REV 16.05.2023

Korte, Torsten: Tiepolo und das Kostüm

Rezensiert von Franziska Kleine, Freie Universität Berlin
Redaktion: Livia Cárdenas
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Dass Kleider in den Historiengemälden von Giambattista Tiepolo nicht nur schmückendes Beiwerk, sondern zentrale Narrationselemente sind, stellt Torsten Korte anschaulich in seiner nun als Buch erschienenen Dissertation unter Beweis. Die von Philipp Zitzlsperger betreute und an dessen Studien zur kostümkundlichen Kunstgeschichte anknüpfende Arbeit zeigt Potenziale der Kleider-Ikonologie am Werk eines Malers auf, der das Verweben von vestimentären Zeichen strategisch betrieben hat. Dabei unterscheidet Korte grob zwischen zwei Strategien Tiepolos: Orientalistischen Kostümentwürfen, die u.a. der Konstruktion von Zeitlosigkeit dienen, ist der erste Teil der Studie gewidmet; historistischen Kostümentwürfen, die v.a. der Konstruktion von Geschichte dienen, der zweite.

Als ‚Orientalen‘ analysiert Korte solche Figuren, die in den Bildern Tiepolos meist in der stereotypen Gestalt des alten Mannes mit Turban, gestreiftem Kaftan und langem Bart auftreten. Dieser reduktive Kostümcode ist in den Erdteil-Allegorien, die Tiepolos Treppenhaus-Fresko in der Würzburger Residenz säumen, ambivalent konnotiert. Zum einen soll die reiche Kleidung der ‚Orientalen‘ auf die Kultiviertheit der Bevölkerung Vorderasiens im Kontrast zu den Bevölkerungen Afrikas und Amerikas verweisen, die jeweils von spärlich bekleideten Figuren vertreten werden. Zum anderen fällt das statische, homogene Erscheinungsbild der ‚Orientalen‘ hinter dem der ‚Europäer‘ zurück, die teils nach historischer, teils nach zeitgenössischer Mode gekleidet sind. Der Kontrast zwischen gleichbleibenden ‚orientalischen‘ und sich wandelnden ‚europäischen‘ Kostümen untermauert die normative Abgrenzung des ‚fortschrittlichen‘ Europas gegenüber dem ‚archaischen‘ Rest der Welt.

Noch plakativer hat Tiepolo vestimentäre Motive zur dichotomen Konstruktion von europäisch-christlicher Überlegenheit und ‚orientalisch-heidnischer‘ Unterlegenheit in religiösen Historienbildern eingesetzt. Dass etwa vor dem hell ummantelten Hl. Jakobus in Tiepolos Budapester Gemälde ein dunkel gekleideter Maure auf die Knie und ein Turban zu Boden fällt, entspricht der europäischen Symbolik des besiegten Fremden. Wenn das ‚orientalische‘ Kostüm des Beherrschten zugleich kostbar erscheint, so nur, um den Glanz des Beherrschenden noch zu steigern. Negativfiguren in ‚orientalischer‘ Kleidung, wie der Henker der Hl. Agathe in Tiepolos Berliner Gemälde, laden die Darstellungen der Bibel- und Heiligengeschichten, wie Korte analysiert, im Kontext venezianisch-osmanischer Konflikte propagandistisch auf.

Dennoch setzt Tiepolo ‚orientalische‘ Kleidung in seinen Gemälden nicht schlichtweg zur Dämonisierung von Osmanen und Muslimen ein: v.a. in seinen Darstellungen des Gastmahls der Kleopatra schaffen ‚orientalische‘ Motive ein Bild von faszinierendem Luxus. Wo dieser allerdings an ‚orientalisch‘ gekleideten Dienern vorgeführt werde, welche die im Renaissance-Stil gekleidete Königin umschwärmen, erweist sich auch diese Konstruktion des Fremden als degradierend. Mögen die maskenhaften Gesichter der ‚orientalisch‘ Gekleideten als Projektionsflächen der Fantasie von Tiepolo und seinem Publikum geschätzt worden sein, wie Korte bemerkt – in jedem Fall bedienen auch sie das Klischee des undurchdringlichen, unbeweglichen, untergebenen ‚Orients‘.

Der zweite Analyseteil ist vestimentären Historismen im Werk Tiepolos gewidmet. Wie bereits Andrea Gottdang dargelegt hat, wird der Eindruck von Historizität in den Werken Tiepolos durch visuelle ‚Authentizitätssignale‘ hergestellt [1] – und zu diesen gehören vor allem Kleidermotive, wie Korte betont. Dass Tiepolo in seiner Malerei oft auf die Mode um 1600 rekurriert, sieht jener als Folge und Zeichen der Historisierung der Renaissance im 18. Jahrhundert. Zur Zeit Tiepolos wurde das 16. Jahrhundert erstmals als eigene historische Periode begriffen, was ermöglichte, sie zugleich als Höhepunkt der Geschichte und als Vergleichsmaßstab der Gegenwart Venedigs zu betrachten. Dementsprechend sind die Zitate der Mode jener Zeit in Tiepolos Bildern sowohl als Verweise auf eine historische Epoche als auch auf ein aktuelles Ideal zu verstehen.

Am Beispiel des weißen Kleides der Venezianerin, die in Tiepolos Fresko für die Villa Contarini König Heinrich III. auf seinem Venedig-Besuch im Jahr 1574 empfängt, legt Korte dar, wie genau der Maler schriftliche und bildliche Quellen zur Mode des 16. Jahrhunderts berücksichtigt hat. In seinen illusionistischen Fresken sucht Tiepolo nicht nur die historische Authentizität des Kostüms, sondern auch die lebensnahe Präsenz der Figuren zu evozieren: sie sollen sowohl als Akteure vergangener Ereignisse als auch als Dialogpartner gegenwärtiger Betrachter:innen in Erscheinung treten. Wie Korte wiederum an den Kleidern der Kleopatra-Figuren zeigt, verknüpft Tiepolo verschiedene modische Motive aus dem 16. und dem 18. Jahrhundert zu einem optisch überzeugenden Ganzen – einem Kleiderbild, das einer nie dagewesenen Realität abgeschaut zu sein scheint.

Warum aber rekurriert Tiepolo, nicht nur in Bildern des Kleopatra-Banketts, immer wieder auf die Renaissance-Mode, obwohl das dargestellte Ereignis sich nicht im Cinquecento und nicht in Venedig zugetragen hat? Korte zufolge sind Tiepolos ‚Renaissance‘-Kostüme nicht als Indikatoren einer bestimmten historischen Situation, sondern als Hinweise auf ‚Geschichtlichkeit‘ in einem abstrakten Sinne zu betrachten. Sie ordnen ihre Träger nicht in einer abgeschlossenen Vergangenheit ein, sondern heben sie als Figuren von anhaltender Wirkmacht daraus hervor. So wird z.B. im Fresko der Hochzeit Kaiser Barbarossas in der Würzburger Residenz die historische Distanz zwischen dem Würzburger Fürstbischof mit Zügen des Amtsinhabers zur Zeit Tiepolos und einem Brautpaar aus dem Mittelalter durch ihr ‚geschichtliches‘ Gewand überbrückt, das zwar der Mode um 1600 entlehnt ist, aber hier das Ideal einer glorreichen und bedeutsamen Geschichte anzeigt. Diese vestimentäre Brücke dient, wie Korte erläutert, vor allem dazu, den überzeitlichen Herrschaftsanspruch des Fürstbischofs zu visualisieren.

Tiepolos Experimentieren mit Elementen der Renaissance-Mode analysiert Korte als Teil eines breiteren gesellschaftlichen Interesses an Kostümierung, das sich auch in den Werken anderer Maler des 18. Jahrhunderts widerspiegelt. In vielen Werken Antoine Watteaus z.B. bilden Amalgame aus Zitaten historischer, theatraler und zeitgenössischer Kleiderstile eine Brücke, die – anders als bei Tiepolo – weniger in eine Idealgeschichte als in eine Gesellschaftsutopie führt. Dass Gemälde der Renaissance zur zentralen Ressource der Kostüm-Mode zur Zeit Tiepolos wurden, zeigen neben dessen Rekursen auf die Kleiderdarstellungen Paolo Veroneses z.B. Pompeo Batonis Porträts seiner Zeitgenoss:innen im ‚Van Dyck‘-Kostüm.

Dass die Vorstellungen, die sich in einem Bild von historischer Kleidung manifestieren, immer auch auf medialen Vermittlungen basieren, resümiert Korte im letzten Teil seiner Arbeit, in dem er methodologische Reflexionen anführt. Nicht nur für das Werk Tiepolos gilt deshalb, dass die Neu-Übersetzungen historischer Kleiderbilder unweigerlich einen ‚Abdruck‘ ihrer jeweiligen Gegenwart aufweisen. Dies verdeutlicht der Autor mit einem Vergleich der Verfilmungen von The Great Gatsby aus den Jahren 1974 und 2013. An den Unterschieden zwischen den jeweiligen Darstellungsweisen der Zwanzigerjahre-Mode macht Korte fest, wie Bilder des Historischen den Sehgewohnheiten der jeweiligen Gegenwart angepasst werden.

Tiepolo allerdings, so betont Korte endlich, war gar nicht daran interessiert, die Artifizialität seiner Kostümbilder vollends zu kaschieren und die Deckungsgleichheit seiner Historienbilder mit historischen Augenblicken zu behaupten. Seine Bilder vermitteln Betrachter:innen gerade nicht – wie manche Kunsttheoretiker seinerzeit forderten – den Eindruck, unbemerkt in eine andere Welt einzutauchen. Vor allem seine fantasievollen und anspielungsreichen Kleiderdarstellungen laden nicht zum Versinken in einer Realitätsillusion ein, sondern zu Sprüngen zwischen möglichen Sinnebenen.

Mit seinen aufschlussreichen kostümikonologischen Analysen hat Korte nicht nur die Komplexität der Motivgewebe innerhalb von Tiepolos Werk nachgewiesen. Darüber hinaus liefert er Ansätze, sie im Kontext der Bild- und Kostümkultur des 18. Jahrhunderts zu verorten. Auch weil Maskeraden gerade in Venedig nicht nur einen Malerei-Trend darstellten, sondern das Stadt-Image prägten, sind die Kostümbilder Tiepolos so interessant. Kortes Studie ist außerdem da besonders anregend, wo deutlich wird, dass geläufige Konzepte von ‚Orientalismus‘, ‚Historismus‘ oder ‚Realismus‘ angewandt auf die Bilder Tiepolos nicht richtig greifen – und darüber reflektiert wird. Dass Tiepolos hybride Kleiderentwürfe gerade daran hindern, die ‚Renaissance‘ oder den ‚Orient‘ als abgeschlossene Realitäten zu betrachten, gehört zu den wichtigen Einsichten des Buchs. Indem es nachzeichnet, wie Tiepolos historistische und orientalistische Kostümbilder Relationen zur eigenen Zeit und Kultur offen herstellen, zeigt es auch, wie Kleiderikonologie zur Erforschung historischer Geschichts- und Kulturvorstellungen sowie Kostüm- und Bildpraktiken fruchtbar gemacht werden kann.

[1] Vgl. Andrea Gottdang, Venedigs antike Helden, München/ Berlin 1999, S. 225.

Korte, Torsten: Tiepolo und das Kostüm. Konstruktion von Geschichte im Historienbild, Berlin: Gebr. Mann Verlag 2023
ISBN-13: 978-3-7861-2892-2, 332 S., 79,00 EUR, Inhaltsverzeichnis

Empfohlene Zitation:
Franziska Kleine: [Rezension zu:] Korte, Torsten: Tiepolo und das Kostüm. Konstruktion von Geschichte im Historienbild, Berlin 2023. In: ArtHist.net, 16.05.2023. Letzter Zugriff 19.03.2024. <https://arthist.net/reviews/39313>.

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