Das Hamburger Forschungsprojekt „Vanitas in den Künsten der Gegenwart“ entfaltete während seiner Laufzeit von 2018 bis 2022 eine bemerkenswerte Produktivität: neben zahlreichen Aufsätzen aller Mitwirkenden versammelte ein Paragrana-Sonderheft 2018 Studien aus den Kunst-, Literatur-, Film- und Theaterwissenschaften, 2020 nahm der Tagungsband „Vanitas und Gesellschaft“ noch im weitesten Sinne kulturwissenschaftliche Untersuchungen auf. Mit der Verbindung von Vanitas und Wiederholung scheint das Thema der das Projekt abschließenden Publikation von 2022 also konsequent gewählt.
Victoria von Flemmings theorieschwere Einleitung macht allerdings deutlich, „dass mit Wiederholung stets Differenz einhergeht und dass diese keineswegs das Gegenteil, sondern geradewegs die Bedingung des Neuen ist“ (5). Ganz in diesem Sinne bietet der vorliegende dritte Sammelband mit dem Rückgriff auf einen althergebrachten Topos innovative Forschungsergebnisse zu aktuellen künstlerischen Phänomenen. Dabei liegt der Gewinn des Bandes in der facettenreichen Wechselbeziehung von Vanitas und Wiederholung begründet. Denn nicht nur den aktuellen Wiederholungen von Vanitasmotiven wird hier nachgegangen, sondern auch der Bedeutung von Wiederholungsmustern in der Vanitas – und im Umkehrschluss den Momenten von Erschöpfung und Überdruss, die die Wiederholung der Vanitas gleichsetzen.
Zwölf Aufsätze in den drei Sektionen „Vanitas als Wiederholung“, „Wiederholung und Identität“ und „Wiederholung als Heterochronie und Anachronismus“ betonen einen oder mehrere dieser Aspekte von Vanitas und Wiederholung, wobei Anspruch, Zugang und Qualität der Texte stark divergieren. Aus der Vielfalt der Beiträge seien hier nur einige wenige vorgestellt.
Als eine Art zweite Einleitung fungiert der philosophiehistorische Aufsatz von Emil Angehrn, der auf den dialektischen Charakter von Vanitas abhebt: Aus den berühmten Trauerreden Jacques Bossuets (1627–1704) erschließt er den Sinn der Vanitas als Erschütterung des Selbstbewusstseins in Vorbereitung für das göttliche Jenseits, einem „dialektische[n] Umschlag zwischen Größe und Elend, zwischen Nichtigkeit und höchstem Glanz“ (34). Auch eine säkulare und dadurch „radikalisierte“ (36) Form der Vanitas kann Angehrn vor der Trübsal retten, indem er betont, dass auch ohne religiöses Heilsversprechen den Erfahrungen der Sterblichkeit, der Leere und des Scheiterns ein „unstillbares Verlangen nach Unversehrbarkeit und Ganzheit, nach Sinn und Erfüllung“ (42) gegenübersteht. Die Dialektik der säkularen Vanitas bestehe im Aushalten eben dieser Spannungen und Widersprüche im menschlichen Dasein.
Ähnlich grundlegend argumentiert der Psychoanalytiker Joachim Küchenhoff mit seiner Unterscheidung zwischen variierenden, repetitiven und automatischen Wiederholungsmustern. Die variierende Wiederholung sei im therapeutischen Kontext als ein Appell zur Transformation, beispielsweise zur Auflösung von Neurosen, zu verstehen. Bei repetitiven Wiederholungen, die Küchenhoff auf Traumata zurückführt, sei dieses transformative Potential hingegen schon schwieriger zu realisieren. Und die automatische Wiederholung, als restlose, zwanghafte Triebbefriedigung, münde nicht in die heilende Auflösung, sondern in die „emotionale Leere und gedankliche Sinnlosigkeit, die doch die Vanitas ausmacht“ (148). Eine solche vanitatische Wiederholung als triste Triebfolge scheint Küchenhoff eine treffende Diagnose unserer Gegenwart zu sein.
Mit spezifisch ästhetischen Wiederholungsstrategien beschäftigt sich Johanna Zorn. Arbeiten wie Gregor Schneiders repetitive Rauminstallation „Neuerburgstraße 21“ (2014) oder Ragnar Kjartanssons Langzeitprojekt „Me and my Mother“ (seit 2000) inszenierten vermeintlich ewige Wiederholungen, die sie jedoch – anders als tatsächliche Loops – auf außerästhetische, physische Grenzen stoßen ließen. Dadurch werden die Werke nicht abgeschlossen, sondern schlicht abgebrochen.
Neben diesen Momenten der Vanitas in Wiederholungsphänomenen bildet die gegenwärtige Wiederholung von Vanitasmotiven einen zweiten Schwerpunkt mit zahlreichen Fallstudien. Mieke Bal weist in ihrem Beitrag zum Motiv des Totenschädels auf einen zentralen Punkt in der Wiederholung der Vanitas hin, nämlich dass die konventionalisierte Darstellung der Vergänglichkeit grundsätzliche Fragen nach der „Ontologie des Menschen“ und dem „Sinn des Lebens“ zu visuellen Klischees abschleife (208). Bal bezieht sich in ihrer Kritik jedoch ausschließlich auf barocke Stillleben; deren Uniformität stellt sie die Varianz und Bedeutungstiefe heutiger Vanitasdarstellungen gegenüber. Darauf ließe sich entgegnen, dass auch die visuelle Kultur unserer Gegenwart von Schädeln und anderen konventionalisierten Requisiten der Vanitas überflutet ist.[1] Und umgekehrt ist hier ein Blick auf das 17. Jahrhundert zu beanstanden, der nur bereits bekannte Symbole wahrnimmt. Dabei fällt es schwer, die verwesenden Köpfe eines Jacopo Ligozzi oder die anatomische Neugier eines Antonio de Pereda – um beim Beispiel der Schädel zu bleiben – auf die Verbildlichung christlicher Lehren zu reduzieren. Doch in „Vanitas als Wiederholung“ wird das 17. Jahrhundert oftmals als uniformer Hintergrund behandelt, vor dem sich die individualistischen Positionen der Gegenwartskunst abzeichnen.
In der Forschung zu barocken Stilleben wird der ikonografische Deutungsreflex jedoch zunehmend unterdrückt. So erforscht Karin Leonhard die Zusammenhänge von Zerfallsprozessen in Stilleben und frühneuzeitlicher Naturphilosophie und Harry Berger Jr. hat gezeigt, dass die programmatische Absage an das Konzept der Vanitas eine Leerstelle erzeugt, die ein ganzes, höchst originelles Buch füllen kann.[2] Das Problem scheint nicht die Eintönigkeit der Darstellung von Schädeln zu sein, sondern eine Kunstgeschichte auf der Suche nach leicht entschlüsselbaren Symbolen, sowie eine Kunstkritik, die diese Symbole zur Verklärung selbst der marktkonformsten zeitgenössischen Arbeiten als kunsthistorisch informierte Todesmeditationen nutzt.
Der Sammelband zeigt jedoch auch andere Wege auf. So weist Mayumi Kagawa in ihrem Aufsatz zu den Collagen Nobuyuki Ōuras auf die Bedeutung der Anatomie für die Vanitas in der frühen Neuzeit hin. Vor allem öffnet sie aber die Diskussion für transkulturelle Auseinandersetzungen mit der Vanitas als spezifisch europäischer Form der Vergänglichkeitsbewältigung. Die Schädel auf den Collagen des in Toyama geborenen und in New York lebenden Künstlers versteht sie als dekoloniale Aneignung der europäischen Vanitastradition.
Einen weiteren Schritt in diese Richtung geht Madoka Yuki mit einem Aufsatz zum Motiv der Kirschblüte. Beginnend bei der Unterscheidung japanischer Vergänglichkeitskonzepte verfolgt sie die Wechselwirkung zwischen der eigenen und der westlichen Konstruktion japanischer Nationalidentität entlang der symbolischen Überformung von Kirschblüten. Deren Genese zum Nationalsymbol wirkt zurück in die Evolution: anschaulich schildert Yuki die nationalistische Inszenierung von Vergänglichkeit durch die Züchtung einer besonders kurz und immer zeitgleich blühenden Kirschbaumart.
Während Madoka Yuki mit der Rolle der Kirschblüten im kulturellen Umgang mit der Nuklearkatastrophe von Fukushima schließt, rückt Antje Schmidt menschliche Umweltzerstörung ins Zentrum der Aufmerksamkeit. In den lyrischen Werken Friederike Mayröckers und Marion Poschmanns findet sie deutliche Referenzen des Arkadischen und des Bukolischen und erläutert deren differierende Aktualisierung für das Anthropozän. Hier wird die Vergänglichkeit des Menschen zu einem melancholischen und doch tröstlichen Ausblick auf eine posthumanistische Welt. Wurde die Konjunktur von Vergänglichkeitsthemen in den zeitgenössischen Künsten in den vorhergehenden Beiträgen kursorisch durch spätkapitalistische Erschöpfungszustände erklärt, ist bei Schmidt erstmals der ökologische Notstand präsent, der künstlerische Aneignungen der Vanitasmotivik mit immer neuen Referenzpunkten versorgt. Wie schon Yuki hält Schmidt die Verbindung zwischen der Vanitas und ihren spezifischen Referenzpunkten aufrecht, wenn sie die Wiese als lyrisches Motiv mit dem ökologischen Zustand tatsächlicher Wiesen abgleicht. Beide Beiträge wirken so einer gewissen Selbstreferenzialität entgegen, die manche der Aufsätze prägt – durch die epochenübergreifende Wiederkehr bekannter Symbole, den Fokus auf postmoderne Philosophie und bisweilen auch durch eine angesichts des Themas augenfällige Praxis der Selbstzitation.
Insgesamt bleiben die Ansätze also durchaus heterogen und beinhalten neben philosophischen Grundlagen, motivhistorischen Einordnungen und Interpretationen zeitgenössischer Vanitasdarstellungen auch Ausblicke auf die ökologischen Dimensionen der Vergänglichkeit und auf außereuropäische Ansätze im Umgang mit ihr. Damit bietet „Vanitas als Wiederholung“ ein breites Spektrum an Theoremen für das Verständnis der zeitgenössischen Künste und dem in ihnen buchstäblich virulenten Themenkomplex des Verfalls.
[1] Davon ist die ‚Hochkunst‘ nicht nur nicht ausgenommen, sondern sie profitiert immens von der Ästhetisierung des Todes in Mode und Gebrauchsgrafik. Dem extremen Fall der YBAs hat Julian Stallabrass beispielsweise die profitable Verquickung von Hochglanzästhetik und Stammtischexistenzialismus nachgewiesen. Dabei erschien sein Buch noch vor Damien Hirsts „For the Love of God“. Vgl. Julian Stallabrass, High Art Lite. The Rise and Fall of Young British Art, London/New York: Verso 2006, insb. S. 18-32 zu Hirst.
[2] Karin Leonhard, Bildfelder. Stilleben und Naturstücke des 17. Jahrhunderts, Berlin: Akademie Verlag, 2013; Harry Berger Jr., Caterpillage. Reflections on Seventeenth-Century Dutch Still Life Painting, New York: Fordham University Press, 2011.
von Flemming, Victoria; Berger, Julia Catherine (Hrsg.): Vanitas als Wiederholung, https://doi.org/10.1515/9783110761047 Berlin/Boston: De Gruyter 2022
ISBN-13: 978-3-11-076101-6, 292, 69,95 EUR
Empfohlene Zitation:
Yorick Josua Berta: [Rezension zu:] von Flemming, Victoria; Berger, Julia Catherine (Hrsg.): Vanitas als Wiederholung, https://doi.org/10.1515/9783110761047 Berlin/Boston 2022. In: ArtHist.net, 31.07.2023. Letzter Zugriff 22.11.2024. <https://arthist.net/reviews/39858>.
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