REV-EX 09.09.2005

Martha Rosler - „If not now, when?“

NGBK, Haus am Kleistpark, Grunewaldstr. 6-7, 10823 Berlin, 02.09.–23.10.2005

Rezensiert von Bettina Klix
Redaktion: Claudia Sedlarz
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Die US-Amerikanerin Rosler ist eine der engagiertesten Künstlerinnen ihrer Generation. Politisiert durch den Vietnamkrieg, reagierte sie darauf - oder auf ihr eigenes Entsetzen - mit einer berühmt gewordenen Collage-Arbeit „Bringing the war home“(1967-72). Ursprünglich nicht für den Kunstkontext gedacht, sondern als Intervention, und in Untergrundmagazinen veröffentlicht, verarbeitete Rosler den Schock, zum ersten Mal Kriegsbilder aus Vietnam im Fernsehgerät gesehen zu haben. (Sie schaffte deswegen ihren Apparat ab.) Die Überschreitung dieser Schwelle ins Heim hinein thematisierte sie in Collagen, die eher auf surrealistische Weise gearbeitet sind. Denn eins ihrer großen Vorbilder war Max Ernst. Dieser hatte in einigen seiner Collagen den Einbruch von Gewalt in den bürgerlichen Salon ins Bild gebracht und diese Methode dadurch als taugliches Mittel erprobt, ein „Hier“ und ein „Woanders“ zusammenzubringen. Rosler nahm Fotos vom idealen Zuhause aus Einrichtungszeitschriften und ließ hinter einem Vorhang oder einem Fenster Ausschnitte des Krieges hinein, auf eine manchmal fast elegante Weise. Die Methode war effektiv und selbst ihre eigenen Collagen zum Irakkrieg können da nicht mithalten. Sollte es daran liegen, daß die neuen Arbeiten am Computer entstanden sind oder hat es mit der völlig veränderten Rolle der Medien in der Gesellschaft zu tun, wo eine Durchlässigkeit schon gegeben ist, die nicht mit surrealistischen Mitteln erst beschworen werden kann? Oder hat sich eben die Ausgangsbasis der Collage, das „Heim“, so sehr aufgelöst, daß sich ein Einbruch nicht mehr inszenieren läßt?

„Wenn nicht jetzt, wann?“ Diese scheinbar ungeduldige, politische Frage stammt überraschenderweise von einem jüdischen Schriftgelehrten, Hillel, der Zeitgenosse von Jesus von Nazareth war. Er gibt den Titel für eine Ausstellung von Fotos und Video-Arbeiten Martha Roslers im Haus am Kleistpark in Berlin, die von der NGBK vom Sprengelmuseum Hannover übernommen und etwas komprimiert wurde. Das fordernde „If not now, when? „ ist auch als Motto dem Künstlerbuch vorangestellt, das statt eines Katalogs herausgegeben wurde. Davor stehen damit zusammenhängende Fragen: „If I‘m not for myself, who will be for me? If I‘m only for myself, what am I?“ Das kann als Roslers Credo betrachtet werden.

Vor dem Irakkrieg schon hatte sie eine Gruppe „Artists against the War“ mitgegründet und war ins Metropolitan Museum gegangen, um in der Mesopotamischen Abteilung Zeichnungen zu machen und darauf hinzuweisen, daß nicht nur die Kunst in Gefahr sei. Das erfahren wir von ihr bei einem Künstlergespräch, in dem sie, oft sehr humorvoll, Auskunft über ihre Arbeit gibt. Als Rosler auf dem Podium Platz genommen hat, macht sie erst einmal Fotos vom Publikum, auf eine ganz nette, unaggressive Weise gibt sie den Blick zurück. Und auch als sie bei einer schwierigen Antwort von einem Handyklingeln gestört wird, fordert sie freundlich den Vergeßlichen auf, dies als Signal zu betrachten, sich selbst ANzustellen. Die Tatsache, daß sie eine Lehrende geworden ist und daß ihr Werk inzwischen soviel Respekt genießt, verurteilt Martha Rosler zum Reisen. Eine ihrer neuen Bilderserien thematisiert deshalb auch das Unterwegssein und dessen Reglementierung.

Von ihren - manchmal sehr didaktischen - alten Videos ist das komischste „Semiotics of the Kitchen“( 1975), wo sie das Alphabet anhand von Küchengeräten durchgeht. Sich selbst eine Schürze wie eine Rüstung anlegend, benutzt sie die Werkzeuge der Unterdrückung martialisch oder geringschätzig, während sie die Namen voller Verachtung ausruft. Heute, wo Video so ein selbstverständliches Medium ist, vergißt man leicht, daß das nicht immer so war. Martha Rosler erhielt bei der documenta 1982 von Leiter Rudi Fuchs die Belehrung: „Video ist keine Kunst!“, deshalb machte sie eine Performance, - was geduldet war. Einige der Videos sind auch gleichzeitig Aufzeichnungen oder Wiederaufführungen von Performances, etwa „Vital Statistics of a Citizen, simply obtained „(1977). Rosler selbst läßt sich darin als nackte Staatsbürgerin von Männern in weißen Kitteln von Kopf bis Fuß vermessen. Der weibliche Körper und die Tatsache, daß die Frau täglich über ihr eigenes Bild wachen muß, ist ein Thema vieler Arbeiten. Wie Rosler - zu ihrer Serie „Beauty knows no Cruelty“ - befragt, sagte: „Das Erste, was von Frauen morgens erwartet wird, ist ein Gesicht herzustellen.“

Im Video „Martha Rosler reads Vogue“(1982) wird dabei ein Leitmedium der Selbstoptimierung dekonstruiert, Rosler blättert ein Heft von hinten nach vorn durch, liest einerseits absurd Ausgewähltes vor, doziert oder halluziniert - was von den Photos oft mühelos bestätigt wird - über das, wozu angeleitet wird. „Was ist Vogue?“ fragt sie immer wieder, antwortet zum Beispiel mit „Unterwerfung“, „Narzißmus“ oder „Es ist das neue Gesicht unter dem alten Gesicht“, unterbrochen von Aufnahmen aus sweatshops, in denen Textilien hergestellt werden, Zahlen dazu und Informationen über den Verlag.

Das die Ausstellung begleitende Buch enthält ein ergiebiges Gespräch Roslers mit Molly Nesbit und Hans Ulrich Obrist und Texten von Beatrice v. Bismarck und Inka Schube (die auch Herausgeberin ist) und Fotos aus den Serien „Passionate Signals“, „Transitions and Digressions“, „Times Two“, „Ventures Underground“, „In the Place of the Public“: „Airport Series“

Schube, Inka; Rosler, Martha (Hrsg.): Martha Rosler - passionate signals. [anlässlich der Ausstellung "Martha Rosler. If Not Now, When?", SPECTRUM - Internationaler Preis für Fotografie der Stiftung Niedersachsen 2005, Sprengel-Museum Hannover, 30. Januar - 16. Mai 2005, Neue Gesellschaft für Bildende Kunst, Berlin, Arbeitsgruppe Fotografie, in Zusammenarbeit mit dem Haus am Kleistpark, Berlin, 9. September - 23. Oktober 2005], Ostfildern-Ruit: Hatje Cantz Verlag 2005
ISBN-10: 3-7757-1599-1, 287 S., ca. EUR 39.80, ca. sfr 66.00, ca. EUR 40.90

Empfohlene Zitation:
Bettina Klix: [Rezension zu:] Martha Rosler - „If not now, when?“ (NGBK, Haus am Kleistpark, Grunewaldstr. 6-7, 10823 Berlin, 02.09.–23.10.2005). In: ArtHist.net, 09.09.2005. Letzter Zugriff 23.04.2024. <https://arthist.net/reviews/387>.

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