REV May 1, 2022

Fleck, Niels; Grewe, Cordula (Hrsg.): Schön wie ein Schadow

Reviewed by Wolfgang Cortjaens, Deutsches Historisches Museum, Berlin
Editor: Livia Cárdenas
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Wie lohnend eine Verbindung kunsttechnologischer und kunsthistorischer Fragen sein kann, beweist der so ansprechend gestaltete wie inhaltlich ergiebige Begleitband einer Studienausstellung der Kunstsammlungen der Veste Coburg von 2021, der sich den Interdependenzen zwischen der Ölmalerei und der materialbedingt von der Forschung bislang eher vernachlässigten Porzellanmalerei widmet. Im Mittelpunkt steht ein Hauptwerk der Coburger Gemäldesammlung: das lange Zeit als Bildnis der Schauspielerin Karoline Bauer geltende Porträt einer jungen Italienerin. Die 1832 gemalte Urfassung befindet sich in der Klassik Stiftung Weimar. Als Urheber des Originals konnte unlängst der Coburger Porzellanmaler Friedrich Müller (1795/1796–1834) identifiziert werden, der u.a. in Thüringen, an der Königlichen Porzellan-Manufaktur (KPM) Berlin und in der Schmidtschen Porzellanmalereianstalt Coburg (später nach Bamberg übersiedelt) angestellt war. Müllers einziges erhaltenes Ölgemälde war die Frucht seiner während einer Italienreise (um 1829/31) erfolgten Hinwendung zur Ölmalerei. Es war zugleich die einzige nachhaltig erfolgreiche Bildschöpfung des nur zwei Jahre nach Vollendung des Bildes verstorbenen Künstlers, dessen Urheberschaft bis vor wenigen Jahren unbekannt war. Noch zu Lebzeiten Müllers wurde das Gemälde mehrfach kopiert, sowohl in Öl als auch in Porzellanmalerei, wovon etwa ein in Coburg erhaltener Pfeifenkopf der KPM zeugt (Abb. S. 13). Aktuelle Forschungen, angestoßen durch eine 1998 im Kunsthandel aufgetauchte weitere Fassung des Bildes (heute Privatbesitz Köln), brachten nicht nur den Namen des Urhebers ans Tageslicht, sie ergaben auch, dass es sich bei der Dargestellten mitnichten um die langjährige Geliebte des Prinzen Leopold von Sachsen-Coburg und Gotha handelt, sondern um Fortunata Segadori, die in den 1820-er und 1830-er Jahren in Rom das „gesuchteste Modell, die berühmteste Schönheit Roms“ (so der Literat und Italienreisende Wolfgang Menzel 1835) war und mehreren deutschen Künstlern Modell saß, darunter August Riedel, Johann Heinrich Richter und Adolf Henning. Der Titel des Bandes „Schön wie ein Schadow“ bezieht sich auf die nach der Entdeckung der Kölner Fassung von der als Mitherausgeberin zeichnenden Schadow-Expertin Cordula Grewe (Indiana University Bloomington) vorgenommene Zuschreibung an Wilhelm Schadow, dessen zwischen realer Studie und idealtypischer überzeitlicher ,poetischer‘ Verklärung oszillierenden Bildnisse das Porträtgenre neu definierten. Die seinerzeit noch aufgrund stilistischer Merkmale sowie der malerischen Brillanz vorgenommene Zuschreibung Grewes wurde im Zuge ihrer Arbeit am Catalogue raisonnée der Gemälde Schadows – 2017 in einer prachtvollen Edition im Verlag Michael Imhof erschienen – und im Vergleich mit Versionen in Coburg und Weimar revidiert.

Unter dem Titel „Dreimal Fortunata“ untersucht Mitherausgeber und Ausstellungskurator Niels Fleck im einleitenden Beitrag des Bandes die Genese und Entstehungshintergründe der Weimarer Urfassung (aus der Sammlung des Großherzogs Carl-Friedrich von Sachsen-Weimar-Eisenach) und ihrer zeitgenössischen Kopien in Coburg und Köln. Der Beitrag von Anne Levin stellt Flecks konziser Ausbreitung der verschlungenen Entstehungsgeschichte eine ebenso erhellende Analyse aller drei Fassungen unter kunsttechnologischen Aspekten an die Seite. Anschaulich und in klar verständlicher Sprache erläutert Levin die Unterschiede im Aufbau der Malschichten, in der Unterzeichnung und Leinwandbindung, im Farbauftrag und der Wahl der Malmittel. Auflicht- und Infrarotaufnahmen der drei Fassungen ermöglichen es, die teils komplexen kunsttechnologischen Unterscheidungen nachzuvollziehen. Nicht zuletzt sie trugen zur Identifizierung der Weimarer Fassung als ,Ur‘-Fassung bei, was sich aus Beobachtungen zur freieren Linienführung ergibt. Der Beitrag von Cordula Grewe verortet Müllers „Bildnis der Fortunata Segadori“ ikonografisch in das Umfeld der Schadowschen Idealporträts, an denen Müller sich offenkundig orientierte. Nicht zufällig ist Müllers einziges erhaltenes Porzellangemälde eine Kopie nach Schadow, nämlich des in Privatbesitz erhaltenen Gemäldes „Kamaldulenser-Mönch“ von 1818! Schadow selbst entlieh 1821 in Berlin die Leinwand an den jungen Porzellanmaler zum Zweck des Kopierens. Das Auffinden dieses vor wenigen Jahren noch verschollen geglaubten frühen Hauptwerks sowie weiterer Arbeiten erlaubt eine Neubewertung von Schadows dezidiert anti-akademischem Frühwerk und seines zweiten Italienaufenthalts von 1830/31. In Coburg war der Mönchskopf erstmals seit dem 19. Jahrhundert ausgestellt, was den direkten Vergleich mit Müllers exzellenter Kopie auf einer Porzellanplatte (Museumslandschaft Hessen-Kassel) ermöglichte. Im Katalog wird dieser Vergleich im lesenswerten, durch zahlreiche UV- und Infrarotaufnahmen illustrierten Beitrag der am Institut für Kunsttechnologie und Konservierung des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg zur Restauratorin ausgebildeten Expertin Eva Reinkowski-Häfner, bekannt durch ihre Veröffentlichungen zur Temperamalerei des 19. Jahrhunderts, vertieft.[1] Die technologische Untersuchung von Leinwand und Porzellanplatte bietet Aufschlüsse zur Zusammensetzung der Malfarben, die auf eine damals durchaus beabsichtigte Verwandtschaft zwischen Öl- und Porzellanmalerei schließen lassen, etwa die Verwendung von Quarz, Glaspulver und farbigem geriebenem Glas auch bei der Ölfassung, von der sich Schadow „besondere Klarheit, Durchsichtigkeit und Leuchtkraft in der Malerei erhoffte.“ (S. 90)

Zwei Beiträge des Bandes schließlich widmen sich dem im 19. Jahrhundert weit verbreiteten Kopienwesen: Ilka Voermann (SCHIRN Kunsthalle Frankfurt) umreißt verschiedene Formen und den Funktionswandel der Kunstkopie im ,langen‘ 19. Jahrhundert: von der „erste[n] malpraktische[n] Erfahrung“ angehender junger Künstler über die in den öffentlichen Galerien tätigen „Berufskopisten“, von der zu Zwecken der Vollständigkeit angefertigten Kopie in öffentlichen Sammlungen hin zu Gemäldekopien im Kontext musealer Präsentation oder herrschaftlicher Repräsentanz. Thomas Aufleger (Germanisches Nationalmuseum Nürnberg) beschließt den Band mit einer kenntnisreichen Darstellung der Stellung von Porzellanerzeugnissen und deren durch die Entwicklung neuartiger Rezepturen und Herstellungstechniken begünstigten Aufschwung am Ende der napoleonischen Zeit („... die Porzellanmalerei eine Stufe höher zu heben ...“. Gemäldekopien in der europäischen Porzellankunst des 19. Jahrhunderts). Die sogenannten Plattengemälde führten ab etwa 1800 rasch zu einer gesteigerten Popularität des Werkstoffs Porzellan, entfachten aber zugleich Kontroversen um dessen künstlerische Autonomie. Auflegers Beitrag ergänzt die übrigen Beiträge des Bandes somit um eine rezeptionsgeschichtliche Ebene, die die zentrale Frage nach der Zweitrangigkeit der rein „dienenden“ Kopie bzw. Replik (in diesem Fall die Porzellanmalerei) gegenüber der vermeintlich authentischeren Original (Ölmalerei) beleuchtet. In dieser dichotomen Spannung leuchtet der für das gesamte 19. Jahrhundert so bezeichnende Widerstreit von (vermeintlicher) künstlerischer Aura des „Urbildes“ und seiner (vermeintlich) minderwertigeren Replik.

Insgesamt haben die Herausgeber:innen und Autor:innen sowie einmal mehr der für das hohe drucktechnische Niveau seines kunsthistorischen Verlagsprogramms bekannte Imhof Verlag mit dem Begleitband einen von der Forschung vernachlässigten Aspekt zur Malerei des 19. Jahrhunderts ebenso neu belebt wie den noch keineswegs abgeschlossenen Autonomie-Diskurs.

Zu bedauern ist allenfalls, dass im Rahmen der Überlegungen zum Kopienwesen die Verbreitung und Popularisierung von ,reproduktionswürdigen‘ Motiven nur peripher behandelt werden und einige wichtige Kopiensammlungen abseits der Metropolen ungenannt bleiben.[2] Auch den mit nur wenigen Beispielen gestreiften grafischen Reproduktionen, die durch das Aufkommen neuer Drucktechniken ab etwa 1820 als breitenwirksames Medium zur Popularisierung von Gemäldevorlagen beitrugen, hätte man mehr Raum gewünscht; dasselbe gilt für das Vertriebssystem der Porzellanmanufakturen. Aber vermutlich hätte dies den Blick für die Neuartigkeit und Originalität des hier erstmalig verfolgten Ansatzes getrübt. So ist denn die vorliegende Mikrostudie mit ihrer Fokussierung auf technologische und rezeptionsästhetische Aspekte ein ebenso gelungenes wie wegweisendes Modell für künftige interdisziplinäre Kooperationen zwischen Kunstgeschichte, Kunsttechnologie und Restaurierung.

[1] Vgl. Eva Reinkowski-Häfner, Die Entdeckung der Temperamalerei im 19. Jahrhundert. Erforschung, Anwendung und Weiterentwicklung einer historischen Maltechnik (= Schriften des Instituts für Archäologie, Denkmalkunde und Kunstgeschichte; Bd. 2), Petersberg 2014. Rezension: http://www.sehepunkte.de/2016/10/28333.html (abgerufen am 24.04.2022).
[2] Zu nennen wären die bedeutenden Kopiensammlungen des Lindenau-Museum Altenburg und des ehemaligen Reiff-Museums in Aachen; beide auf Privatinitiativen hervorgegangenen Museumsgründungen zählten damals zu den größten Kopiensammlungen im Deutschen Kaiserreich. Vgl. Sarah Kinzel, Kunst für jedermann. Die Gemäldekopiensammlung Bernhard August von Lindenaus. Lindenau-Museum Altenburg, Altenburg 2015; Martin Turck, Das Reiff-Museum der Technischen Hochschule Aachen: Akademisches Kunstmuseum und zeitgenössische Avantgarde in der Provinz, Aachen 1994.

Fleck, Niels; Grewe, Cordula (Hrsg.): Schön wie ein Schadow. Friedrich Müllers Fortunata-Porträt im Kontext, Petersberg: Michael Imhof Verlag 2021
ISBN-13: 978-3-7319-1104-3, 143 S., EUR 24.95, Inhaltsverzeichnis

Recommended Citation:
Wolfgang Cortjaens: [Review of:] Fleck, Niels; Grewe, Cordula (Hrsg.): Schön wie ein Schadow. Friedrich Müllers Fortunata-Porträt im Kontext, Petersberg 2021. In: ArtHist.net, May 1, 2022 (accessed Mar 29, 2024), <https://arthist.net/reviews/34102>.

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