REV-EX 03.01.2007

Caravaggio. Auf den Spuren eines Genies

Museum Kunst-Palast, Düsseldorf, 09.09.2006–07.01.2007

Rezensiert von Hänsel Sylvaine, msd FH-Münster
Redaktion: Rainer Donandt
Click to enlarge

Die Caravaggio-Ausstellung in Düsseldorf gibt sich zunächst spröde. Zwar sollte man meinen, das Ereignis als solches spräche für sich, handelt es sich doch um die erste Caravaggio gewidmete Schau in Deutschland überhaupt. Aber statt wirkungsvoll in Szene gesetzter Meisterwerke sieht man zunächst vor allem etwas steril und sparsam gehängte Bil-der, von denen einige sogar dasselbe Motiv zeigen. Hatte man kurz zuvor in Amsterdam mit "Rembrandt-Caravaggio" opulent auf die "Augenlust" gesetzt,[1] nimmt sich daneben das Düsseldorfer Projekt, das konzentrierte Seh-Arbeit des kritischen Besuchers fordert, ein wenig wie ein Spielverderber aus. Denn die Veranstalter, Jean-Hubert Martin und Jür-gen Harten, präsentieren nicht nur Originale, sondern auch umstrittene Arbeiten, Repliken und Kopien. Auch finden sich, wohl wegen der Fülle von Caravaggio-Ausstellungen in den letzten beiden Jahren, nicht die prominen-testen Versionen, sondern weniger bekannte Varianten, also nicht das "Emmausmahl" aus der Londoner National Gallery, sondern eine - hervorragende - Zweitfassung aus Privatbe-sitz, nicht die Dubliner "Gefangennahme Chri-sti" oder der "Ungläubige Thomas" aus Pots-dam, sondern jeweils eine Replik und eine Kopie, so dass man zunächst irritiert fragt, was nun eigentlich original Caravaggio sei und was nicht.

Doch liegt gerade hier der Reiz der Düsseldor-fer Veranstaltung. Denn lässt man sich darauf ein, die Fassungen zu vergleichen und die in-struktiven Berichte über die technischen Un-tersuchungen der Gemälde zu lesen, findet man sich unversehens wieder, wie man ge-spannt die eigene Wahrnehmung und gewohn-te Beurteilungskriterien auf die Probe stellt und hinterfragt. Es sei jedoch auch nicht verschwiegen, dass dabei jeder Nicht-Caravaggio-Spezialist früher oder später an seine Grenzen stößt. Dann ist es Zeit, den Be-gleitband zur Hand zu nehmen, der neben den ausgestellten Werken auch die berühmteren Versionen abbildet. Der von Nicole Hartje betreute, vorzügliche Katalogteil bietet zu jedem Werk eine Erörterung der Zuschreibung und der Provenienz, einen genauen Bericht über Restaurierungen und technologische Un-tersuchungen, sowie einen Kommentar, der die Erkenntnisse abwägt und Schlussfolgerungen zieht. Die Autoren sind ausgewiesene, langjährige Caravaggio-Spezialisten wie Maurizio Marini oder Mina Gregori, die Kuratoren der Leihgebersammlungen, aber auch Autoren wie Clovis Whitfield, die einen neuen Blick auf Caravaggios Arbeitsweise versuchen. Was die Lektüre so spannend macht, ist der Umstand, dass kontroverse Ansichten nebeneinander bestehen bleiben, wobei die Autoren sich um eine möglichst überzeugende und nachvollziehbare Gedankenführung bemühen. In einigen Fällen, etwa in der Diskussion der verschiedenen Versionen des "Lautenspielers", fasst Hartje die Diskussion in einem verglei-chenden Kommentar zusammen und erleich-tert dem Leser das Abwägen der zum Teil allzu spezialisierten Argumente. Der Katalog bietet so nicht nur eine Fülle von Informa-tionen, sondern erlaubt auch einen Blick in die "Werkstatt" der Caravaggio-Forschung.

Angesichts der Bedeutung des Gegenstandes vergisst man leicht, dass es sich um ein relativ junges Arbeitsgebiet handelt. In der Kunstge-schichte war Caravaggio so gut wie vergessen, bis 1951 Roberto Longhi in einer legendären Ausstellung in Mailand das ‘uvre des Künst-lers zu umreißen und seinen Einfluss auf Zeit-genossen und Nachfolger zu beschreiben such-te.[2] Seitdem hat die Forschung kontinuier-lich an dem Fall 'Caravaggio' gearbeitet. Der stilkritischen Analyse folgten Bemühungen, die Person des Künstlers archivalisch-historisch zu fassen. Stellvertretend für die unterschiedlichen Einzelbemühungen sei hier auf die Monographie von Mia Cinotti verwie-sen.[3] Die Kenntnis der Arbeitsweise Cara-vaggios wiederum verdankt sich vor allem Mina Gregori, die in dem von ihr herausgege-benen Ausstellungskatalog die Ergebnisse technologischer Untersuchungen vorstellte.[4]. Wie sehr, jenseits der unbestrittenen Haupt-werke, das ‘uvre in Bewegung war, lässt sich an dem von Maurizio Marini 1974 publizierten Werkverzeichnis ablesen,[5] das 2005 in der vierten Auflage neu bearbeitet erschien[6] und wesentliche Veränderungen im Werkkatalog zeigt, die auch dadurch bedingt sind, dass in den letzten Jahren eine Reihe von Neuentdek-kungen wie etwa der New Yorker Lautenspie-ler zu verzeichnen waren.

Parallel zur kunsthistorischen Forschung ist auch die Legende Caravaggio weiter gerankt. Als ob die historisch verbürgten Zusammen-stöße mit dem Gesetz, Beleidigungen und Tät-lichkeiten mit tödlichem Ausgang, nicht reich-ten, haben sein ausschweifender Lebenswan-del und seine wie auch immer gearteten sexu-ellen Neigungen die Phantasie seiner Biogra-phen beschäftigt. Unzweifelhaft reizen die Gemälde selbst zu allerlei Spekulationen. Das gilt für die unverhohlene, vergnügte Erotik des "Amor als Sieger" ebenso, wie für die ganz irdische Körperlichkeit der Marien und Jesus-kinder oder das düstere Selbstbildnis als "Go-liath". Ebenso faszinierte von Anfang an die Frage nach seiner Arbeitsweise, denn Cara-vaggios Behauptung, er arbeite ausschließlich nach der Natur, stand im Kontrast zu den ef-fektvoll inszenierten Kompositionen, für die er sich durchaus an Vorlagen orientierte. Longhi hatte auf die Nähe zur lombardischen und ve-nezianischen Kunst hingewiesen, die Cara-vaggio während seiner Lehrjahre bei Simone Peterzano in Mailand kennen lernte. Herwarth Röttgen interpretierte den "Amor" u.a. als Er-gebnis der Konkurrenz zu Michelangelo,[7] während sowohl für den "Ungläubigen Tho-mas" als auch für die "Gefangennahme Chri-sti" Holzschnitte Dürers Pate standen.

Auch die spezifische Lichtführung gab Anlass zu allerlei Vermutungen über die Beschaffen-heit von Caravaggios Atelier. Schon Joachim von Sandrart berichtete 1675, Nachahmer hätten sich ähnliche "Mahlzimmer" eingerichtet.[8] John Varriano brachte etwa die Klage von Caravaggios Vermieterin, er habe ihr Haus beschädigt, mit dessen Bemühen, eine spezifische Beleuchtung seines Ateliers zu schaffen, in Verbindung.[9] David Hockneys These, der Künstler habe mit Spiegeln und einer Camera obscura gearbeitet, hat Staub aufgewirbelt, allerdings keine Befürworter gefunden.[10]

Nicht zuletzt der Umstand, dass von mehreren Bilderfindungen mehrere Fassungen existierten, deren Qualität verschiedentlich an eigenhändige Widerholungen Caravaggios denken ließ, ließ ein Abrücken vom Image des genialisch nur dem Natureindruck folgenden Tabubrechers geboten erscheinen. Denn offenbar folgten die Inventionen Caravaggios einerseits einem genauen Kalkül und konnten andererseits mit einer Nachfrage rechnen, die durch Repliken und Kopien zu befriedigen lohnte.

Genau hier setzt der Katalog der Düsseldorfer Ausstellung an. "Die gemischte Gruppierung der Exponate", so Jürgen Harten, "möchte die Aufmerksamkeit auf die Welt der Bilder selbst lenken".(20) Es geht um die "Inventio", nicht um die Ausführung, die ja schließlich, wie Jean Hubert Martin in seinem Vorwort proklamiert, auch "für viele zeitgenössische Werke gar nicht mehr relevant" ist.(14) Diese forsch vorgetragene These hindert jedoch nicht, dass die Frage der Zuschreibung die "Königsdisziplin" bleibt, mit der sich letztlich die meisten Essays auseinandersetzen. Besonders hilfreich erweist sich der Beitrag von Marco Cardenali, Manuela Falucci und Maria Beatrice De Ruggeri über die kunsttechnologische Analyse der Gemälde. Sehr anschaulich beschreiben die AutorInnen die Charakteristika der Arbeitsweise Caravag-gios. Das auffälligste Merkmal bilden die "In-cisioni", Einritzungen, mit denen der Künstler die Positionierung der Figuren auf den dunkel grundierten Bildträgern festlegte. Nicht weni-ger bedeutsam erweist sich die mit Bleiweis ausgeführte Skizze, mit der er die Verteilung der Helligkeit markierte, ohne dabei eine de-taillierte Vorzeichnung anzulegen. Beide Ele-mente setzen eine große Sicherheit voraus, ermöglichen aber zugleich eine zügige und flexible Arbeitsweise.
Claudio Strinati resümiert die Fakten, die über Caravaggios Anfänge in Rom, insbesondere über seine Freundschaft mit dem Maler Pro-spero Orsi und dem Kunsthändler Costantino Spata bekannt sind und kommt zu dem Schluss, "dass Caravaggio im Jahr 1597 zwar keine Werkstatt unterhielt, aber enge Bezie-hungen zu Vertretern der römischen Kunstwelt pflegte, die ihm Kontakt zu intellektuell avan-cierten Kreisen wie dem des Kardinal del Monte vermittelten." Sie brachten "Caravag-gio dazu, sich unmittelbar am Markt und an den Bedürfnissen der Sammler zu orientie-ren."(37) Dazu gehörte auch die Anfertigung von Zweitfassungen, für die der Künstler ei-nen engen Kreis von Malern um sich versam-melt habe, "der bei bestimmten Werken eng mit Caravaggio zusammenarbeitete und als dessen Mittelpunkt er sich spätestens mit sei-nem Wechsel zu Gerolamo Mattei etabliert hatte."

Der Essay von Maurizio Marini über Caravag-gios "Doppelgänger" geht in eine ähnliche Richtung, wenn er das engmaschige und über-schaubare Netzwerk beschreibt, das Caravag-gio in seiner römischen Zeit knüpfte. Auch betont er die Qualität und die Bedeutung der Repliken und Kopien, wobei er, etwa im Fall der vier bekannten Fassungen des "Lauten-spielers" von der Argumentation im Katalog-teil deutlich abweicht. In einem längeren Ab-schnitt geht er schließlich auf die zwei Versio-nen der "Medusa" ein, wobei er sowohl inhaltliche wie archivalische und maltechnische Argumente darlegt, dass das Exemplar der Uffizien eine Replik darstellt.
Valeska von Rosen sieht die Legenden um Caravaggios Arbeitsweise auch als Ergebnis einer Selbststilisierung. Ausgehend von Überlegungen Nevenka Kroschewskis interpretiert sie Details, etwa den vertrockneten Palmzweig der heiligen Katharina, die bislang als Beweis dafür galten, dass Caravaggio tatsächlich ohne Vorstudien, direkt vor der Natur gearbeitet habe, als kalkulierte Mittel der Selbstinszenierung Cara-vaggios. Chiara Stefani schließlich geht noch einmal zurück zu den Anfängen und verfolgt die Geschichte der Werke, die Longhi 1951 als Zuschreibungen präsentiert hatte.

Der Beitrag von Klaus Krüger über die "Se-mantik der Bildform in Caravaggios Frühwerk" mag als Einstieg in das Thema "Caravaggio" gedacht gewesen sein, dürfte aber in seiner gestelzten Sprache eher abschreckend wirken. Die anderen Beiträge lesen sich, trotz ihrer spezialisierten Ausrichtung gut und wecken sicher bei manchem die Lust, die präsentierten Werke erneut anzuschauen. Was dem Katalog viel-leicht gut getan hätte, wäre eine gewisse Rück-sichtnahme auf die "Caravaggio-Einsteiger". Zum einen wäre es sicher publikumsfreundlich gewesen eine allgemeine Einführung in das Werk Caravaggios zu geben, die in deutscher Sprache, trotz der lesenswerten, aber eben fachspezifisch orientierten Bücher von Jutta Held [11] oder Lothar Sickel fehlt.[12] Zum anderen wünschte man sich einen Überblick, der auch dem Nicht-Spezialisten Entwicklung und Schwerpunkte der Caravaggio-Forschung vorstellte und so die Düsseldorfer Ausstellung in einen Kontext stellte.

Anmerkungen
[1] Vgl. Ausst. Kat. Rembrandt - Caravaggio, Hg. Duncan Bull, Amsterdam Rijksmuseum, Zwolle 2006.
[2] Ausst. Kat. Mostra del Caravaggio e die Caravaggeschi, Hg. Roberto Longhi, Mailand, Palazzo Reale, 1951.
[3] Mia Cinotti, unter Mitarbeit von Gian Al-berto Dell'Aqua, Michelangelo Merisi ditto il Caravaggio. Tutte le opere. (I pittori bergama-schi del XII al XIX secolo: Il seicento), Ber-gamo 1983.
[4] Ausst. Kat. Michelangelo Merisi da Cara-vaggio. Come nascono i capolavori, Hg. Mina Gregori (Florenz, Palazzo Pitti / Rom, Palazzo Ruspoli, Fondazione Memmo), Mailand 1991. - Vgl. auch Mina Gregori: Caravaggio, Mai-land 1994.
[5] Maurizio Marini: Io Michelangelo da Ca-ravaggio, Rom 1974.
[6] Maurizio Marini: Michelangelo Merisi da Caravaggio "pictor praestantissimus". L'iter artistico completo di uno dei massimi rivolu-zionari dell'arte di tutti i tempi, Rom 2005.
[7] Herwarth Röttgen: Caravaggio. Der irdi-sche Amor oder der Sieg der fleischlichen Liebe, Frankfurt/ M. 1992.
[8] Joachim von Sandrart: Teutsche Academie der Edlen Bau-, Bild- und Mahlerey-Künste, Nürnberg 1675.
[9] John Varriano: Caravaggio. The Art of Realism, Pennsylvania 2006, S. 15.
[10] David Hockney: Secret knowledge: redis-covering the lost technique of the old masters, London 2001.
[11] Jutta Held: Caravaggio. Politik und Mar-tyrium der Körper, Berlin 1996.
[12] Lothar Sickel: Caravaggios Rom. Annä-herungen an ein Dissonantes Milieu, Berlin 2003

Harten, Jürgen (Hrsg.): Caravaggio. Originale und Kopien im Spiegel der Forschung ; [anlässlich der Ausstellung "Caravaggio. Auf den Spuren eines Genies", Museum Kunst-Palast, Düsseldorf, 9. September 2006 bis 7. Januar 2007], Ostfildern: Hatje Cantz Verlag 2006
ISBN-10: 3-7757-1806-0, 270 S., EUR 39.80

Empfohlene Zitation:
Hänsel Sylvaine: [Rezension zu:] Caravaggio. Auf den Spuren eines Genies (Museum Kunst-Palast, Düsseldorf, 09.09.2006–07.01.2007). In: ArtHist.net, 03.01.2007. Letzter Zugriff 16.04.2024. <https://arthist.net/reviews/380>.

Creative Commons BY-NC-NDDieser Text wird veröffentlicht gemäß der "Creative Commons Attribution-Noncommercial-No Derivative Works 4.0 International Licence". Eine Nachnutzung ist für nichtkommerzielle Zwecke in unveränderter Form unter Angabe des Autors bzw. der Autorin und der Quelle gemäß dem obigen Zitationsvermerk zulässig. Bitte beachten Sie dazu die detaillierten Angaben unter https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/deed.de.

^