REV-CONF 27.03.2021

7. Forum der Kunstgeschichte Italiens - Mobilität: Personen, Objekte, Ideen

Erlangen / online, 22.–24.02.2021

Bericht von Jennifer Krieger, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Lorenz Orendi, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Redaktion: Livia Cárdenas

[Bericht im Auftrag der Veranstalter]

Ostinato vo’ seguire

Was bedeutet die Überführung einer Institution wie dem „Forum Kunstgeschichte Italiens“ in digitale Formate? An in Regelmäßigkeit wiederkehrenden Tagungen schätzen wir Vorträge, Diskussionen, Gespräche, Begegnungen – das unmittelbare und gemeinsame Erleben von praktizierter Wissenschaft. Sie ermöglichen den fachlichen Austausch sowie eine Orientierung über gegenwärtige Fachdiskurse von Arrivierten und jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Darüber hinaus bringen es diese Formate mit sich, dass auch persönliche Wege sich in angenehmer Regelmäßigkeit immer wieder kreuzen. Diese Praxis wurde durch die Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie ab 2020 unterbrochen.

Das siebte „Forum Kunstgeschichte Italiens“ sollte ursprünglich vom 9. bis 11.03.2020 am Institut für Kunstgeschichte der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg stattfinden, musste aber pandemiebedingt verschoben werden und wurde schließlich unter dem Motto „Mobilität: Personen, Objekte, Ideen“ vom 22.–24.02.2021 über verschiedene Onlineformate abgehalten. Als dieser Titel gewählt wurde, konnte noch niemand ahnen, dass die Tagung unter den Bedingungen höchst eingeschränkter Mobilität stattfinden würde. Die sechs Sektionen wurden durch eine Online-Museumsführung, einen museologischen Abendvortrag und ein Gesprächskonzert ergänzt. Die Vorstellung von Forschungsschwerpunkten und Fördermöglichkeiten an den beiden Max- Planck-Instituten für Kunstgeschichte in Florenz und Rom, das Auftakttreffen eines neu initiierten Nachwuchs-Netzwerks und ein digitaler Büchertisch rundeten das Programm ab.

Daniel Rimsl und Isabel Wagner stellten als Auftakt der SEKTION I „‚Maniera Bizantina‘ – Verdikt und Vorbild“ ein im Regensburger Domschatz verwahrtes Reliquienkästchen aus St. Emmeram vor, dessen aufwendige und heterogen anmutende Gestaltung mit byzantinischen und islamischen Motiven die Diskussion hinsichtlich der (Wieder-)Verwendung seiner Bestandteile und deren Deutung eröffnete. Elisabeth Sobieczky widmete sich in ihrem Beitrag der ‚maniera bizantina‘ in der italienischen Fassmalerei des 12. und 13. Jahrhunderts. Hierbei standen romanische Fassungen toskanischer Holzskulpturen im Fokus, deren Maltechnik und Ausführung im Kontext der byzantinischen Tradition untersucht wurden. Armin Bergmeier spürte in seinem Vortrag den wechselnden Werturteilen zur venezianischen Basilica San Marco nach, um im Anschluss daran am Beispiel der Kapitellplastik die Abkehr vom antiken Formenkanon der griechisch-römischen Ideale zu erläutern.

In der SEKTION II „Künstlerreisen in der Renaissance“ legte Francesca Padovani mit ihrem Einblick in die Vita Hans Reichles dar, wie die gesellschaftliche Anerkennung unterschiedlicher Kunstzentren und der Kulturaustausch zwischen den Ausbildungsstätten in Florenz, Tirol und Bayern den künstlerischen Werdegang formten. Für Madeline Delbé sprang kurzfristig Sarah Lynch ein, der das digitale Format es erlaubte, aus ihren aktuellen Forschungen zur Rolle von Architekten aus dem Tessin an mitteleuropäischen Höfen zu berichteten. Der erste Konferenztag klang mit einem abendlichen Konzert der Capella de la Torre aus. Christina Strunck präsentierte das Gesprächskonzert „Musik zu den Hochzeitsfeiern der Medici“ als Beitrag zu einer neuen Bild-Raum-Wissenschaft, die das Zusammenspiel der Künste im Raum untersuchen soll.

Den Einstieg in die SEKTION III „Die Identität des Architekten in der Renaissance“ bildete Alexander Röstel mit seinem Beitrag zur Kunstsammlung von Giuliano und Francesco da Sangallo. Dank einer neu entdeckten Inventarliste konnte ein facettenreicher Blick auf die in weiten Teilen noch unerforschte Gemälde- und Skulpturensammlung der beiden Architekten eröffnet werden und erstmals eine räumliche Verortung im ursprünglichen Kontext vorgeschlagen werden. Sophie Elaine Wolf befasste sich in ihrem Vortrag mit dem Sieneser Künstler und Architekten Francesco di Giorgio und nahm insbesondere die in seinem Traktat beschriebene Rückschau auf das eigene professionelle Schaffen anhand seiner Selbstbeobachtungen in den Blick. Doris Gerstls Beitrag behandelte die Raumdarstellungen im malerischen Werk von Albrecht Altdorfer und hinterfragte dabei die Medien des Transfers italienischer Architekturvorbilder.

In der anschließenden SEKTION IV „Bild-Raum-Wissenschaft: Profane Ausstattungskonzepte des Barock“ stand das Verhältnis von Bildkünsten und architektonischem Raum im Zentrum. Francesca Cappelletti konnte derartige räumliche Bezüge eindrücklich in ihrem Vortrag zu Kunstgesprächen zeigen, und verdeutlichte, dass der Dialog über Bilder und Sammlungen sprachlich auf äußerst komplexe Weise die römischen Palazzi als Orte des sozialen Austausches mitgestaltete. Leonie Drees-Drylie gab mit ihrem Beitrag einen Einblick in ihre Forschungen zur komplexen Funktionsweise barocker Ausstattungskonzepte, in deren Mittelpunkt Momente des heroischen Entscheidens in einer Auswahl italienischer Deckenprogramme standen. Hierbei verwies sie insbesondere auf die medialen und performativen Strategien der Entscheidungsthematik im Kontext einer strategischen Herrscherrepräsentation. In ihren Ausführungen zu Architektur und Ausstattung frühneuzeitlicher anatomischer Theater in Padua, Bologna und Modena veranschaulichte Christine Beese die unterschiedliche architektonische Umsetzung heterogener Wissenschaftskonzepte und konnte die gängige Klassifizierung von funktionalem und repräsentativem Theater im historischen Forschungskontext verorten.

Daniel Hess führte am Abend in einer Filmaufnahme durch die Räume des Germanischen Nationalmuseums und warf dabei die Frage auf, ob die strenge Orientierung an Länderschulen und Epochen als kuratorisches Ordnungskriterium angesichts der Heterogenität des Materials praktikabel ist. Elke Anna Werner zeigte, dass gegenwärtige Ausstellungskonzepte mit transhistorischer Ausrichtung, die zum vergleichenden Sehen anregen und durch überraschende Objektkonstellationen neue ästhetische Erfahrungen ermöglichen wollen, einen Vorläufer in Ludwig Justis „Schule des Sehens“ haben.

Die Vorträge der SEKTION V „Italien digital erschließen“ stellten neue Modelle des digitalen Zugriffs auf kunsthistorisches Material vor. Als ersten Beitrag innerhalb dieser Sektion gab das interdisziplinäre Team Tanja Michalsky, Günther Görz, Chiara Seidl und Martin V. Thiering einen vielschichtigen Einblick in das Projekt „Historische Räume in Flavio Biondos ‚Italia illustra‘“ der Bibliotheca Hertziana. Ziel ist die Analyse des Verhältnisses zwischen historischen Karten und Texten und die damit verbundene Einordnung des historischen Raumverständnisses sowie des damit verknüpften Wissens. Das von Isabella di Lenardo vorgestellte Projekt „European Time Machine“, so verdeutlichte ihr Vortrag, zielt auf die Extraktion und Verwendung von Big Data der Vergangenheit und ihre Nutzbarmachung für die Forschung der Gegenwart.

In der LETZTEN SEKTION standen „Neue Forschungen zur Handzeichnung der Renaissance und des Barock“ im Mittelpunkt. Ruth Wolff wandte sich mit ihrem Vortrag zu Notarszeichnungen auf den Einbänden von Gerichtsakten im Florentiner Staatsarchiv einem bisher von der Kunstgeschichte vernachlässigten Material zu. Die vorgestellten Beispiele konnten zeigen, dass die Zeichen der Notare sich nicht an ihrer Herkunft oder dem Ort der Ausführung orientieren, sondern dass es sich dabei vielmehr um ein berufsinternes Referenzsystem handelt. Claudia Echinger-Maurach gab in ihrem Vortrag zu Michelangelos Präsentationszeichnungen für Julius II. und die Medici den Anstoß, die Gattung mit ihren eigenen medialen Bedingtheiten im Allgemeinen sowie auch Fragen der Zuschreibung verstärkt in den Fokus der Forschung zu stellen. Gudula Metze, Lisa Jordan und Christoph Orth gaben Einblick in die laufenden Arbeiten des Dresden Paper Projects zur Erschließung und Katalogisierung der italienischen Zeichnungen des 16. Jahrhunderts am Kupferstichkabinett der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Auch hier wurden Fragen der Schulen, Epochengrenzen und Darstellung der Zuschreibungsgeschichte diskutiert. Yasmin Frommont stellte anhand einer im Victoria & Albert Museum befindlichen Zeichnung ihre Überlegungen zur urbanen Machtinszenierung Papst Pius’ IV. vor. Dabei setzte sie sich einerseits mit der Frage nach Funktion der Zeichnung auseinander und beschäftigte sich andererseits mit der These, ob darin der Schlüssel zur Decodierung der städtebaulichen Ideen und Vorstellungen des Papstes zu erkennen sei. Im Vortrag von Tobias Glitsch „Geometrie als Indiz. Schlussfolgerungen aus Gian Lorenzo Berninis Zeichnungen zu Sant’Andrea al Quirinale“ konnte das Potential geometrischer Analysemethoden für die Erforschung von Architekturzeichnungen überzeugend dargelegt werden. Beispielhaft konnte er zeigen, wie die Betrachtung geometrischer Zusammenhänge es ermöglichte, die gedanklichen Schritte Berninis zu rekonstruieren. Christoph Orth erörterte in seinem Beitrag den künstlerischen Austausch zwischen Pier Francesco Mola und Carlo Maratti im römischen Seicento. Beide Maler waren für die Ausführung von Bildfeldern in der Galerie Alexanders VII. im Quirinalspalast in Rom verpflichtet worden und standen, wie Orth zeigte, in einem produktiven Austausch hinsichtlich der entworfenen Bildideen.

‚Ostinato vo’ seguire / la magnanima mia impresa – Beharrlich verfolgen will ich / mein großherziges Vorhaben‘ – So lauten die ersten Verse eines der mediceischen Hochzeitslieder, die im abendlichen Gesprächskonzert durch die Capella de la Torre vorgetragen wurden. Sie lesen sich wie ein kühnes Credo, die Italienforschung auch bei widrigen Umständen aufrecht zu halten, den Kontakt zwischen den Forschern nicht abreißen zu lassen, es mit neuen, digitalen Formaten aufzunehmen.

Die Vortragssektionen wurden über das inzwischen allgegenwärtige Zoom-Format abgehalten, für den unverbindlicheren Teil der Veranstaltung stand ein zusätzlicher virtueller Raum zu Verfügung: Über das Wonder-me-Portal konnten sich die Teilnehmer vor einem virtuellen Fond in verschiedene Räume begeben, Gesprächsgruppen bilden, einzelne Personen zur Unterhaltung aufsuchen.

Auf dem Tagungsprogramm standen zudem eigens produzierte Filme: Daniel Hess’ Beitrag aus dem Germanischen Nationalmuseum verströmte etwas von der Museumsluft, die derzeit so sehr vermisst wird. Die musikalischen Darbietungen des Bläserensembles Capella de la Torre wurden eigens für das Forum aufgezeichnet und durch Filmsequenzen ergänzt, in denen Christina Strunck die Persönlichkeiten sowie die Feste der Medici anschaulich vor Augen führte und erläuterte. Alle gezeigten Formate waren auch technisch auf hohem Niveau produziert, boten ein merkliches Plus zum regulären Zoom-Format und eine willkommene Abwechslung zu den Vorträgen. Die mediale Gestaltung der Tagung war somit erfreulich abwechslungsreich und nutzte die vielfältigen Möglichkeiten der Onlineformate.

Das generelle Überdenken gängiger Setzungen war dabei ein Motiv, das in vielen Beiträgen zum Tragen kam, seien es die Ordnungskriterien in Länderschulen und Jahrhunderte, Zu- bzw. Abschreibungen von Zeichnungen von Michelangelo und Guglielmo della Porta, aber auch Präzisierungen wie etwa bei den in Berninis Werkstatt verwendeten Maßeinheiten. Auch wurde durch die gelungene Verklammerung mit Museumsbelangen deutlich, inwiefern Fragen der Ordnung sowohl für die kuratorische als auch für die digitale Aufbereitungspraxis relevant sind. Die hohe Zahl von insgesamt 490 Anmeldungen spricht für ein breites Interesse, auch über die Gruppe der akademischen Kunstgeschichte hinaus. Es ist eine Stärke der Onlineformate, dass sie auch für Interessierte zugänglich sind, die eine Anreise sonst nicht auf sich nehmen würden und dass sie auch eine selektive Teilnahme umstandslos gestatten. Insofern kann man die Umsetzung der Tagung in digitale Formate als gelungen bezeichnen, weil sie auf vielfältige Art und Weise verschiedene Mittel einsetzte, um einen Rahmen zur Vermittlung ihrer Inhalte zu schaffen.

Das nächste Italienforum wird 2023 an der Universität Leipzig stattfinden und voraussichtlich wieder eine persönliche Begegnung ermöglichen. Die Erkenntnisse des Erlanger „Forums Kunstgeschichte Italiens“ werden den Mitwirkenden und Zuhörern den widrigen Umständen zum Trotz gewiss im Gedächtnis bleiben.

Empfohlene Zitation:
Jennifer Krieger, Lorenz Orendi: [Tagungsbericht zu:] 7. Forum der Kunstgeschichte Italiens - Mobilität: Personen, Objekte, Ideen (Erlangen / online, 22.–24.02.2021). In: ArtHist.net, 27.03.2021. Letzter Zugriff 25.04.2024. <https://arthist.net/reviews/33698>.

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