich 1959 für den Nationalpreis der DDR vorgeschlagen, wurde seitens der FDJ wegen angeblicher faschistischer Äußerungen in seinem Hauptwerk „Bildwörterbuch der Kunst“ kritisiert. Die Analyse der Hintergründe beider Vorfälle steht noch an.

Mit der Formel „Klasse statt Rasse“ charakterisierte Christian Fuhrmeister (München) die Geschichte des Kunstgeschichtlichen Instituts der Universität Jena, die er in die allgemeine Fragestellung nach Differenzen zwischen „SED-Alleinherrschaft“ und NS- Diktatur einordnete. Während des „Dritten Reiches“ operierte lediglich Fritz Baumgart - im Gegensatz zu den Kollegen Walter Thomae, Werner Gross oder Ottmar Kerber - mit rassischen Kategorien (so z.B. in einer Selbstaussage über seine Caravaggio-Forschung). Baumgart gelang es trotz seiner von ihm hervorgehobenen Teilnahme an der Widerstandsbewegung des 20. Juli 1944 nicht, die Professur in Jena nach 1945 wieder anzutreten. Die Mitgliedschaft in der NSDAP oder ihr untergeordneter Gliederungen waren offenbar das entscheidende Kriterium bei der Entnazifizierung in der Sowjetisch besetzten Zone. Weitere Vergleichsbeispiele könnten diese These untermauern. Charakteristisch für die ostdeutsche Praxis scheint eine Versorgung ehemaliger Parteimitglieder mit Forschungsaufträgen zu sein, wie bei Fritz Baumgart oder dem Leipziger Professor Hermann Beenken, während die Rückkehr in alte Positionen im Westen schneller vollzogen werden konnte.

Die zweite Tagungshälfte thematisierte die kunsthistorischen Institute im Westen Deutschlands. In diesem Kontext fokussierte Nicola Hille (Tübingen) ihren Beitrag auf Hubert Schrade, den ehemaligen Lehrstuhlinhaber an der „Reichsuniversität Straßburg“. Ratlosigkeit im Karlsruher Publikum war die Reaktion auf das präsentierte Ergebnis, dass der bekennende Nationalsozialist nicht nur 1954 eine Professur am Kunsthistorischen Institut Tübingen erhielt, sondern dass die „Persilscheine“ hierfür mit fadenscheinigen Begründungen aus unterschiedlichen Richtungen kamen. So hob Hans Jantzen in seiner Beurteilung Schrades dessen „kritische Einstellung“ hinsichtlich der Defizite in der generellen und speziell der Kultur- Politik der NSDAP hervor. Schrades Vorgänger, Georg Weise, der während des „Dritten Reiches“ Auslandsreisen dem ideologisierten Universitätsbetrieb vorgezogen hatte (5), bezeugte gar die stets sachlich-wissenschaftliche Haltung seines Nachfolgers. Zur Rehabilitierung des Wissenschaftlers führte auch § 131 des Bundesgesetzblattes aus dem Jahr 1951, welcher ehemaligen Beamten ein Anrecht auf Rückkehr in vergleichbare Positionen zusagte.

Martin Papenbrock (Karlsruhe) konnte auf seinen Forschungsergebnissen zum Freiburger Institut zwischen 1933 und 1945 aufbauen (1). Er stellte Kurt Bauch als Beispiel vermeintlicher Widerständigkeit gegenüber dem NS-Regime vor. Dieses in mehreren Tagungsbeiträgen konstatierte Phänomen korrespondiert offensichtlich mit dem Fortbestehen alter Netzwerke. Parallel zur „Rhineland-Gang“ (Doll) hatte sich in Freiburg eine „Jantzen-Familie“ (Papenbrock) etabliert, bestehend aus Lisa Schürenberg, Wolfgang Schöne, Werner Noack und Kurt Bauch. Papenbrock brachte einen wichtigen sozialpsychologischen Ansatz in die Diskussion ein, der für die weitere Analyse von Handlungs- und Argumentationsmustern im akademischen Milieu hilfreich sein könnte. Der Referent schlug vor, scheinbar widersprüchliche und häufig variierende Haltungen (attitudes) durch die Entschlüsselung gruppendynamischer Prozesse zu erklären. Er variierte facettenreich zwischen „harten“ Fakten und „weichen“ Texten. Bauchs Vortrag „Kunst als Form“, der in unterschiedlichen Varianten von 1952 und 1962 existiert und später publiziert wurde, sei Ausdruck der Suche Bauchs nach seinen methodischen wie auch nach seinen politischen Fundamenten der angebrochenen Nachkriegszeit. Die ausgeglichene Gewichtung von Form und Inhalt eines Kunstwerkes, die Bauch darin fordert, verstand Papenbrock als politisches Statement im Sinne eines Diskursangebots an emigrierte Kunsthistoriker ikonologischer Ausrichtung wie etwa Erwin Panofsky.

Die Unerschöpflichkeit des Themas Hans Sedlmayr offenbarte Jutta Held (Osnabrück) im letzten Vortrag der Tagung. Hatte Hans Aurenhammer bei dem vorhergegangen Karlsruher Symposium den Einfluss des Austrofaschismus auf Sedlmayr thematisiert, so zeigte Held nun die Wirkung der österreichischen Netzwerke auf bayerischem Territorium anhand des konkreten Falls der Berufung Sedlmayrs auf den Münchener Lehrstuhl im Jahr 1951. Besonders der Verleger Otto Müller brachte positive Gutachten im Bayerischen Unterrichtsministerium ein und agierte völlig an den Münchener akademischen Entscheidungsgremien vorbei. Die unzufriedenen Studenten hatten mit einem energischen Pamphlet vergeblich versucht, diese Entscheidung rückgängig zu machen. Mit Spannung darf die schriftlich ausgearbeitete Form dieses, wie auch der sechs weiteren Karlsruher Vorträge - geplant als Band 8/2006 des Jahrbuches der Guernica-Gesellschaft - erwartet werden.

Anmerkungen:

(1) Publizierte Tagungsergebnisse in: Kunst und Politik. Jahrbuch der Guernica-Gesellschaft, Band 5/2003, Schwerpunkt Kunstgeschichte an den Universitäten im Nationalsozialismus, hg. von Jutta Held und Martin Papenbrock, Osnabrück 2003.

(2) Willibald Sauerländer, Von den „Sonderleistungen Deutscher Kunst“ zur „Ars Sacra“. Kunstgeschichte in Deutschland 1945-1950, in: Walter H. Pehle/Peter Sillem (Hg.), Wissenschaft im geteilten Deutschland. Restauration oder Neubeginn nach 1945? Frankfurt/Main 1992, S. 177-190.

(3) Ralph Jessen, Akademische Elite und kommunistische Diktatur, Göttingen 1999; Ilko-Sascha Kowalczuk, Geist im Dienste der Macht. Hochschulpolitik in der SBZ/DDR 1945 bis 1961, Berlin 2003.

(4) Etwa die Wanderausstellung „Kunstgeschichte im Nationalsozialismus“, die derzeit in Karlsruhe Station macht, oder das DFG-Projekt „Kunstgeschichte im Nationalsozialismus“, siehe: www.welib.de/gkns.

(5) Nikola Doll, Christian Fuhrmeister, Michael H. Sprenger (Hg.), Kunstgeschichte im Nationalsozialismus. Beiträge zu einer Wissenschaft zwischen 1930 und 1950, Weimar 2005.

Empfohlene Zitation:
Ruth Heftrig: [Tagungsbericht zu:] Kunstgeschichte an den Universitäten in der Nachkriegszeit (Institut für Kunstgeschichte der Universität Karlsruhe, 14.–15.10.2005). In: ArtHist.net, 19.11.2005. Letzter Zugriff 18.04.2024. <https://arthist.net/reviews/413>.

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