REV-CONF 11.03.2023

Das digitale Bild - Reflexionen zur kreativen Praxis

Marburg und online, 07.–09.07.2022

Bericht von Leonie Groblewski, Marburg
Sophie Ramm, München
Julian Stalter, München
Redaktion: Livia Cárdenas

[Tagungsbericht aus den Reihen des Koordinationsteams]

Auf der fünften Tagung des DFG-Schwerpunktprogramms „Das digitale Bild“, die vom 7. bis 9. Juli 2022 in Marburg und online stattfand, wurde das digitale Bild aus der Perspektive der kreativen Praxis reflektiert. Gruppiert in sieben Panels wurde der Frage der Verortung des digitalen Bildes zwischen Kunst und Wissenschaft, Visualisierung und Kodierung sowie KI und ihrer Bias nachgegangen.

Panel 1: Im/Materialitäten
Das erste Panel beschäftigte sich mit der Immaterialität und Materialität. Alexander Galloway (New York) konzentrierte sich in seinem Vortrag Digital Images Without Computers auf künstlerische Artefakte des 20. Jahrhunderts, die zunächst nicht programmierbar erscheinen, doch bereits digitale Aspekte offenbaren. Er postulierte: “You don’t need a computer to generate a digital image”. Galloway will damit die Kategorie der digitalen Bilder erweitern und historische Kontinuitäten offenlegen. Im Aufführen von Werkbeispielen früher digitaler Kunst ging er nicht systematisch, sondern episodisch vor und untermalte sie mit eigenen Graphiken. So führte er Albert Land an, der ein zwei Meter großes Raster schuf, in dem ein Ökosystem widergespiegelt wird. Im Werk von Ada Kietz spürte er einer Verbindung von Webstrukturen und früher Programmiersprache nach. Die Künstlerin und Cyberfeministin verwendete bereits in den 1940er Jahren Algebra zur Erstellung von Berechnungsmustern für das Weben. Sie war an Mustern interessiert, welche eine „regelmäßige Unregelmäßigkeit” aufweisen. Sie war imstande, einen Code zu generieren, aus dem ohne eine einzige Wiederholung eine Webstruktur von neun Meilen erzeugt werden konnte. Galloway zeigt, dass der „digital turn” tatsächlich eine Hinwendung zu den Erfordernissen des Materials bedeutete. Damit entsteht ein neues Narrativ hinsichtlich der konventionellen Zuschreibung von Immaterialität zur digitalen Welt und Materialität zur physischen Welt.

Auch die Künstlerin Rosa Menkman (Amsterdam) setzte sich für den Vortrag Untangling resolution das Ziel, die Blackbox des digitalen Bildes zu fragmentieren. Sie beschäftigte sich mit der Auflösung von Bildern und plädierte für ein Bewusstsein für die Komprimierungsmethoden, die alltäglich und automatisch angewandt würden. Formatierung definiere nicht nur wie, sondern auch welche Daten zwischen zwei technischen Endgeräten gespeichert und gesendet werden. Die Auflösung sei das Ergebnis eines Zusammenschlusses verschiedener Materialeigenschaften. Mithilfe eines groben 3D-Modells ihrer eingescannten Wohnung, ließ sie uns in ihre eigenen digitalen Kunstwerke eintauchen, die sie im Nachhinein virtuell im Raum platziert hatte. Die bewegten Bilder gaben jedoch durch ihre Verpixelung nur limitierten Einblick.

Panel 2: Analog/Digital
Mit der Verknüpfung von analogen und digitalen Konzepten und Phänomenen setzte sich das zweite Panel auseinander. Die Künstler Hell Gette und Aram Bartholl erläuterten ihre kreativen Prozesse und Ideenbildung. Gette sprach von einem persönlichen Standpunkt über Erinnerungen an erste Computerspiele, Gameboys und Emojis. Dabei stellte sie auch die spezifische Vorgehensweise ihres Prozesses vor, in dem sie zwischen Fotografie, Ölmalerei und Photoshop ganz im Sinne einer Post-Digital-Art agiert.[1] Der analoge Aspekt der Ölmalerei kontrastiert dabei mit digitalen Welten aus Jump-And-Run Spielen und dem Emoji als neuem Kommunikationstool. Aram Bartholl wählte Beispiele aus seinem Œuvre, die Bezüge zwischen digitaler Sphäre und analoger Umwelt herstellen. Seien es E-Scooter, die er aus der Spree fischt und – verschlammt und verkrustet – in einer Berliner Galerie ausstellt oder riesige Wegmarker, die in ihrer Tropfenform an Google Maps angelehnt sind. Bei beiden Vorträgen wurde deutlich, wie das digitale Bild aus dem ursprünglichen Zusammenhang genommen wird, auf die analoge Welt übersetzt wird und diese transformiert.

Panel 3: Gestaltungsprozesse
Im dritten Panel zu Gestaltungsprozessen wurde das digitale Bild aus den Disziplinen der Architektur und Computertechnologie betrachtet. Nathalie Bredella (Karlsruhe) beabsichtige in ihrem Vortrag Architecture numérique: zur Operativität digitaler Bilder in der Architektur das gängige Narrativ einer digitalen Architektur der gekrümmten Formen von Architekturikonen zu überwinden. Zunächst malte sie ein bewegtes Bild der Architekturgesellschaft der 1990er Jahre: Es sei eine Zeit der Spekulationen und des Experiments, der Hinwendung zur Philosophie und Mathematik, aber auch der makroskopischen Raumplanung innerhalb eines geopolitisch dystopischen Wirkens der Globalisierung gewesen. Anschließend folgte ein Blick auf die Mikroebene: architektonische Fallbeispiele aus dieser Zeit, die sich an den neuen Netzwerktechnologien bedienten. Dabei präsentierte Bredella nicht nur deren visuelle Darstellungsformen, sondern auch deren enge Verflechtung mit neuen Produktionsmethoden.

Panel 4: Machine Learning
Das vierte Panel, das Machine Learning als übergeordnetem Thema gewidmet war, umfasste die Vorträge von Bernhard Dotzler (Regensburg) und Roland Meyer (Bochum). Dotzler wagte in seinem Vortrag Vom l’Art pour l’Art der KI eine aus der Medientheorie, konkret aus der Kittler-Schule, inspirierte Interpretation des technischen Fortschrittes und seines Einsatzes. Als Vertreter eines technischen Skeptizismus hinterfragte er medienarchäologische Begriffe und die Bedeutung von Kunst vor und nach der Existenz des Machine Learnings.[2] Seine These, die KI ziele auf die Ersetzung des Menschen, da der Automatisierungsgrad im Deep Learning vom Menschen ab einem gewissen Punkt nicht mehr steuerbar und koordinierbar sei, thematisierte das Verhältnis von Mensch und Maschine, klammerte aber technische Bedingungen vorwiegend aus. Insbesondere machte Dotzler seine Argumentation am Kunstwerk Bartleby (2020) von Felix Weinold fest, das sich mit der wechselseitigen Abhängigkeit von Mensch und Maschine beschäftigte.[3]

Panel 5: Zugänglichkeit
Das fünfte Panel „Zugänglichkeit“ behandelte den künstlerisch-praktischen Umgang mit digitalen Techniken. Rob Erdmann (Amsterdam), Experte für Kunsttechnologien der Konservierung und Restaurierung, stellte in seinem Beitrag die Perspektive der Erhaltung und Sicherung von Kunstwerken mit den Möglichkeiten des Digitalen vor. Insbesondere erlangten die Zuhörer:innen einen Einblick in die digitalen Möglichkeiten einer zukunftsorientierten Museumspraxis, die beispielsweise mit hochauflösenden Scanverfahren arbeitet, um Gemälde in ihren Farbschichten und möglichen verdeckten Bedeutungsebenen besser analysieren zu können.[4]

Panel 6: Körperbilder
Das digitale Körperbild stand im Zentrum des sechsten Panels. Pamela Scorzin (Dortmund) ließ dabei einen Teil ihres Vortrages von einer KI performen. Die Erzeugung von Abbildungen nicht existierender Menschen ist durch die Anwendung spezieller neuronaler Netze bereits heute täuschend echt möglich. Diesen Ausprägungen stellen sich Künstler:innen entgegen, die auch generative Techniken nutzen, sie jedoch reflektieren oder manipulieren. Scorzin nennt hier beispielsweise Jake Elwes, der mit „The Zizi Show“ von 2020 im Rahmen einer Drag-Show einerseits die Narrative und Mystifizierungen der KI-Technik thematisiert, durch Verwendung entsprechender neuronaler Netze aber auch visuell reflektiert.

Panel 7: Social Media
Das letzte Panel befasste sich mit dem Aspekt „Social Media“, in dem Tilman Baumgärtel (Mainz) sich thematisch den Motiven der GIF-Animation widmete. Das GIF sei eine frühe digitale Form der bewegten Bild-Kommunikation. Das Format des GIFs sei nicht nur vorgegeben und damit fremd erstellt und wird hierzu in Datenbanken bereitgestellt und gespeichert, sondern ließe sich auch selbstständig in einem kreativen Prozess erstellen. So entstehende kommunikativen Elemente könnten in verschiedenen Kategorien, je nach geschichtlichen oder motivischen Aspekten, systematisiert werden und dadurch eine eigene soziale Praxis als Teil der digitalen kulturellen Volkskunde ausbilden. Diese relativ frühe Form einer sozialen Bildkommunikation löse auch aktuell eine ästhetisch-kreative Debatte aus, die durch ein Revival des GIFs seit den 2010er Jahren zu beobachten sei.[5]

Mit ihren kritischen Überlegungen zur kreativen Praxis des digitalen Bildes führten die Beiträge zu anschließenden lebendigen Diskussionen. Dabei schwanden die Grenzen zwischen Kunst und Technologie. Bei allen Beiträgen der Tagung wurde deutlich, dass Technologien in den künstlerischen Prozess mit einbezogen, kritisch reflektiert oder dialektisch verhandelt werden können.

[1] Vgl. bspw. Berry, David und Dieter, Michael: Postdigital Aesthetics. Art, Computation and Design, London 2015.
[2] Dotzler verwies u.a. auf die Ausstellung „Les Immatériaux“ des Philosophen Jean-Francois Lyotard, der diese 1985 im Pariser Centre Pompidou kuratierte und innerhalb der er die Frage nach dem Sinn und dem Einsatz der Kunst in einer sich schnell und massiv verändernden Medien- und Technologiewelt stellte.
[3] Zum Kunstwerk: https://felixweinold.de/arbeiten/multimedia/bartleby/. Die Installation ist auch über Vimeo einzusehen unter https://vimeo.com/manage/videos/437843700.
[4] Vergleiche hierzu: IIIF Image Registration – Rob Erdmann (The Rijksmuseum): https://www.youtube.com/watch?v=eukBelNz2rQ.
[5] Vgl. den Artikel im Spiegel „Facebook kauft Giphy für angeblich 400 Millionen Dollar“, vom 15.05.2020, einzusehen unter: https://www.spiegel.de/netzwelt/apps/facebook-kauft-giphy-angeblich-fliessen-400-millionen-dollar-a-05d5cc70-7d48-48f4-90dd-f235821522b2.

Empfohlene Zitation:
Leonie Groblewski, Sophie Ramm, Julian Stalter: [Tagungsbericht zu:] Das digitale Bild - Reflexionen zur kreativen Praxis (Marburg und online, 07.–09.07.2022). In: ArtHist.net, 11.03.2023. Letzter Zugriff 19.03.2024. <https://arthist.net/reviews/38685>.

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