REV-EX 04.06.2022

Kunst für Keinen. 1933–1945

Schirn Kunsthalle, Frankfurt am Main, 04.03.–06.06.2022
www.schirn.de/ausstellungen/2022/kunst_fuer_keinen/

Rezensiert von Nora Jaeger und Darja Jesse
Redaktion: Steffen Haug
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Die Ausstellung „Kunst für Keinen. 1933–1945“, die vom 4. März bis zum 6. Juni 2022 in der Schirn Kunsthalle Frankfurt/Main gezeigt wird, nimmt deutsche Künstler:innen der Moderne während des Nationalsozialismus in den Blick. Der Fokus der Schau liegt auf Lebenswirklichkeiten derjenigen Künstler:innen, die rassistisch oder politisch verfolgt beziehungsweise von Kunsthochschulen entlassen worden waren, jedoch weiterhin in Deutschland verblieben. „Während ihr Bleiben und Weiterarbeiten in der Nachkriegszeit als künstlerischer Widerstand interpretiert wurde, sehen wir viele Lebensläufe heute kritisch und hinterfragen die apologetischen Narrative der Nachkriegszeit“, heißt es im Einführungstext der Schau.

„Kunst für Keinen“ versammelt rund 140 Kunstwerke von vier bildenden Künstlerinnen und zehn Künstlern sowie eine filmische Arbeit von 1932. Bis auf eine undatierte Ausnahme sind alle ausgestellten Werke – darunter Gemälde, Zeichnungen, Grafiken, Fotografien und Skulpturen – zwischen 1933 und 1945 entstanden. Der Einführungstext und eine Aufstellung der vorgestellten Künstler:innen versprechen eine „vielschichtige historische Aufarbeitung“. Der Ausstellungsparcours ist klar gegliedert und widmet jeder künstlerischen Position einen eigenen Saal, beginnend mit Jeanne Mammen (1890–1976), Hans Uhlmann (1900–1975) und Edmund Kesting (1892–1970). Es folgen Willi Baumeister (1889–1955), Werner Heldt (1904–1954), Fritz Winter (1905–1976) und Franz Radziwill (1895–1983). Die Raumtexte skizzieren die jeweilige Biografie in der Zeit von 1933–1945, während ausgewählte Werke durch ausführliche Objekttexte vorgestellt werden. Eine dramaturgische Zäsur erfährt die Ausstellung durch den Film „Letzte Wahl (Wahlkampf 1932)“ von Ella Bergmann-Michel (1895–1971). Die folgenden Säle thematisieren das Leben und Werk von Karl Hofer (1878–1955), Hans Grundig (1901–1958), Lea Grundig (1906–1977), Ernst Wilhelm Nay (1902–1968), Hannah Höch (1889–1978) und Marta Hoepffner (1912–2000) im Nationalsozialismus. Die Schau schließt mit Otto Dix (1891–1969).

Die in der Ausstellung präsentierten Lebenswirklichkeiten werden von den Texten des im Hirmer Verlag erschienenen Ausstellungskatalogs weiter aufgefächert. Auf knapp 300 Seiten beinhaltet er unter anderem eine Einführung der Kuratorin Ilka Voermann, vierzehn Texte von zwölf Autor:innen zu den ausgestellten Positionen und zahlreiche Farbabbildungen. Das Rahmenprogramm der Ausstellung mit interdisziplinären Führungsformaten für Kinder sowie Erwachsene und das Digitorial – ein Online-Vermittlungsangebot der Schirn – bieten weitere Vertiefungsmöglichkeiten.

„Die getroffene Auswahl ist […] keineswegs als vollständig zu verstehen“, hebt Voermann im Ausstellungskatalog hervor, sondern „behandelt Beispiele, die stellvertretend für eine große Zahl von Lebensläufen, Medien und künstlerischen Ausdrucksformen stehen“ (S. 28). Die vorgestellten Künstler:innen repräsentieren die Komplexität der individuellen Lebensverläufe während der NS-Diktatur. Die vielfach vereinfachten Erzählstrategien über Verfolgung, Berufsverbote und „innere Emigration“ im Kunstbetrieb der Nachkriegszeit möchte die Schau zugunsten einer nuancierten Betrachtungsweise und mithilfe von Grundlagenforschung aufbrechen.

Die Künstlerin Jeanne Mammen bildet den Auftakt der Ausstellung. Beim Betreten des Saals fällt der erste Blick auf ihr kubistisches Gemälde „Sterbender Krieger (Junger Soldat im Frontfeuer)“ von circa 1943, das zugleich das Ausstellungscover ziert. Von Pablo Picassos „Guernica“ auf der Pariser Weltausstellung 1937 inspiriert, wandte sich die Künstlerin fortan vermehrt der kubistischen Formensprache und dem Kriegssujet zu. Als einst gefragte Grafikerin lebte sie während des Nationalsozialismus, trotz der Mitgliedschaft in der Reichskammer der bildenden Künste und der Tätigkeit am Reichsinstitut für Puppenspiel, zurückgezogen in Berlin. Ihre ausdrucksstarken, farbintensiven Bilder und Plastiken verwahrte sie bis Kriegsende in ihrem Atelier am Kurfürstendamm 29.

Eindrücklich sind ebenfalls die Kunstwerke des Ehepaars Lea und Hans Grundig, die aufgrund ihres Engagements für den Kommunismus verfolgt wurden. Der 13-minütige Film „Letzte Wahl (Wahlkampf 1932)“ von Ella Bergmann-Michel, auf den der Ausstellungskatalog leider nicht näher eingeht, zeigt einen durch Wahlplakate, SA-Truppen und Wahllokale geprägten städtischen Alltag in Frankfurt am Main am Ende der Weimarer Republik. Während dieser Filmaufnahmen wurde Bergmann-Michel von der Gestapo verhaftet und musste ihre Dreharbeiten einstellen.

Die Kunst von Jeanne Mammen, Ella Bergmann-Michel, Lea und Hans Grundig war während des Nationalsozialismus für die Öffentlichkeit unsichtbar. Doch anders als der Ausstellungstitel suggeriert, nahmen andere der vorgestellten Künstler:innen aktiv am Kunstbetrieb teil. Dafür stehen unter anderem die Lebensgeschichten von Werner Heldt, Franz Radziwill und Otto Dix. Heldt emigrierte 1933 zunächst nach Mallorca, kehrte aufgrund des Spanischen Bürgerkriegs 1936 aber nach Berlin zurück, wurde Mitglied in der Reichskammer der bildenden Künste und erhielt ein Atelier in der Berliner Ateliergemeinschaft Klosterstraße. „In dieser arbeite[te]n sowohl nationalsozialistische als auch regimekritische“ Künstler:innen, wie der Wandtext berichtet. Der Katalog verrät zudem, dass Heldt 1937 seine erste Einzelausstellung in der Galerie Fritz Gurlitt erhielt, 1940 in der Galerie Buchholz zu sehen war und an den Fabrikausstellungen um Otto Andreas Schreiber mitwirkte (S. 119; S. 132, Anm. 6). Damit schuf Heldt nicht nur Kunst für Keinen, sondern offenbar für ein Publikum.

Einen besonders prägnanten Kontrast bieten visuell und biografisch die Maler Fritz Winter und Franz Radziwill, deren Werke aufeinander folgen. Wie viele der in Frankfurt gezeigten Künstler:innen erlebten auch diese 1937 die Konfiszierung ihrer Werke im Rahmen der Beschlagnahmeaktion „Entartete Kunst“. Doch ist dies nahezu ihre einzige Gemeinsamkeit. Die zarten, fast abstrakten Naturstudien zeichnete Winter größtenteils ab 1939 als Soldat der Wehrmacht. Auf deren Grundlage gestaltete er 1944 die kristallin anmutenden farbigen Darstellungen der Serie „Triebkräfte der Erde“, die erst nach Kriegsende eine Öffentlichkeit finden sollten. Der Durchgang zwischen Winters Kompositionen gibt den Blick auf Franz Radziwills „Stilleben mit Fuchsie“ von 1938 frei. In diesem Jahr erhielt Radziwill zwar kurzzeitig ein Verbot für Einzelausstellungen, bekam aber weiterhin private wie öffentliche Aufträge. Als Kulturfunktionär – er war ab 1935 Kulturstellenleiter im damaligen Kreis Friesland – fand Radziwill, der im Mai 1933 der NSDAP beigetreten war, einen Platz im nationalsozialistischen System. Die Beschlagnahme einiger seiner Werke als „entartet“ führte nicht zum Ausschluss aus dem Kunstbetrieb.

Die Ausstellung schließt mit Landschaftsbildern und christlich-allegorischen Darstellungen von Otto Dix und fragt nach den Anpassungsstrategien des Künstlers. „Verkäufe und Ausstellungsbeteiligungen sowie die Mitgliedschaft in der Reichskammer der bildenden Künste stehen aus heutiger Perspektive in starkem Gegensatz zu der vehementen Diskriminierung, die Otto Dix erdulden musste“, heißt es im Ausstellungskatalog (S. 78). Dix blieb, wenn auch sporadisch, auch nach seiner Entlassung von der Dresdner Kunstakademie im Jahr 1933 in der Öffentlichkeit präsent. Mit Blick auf die altmeisterlich gemalten Landschaften, die sein Œuvre während des NS-Regimes prägten, fragt die Ausstellung, ob der Künstler „durch diesen motivischen Wechsel, einem drohenden Berufsverbot zu entgehen“ versuchte.

Formal überzeugt das kuratorische Konzept mit einer luftigen Hängung, den in Petrol getünchten Wänden sowie einer dynamischen Ausstellungsarchitektur. Ein stabileres Fundament für die präsentierten Erkenntnisse hätte hingegen eine Erläuterung zu den eingangs genannten „apologetischen Narrative[n] der Nachkriegszeit“ geboten, die „Kunst für Keinen“ kritisch hinterfragen möchte. Die in der Pressemappe als Wandtexte gekennzeichneten und für die Kontextualisierung dringend notwendigen Passagen „Die Reichskulturkammer“, „Entartete Kunst“, „Malverbot?“, „Innere Emigration“ und „Chronologie 1933–1945“, in denen die Widerstands- und Opfernarrative analytisch in den Blick genommen werden, fehlen in der Ausstellung. Eine lohnende visuelle Ergänzung zu den sonst nur durch Wand- und Objekttexte vermittelten Informationen wären zudem archivarische Quellen, wie die Anmeldebögen der Künstler:innen für die Reichskammer der bildenden Künste oder zeitgenössische Periodika. Insbesondere der Ausstellungskatalog und das Digitorial stützen aber das Anliegen der Schau und bereichern die präsentierten Inhalte um eine vielschichtige, diskursive Ebene.

Insgesamt gelingt es der Ausstellung, eine Annäherung an die Komplexität des Handlungsspektrums der vorgestellten Künstler:innen während des Nationalsozialismus vorzunehmen und die Besucher:innen für die Thematik zu sensibilisieren. Die Schirn Kunsthalle schließt sich damit einer Reihe von gelungenen Sammlungs- und Sonderausstellungen zur Kunst im Nationalsozialismus an, die in jüngster Vergangenheit in der Pinakothek der Moderne in München, im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart, der Neuen Nationalgalerie oder im Brücke-Museum in Berlin gezeigt wurden.

Voermann, Ilka (Hrsg.): Kunst für Keinen. 1933-1945, München, Frankfurt am Main: Hirmer Verlag 2022
ISBN-13: 978-3-7774-3849-8, 296 Seiten, 39 Euro (Schirn), 49,90 Euro (Buchhandel)

Empfohlene Zitation:
Nora Jaeger und Darja Jesse: [Rezension zu:] Kunst für Keinen. 1933–1945 (Schirn Kunsthalle, Frankfurt am Main, 04.03.–06.06.2022). In: ArtHist.net, 04.06.2022. Letzter Zugriff 19.03.2024. <https://arthist.net/reviews/36864>.

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