REV Jan 24, 2021

Hecht, Christian: Goethes Haus am Weimarer Frauenplan

Reviewed by Berthold Kreß, Staats- und Stadtbibliothek Augsburg
Editor: Livia Cárdenas
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Im Gegensatz zu Goethes kunsttheoretischen Schriften und seinen Sammlungen fanden Architektur und Bildprogramm seines Wohnhauses für lange Zeit nur wenig Aufmerksamkeit. Die Literatur dazu beschränkte sich überwiegend auf knappe Führer für Besucher des Hauses; in der großen Ausstellung Goethe und die Kunst (Frankfurt/Weimar 1994) wurden sie nicht thematisiert, in Rainer Ewalds Goethes Architektur (Weimar 1999) sind ihnen nur wenige Seiten gewidmet. Erst seit Mitte der 1990er Jahre erschienen einige Aufsätze zur Ausstattung des Hauses (kritische Zusammenfassung des Forschungsstandes und weitere Beobachtungen in Johannes Grave, ‚Goethes Kunstsammlungen und die künstlerische Ausstattung des Goethehauses‘, in: Goethe Handbuch. Supplemente, Band 3, Stuttgart/Weimar 2011, S. 46–83).

In der hier zu besprechenden Monographie stellt Christian Hecht (Stadtmuseum Weimar) drei Aspekte des Goethehauses vor: den Erbauer Georg Caspar Helmarshausen und seine Fassade und Bauinschrift, die ursprünglichen Bildprogramme von Treppenhaus und Repräsentationsräumen (spätere Ergänzungen werden nicht oder nur sehr knapp behandelt), sowie ein nicht ausgeführtes Projekt einer klassizistischen Fassade.

Nach einer kurzen Übersicht zur Baugeschichte des barocken Hauses – die traditionelle Zuschreibung an Johann Mützel wird durch stilistischen Vergleich bestätigt – wird das Portal als dem bürgerlichen Decorum entsprechende kreative Reduktion römischer Renaissanceformen interpretiert; die klassischen und religiösen Assoziationen der Bauinschrift werden in den Kontext des Selbstverständnisses der Weimarer Großherzöge als die rechtmäßigen Anführer des protestantischen Deutschland gestellt (S. 17–37). Als Ideengeber gilt Georg Friedrich Helmarshausen, der Sohn des Bauherren, der in einer theologischen Disputation über den Jerusalemer Tempel architektonische Fragen behandelt hatte.

Während Zeitgenossen häufig vage auf den antikisierenden, an Italien erinnernden Charakter der Ausstattung des Goethehauses hinwiesen, liegen kaum präzisere Bemerkungen zu deren Programm vor – der Verfasser begründet das damit, dass die zum Verständnis nötigen breiten Kenntnisse der antiken Kunst und Mythologie, die im 18. Jahrhundert Teil der Allgemeinbildung waren, durch die Weiterentwicklung der Altertumswissenschaften rasch obsolet geworden und damit aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit verschwunden waren.

Der Schmuck des oberen Treppenhauses (S. 50–91) ist unterschiedlicher Herkunft – der Gipsabguss der Büste des Apollo von Belvedere war ein Geschenk des Großherzogs, ihr Gegenstück, der sogenannte Mars, wurde von einer Weimarer Kunstanstalt zum Verkauf angeboten; das Original des ‚Pulvinar‘ (Relief mit dem Thron Jupiters) hatte Goethe 1790 in Mantua studieren können, bei welchem Anlass er wohl auch Zeichnungen danach anfertigen ließ, aus denen in Weimar dann eine freie Kopie entstand; Heinrich Meyers Deckenbild der ‚Iris‘ ist schließlich eine freie Nachahmung des Reproduktionsstiches eines pompeianischen Gemäldes.

Trotzdem dienen diese Werke, wie hier argumentiert wird, einem gemeinsamen Programm, dem Herrscherlob – wenn auch, wie für ein Privathaus angemessen, nur in Anspielungen. In barocker Tradition wird Großherzog Karl August mit Jupiter (repräsentiert durch das ‚Pulvinar‘) und damit auch mit Kaiser Augustus identifiziert, der in Krieg (Mars) und Frieden (Apollo, Iris mit Regenbogen) verdienstreich regiert – im Umkehrschluss stellt sich Goethe so als neuer Vergil vor. Für diese Deutung werden Aussagen Goethes über seinen Patron (den er in Tagebüchern meist mit dem astronomischen Symbol für Jupiter bezeichnete) und zeitgenössische Kunstwerke, darunter die wenige Jahre später unter Goethes Einfluss entstandene Treppe des Weimarer Schlosses, angeführt.

Für die Antikenkopien im Untergeschoss des Treppenhauses (S. 92–103), den Betenden Knaben und den Bocktragenden Faun, wird keine ikonographische Erklärung gegeben – vielmehr handelte es sich hier um die einzigen in der Weimarer Kunsthandlung erhältlichen Antikenkopien, die nach Größe und Decorum für die Aufstellung geeignet gewesen seien. Der zwischen ihnen stehende Windhund wird mit einer im Auftrag des Großherzogs entstandenen und dann als Gips verbreiteten Skulptur in Verbindung gebracht, es kann sich möglicherweise um ein frühes Geschenk Karl Augusts an Goethe gehandelt haben.

Von den kriegszerstörten Supraporten Meyers im Juno- und Urbinozimmer (S. 109–127) werden hier alte Farbaufnahmen gezeigt, als Vorbild des flötenspielenden Amor vor Psyche wird eine zeitgenössische Gemme des Goethe bekannten Giovanni Pichler vorgeschlagen. Zusammen weisen diese Gemälde auf die Macht Amors, die keine rohe Naturgewalt ist, sondern durch Erfindungsreichtum ihre Ziele erreicht und damit auch für die Kunstfertigkeit des Dichters steht. Die Quellen der Friese des Büstenzimmers (S. 128–157) – das Lysikrates-Monument in Athen und der Borghese-Krater – waren bereits bekannt, als exakte Vorlage für letztere werden Abzüge wiederverwendeter Druckplatten von Bartoli und Bellori aus einer Neuausgabe von Sandrarts ‚Teutscher Akademie‘ von 1772 identifiziert; in Goethes eigenem Exemplar ist der Stich mit Nummern versehen, die angeben, wie die Figuren für den Fries umgestellt werden sollten. Die dekorativen Malereien an der gewölbten Decke werden mit Elementen aus Raphaels Loggien, die durch Giovanni Volpatos Nachstiche weit verbreitet waren, in Verbindung gebracht, Bezüge zu Goethes botanischem Interesse werden als zu vage abgelehnt.

Der letzte Abschnitt kehrt wieder zur Fassade zurück – zunächst zu einem Entwurf für eine klassizistische Verblendung des von außen noch barocken Hauses, der hier dem zeitweise mit dem Weimarer Schlossbau betrauten Stuttgarter Architekten Nikolaus Friedrich Thouret (1767–1845) zugeschrieben wird. Die eingehende Analyse der Formensprache zeigt einen unorthodoxen Umgang mit klassischen Elementen, der es ermöglicht, sowohl das Decorum eines Bürgerhauses nicht zu verletzen als auch die bisherigen Fenster- und Türöffnungen beizubehalten. Außerdem ist hier großes Interesse an Formen des römischen Mauerwerks erkennbar, die Goethe bereits bei seiner Italienischen Reise und kurz vor dem Entstehen des Entwurfs nochmals in Winckelmanns ‚Anmerkungen über die Baukunst der Alten‘ studiert hatte. Hier stehen unten die ungleich hohen Reihen des archaischen Opus pseudisodomum, während im Obergeschoss die auf der Spitze stehenden Rechtecke des Opus reticulatum dominieren – auf ähnliche Weise wurden verschiedene Entwicklungsstufen der antiken Kultur, von der Keilschrift zum römischen Ornamentfries, auch im Festsaal des Weimarer Schlosses zusammengestellt. Nach Kostenvoranschlägen aus dem Jahr 1802 sollte das antike Mauerwerk lediglich auf die Fassade aufgemalt werden – es wird hier vorgeschlagen, dass das Unbefriedigende dieser Lösung zur Aufgabe der Umbaupläne geführt hatte. Einer der 1802 konsultierten Handwerker, der Tünchermeister Johann Christian Benjamin Lämmerhirdt, baute 1804/05 sein eigenes Wohnhaus (heute Schillerstraße 11) und übernahm hier zentrale Elemente von Thourets Entwurf, etwa das Opus pseudisodomum als Rustica, einen Fries mit ‚laufendem Hund‘ und (heute verschwundene) gemalte Imitationen von Ziegelmauerwerk zwischen den Fenstern. Gleichsam als Coda wird der Bericht zum goldenen Thronjubiläum Großherzog Karl Augusts im Jahr 1825 besprochen – Goethes Haus war dazu mit emblematischen Darstellungen geschmückt, die bereits 1814 zur Feier des Siegs über Napoleon entstanden waren und, wie der Text zeigt, offenbar kaum mehr verstanden wurden.

Dieses Buch nimmt eine Zwitterrolle zwischen einem attraktiven Bildband für Goethefreunde und einer wissenschaftlichen Monographie über ein bedeutendes Privathaus des späten 18. Jahrhunderts ein, so ist es großzügig mit oft ganzseitigen modernen und historischen Photographien bebildert. Während sowohl Beschreibungen als auch die Identifikation von Quellen in sehr detailliertem Maße erfolgen konnten, hätte es anscheinend den Rahmen gesprengt, genauer auf die aktuelle Forschungsdiskussion einzugehen – die Endnoten sind sehr knapp und beziehen sich fast ausschließlich auf Texte der Goethezeit. So kann man nur durch Vergleich mit anderen Publikationen feststellen, wo die bisherige Forschungsmeinung referiert ist, wo sie präzisiert wird (so häufig bei Angaben zu Bildvorlagen), und wo der Verfasser ihr widerspricht (so häufig bei Interpretationen). Auch manche Gedanken zur Deutung des Programms hätten etwas ausführlicher herausgearbeitet werden können, etwa die mehrmals bei der Beschreibung der Repräsentationsräume anklingende anti-revolutionäre Stoßrichtung.

Anregend ist dieser Band in zweierlei Hinsicht. Zum einen nützt er die reichen Weimarer Sammlungsbestände, um minutiös herauszuarbeiten, wie und in welchem Kontext die antiken Vorlagen dem Dichter bekanntgeworden waren. Außerdem stellt er uns Goethe in ungewohnten Rollen vor: als Bürger eines Weimar, das sich immer noch als Hauptstadt des lutherischen Deutschlands begreift, als Antikenkenner, der die klassische Mythologie noch in barocker Tradition allegorisch deutet, als Höfling, der seinen Herrscher als neuen Augustus feiert. Kurz gesagt, der Hausherr erscheint nicht als ‚Olympier‘ sondern als neuer Vergil in einer Stadt, die trotz ihrer geringen politischen Bedeutung beanspruchen kann, Erbin des antiken Roms zu sein.

Hecht, Christian: Goethes Haus am Weimarer Frauenplan. Fassade und Bildprogramme, München: Hirmer Verlag 2020
ISBN-13: 978-3-7774-3654-8, 220 S., 30.00 Euro

Recommended Citation:
Berthold Kreß: [Review of:] Hecht, Christian: Goethes Haus am Weimarer Frauenplan. Fassade und Bildprogramme, München 2020. In: ArtHist.net, Jan 24, 2021 (accessed Mar 28, 2024), <https://arthist.net/reviews/33225>.

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