REV-CONF 27.03.2023

Georg Ludwig Friedrich Laves und Kollegen

Hannover, Museum August Kestner, 16.–18.03.2023

Bericht von Meinrad von Engelberg, Technische Universität Darmstadt
Redaktion: Livia Cárdenas

Die Tagung „Georg Ludwig Friedrich Laves und Kollegen - Architekten als Entwerfer von Interieur und Mobiliar (1770 bis 1860)“ eröffnete mit einem Vortrag unter dem Titel: „Ein Hofarchitekt entwirft Möbel“.[1] „Was denn sonst?“ stand als Gegenfrage am Schluss. In diesem Spannungsfeld zwischen scheinbaren Besonderheiten oder vergessenen Selbstverständlichkeiten bewegten sich alle Beiträge und Diskussionen der gemeinsamen Veranstaltung des Deutschen Forums für Kunstgeschichte Paris, des Vereins mobile – Gesellschaft der Freunde von Möbel- und Raumkunst e.V. und des gastgebenden Museums August Kestner in Hannover.

Anlass bot die aktuelle Sonderausstellung des Museums zu Leben und Werk des Hofarchitekten Georg Laves (1788-1864), mit deren gemeinsamer, geführter Besichtigung die Tagung begann. Der Baumeister hatte, ähnlich wie seine Zeitgenossen Georg Moller, Leo von Klenze, Christian Frederik Hansen, Friedrich Weinbrenner, Pietro Nobile, Johann Conrad Bromeis oder Karl Friedrich Schinkel, das Baugeschehen in einem der nachnapoleonischen Teilstaaten des Deutschen Bundes, dem neu ernannten und bis 1837 mit England unierten Königreich Hannover, nachhaltig geprägt. Dass er für die zahlreichen von ihm gestalteten Interieurs auch Möbel entworfen hatte, wurde hier, passend zum Sammlungsschwerpunkt des Kestner-Museums, erstmals umfassend und mit vielen Originalobjekten thematisiert.

Mit Hans Ottomeyer (ehem. DHM Berlin) hatte man dem Doyen der Erforschung höfischer Architektur des Klassizismus den Eröffnungsvortrag anvertraut, in dem wie erhofft eine weite Perspektive aufgemacht wurde. Die Helden seiner 1976 vorgelegten Dissertation, die Pariser Hofarchitekten Napoleons Charles Percier und Pierre-François-Léonard Fontaine, benannte er sicher zutreffend als Initiatoren einer für Jahrzehnte über alle politischen Grenzen hinweg vorherrschenden Ästhetik des Empire. Mit deren typischen Stilmerkmalen – zyklisch angelegten Ikonographien wie Jahres- und Tageszeiten, scheinbar dauerhaft-edlen Materialen, strenger Symmetrie und Durchkomposition von Raumgestaltungen, klaren Farbakzente mit Weiß und Gold als Höhepunkt – prägten sie eine ebenso antikisierende wie politisch unspezifische Mode, die es sogar ermöglichte, die Möbel des überwundenen Gegners nach erfolgreicher Restauration einfach weiterzuverwenden, weil die dabei angewandten Zeichensysteme griechischer Helme, Schwäne, Greifen, römischer Faszien und Säulenordnungen hinreichend ubiquitär waren. Neu war dagegen das Prinzip einer funktionalen Vereindeutigung von Schlossräumen, die nun dezidiert als Tanz-, Thron-, Musik- oder Bankettsäle gestaltet und ausgewiesen wurden.

Vor diesem Hintergrund wäre es nun spannend gewesen, die spezifische Position Laves’ in diesem Rahmen zu verorten. Hierfür war die Abfolge der Beiträge aber dann doch zu beliebig. Es fehlte der Versuch einer Klammer, einer durchgehenden, vergleichenden, verbindenden Fragestellung, es blieb beim bunten Panorama.

Der (dankenswerter Weise von Bernd Willscheid (Neuwied) verlesene) Vortrag des leider erkrankten besten Kenners der Laves-Möbel, Thomas Dann (Detmold), bestätigte, dass der in Kassel ab 1804 bei seinem Onkel Heinrich Christoph Jussow und dem Percier-Schüler Auguste Henri Grandjean de Montigny ausgebildete Hannoveraner später auch – wenig überraschend - englische Einflüsse aufnahm. Wie man diese Tendenzen nun aber klar unterscheiden und vom Werk anderer Zeitgenossen absetzen könne, wurde nicht recht klar, sondern lediglich einige für Laves typische gestalterische Elemente herausgearbeitet.

Barbara Orelli-Messerlis (Zürich) Vortrag „Gottfried Semper im Dienste von Laves?“ weckte gespannte Erwartungen, die nicht ganz eingelöst werden konnten. Die Referentin präsentierte einen Brieffund von 1850 aus dem Laves-Teilnachlass in Leipzig, in dem der nach Paris geflüchtete Dresdner Ex-Hofbaumeister und Ex-Revolutionär seinem Hannoveraner Kollegen für dessen Theaterbau die Dienste jenes Pariser Dekorationsmalers Charles Séchan offerierte, bei dem er Unterschlupf gefunden hatte – anscheinend ohne Erfolg oder jede erkennbare Reaktion.

Die beiden folgenden Vorträge von Sabine Thümmler (Berlin) und Rolf Bidlingmaier (Metzingen) beschäftigten sich mit demselben Gegenstand, nämlich den Umgestaltungen der Kasseler Residenz und hier besonders des Schlosses Wilhelmshöhe nach der Flucht des kurzzeitigen Königs von Westfalen, Jérôme Bonaparte (1814), und der Rückkehr der hessischen Kurfürsten, durch beider Hofarchitekten Johann Conrad Bromeis (1788-1855). Thümmler wies nach, dass die von Jérôme in Paris beim führenden Möbelhändler Molitor für Kassel erworbenen Stücke später auch als Stilvorlage der Neuausstattung unter Kurfürst Wilhelm II. (reg. 1821-1831) dienten. Bidlingmaier schilderte die interessanten wirtschaftlichen Konflikte zwischen dem hochentwickelten Kasseler Schreinergewerbe und der Vorliebe des Hofes, Möbel direkt aus Paris zu importieren und als Universalvorbilder zu nutzen. So transformierte Bromeis das Dekor einer Tischplatte aus einem Vorlagenwerk Perciers zur Deckengestaltung eines seiner Schlossräume.

Einen der konzeptionell und analytisch interessantesten Vorträge bot Lars Laurenz aus Münster. An einem einzigen Objekt, dem Thron des dortigen Bischofs, geschaffen 1832 als Abschlussarbeit des westfälischen Holzbildhauers Wilhelm Achtermann (1799-1884) am Berliner Gewerbeinstitut nach einem Entwurf von Schinkel, entwickelte er ein Kaleidoskop von Deutungsmöglichkeiten der ungewöhnlichen Interaktion von königlichem Oberbaudirektor und angehendem Kunsthandwerker. Die Zeichnung Schinkels hat sich im Nachlass des Gründers der Gewerbeinstituts Peter Beuth erhalten. Durch sorgfältigen Vergleich von Skizze und ausgeführtem Relief auf der Lehne des (nicht erhaltenen) Mahagonithrons, die Glorie Christi darstellend, gelang es dem Referenten, ein erstaunliches, nahezu kollegiales Zusammenwirken beider Künstler nachzuweisen, wobei verschiedene mögliche Lesarten dieses Befundes (von wem ging die Initiative zu diesem ungewöhnlichen sakralen Objekt aus?) ergebnisoffen gegeneinander gestellt wurden.

Jan Mende, Kurator des Berliner Museums für Wohnkultur jener Epoche im Knoblauchhaus, thematisierte erwartungsgemäß den großen Einfluss Schinkels auf die Einrichtungsgewohnheiten seiner Zeitgenossen auch jenseits des Hochadels. Am Beispiel des sog. Berliner Ofens der Firma Feilner zeigte der Referent, dass dieser mit um das zehnfache schwankenden Preisen je nach Ausführung die Wohnungen nahezu aller Schichten heizte. Interessant auch der Hinweis, dass der Oberbaurat an ein und demselben Gebäude strenge Materialwahrheit mit konsequenter Anwendung von Surrogaten als gleichwertige Gestaltungsformen kombinierte, wie Äußeres und Inneres der Friedrichwerderschen Kirche belegen.

Die überraschendste Objektgruppe stellte die Berliner Kunsthistorikerin Serena Newmark in einem ebenso amüsanten wie kenntnisreichen Referat vor: Sie verwies auf die hegemoniale Stellung deutschstämmiger Möbelschreiner in den USA und besonders Texas im 19. Jh.Jahrhundert, wo ziemlich exakte Nachbauten Schinkelscher Stühle als geliebte Erbstücke in vielen Familien, aber auch in Museen als Bestandteil der nationalen Volkskunst gehegt werden. Als Newmark ihren dortigen Kollegen die Übersiedlung nach Deutschland ankündigte, sei sie aufgefordert worden, nach den Vorbildern dieser unverwüstlichen Farmer-Stühle aus Walnussholz zu suchen: „Ich bin irrtümlich in die Bauernstuben gegangen, dabei wären die Paläste richtig gewesen!“

Zuletzt stellte der Hannoveraner Simon Paulus sein aktuelles Forschungs- und Digitalisierungsprojekt vor, die Sammlung des Kunsthistorikers Albrecht Haupt (1852-1932), und zwar diejenigen Grafiken, welche im weitesten Sinne Möbel und Innenraumentwürfe zeigen, darunter interessante und bisher nicht hinreichend gedeutete Wandabwicklungen für einen Auftraggeber aus der Familie von der Leyen, welche bei demselben Architekten François Ignace Mangin (1742-1809) 1781 die Mainzer Dompropstei in Auftrag gegeben hatten: Ein Pionierbau des Goût grec in Deutschland, der bei der Beschießung durch preußische Truppen 1793 bereits wieder zerstört worden war. Informationen zum Projekt unter: https://projects.tib.eu/haupt/die-sammlung-albrecht-haupt/

Es erscheint mehr als zufällig, dass die eigentlich angekündigte Schlussdiskussion entfiel. Ergänzend zur eingangs zitierten Feststellung, dass die Tatsache, dass Architekten die Möbel für ihre Gebäude gleich mit entwerfen, bis etwa zur Mitte des 20. Jahrhunderts die Regel war, versucht der Berichterstatter daher hier ein eigenes Fazit: Das geheime Motto und verbindende Element aller Vorträge wäre eigentlich „copy-paste“ gewesen. Wie ein roter Faden zogen sich die immer gleichen Vorlagenwerke von Percier und Fontaine, die Illustrationen aus dem Journal des Luxus und der Moden und die Entwürfe Schinkels durch das Oeuvre aller vorgestellten Künstler. So übermächtig und normativ war dieser kollektive „Goût“, dass der Ballsaal von Malmaison und Kaiserin Josephines Schwanenarmlehnensessel in immer neue Varianten anscheinend in allen Schlössern des Vormärz ihre getreuen Nachahmer fanden. Noch nicht einmal Wappen, Initialen oder Embleme mussten nach 1814 ausgetauscht werden, da diese Zeichen der Individualisierung gerade nicht in Mode waren, während Apoll und die Musen in keinem neu nach dem stets gleichen Schema gestalteten Tanzsaal fehlen durften. Ob in diesem erstaunlich uniformen Umfeld Georg Ludwig Friedrich Laves eine erkennbar eigenständige Note einzubringen hatte, wurde zumindest auf dieser Tagung nicht enthüllt.

Empfohlene Zitation:
Meinrad von Engelberg: [Tagungsbericht zu:] Georg Ludwig Friedrich Laves und Kollegen (Hannover, Museum August Kestner, 16.–18.03.2023). In: ArtHist.net, 27.03.2023. Letzter Zugriff 19.04.2024. <https://arthist.net/reviews/38866>.

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