REV 28.04.2008

Jörg Trempler: Schinkels Motive

Rezensiert von Klaus Jan Philipp, Stuttgart
Redaktion: Philipp Zitzlsperger

Das Buch kommt einem Dammbruch gleich. Es macht zwei Fronten auf, die die Schinkel-Forschung und damit auch die Forschung zur Architekturgeschichte des 19. Jahrhunderts verändern werden. Die eine Front betrifft das so genannte Lehrbuch Schinkels, das Goerd Peschken 1979 als 14. Band des Schinkelschen Lebenswerks ediert und kommentiert hat. Die zweite Front rekurriert ebenfalls auf Peschkens Edition, greift aber weiter aus und geht das grundsätzliche Problem der stilgeschichtlichen Periodisierung von Schinkels Werk an. An der ersten Front kämpft vor allem Kurt W. Forster, dessen Beitrag zu Recht als Essay qualifizert ist, denn es handelt sich um eine teils intelligent polemische, teils sehr erhellende und zukunftsweisende, teils aber auch zu stürmische Auseinandersetzung mit der Lehrbuch-Edition Peschkens. An der zweiten Front eröffnet Jörg Trempler einen neuen Blick aufs Schinkels Lebenswerk, das er durch die Verfolgung von bestimmten Motiven, die immer wieder in Schinkels Bauten und Bildern auftreten, zu einer neuen Einheit bindet.

Peschkens Leistung war es gewesen, den schriftlichen Nachlass Schinkels so zu ordnen, dass sich ein auf den ersten Blick kohärentes Lehrgebäude ergab und sich zudem bestimmte Phasen der Erarbeitung eines Lehrbuchs konstruieren ließen: Ein Frühwerk, eine romantisch gotische Phase, eine klassizistische sowie eine technizistische und eine legitimistische Phase. Diese Phasen konnte Peschken recht sinnvoll mit den Bauten Schinkels parallel setzen. Die Schinkelforschung besonders im Schinkel-Jahr 1981 folgte Peschken gern und die Periodisierung Schinkels Schaffen galt mithin als Lehrmeinung. Aber auch ohne sich mit dieser Periodisierung auseinanderzusetzen, war Peschkens Edition für alle ein Steinbruch, aus dem man sich gern bediente. Denn es lässt sich für „jeden“ Schinkel immer das richtige Zitat finden, für den malerisch arbeitenden Schinkel, für den Konstrukteur Schinkel, für den modernen Schinkel ebenso wie für den Historisten Schinkel etc. Aber auch die ernsthafte Schinkel-Forschung hat Peschken viel zu verdanken, ja man kann sicher sein, dass die Schinkelforschung einen anderen Gang genommen hätte, wenn das „Lehrbuch“ erst später erschienen wäre. Angesichts der Schärfe, mit der Forster sich im vorliegenden Band gegen Peschken stellt, muss hier dessen großes Verdienst um die Schinkel-Forschung auch trotz der sehr guten Argumente, die nun gegen seine Interpretation sprechen, hervorgehoben werden.

Dennoch wird man sich daran gewöhnen müssen, nicht mehr an der Lehrbuch-Konstruktion festzuhalten. Selbst Peschken gestand 1979 ein, dass es für einen Lehrbuch-Plan Schinkels keinen „archivalischen Anhalt“ gebe. Es handelt sich also eher um Fragmente, Aphorismen, Notate eines Architekten, der ebenso selbstverständlich Texte wie Entwürfe zu Papier brachte. Die eigentliche theoretische Leistung Schinkels sieht Forster zurecht deshalb nicht im „Lehrbuch“ sondern in Schinkels „Sammlung architektonischer Entwürfe“, die er neben anderen Publikationen von 1819 bis zu seinem Lebensende sukzessive zu seinem sich wandelnden Werken herausgab und damit die Idee des „oeuvre complète“ in die Welt setzte, das somit als eine sich stetig fortschreibende „Lehre“ an die Stelle „altväterlicher Lehrbücher“ (31) getreten sei.

Tremplers motivischer Zugriff auf Schinkels Werk unterstützt Forsters Polemik an Peschkens Lehrbuch-Konstruktion auf überzeugende, feinfühlige Weise, die tief in die Bild- und Architekturikonolgie Schinkels einführt. Er untersucht exemplarisch mit Brunnen, Bäumen und Denkmälern drei Motive, die in allen „Phasen“ von Schinkels Werk erscheinen und somit ein Moment der Kontinuität innerhalb des sich durchaus auch vollziehenden Stilwandels in Schinkels Werk bilden. Richtig aber stellt Trempler klar, dass durch den Wechsel des Stils nicht zwingend auch Schinkels Gesinnung eine andere geworden sei: „Schinkel ändert die Ausdrucksform, aber nicht das Prinzip.“ (229) Hervorzuheben ist Tremplers Engführung von Malerei und Architektur Schinkels, wobei er sich die Frage stellt, ob es auch das „sentimentalische Gebäude“ im Sinne Werner Buschs gäbe. Die Debatte um den Kunstwert der Architektur, die seit der Mitte des 18. Jahrhunderts gärte und die Schinkel ins 19. Jahrhundert hinein verlängerte, hatte eigentlich schon Goethe geklärt, indem er in seinem „Schema“ von 1795 von der „Überbefriedigung des Sinnes“ als dem „höchsten“ Zweck der Baukunst spricht. So könne es der Baukunst gelingen, „einen gebildeten Geist bis zum Erstaunen und Entzücken“ zu erheben. Dies sei der „poetische Teil der Baukunst, in welchem die Fiktion eigentlich wirkt“ (WA IV, 47, 69). Dieses Verständnis von Baukunst als materialisierter Poesie und Malerei bringt Trempler für Schinkel auf die Formel: „Die Bauwerke Schinkels entledigen sich durch die bildhafte Inszenierung der Motive ihres reinen Nutzwerts.“ (237). Architektur als Kunst jenseits der vitruvianischen Trias von firmitas, utilitas und venustas ließe sich als ein Leitgedanke der Architektur Schinkels aufstellen. Tremplers Untersuchung von Schinkels Motiven, die durch viele andere sich durch sein Werk kontinuierlich ziehende Motive erweitert werden könnten, ist nicht nur in Hinsicht auf Schinkel, sondern für die Architekturdebatte des frühen 19. Jahrhunderts eine zum Weiterdenken anregende Lektüre. Das Buch ist mit leichter Hand geschrieben, ohne dass ihm wissenschaftlicher Tiefgang fehlt; der Verlag hat es schön gestaltet, wenn auch auf dem weichen Papier einige der Abbildungen undeutlich werden.

Dammbrüche haben wie jedes Naturereignis neben der negativen oft auch eine positive Seite: Der hier vorliegende Dammbruch in der Schinkelforschung wird auf der positiven Seite eine Diskussion in Gang bringen, die Schinkel aus dem zu eng gezogenen Korsett der Stilgeschichte befreien und ganz neue Ansätze eröffnen wird.

Trempler, Jörg: Schinkels Motive, Berlin: Matthes & Seitz Berlin Verlagsgesellschaft mbH 2007
ISBN-13: 978-3-88221-866-4, 319 S., EUR 28.90

Empfohlene Zitation:
Klaus Jan Philipp: [Rezension zu:] Trempler, Jörg: Schinkels Motive, Berlin 2007. In: ArtHist.net, 28.04.2008. Letzter Zugriff 29.03.2024. <https://arthist.net/reviews/337>.

Creative Commons BY-NC-NDDieser Text wird veröffentlicht gemäß der "Creative Commons Attribution-Noncommercial-No Derivative Works 4.0 International Licence". Eine Nachnutzung ist für nichtkommerzielle Zwecke in unveränderter Form unter Angabe des Autors bzw. der Autorin und der Quelle gemäß dem obigen Zitationsvermerk zulässig. Bitte beachten Sie dazu die detaillierten Angaben unter https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/deed.de.

^