REV-EX 12.06.2009

Integración y Resistencia en la Era Global

Décima Bienal de La Habana 2009, 23.03.–30.04.2009

Rezensiert von Oesterreich Miriam, Universität Heidelberg
Redaktion: Livia Cárdenas

Integración y Resistencia en la Era global, also Integration und Widerstand in einer globalisierten Zeit: Unter diesem Motto stand die diesjährige Biennale in Havanna (23. März – 30. April 2009) und besonders die begleitende Konferenz, die vom 31.3.-3.4.09 im Museo de Bellas Artes der kubanischen Hauptstadt stattfand.

Laptops, Handies, ein Visum nach El Dorado, Saftmixer und Autos stapeln sich auf dem Montageband der ‚Fábrica de la Globalización’. Die Produkte postindustrieller Gesellschaften sind jedoch allesamt aus Holz gefertigt, durch das Material in dem Sinne unbrauchbar gemacht, dass sie schlichtweg ihre Funktion nicht erfüllen können, zwar existent, aber nicht nutzbar sind. Der kubanische Künstler Abel Barroso nimmt das Schlagwort der Globalisierung zum Ausgangspunkt seiner Arbeit. Ist das künstlerischer Widerstand? Ist also hier das Motto erfüllt: Globalisierung und Widerstand? Widerstand gegen wen oder was? Oder Integration in eine globale Künstlergemeinschaft? Wenn Barroso die Idee zu diesem Werk hatte, wer lud ihn damit auf die Biennale ein – und was sagt das über die politisch wie künstlerisch oft gebrauchten Termini ‚Integration’ und ‚Widerstand’ aus? Wenn eine Biennale in Havanna stattfindet, so muss – das zeigt sich rasch - der politische Kontext aufgrund seines immensen Einflusses auf das Festival auch mitgedacht werden.

In der Tat kann Havanna noch immer dem 1984 zur ersten Biennale geäußerten Anspruch, Künstlern vor allem aus peripheren Kunsträumen eine Ausstellungsplattform zu bieten und eine Gegenbewegung zum künstlerischen wie kuratorischen Mainstream (das war damals ganz explizit Venedig) zu initiieren, gerecht werden. Künstler aus Ghana oder Zimbabwe, aus Haiti und der Dominikanischen Republik, aus Albanien oder El Salvador zeigen eine beeindruckende Bandbreite künstlerischer Arbeiten. Daneben stellen aber gleichberechtigt seit 1997 auch Künstler aus den USA, Japan oder Europa aus. Eine Kooperation von Künstlern aus ganz unterschiedlichen Herkunftskulturen besteht beispielsweise und vorbildhaft in dem diesjährigen Projekt „Tales from the New World“, das von dem Kubaner Humberto Díaz ins Leben gerufen und organisiert wurde.

Das Thema „Integración y Resistencia en la Era Global“ wurde – auch – mit Bezug zur weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise gewählt; aus kubanisch-sozialistischer Perspektive eine nicht uninteressante Strategie zur Promotion des eigenen Gesellschaftsmodells. Die Wahl wird im Katalog mit dem internationalen Neoliberalismus, für den der Fall der Berliner Mauer den Weg freimachte, und vor dem schon Marx und Engels gewarnt hätten (das Zitat nimmt eine halbe Seite ein), begründet. Dabei solle die Rolle der Kunst den Ausgangspunkt jeder Überlegung bilden. [1]

Mit Blick auf dieses Motto formulierte der französische Kunstkritiker und Kurator der gerade zu Ende gegangenen 4. Triennale der Tate Britain Nicolas Bourriaud einen zukunftsweisenden Gedanken. Das in seinem Beitrag zu der die Biennale begleitenden Konferenz dargelegte Konzept von „Altermodernität“ nimmt die Postmoderne als schon vollendet an. Bei diesem von ihm definierten Terminus zur Benennung von zeitgenössischer Kunst im globalen Kontext als Reaktion gegen Standardisierung und Kommerzialisierung versteht er die gegenwärtige Kunstszene unter der Prämisse, dass stattdessen eine globale „Altermodernität“ anbreche. [2] Deshalb erstaunt es umso mehr, dass sich Bourriaud geradezu rassistischen Vorwürfen stellen musste (was er beispielhaft tat), als er in der Diskussion dafür angegriffen wurde, dass er sich als Repräsentant der westlichen Kunstwelt überhaupt zu einem Thema der Peripherie äußere. Der in den Diskussionsbeiträgen vorherrschende Tenor, die eigene (National-)Kultur – ob Kuba, Spanien, Griechenland, Costa Rica – als ‚die Peripherie’ und damit als Opfer westlichen Kulturimperialismus herauszustellen, schlug sich in Einseitigkeiten und vereinfachenden Darstellungen des Zentrum-Peripherie-Modells nieder.

Auch wenn die Beiträge des französischen Kunstkritikers Guillaume Désanges, des Künstlers Pablo Helguera (Mexiko/USA) oder des Nordamerikaners Steven C. Dubin zu William Kentridge’s Installationswerk Black Box, das sich mit dem kolonialdeutschen Massaker an den Herero im damaligen Südwestafrika auseinandersetzt, internationale Standards als Maßstab für die Vorträge setzten, so soll doch nicht verschwiegen werden, dass innerhalb der vier Konferenztage das Diskussionsniveau wie das der Vorträge beträchtlich schwankte: Claudia Felipe und Kirenia Rodriguez stellten beispielsweise ein Projekt zur Archivierung vergangener Biennalen vor, das international von untergeordnetem Interesse ist und im Rahmen der Tagung eine konstante inhaltliche Diskussion eher erschwerte. Die Künstlerin und Kuratorin Guita Hashemi (Iran/Kanada) stellte ihren Beitrag „Viva la Revolución“ zu politisch und sozial engagierter Kunst ganz in den Dienst offizieller kubanischer Propaganda.

Mit ähnlich ernüchternd platter Symbolik arbeitet auf künstlerischer Ebene Javier Abreu aus Uruguay wenn er das McDonald’s-Emblem für seine Kritik an Neoliberalismus und kapitalistischer Werbung nutzt. Das gleiche Symbol greift Wilson Díaz Polanco mit Bezug auf Kolumbien als Beispiel eines von der US-Wirtschaft dominierten mittelamerikanischen Landes auf. Der Spanier Rafael Hierro Rivero bedient sich für die Ausstattung seines „Global Village Hotel“ der Mickey Mouse-Figur, des Shell-Emblems und der Zwillingstürme des World Trade Center, ebenso abgenutzte Metaphern westlicher Dominanz.

Trotz solch scharfer Kritik wurden auf der Tagung Themen wie Zensur (im Beitrag von Orlando Britto beispielsweise mit Bezug auf die Kanarischen Inseln) oder prekäre Verhältnisse in der Kunstszene zwar angesprochen, aber nicht mit Bezug auf das Gastland der Biennale. Wenn dies doch geschah, so wurde die Kritik von Seiten der kubanischen Kuratoren Nelson Herrera Isla und Dannys Montes de Oca – aus verständlichen Gründen - in höflichem und bestimmtem Tonfall revidiert und zumeist auf eine Ebene (positiver) persönlicher Erfahrung nivelliert.

Ebenso losgelöst vom augenblicklichen Kontext war - mit Blick auf die Prämisse ‚Integration’ - der Beitrag der brasilianischen Kuratorin Cristina Tejo zum Überwundensein des Raumes im Gegensatz zur bestehenden Diskrepanz der Zeit in ‚postmodernen’ Gesellschaften. Ein solches Modell muss auf Kuba paradox wirken, stellt doch eben die Unüberwindbarkeit räumlicher Distanzen im Alltag der meisten Menschen, der Flüchtlinge natürlich in besonderem Maße, ein Problem dar. [3]

Viele der künstlerischen Beiträge, darunter eine Vielzahl von Konzept- und Installationsprojekten, sind – auch im Gegensatz zur Tagung - vielseitig und behandeln sehr heterogene Themenfelder. Besonders die gemeinschaftlich entstandenen Werke der paraguayischen Künstler Erika Meza und Javier López „El Peso de la Memoria I“ und das Video „Haciendo Mercado“, sollen hervorgehoben werden. Darin verhandeln sie Konzepte von ‚Indigenität’ und kritischer Authentizität im Konflikt mit denen der Moderne, der Wirtschaftlichkeit, und der Körper. Alexandre Sequeira druckte in einem brasilianischen Dorf Fotografien der Bewohner als Silhouetten auf zumeist bunt gemusterte Textilien aus deren eigenem Besitz: Bettlaken, Vorhänge oder Hängematten, und schuf so intimste Eigentümer von Menschen, die oftmals in extremer Weise unter materieller Armut zu leiden haben. Tirzo Martha aus Curazao beschäftigt sich in seinen Installationen mit dem Ausverkauf von Kultur im Namen des internationalen Tourismus. Beim Betrachter rufen die bunten Konstruktionen zuallererst ein Gefühl verspielter Sehnsucht nach Folklore und touristisches Interesse hervor, erst auf den zweiten Blick stört diese Empfindung. Beispielsweise wenn in der Werbesendung für Kreuzfahrten in die Karibik mit dem Slogan „No Natives!!“ geworben wird.

Die Kolumbianerin Milena Bonilla Galeano invertiert ironisch und arbeitsaufwendig Karl Marx’ im „Kapital“ geäußerte Maxime, dass der Kapitalismus mit der Ablösung des Handwerks durch industrielle Produktionsmethoden den Menschen von dem Produkt entfremde dadurch, dass sie das gesamte „Kapital“ mit der linken (!) Hand abschrieb.
„La Crisis es Estética“ des Argentiniers Diego Bianchi verwandelt Müll in erstaunlich barocke Formen, die ein ganzes Zimmer ausfüllen und dieses in einen ästhetischen Erfahrungs- und Entdeckungsraum verwandeln. Luis Simões aus Brasilien wählt ein ähnliches Thema: er akkumuliert Dinge, die außerhalb ihres funktionalen Kontextes ihre ursprüngliche Bedeutung verlieren, zu schillernden kleinteiligen Glaskästen.

In der Fotografie zeigt Fausto Ortiz poetisch verzerrte Bilder aus der Serie „Ciudad de Sombras“, Walterio Iraheta aus El Salvador führt in seinen Bildern die Vielstimmigkeit von Moderne in autochthonen Gesellschaften vor, dabei hält er immer einen respektvollen Abstand zu seinen Modellen ein. Leonel Luna zeigt in ihren großformatigen Hochglanzfotografien Einblicke in die von ihr als Epos interpretierte Andenwelt mit detaillierter Form- und Farbgebung. Die Südafrikaner Hassan und Husain Essop spielen in ihren evident inszenierten Fotografien mit den Ängsten und Vorurteilen ‚des Westens’ gegenüber ‚dem Islam’. Die Videokunst wird beispielsweise vertreten durch Adrián Paci aus Albanien, der Migrations- und Fluchtproblematiken eben auch innerhalb der Grenzen Europas behandelt.

Eine unbedingt zu erwähnende Ausnahme unter den zumeist von kubanischen Künstlern im Begleitprogramm der Biennale „Colaterales“ gezeigten Performances stellt der Mexikaner Guillermo Gómez Peña dar, der am 29. März eine thematisch komplexe Performance mit mehreren anderen Künstlern, darunter Tania Bruguera, im Centro de Arte Wifredo Lam durchführte. Im Kostüm des „Chamán travesti“ zitierte er jedwede Form postkolonialer Problematiken, ohne dabei auch nur im Ansatz moralisierend zu werden.

Viele der Beiträge – sowohl der Tagung als auch der Ausstellungen - waren für sich genommen aufschlussreich und hochinteressant – auch mit Blick auf das Thema des Festivals. Gerade eine Konfrontation und Diskussion blieb allerdings aus. Dies macht es nicht leicht, ein Resultat – auch mit Bezug zu Integration oder Widerstand in der Kunst im Allgemeinen zu ziehen. Dazu war vermutlich das Motto zu weit gefasst, vor allem die Vorträge zu allzu disparaten Themen gewählt. Ein echter Dialog wurde so eher erschwert und oftmals verhindert. Die Diskrepanz zwischen dem von kubanischer Seite geäußerten Anspruch an die Biennale in Havanna und dessen Erfüllung ist leider frappierend.

Anmerkungen:
[1] Zum Evento Teórico existiert ein nicht frei verkäuflicher Tagungsband mit den Texten der Redner in spanischer und englischer Sprache. Dabei sollte darauf hingewiesen werden, dass Originaltexte im Französischen zuerst ins Spanische übersetzt wurden, und sodann diese ins Englische – sodass freilich teilweise eigenwillige Interpretationen unternommen wurden. Der zumindest anfangs ebenfalls nicht frei verkäufliche (und bisher auch nicht in Europa bestellbare) Katalog zur Biennale ist bezeichnenderweise den „ersten 50 Jahren der Revolution, und Fidel“ gewidmet. Alle teilnehmenden Künstler werden mit ihren Werken vorgestellt, anlässlich des 10. Jubiläums gibt es einen Überblick die vergangenen Havanna-Biennalen. Hier: Valle Lantarón, José del (Hrsg.): Décima Bienal de La Habana 2009. Integración y Resistencia en la Era Global. Sevilla 2009, S. 16/17 und 520/521.
[2] Bourriaud, Nicolas: Radikant. Berlin 2009.
[3]http://www.amnesty.de/laenderbericht/kuba?country=194&topic=216&node_type=&from_month=0&from_year=&to_month=0&to_year=&submit.x=112&submit.y=9&submit=Auswahl+anzeigen&result_limit=10&form_id=ai_core_search_form, 30.05.2009.

Empfohlene Zitation:
Oesterreich Miriam: [Rezension zu:] Integración y Resistencia en la Era Global (Décima Bienal de La Habana 2009, 23.03.–30.04.2009). In: ArtHist.net, 12.06.2009. Letzter Zugriff 29.03.2024. <https://arthist.net/reviews/371>.

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