REV-EX 10.06.2023

Sofonisba Anguissola. Portrettist van de renaissance

Rijksmuseum Twenthe, Enschede, 12.02.–11.06.2023

Rezensiert von Sabine Engel, Gemäldegalerie, Berlin
Redaktion: Livia Cárdenas
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Frauenausstellungen haben zurzeit Konjunktur. Hierzu gehört die kleine, aber sehr feine Schau „Sofonisba Anguissola. Portrettist van de renaissance“ im Rijksmuseum Twenthe, eine Übernahme aus der Nivaagaard Collection, Dänemark. Die in Cremona geborene Sofonisba Anguissola (c. 1532-1625) wurde bereits als junge Frau vom „göttlichen“ Michelangelo (1475-1564) für zwei ihm zugesandte Zeichnungen gelobt. Die eine zeigte ein lachendes Mädchen, die andere, anscheinend die größere Herausforderung, einen von einem Krebs gebissenen, weinenden Jungen (c. 1554; Museo Capodimonte). Noch Anthonis van Dyck (1599-1641) besuchte 1624 die über Neunzigjährige in Palermo, die bis zum fast vollständigen Verlust ihrer Sehkraft nicht aufgehört hatte zu malen, und porträtierte sie. Filippo Baldinucci (1625-1696) zufolge äußerte van Dyck häufig, dass er mehr über Malerei aus der Unterhaltung mit einer Blinden gelernt habe, als von den Werken der berühmtesten Künstler.[1]

Sofonisba zeichnet als absolut singuläres Phänomen in der Kunstgeschichte. Aus einer Adelsfamilie stammend, Älteste von sechs Schwestern und einem Bruder, beschließt der Vater Amilcare, sie und die ihr nachfolgende Elena (c. 1533-1584) zur Malausbildung zu Bernardino Campi (c. 1522-1591), später zu Bernardino Gatti (1495/96-1576) zu schicken. Diese bahnbrechende Entscheidung lässt sich durch das humanistisch gebildete Umfeld Amilcares und den gewandelten Blick auf die Frau in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts erklären, als die potentielle Gleichheit der Geschlechter neu verhandelt wurde. So forderte etwa Castiglione im „Cortegiano“ (1528), dass die perfekte Hofdame auch Fähigkeiten in der Malerei besitzen solle. An der Spitze der humanistischen Bewegung Cremonas stand ein Vertrauter Amilcares, der spätere Bischof von Alba, Marco Girolamo Vida (1490–1566), der bereits 1550 Sofonisba „inter egregios pictores nostri temporis“ aufführte. Sofonisba, die später selbst - mit Erfolg, wie die Ausstellung zeigt - ihre anderen Schwestern im Malen unterrichtete, konzentrierte sich auf das Porträtfach. Nur selten fertigte sie kleinformatige religiöse Bilder, allesamt mehr oder weniger getreue Kopien nach bereits bestehenden Werken. Ein großes Altarbild ist zudem aus ihrer ersten sizilianischen Zeit bekannt, die „Madonna dell’Itria“ (1577-79; Paternò, Catania).

Die Ausstellung in Enschede zeigt beinahe durchgehend Gemälde auf dem höchsten malerischen Niveau. Sie eröffnet mit einem der bemerkenswertesten Werke der Anguissola, dem „Schachspiel“ (1555; Poznań). Einzigartig ist, dass nur Mädchen, reich gekleidet, und eine alte Magd auf dem Gemälde zu sehen sind, kein Mann wie auf früheren Darstellungen des Themas. Die Schwestern Lucia (c. 1536-1565/68) und Minerva (c. 1539-1566) sind die Gegnerinnen der Partie, beobachtet von der kleinen Europa (c. 1548-1578), deren lachendes Gesicht an das Blatt denken lässt, das Michelangelo etwa zeitgleich zugesandt wurde. Sofonisba selbst ist durch die lange Inschrift am Rand des Schachbretts anwesend, in der sie sich selbst als „virgo“ und zusätzlich als „Amilcaris filia“ nennt, sie habe ihre drei Schwestern und die Bedienstete „ex vera efigie“ gemalt. Die ganze Komposition wurde, wie Röntgenuntersuchungen deutlich machten, direkt auf der Leinwand entwickelt. Dieses Bild, auf dem je nach Alter unterschiedliche Grade emotionaler Beherrschtheit gezeigt werden, führt dem Betrachter die gelungene Erziehung (Cole 2019) [2], die Tugendhaftigkeit, der Anguissola-Schwestern vor Augen, desgleichen eine intellektuelle Betätigung von Mädchen, die hier als dem männlichen Geschlecht vollkommen ebenbürtig dargestellt sind.

Es ist erstaunlich, dass in der Forschung bislang kaum eine Verbindung zu Paris Bordons „Zwei Schachspieler“ (c. 1552; Berlin) gezogen wurde, dessen Vorbild deutlich besser greift als Giulio Campis „Schachspiel“ (c. 1532; Turin) mit Kurtisane und Narr oder Lucas van Leydens „Schachpartie“ (c. 1508; Berlin). Patricia Simons (1993) bemerkte zwar, dass als Neuerung beide Szenen vollkommen ins Freie verlegt wurden, übersah aber den Orientteppich, der jeweils unter den Schachbrettern hervortritt.[3] Außerdem ist Sofonisbas close-up noch weit stärker von Bordon bestimmt; hier liegt eine Weiterführung, zugleich ein Gegenentwurf zu seiner Bildlösung vor. Denn auch Bordon gab beiden Protagonisten nur ein einziges, allerdings männliches, Geschlecht; sein „Schachspiel“ lässt sich ebenfalls erzieherisch deuten: Ein Vater unterrichtet seinen erwachsenen Sohn über dessen zu erfüllende Rolle in der venezianischen Gesellschaft.[4] Paris Bordon hielt sich zwischen 1548 und 1552 mit Unterbrechungen in Mailand auf, wo er für wenigstens drei Auftraggeber arbeitete, darunter der Adlige Carlo da Rho. Dementsprechend könnte Sofonisba die „Schachspieler“ Bordons zumindest aus Beschreibungen gekannt haben.

Ihr zweites „Familienbildnis“ (c. 1558; Nivaagaard Collection), ein ganzfiguriges Porträt des Vaters Amilcare mit seinen Kindern Minerva und Asdrubale (c. 1551-1623), konventioneller aufgefasst als die „Schachspielerinnen“, aber ebenfalls ein Meisterwerk, blieb unvollendet. 1559, vor der Fertigstellung, wurde Sofonisba als Hofdame und Zeichen-, bzw. Mallehrerin von Isabel de Valois, dritte Gemahlin Philipps II., an den spanischen Hof berufen, wo sie 14 Jahre lang blieb. Beide Gemälde sah Vasari, als er 1566 das Haus der Anguissola in ihrer Abwesenheit besuchte. In der zweiten Ausgabe seiner „Viten“ (1568) ist er voll des Lobes und preist ihre Arbeiten in topischen Wendungen: Die jeweils dargestellten Personen seien ihm als „lebendig“ und „äußerst lebendig“ erschienen, als atmeten sie, lediglich die Sprache hätte ihnen gefehlt.[5]

An dieser Stelle vermisst man das Bild eines anderen Familienmitglieds, Sofonisbas „Porträt der Mutter, Bianca Ponzoni“ (1557; Berlin). Es ähnelt in der Wiedergabe von reichen Stoffen und Schmuck sowie deren exquisiter Ausführung den beiden anderen Gemälden. Am stärksten allerdings frappiert hier die ungemein starke Präsenz der Frau, die kaum je zuvor in der italienischen Malerei in diesem Maß erreicht wurde. Fast frontal zu den Betrachtenden ausgerichtet, blickt sie ihnen höchst selbstbewusst, energiegeladen und bestimmend in die Augen. Eine Automimesis, so kann mit guten Gründen angenommen werden. Denn ein zeitgleiches, vermutliches „Porträt der Mutter“ (1556; Galleria Borghese) von Lucia Anguissola weist eine charakterlich ganz anders geartete, viel bescheidenere und zurückhaltendere Frau auf. Ferner ist Sofonisba zu dem Zeitpunkt bereits weit mehr als nur eine lokale Größe. In Cremona ist sie eingebunden in ein Projekt zu einer „Galerie der Großen Männer“ des Kanonikers Pietro Antonio Lanzoni, il Tolentino, für den sie das „Bildnis des cremonesischen Dichters Giovanni Battista Caselli“ (1557-58; Prado) malt. Das detailreiche Gemälde mit Büchern, Armillarsphäre und einem integrierten Marienbild, auf das Caselli hinweist, ist in Enschede sinnreich dem „Bildnis eines alten Mannes“ (c. 1557-1558; Stamford) gegenüber gestellt. Die hier zu findende Reduzierung auf den Sitzenden, das aufgeschlagene Buch und den Hut dokumentiert Sofonisbas Bezug zur venezianischen Malerei und lässt damit die Spannbreite an Möglichkeiten aufscheinen, die der Anguissola zur Verfügung standen.

Willensstärke und eine selbstbewusste Persönlichkeit, wie sie auch im „Porträt ihrer Mutter“ zu finden sind, wurden Sofonisba aufgrund eines in Spanien aufgefundenen Briefwechsels attestiert.[6] Doch bereits ihre Selbstbildnisse aus der cremoneser Zeit künden von einem solchen Charakter. Auf ihnen präsentiert sie sich ganz im Sinne von Castigliones Hofdame, mit einem Buch (c. 1554; Wien), Spinett spielend wie auf dem höchst selten gezeigten Porträt aus Althorp House (vor 1559) oder aber vor der Staffelei sitzend (c. 1556-1557; Łańcut). Dabei blickt sie, sich selbst stilisierend in Braun und Schwarz über einer weißen Bluse gekleidet, die Betrachtenden immer aus großen Augen an, die ganz Seriosität, Intelligenz und Selbstbestimmtheit vermitteln. Es ist ein nur allzu deutlicher Gegenentwurf zu zeitgenössischen Darstellungskonventionen von Frauen und Mädchen in reicher Kleidung, die ihre Schönheit und gesellschaftlichen Staus zur Schau stellen. Sofonisbas Selbstporträts wurden an Adlige, Freunde oder Malerkollegen verschenkt; sie dienten der Vermarktung, die vorrangig durch ihren Vater betrieben wurde.[7]

Diese Strategie zahlte sich aus. 1559 wurde Sofonisba an den spanischen Hof berufen, eine Stellung, die für eine Adlige kaum zu übertreffen war, die jedoch gleichzeitig Restriktionen bedeutete. So scheint die Anguissola in Spanien zum einen weniger Zeit zum Malen gehabt zu haben, zum anderen musste sie ihre Malweise dem Hofstil anpassen. Sie, die vor ihrer spanischen Zeit und auch wieder danach beinah jedes Gemälde signierte, musste nun davon Abstand nehmen. Nichtsdestotrotz entwickelte sie sich künstlerisch weiter, wie die noch einfühlsameren Porträts mit noch feiner dargestellten Texturen, etwa Spitzenkragen oder Narzisse im Haar, auf den „Bildnissen der Infantinnen Isabella Clara Eugenia“ (c. 1573; Turin) und „Catharina Michaela mit ihrer Meerkatze“ (c. 1573; Privatsammlung), beide Töchter der früh verstorbenen Isabel de Valois, vor Augen führen.

Außerdem finden sich in Enschede Werke von Sofonisbas Schwestern. Von der ebenso begabten Lucia ist ein großartiges „Porträt der kleinen Europa“ (1556-1558; Brescia) zu sehen und von Europa wiederum, dies eine Neuzuschreibung in dem leider nur auf Niederländisch vorliegenden Katalog, ein „Porträt der Schwiegermutter“ (1571-1578; Nivaagaard Collection).[8] Die Kuratorin Nelleke de Vries hat eine äußerst gelungene Ausstellung inszeniert, bei der nur zu bedauern bleibt, dass nicht mehr Werke Sofonisbas und ihrer Schwestern zu sehen waren.

[1] Filippo Baldinucci, Notizie dei professori del disegno da Cimabue in qua…, 5 Bde., Florenz 1845-1847, Bd. 2, S. 634.
[2] Michael W. Cole, Sofonisba’s Lesson. A Renaissance Artist and Her Work, Princeton/Oxford 2019.
[3] Patricia Simons, (Check)Mating the Grand Masters. The Gendered, Sexualized Politics of Chess in Renaissance Italy, in: Oxford Art Journal, 16 (1993), 1, S. 59-74.
[4] Augusto Gentili, „De Costumi degl’huomini et degli offitii de nobili“. I giocatori di scacchi, la fonte, l’allegoria, in: Paris Bordon e il suo tempo. Atti del convegno internazionale di studi Treviso, 28-30 ottobre 1985, ed. Giorgio Fossaluzza und Eugenio Manzato, Treviso 1987, S. 125-132.
[5] Giorgio Vasari, Le vite de’ più eccellenti pittori, scultori ed architettori. Con nuove annotazioni e commenti di Gaetano Milanesi, Florenz 1881, 9 Bde., Florenz 1878-1882, Bd. 6, S. 498-499.
[6] Cecilia Gamberini, Sofonisba Anguissola, a Painter and a Lady-in-Waiting, in: Women Artists in the Early Modern Courts of Europe, c. 1450-1700, ed. Tanja L. Jones, Amsterdam 2021, S. 91-112.
[7] Maike Christadler, Kreativität und Geschlecht. Giorgio Vasaris „Vite“ und Sofonisba Anguissolas Selbstbilder, Berlin 2000.
[8] Michael Cole, Twee zussen, twee moeders, im Ausstellungskatalog, S. 63-65.

Vries, Nelleke de; Jonker, Menno (Hrsg.): Sofonisba Anguissola. Portrettist van de renaissance, Zwolle: Waanders Uitgevers 2023
ISBN 9789462624740, 96 S., 22,53, Inhaltsverzeichnis

Empfohlene Zitation:
Sabine Engel: [Rezension zu:] Sofonisba Anguissola. Portrettist van de renaissance (Rijksmuseum Twenthe, Enschede, 12.02.–11.06.2023). In: ArtHist.net, 10.06.2023. Letzter Zugriff 28.03.2024. <https://arthist.net/reviews/39513>.

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