REV-CONF Jul 21, 2002

Museum als Medium – Medien im Museum

Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart, Jun 5–06, 2002

Report by Christel Dauster
Claudia Waibel

Museum als Medium – Medien im Museum. Perspektiven der Museologie

Die Tagung stand unter der Leitung von Hubert Locher und Beat Wyss. Eröffnet wurde sie durch die Vorträge von zwei 'Urgesteinen' der Wissenschaft und Praxis des Museums: Walter Grasskamp, Akademie der Bildenden Künste München, und Jean-Christophe Ammann, langjähriger Leiter des Museums für Moderne Kunst in Frankfurt.

Walter Grasskamp stellte fest, dass es bisher keine umfassendere Literatur-, Film-, Malerei-, Karikatur- sowie Komikgeschichte, kurz: keine Mediengeschichte des Museums gebe. Er arbeitete unter der Überschrift 'Das Museum im Medium der Fotografie' an den Museums-Fotografien von Thomas Struth von 1993 zwei Merkmale heraus: Die stellvertretende Rückenfigur als Symbol der distanzierten, quasi-sakralen Kunstrezeption zeigt den Betrachter im „Zeitspalt“ der musealen und fotografischen Zeitverschiebung: die Dimension Zeit wird aufgebrochen, bleibt aber in der Abgrenzung von Museumsraum, Bildraum und Betrachterraum unüberwindbar. Grasskamps „1. Museumsphysikalisches Gesetz: Masse widerspricht Reflexion“ war ein Plädoyer gegen das aufgeregte Event-Museum, gegen zuviel Bewegung und Lärm in den stillen Hallen der Betrachtung.

Jean-Christophe Ammanns eigenwillig vorgetragener Standpunkt zielte in eine ähnliche Richtung. Die sich selbst inszenierenden Museumsarchitekturen der letzten Jahre stehen dem täglichen Arbeiten mit Werken und Ausstellungen im Wege. Ammann forderte als universell gültigen Ausstellungsraum für Kunst einen an den Proportionen des 19. Jahrhunderts geschulten, neutralen aber nicht anonymen - ja ,radikal-intimen' - Raum, der über Kanten definiert sei, die Äquivalenz von Licht und Raum ermögliche und eine heimwerkerfreundliche Ausstattung besitze. Der Ausstellungsraum ist nach Ammann ein weißer Resonanzraum für die Werke in einer ihnen dienenden Umgebung.

Im zweiten Panel 'Medien im Museum' wurde deutlich, dass die „Medialität“ des Museums nicht zuletzt auch eine Frage der Kommunikation ist. Andreas Bienert, IT-Referat der Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz Berlin, und der freischaffende Architekt und Künstler Tim Edler (realities:united), Berlin, wiesen in sehr unterschiedlichen Kontexten darauf hin, dass hier die Kreativität und vor allem die Interaktivität verlorengegangen sei. Das Museum für Post und Kommunikation in Berlin, das Joachim Kallinich vorstellte, scheint darin weit voraus zu sein.

Bienert stellte die spannende Frage, warum die Homepages von Museen so uniform gestaltet seien. Mit der Konsumentenhaltung, die das Museum zu einem idealen Testfeld neuer Verwertungswirklichkeiten machten, würden passive Empfänger unter Verlust der demokratischen Inhalte dem durchgreifenden Design des Netzes untergeordnet. Dennoch versprächen sich die Museen einen Imagetransfer durch modernste Technik. Die neuen medialen Systeme sollten sich dagegen auf die Fähigkeiten konzentrieren, die durch tradierte Methoden nicht geleistet werden könne: die maximale, aktuellste Erschließungsdichte sowie Verbundkatalogisierung und interinstitutionelle Vernetzungen um Interaktivität zu erlangen. Das digitale Äquivalent des Museums müsse ermöglichen, Dinge zu finden, die man gar nicht kennt. Dazu müssten interaktive Systeme zur Nutzung entstehen, bei der es nicht bloß Empfänger, sondern auch Sender gibt.

Kallinich führte die Medienkonzeption seines Museums für Post und Kommunikation in Berlin unter dem Motto „Komm rein, spiel mit!“ vor. Dort soll nicht allein die Geschichte der Kommunikation thematisiert, sondern vielmehr selbst ein Ort der Kommunikation geschaffen werden. Kallinich hat seine Ausstellung nicht chronologisch organisiert, da seiner Meinung nach der Umgang mit Geschichte sich durch die neuen Medien verändert hat. Vielmehr gibt es zu verschiedenen Themen vielfältige erlebbare Angebote an den Besucher, „kinderleicht und greiseneinfach“ mit den Exponaten und untereinander zu kommunizieren. - Ein Modell auch für das Kunstmuseum?

Tim Edler forderte, neue Medien im Museum nicht nur als Erfüllungsgehilfe zu sehen, sondern ihre eigenen, kreativen Möglichkeiten zu nutzen. Anhand der von „realities:united“ zur Zeit laufenden Planungen für die Medienkonzeption des neugebauten Kunsthaus Graz, erläuterte er drei Ideen. Ein „hybrid-Katalog“ soll dem Dilemma der Informationen zu den Exponaten abhelfen: „barcode“-Reader könnten die über Verteiler an der architektonischen Haut des Museums weitergebenen Informationen (die auch anders einsetzbar sind) an flexiblen Stationen in der Ausstellung abrufen. Die dritte Idee richtet sich mit low-tec gegen technisch schnell veraltende, kostspielige Großbildwände: Mit Tausenden kreisrunder Küchenneonleuchten zauberte Edler an die Außenhaut des wie eine Luftblase gebauten Kunsthauses eine Medienfassade, die besonders bei Nacht enorme Fernwirkung entfalten würde.

Der Abendvortrag von Boris Groys, Karlsruhe, untersuchte das mit Videofilmen bestückte Museum, das spezifische Wahrnehmungsmuster seiner Besucher forciere. Daraus, dass sowohl das Objekt, als auch der Betrachter mobil seien, ergäbe sich eine Heterochronie - eine Desynchronisierung der dem Kunstwerk immanenten Zeit und der Lebenszeit des Betrachters. Dieses Zeitphänomen werde strategisch eingesetzt, um dem Betrachter ein abschließendes Urteil über das Exponat unmöglich zu machen. Entsprechend dem gegenwärtigen künstlerischen Trend zur 'Unbildhaftigkeit' manifestiere sich der 'Verlust des Bildes' in der Unabbildbarkeit der Medienkunst. Indem der Film aus sich heraus leuchte, werde zudem der Besuchers entmündigt und einer fremden Lichtgestalt unterworfen. Dies sei das Ende des aufgeklärten Subjekts.

Am zweiten Tag im Panel 3 wurde das Thema „Museum als Medium“ zunächst antithetisch aufgegriffen. Ein Museum kann für Michael Fehr vom Karl-Ernst-Osthaus-Museum in Hagen kein Medium für Massen sein, weil es ein anderen unähnlicher Ort des Bewahrens, Entdeckens und Wahrnehmens von Gegenständen ist, der sich nicht an Besucherzahlen, sondern an der Qualität der Exponate und Präsentation misst. Und dann entwarf Fehr eine poetische Museumsutopie, die im Gegensatz zu Ammanns uniformen Idealraum in einer Vielzahl von Architekturen und Präsentationen besteht. 7 ineinandergeschachtelte Gebäude stehen am Rande der Stadt. Hinter 7 verschiedenen Eingängen und Fassaden (vom Gewächshaus über die Fabrikhalle bis zum Tempel) verbergen sich 7 vollkommen verschiedene Arten von Museum, die verschiedene Funktionen, verschiedene Bedürfnisse, Gewohnheiten und ästhetische Ansprüche der Besucher erfüllen und die je eigene Präsentationsprinzipien verfolgten.

Peter Schneemann, Universität Bern, versuchte „Textlastigkeit“ als Vernichtungsurteil über eine Ausstellung zu revidieren und eine Diskussion um die ideologische Ausgrenzung der Sprache in der Kunstausstellung anzustoßen. Er untersuchte 4 Funktionen von Text im Museum. Die Lesbarkeit von Bildern und Ausstellungen müsse nicht gegen das Erlebnis ausgespielt werden. Texte können als Anweisung das Verständnis von Bildern erhellen. Die Kontextualisierung dient zur Erläuterung des soziologischen oder ökonomischen Umfelds eines Kunstwerks. Als seine eigene Geschichte reflektierendes wird das Museum selbst zum Text. In der Praxis bestimmen jedoch gesprochene Texte in Form von Audiogeräten die Betrachtungsweise von Besuchern.

Die Sehgewohnheiten von Museumsbesuchern haben sich, so Bärbel Küster, Universität Stuttgart, infolge der digitalen Sehgewohnheiten geändert. Nicht die Impressionisten sind diejenigen, die die einreihige Hängung durchsetzten, sondern die marktbeherrschenden konservativen Galeristen im Paris des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Hängt die „Ware Kunst“ im einreihigen Display als Perlenkette an der Wand, verleiht das Museum den Kunstwerken den Charakter von Luxusartikeln. Diese Ästhetik der Hängung gilt es zu überdenken. Werden Bilder, dicht gehängt, neben- und übereinander präsentiert, muss sich der Betrachter selbst ein Werk aussuchen, was den Auswahlkompetenzen heutiger Betrachter entgegenkommt und neue Sichtweisen eröffnen kann.

Angela Zieger, Universität Stuttgart, skizzierte die Geschichte der Museologie als umstrittene Wissenschaft, die keineswegs nur an der Praxis orientiert ist. Obwohl bis heute nicht eindeutig definiert, hat die Museologie eine lange Entstehungsgeschichte, die mit der Reflexion des Museums als Ort des Ordnens, Sammelns und Bewahrens im Kontext von (fürstlichen) Sammlungen und öffentlichen Museen beginnt. Während der vorwissenschaftlichen Phase (ca.1900-1935) erfolgte eine Professionalisierung der Museumsarbeit und die Gründung von Verbänden. Die empirisch-deskriptive Phase (1935-1976) verhalf zur Anerkennung als wissenschaftliche Disziplin (erster Lehrstuhl 1958, erstes theoretisches Konzept 1960). Seit 1976 versteht man unter Museologie die Wissenschaft der visuell vergegenständlichten Dinge.

In der abschließenden Podiumsdiskussion versuchte Hubert Locher, Staatliche Akademie der bildenden Künste von fünf Vertretern aus Politik, Wissenschaft und Praxis zu erfahren, welche Schwerpunkte die Ausbildung von Wissenschaftlern für das Museum setzen sollte. Annette Schwandner, Referat Museen Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg sieht Museen von den Anforderungen der Freizeitgesellschaft und den Zielen der Politik bestimmt. Der Erfolg eines Museums bemesse sich an Besucherzahlen. Neben fachspezifischem Wissen sollte ein Museumsleiter ökonomische Fähigkeiten mitbringen. Christoph Vitali, Haus der Kunst München, sieht sich sowohl als Manager (geschätzte Tätigkeit ca. 30 %) wie als Kurator (etwa 70 %). Als spezielle Voraussetzungen nennt er Einsatzbereitschaft und Aufgeschlossenheit für offene Fragen und Aufgaben. Wilhelm Kiel, Kommunalpolitiker aus Fellbach, wies auf die Bedeutung der Kulturpolitik in den Kommunen hin. Die Organisation obliegt in den Kommunen zumeist den Kulturämtern, in denen starke Persönlichkeiten gefragt sind. Nach Meinung von Ursula Zeller, Institut für Auslandsbeziehungen, Stuttgart, Referat Kunst, sollte der Leiter eines Museums neben breitem fachspezifischen Wissen und der Fähigkeit zu wissenschaftlichem Arbeiten über kulturelle Kompetenz und Erfahrung im Management verfügen. Starke Lücken sieht sie bei der Ausbildung in der praktischen Übung. Im Widerspruch zwischen Bildung und Ausbildung sieht Beat Wyss eine universitäre Abschottung der Kunstgeschichte als Gefahr für den langfristigen Bestand des Faches, das sich einem Wandel unterziehen müsse. Die Universität Stuttgart und die Staatliche Akademie der Künste wollen sich mit der Einführung eines Masterstudiengangs Kunstwissenschaft/ Museologie diesem Strukturwandel stellen.

Die Stärke der Tagung in Stuttgart lag darin, die Medialität des Museums - und damit auch die Wandlungsfähigkeit, die offenen Enden und vor allem die unterschiedlichen Definitionen dieser altehrwürdigen Institution, mit denen Kulturpolitiker, Museumsleute, Künstler und Wissenschaftler argumentieren - auf vielen Ebenen vorgeführt zu haben. Es bleibt zu hoffen, dass die beiden in den Diskussionen sich formierenden Parteien: die Befürworter des auratischen, stillen Museums einerseits und des kreativen, kommunikativen, lebendigen Museums andererseits weiter in Dialog bleiben und dass dieser Dialog von der Museologie aufgegriffen wird.

Recommended Citation:
Christel Dauster, Claudia Waibel: [Conference Report of:] Museum als Medium – Medien im Museum (Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart, Jun 5–06, 2002). In: ArtHist.net, Jul 21, 2002 (accessed Mar 28, 2024), <https://arthist.net/reviews/402>.

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