REV-CONF 07.12.2023

Kunstgeschichte x Klassismus

Kunsthistorisches Institut, Universität zu Köln, 25.–28.09.2023

Bericht von Julius Redzinski, Aachen, Peter und Irene Ludwig Stiftung
Redaktion: Livia Cárdenas

Dem Klassismus im Kunst- und Kulturbetrieb wurde als Problemkomplex in den vergangenen Jahren vermehrt Interesse zuteil.[1] Die Kunstgeschichte hinkt bei der Aufarbeitung der Auswirkungen von Klassismus auf das Fach hingegen noch hinterher. Der Arbeitskreis Erste Generation Kunstgeschichte an der Universität Köln nimmt sich nun dieses Themas an [2] und veranstaltete Ende September 2023 die Summerschool „Kunstgeschichte x Klassismus.“

Den Auftakt bildete eine Podiumsdiskussion zwischen Tarah Truderung, stellvertretende Landesvorsitzende der Urbane NRW und dort Beauftragte für Empowerment, Karina Pawlow, die auf TikTok kunsthistorische Themen vermittelt, Elisa Diamuangana von Fake, dem Referat für antiklassistisches Empowerment an der Universität Köln, und Olga Isaeva von Arbeiterkind e.V. In diesem Rahmen wurde zum einen über klassistische und andere Diskriminierungserfahrungen im universitären Betrieb, zum anderen über die Möglichkeiten und Grenzen von ehrenamtlichem Aktivismus in den Strukturen des akademischen Betriebes gesprochen. Dabei kristallisierte sich als eines der Probleme heraus, Betroffene überhaupt auf existierende Hilfsangebote und Unterstützungsstrukturen aufmerksam zu machen, zumal ihre Kapazitäten, sich mit den Strukturen zu befassen und sich zu engagieren, durch das Studium, das Bestreiten des Lebensunterhalts und weiterer Verpflichtungen bereits ausgeschöpft seien. Auch die Rolle des Kanons bei der Aufrechterhaltung etablierter Strukturen sowie das Potenzial von Social Media in der Vermittlung des Fachs Kunstgeschichte und für aktivistische Ansätze wurde diskutiert.

Das erste Panel „Kunst – Werk – Klasse“ widmete sich klassistischen Mustern in Displays und Kunstwerken. Amelie Ochs und Rosanna Umbach (beide Bremen) eröffneten mit einem Beitrag zur normativen Kraft der Displays von Wohn- und Dekorationszeitschriften seit dem 18. Jahrhundert exemplarisch anhand der Zeitschrift Schöner Wohnen. Sie arbeiteten dabei unter anderem die Verbindung von Konsum und Habitus sowie den Einfluss dieser Zeitschriften auf Körper- und Rollenbilder heraus. Zudem wiesen sie auf die Implikationen minimalistischer Wohnprinzipien mit ihrer Umkehrung des Prinzips „Weniger ist mehr“ und den mit ihnen einhergehenden Ordnungsdiskursen hin. Johanna Kehne (Berlin) widmete sich anschließend in ihrem Beitrag der Darstellung von Wein und Bier im Verlauf der Kunstgeschichte. Bier sei dabei vor allem in Darstellungen niederer Klassen anzutreffen, während Wein mit höheren Klassen und schönen Menschen assoziiert worden sei. Daneben gäbe es auch den Einsatz des Weines, wenn Denker oder Leidende gezeigt werden sollen. Trotz einer Vielzahl von Beispielen in der Kunstgeschichte stelle das Thema der schichtenspezifischen Darstellung von Alkoholkonsum aber immer noch weitgehend ein Desiderat dar.

Im zweiten Panel „Kunstgeschichte schreiben“ kam es zu einer stärkeren Selbstreflexion. Nina Eckhoff-Heindl (Köln) wandte sich ausgehend vom Prozess der Publikation ihrer Dissertation über die Comic-Serie „Building Stories“ von Chris Ware den prekären Bereichen der Kunstgeschichte zu. Comics seien dabei schwer in der etablierten Epocheneinteilung, die das Fach bestimmt, einzuordnen, was die Karrierechancen erschwere. Aber auch die etablierten Epochenschwerpunkte Mittelalter und Frühe Neuzeit, die meist mit weniger Mitteln ausgestattet sind, würden die Karriere erschweren und somit klassistische Barrieren darstellen. Daneben kritisierte Eckhoff-Heindl das immer noch verbreitete Berufsbild des/der Kunsthistoriker:in, das in der Einführung in das Fach gezeichnet wird und es mehr als Berufung denn Beruf fassen würde. Eine soziologische Analyse der von Ulrich Pfisterer in zwei Bänden herausgegebenen „Klassiker der Kunstgeschichte“ nahm dann Eberhard Wehrle (Köln) unter Bezug auf die Kapitalsorten Bourdieus vor. Von den untersuchten Männern stammte allein Johann Joachim Winckelmann aus einem einfachen Haushalt, die überwiegende Mehrheit hingegen aus sozial hochgestellten Familien. Dieser Umstand bestimme die Karrierewege in der Kunstgeschichte, jedoch sei der Aussagegehalt des Vortrags durch die kleine Stichprobe begrenzt und die Auswirkungen auf das Fach weiter zu untersuchen. Jakob Weißbarth (Berlin) betrachtete anschließend in seinem Beitrag die Entwicklung des Pariser Salons im 19. Jahrhundert in Hinblick auf dessen Bedeutung für Künstler:innenkarrieren und die Zugänglichkeit für das Publikum.

Das dritte Panel widmete sich dem „Klassenkampf im Kollektiv“. Sophie Eisenried (München) stellte die Liedermacherin und Aktivistin Fasia Jansen vor, die sowohl als uneheliches Kind als auch als schwarze Deutsche Diskriminierung erfuhr und deren aktivistische und künstlerische Positionen sich nur schwer in die Strukturen der institutionalisierten Kunstgeschichte integrieren ließen. Zum einen arbeitete Eisenried dabei an ihrem gewählten Beispiel unterschiedliche Diskriminierungsmechanismen heraus, zum anderen reflektierte sie die systematischen Fragen der Zuschreibung von Legitimität, die sich bei der Arbeit mit dem Nachlass Fasia Jansens und dessen Nutzung im Kontext von Ausstellungen stellen. Anschließend widmete sich Hanna Sauer (Düsseldorf) der Geschichte der Assoziation revolutionärer bildender Künstler (ASSO), die insbesondere in Westdeutschland weitgehend ignoriert worden ist. Interessant waren dabei die Hinweise auf Praxen, die auf das Proletariat ausgerichtet waren: So gab es neben gewissen stilistischen Anpassungen vor allem Versuche, ein Arbeiterpublikum mit Ausstellungen und Reproduktionen in Publikationen wie etwa der Arbeiter Illustrierten Zeitung zu erreichen, zugleich aber auch mit günstig angebotenen Lithographien Arbeiter:innen den Kauf von Kunst zu ermöglichen. Bei der Gestaltung von Transparenten arbeiteten zudem die Künstler:innen auch direkt mit Arbeiter:innen zusammen. Es wurde anhand Sauers Beitrag offensichtlich, dass diese nicht auf ein klassisches Kunstpublikum ausgerichteten Praxen im Fach Kunstgeschichte immer noch ein Schattendasein fristen.

Im vierten Panel „Strukturen überdenken: Institution(en) auf dem Prüfstand“ widmete sich Daniel Bucher (München) der Rolle der studentischen Vertretung im Kampf gegen Klassismus in der Kunstgeschichte. Dabei konstatierte er, dass Klassismus und Diskriminierung den Strukturen der studentischen Vertretung inhärent seien, um dann drei Prinzipien der Arbeit in diesen Strukturen herauszuarbeiten: So kristallisiere sich in der studentischen Vertretung erstens das Wissen heraus, wie auf den Hochschulbetrieb Einfluss genommen werden kann, zweitens würden sich dort Netzwerke herausbilden, die für Veränderungen aktiviert werden können. Und drittens würde die studentische Vertretung Mitsprache bei hochschulpolitischen Fragen haben, auch wenn es für erfolgreiche Einflussnahme zahlreiche Hürden gäbe. Damit bleibt das Engagement der Studierendenvertreter vom Wohlwollen der Lehrstuhlinhaber:innen und Hochschulverwaltungen abhängig. Alessa K. Paluchs (Greifswald) Beitrag zeigte, dass es in der Kunstgeschichte einen schmerzhaften Mangel an fachdidaktischer Reflexion gibt. Das Studium von (kanonisierten) Originalen gehört in Form von Exkursionen meist zum festen Bestandteil kunsthistorischer Studiengänge, jedoch wird deren Ausgestaltung und Nutzen kaum reflektiert. Mit einer (nicht-repräsentativen) Befragung durch die Vortragende wurden überhaupt erst einmal Daten über Exkursionen erhoben, die aber statt erschöpfender Antworten eher den Bedarf weiterer Erhebungen und Überlegungen zur Rolle des Originals in der Lehre angezeigt hat.

Insgesamt hat die Summerschool „Kunstgeschichte x Klassismus“ den großen Diskussionsbedarf bezüglich klassistischer Strukturen in der Kunstgeschichte aufgezeigt, der sich an Fragen der Fachdidaktik, der Geschichte der Kunstgeschichte und ihrer Vertreter (und seltener Vertreterinnen) sowie des Kanons entzündete. Dabei profitierte die Veranstaltung gerade auch von der großen Offenheit der Teilnehmer:innen, eigene Erfahrungen zu teilen. Ein derart offener Austausch wie in Köln würde dem Fach insgesamt guttun. Wie der Impuls, der von der Summerschool ausging, in die Zukunft getragen werden soll, musste am Ende der Veranstaltung jedoch noch offenbleiben. Es bleibt zu hoffen, dass der angestoßene Dialog über dieses Problemfeld fortgeführt wird.

[1] Stiftung für Kulturelle Weiterbildung und Kulturberatung (Hrsg.), Kunst kommt von Können. Klassismus im Kulturbetrieb, Berlin 2022.
[2] Arbeitskreis Erste Generation Kunstgeschichte, Universität Köln, URL: https://www.instagram.com/akerstegeneration/?igshid=YmMyMTA2M2Y%3D.

Empfohlene Zitation:
Julius Redzinski: [Tagungsbericht zu:] Kunstgeschichte x Klassismus (Kunsthistorisches Institut, Universität zu Köln, 25.–28.09.2023). In: ArtHist.net, 07.12.2023. Letzter Zugriff 27.04.2024. <https://arthist.net/reviews/40453>.

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