„Grabmal und Identität – Geschlechterbilder in der Sepulkralkultur“
Humboldt-Universität zu Berlin, 5. Februar 2010
Tagungsbericht von Julian Blunk
Die am 5. Februar 2010 in der Berliner Heilig-Geist-Kapelle von
Mitgliedern des Requiem-Projekts der Humboldt-Universität zu Berlin
veranstaltete Kurztagung „Grabmal und Identität – Geschlechterbilder in
der Sepulkralkultur“ verschrieb sich einem innerhalb des
wissenschaftlichen Kerngeschäfts der Forschungsgruppe, der systematischen
Aufnahme und Analyse römischer Kardinals- und Papstgrabmäler, per
definitionem noch wenig beachteten Gegenstand: Der Rolle des Geschlechts
in der Begräbniskultur der Frühen Neuzeit.
Nach der Begrüßung durch die Organisatorinnen Alrun Kompa und Anett
Ladegast führte Horst Bredekamp mit einer erstaunlichen Beobachtung ins
Thema ein: Selbst die frühneuzeitliche sepulkrale Denkmallandschaft der
exklusiven Männergesellschaft des hohen Römischen Klerus’ gebe sich bei
näherer Betrachtung schnell als ein „Eldorado dominanter Frauen“ zu
erkennen. Wurde die Frau in dieser auch nicht als Individuum memoriert,
konnte auch oder gerade in den figürlichen Programmen prominenter
Papstgrabmäler (Sixtus IV., Julius II., Paul III.) eine umso üppigere
weibliche Geschlechtlichkeit zur Schau gestellt werden. Insbesondere in
Gestalt der Allegorie emanzipierte sich die Frau dabei immer wieder von
allzu servilen Bindungen an die männlichen Figuren der Verstorbenen, zu
deren Verherrlichung sie angetreten war, um mitunter ein „furioses
Eigenleben“ zu entfalten.
Im Anschluss führte der Beitrag „Geschichte und Geschichten einer Familie:
Die Memoria der Barberini in Palestrina“ von Alrun Kompa zunächst
ebenfalls in eine reine Männerwelt zurück. Kompa entwarf das Bild einer
kompensatorischen Denkmalpolitik Kardinal Francesco Barberinis d. J. (†
1738), eines Urgroßneffen Urbans VIII., dessen Familie dem Aussterben
ihrer männlichen Linie sowie dem drohenden „Ausverkauf“ ihres Fürstentums
Palestrina durch Francescos Bruder Urbano ins Auge zu sehen hatte.
Francescos Versuch, dem Niedergang der Barberini zumindest auf
bildkünstlerischer Ebene zu begegnen, bestand in der Verlagerung der
Familiennekropole aus S. Andrea della Valle in Rom nach S. Rosalia in
Palestrina. Seine dort gestifteten, von Bernadino Cametti realisierten
Grabdenkmäler beschränkten sich auf das in Genderfragen „zu Erwartende“,
nämlich auf die Memoria allein der männlichen Linie, appellierten ebenso
eindrücklich wie erfolglos an die Eintracht kommender
Barberini-Generationen und wurden später von gleicher Künstlerhand um ein
weiteres, höchst ungewöhnliches Monument ergänzt: In einer der
Cornaro-Kapelle Berninis verpflichteten Logenarchitektur tragen männliche
Figuren zwar die Insignien zweier die Familiengeschichte der Barberini
prägender Ämter zur Schau (Präfekt der Stadt Rom, Kardinal), verweigern
sich aber – planvoll, so Kompa – als anonyme Amtskörper ihrer konkreten
Identifizierung. Auch in Palestrina, so wurde vor allem in der Diskussion
deutlich, erweist sich das Bild einer allein aufs männliche Geschlecht
reduzierten Erinnerungspolitik schnell als trügerisch. Wurde eine
bildkünstlerische Memoria der weiblichen Mitglieder der Familie Barberini
auch konsequent ausgespart, konnten Frauen auf den Grabmonumenten der
Männer in Gestalt von Allegorien einmal mehr die heimlichen Hauptfiguren
der Bildprogramme stellen – eine Konstellation, die sich sicher bereits im
Vortrag etwas deutlicher in den Fokus hätte stellen lassen.
Kontrovers diskutiert wurde Laura Goldenbaums Vortrag „anima forma
corporis – oder: Ästhetik des Vollendeten“. Goldenbaum besprach die heute
im Florentiner Bargello befindliche und ins späte Quattrocento datierte
Bronzebüste einer „Incognita“, die von der kunsthistorischen Forschung
aufgrund eines vermeintlichen Zuviels an „Dokumentarismus“ und eines
ebensolchen Zuwenigs an „Kunstwollen“ zunächst herabgewertet und
schließlich vergessen wurde. Beide Urteile konnten über die Engführung von
formaler Analyse der wahrscheinlich auf Basis einer Totenmaske
gearbeiteten Büste und den neothomistischen physiognomischen Diskursen am
Hof der Medici, die in Marsilio Ficino einen ihrer prominentesten
Vertreter gefunden hatten, entschärft werden: Offenbarte sich gemäß
zeitgenössischer Typenlehren die Seele des Menschen in seiner Erscheinung,
so materialisierte sich in der auch für die Büste formgebenden Geometrie
von Dreieck und Kreis der „intelligible Plan Gottes“. Gemäß gelungener
Ehrenrettung der „Incognita“ erklärte die Referentin die noch immer
unbeantworteten Fragen nach Zuschreibung und Identität der Dargestellten
(Witwe/Nonne) zur „Nebensache“. Und doch nahm die Diskussion vornehmlich
letztgenannte Spuren auf, um schließlich gar die Datierung der allzu
„barocken“ Figur ins Quattrocento und mit ihr die gesamte
Argumentationslinie Goldenbaums in Zweifel zu ziehen. Dass auch diese
Frage letztlich ungeklärt blieb, warf ein möglicherweise umso
erhellenderes Licht auf die Totenmaske als einem Präzedenzfall für die
Kunstgeschichtsschreibung: Als zu jeder Zeit tendenziell ebenso
naturalismusaffines wie „gestaltungsfeindliches“ Artefakt sperrt sich
spätestens ein entsprechendes „opus incognito“ einer „Incognita“ recht
hartnäckig gegen die herkömmlichen Methoden stilkritischer
Datierungsverfahren.
Judith Ostermann widmete sich in ihrem Beitrag „Starke Witwen im
frühneuzeitlichen Spanien oder: die Freiheit in der Trauer – Das Grabmal
Juana Pimentels und der Aufstieg eines Adelsgeschlechts“ einer der
ambitioniertesten Grabstiftungen Spaniens. Die beiden opulenten Freigräber
Don Alvaros de Luna und seiner Witwe Juana de Pimentel in der Kathedrale
von Toledo, die im Verbund mit der sie umgebenden Kapellenausstattung
dynastische Heraldik und monastische Ikonografie zu einem homogenen
Programm verschränkten, zielten, so Ostermann, ganz auf die politische
Rehabilitierung Don Alvaros: Nach einer steilen Günstlingskarriere unter
Johann II. hatte dieser zunächst zu politischer Macht gelangen können, war
daraufhin jedoch in Ungnade gefallen und zum Tode verurteilt worden. Im
Kampf um das Erbe der Eltern galt es deshalb für Alvaros Witwe Juana und
beider Tochter Maria Pimentel, mittels ihrer Grabstiftungen in Toledo das
väterliche Image der politischen Hybris in ihr Gegenteil umzukehren.
Anett Ladegast setzte sich in ihrem Vortrag „Das Geschlecht der
Erinnerung – Frauenfrömmigkeit und Grabmalskultur in S. Agostino, Rom“ das
anspruchsvolle Ziel, den „Grabmalskosmos“ der im 15. Jahrhundert neu
erbauten und seither als Nekropole genutzten Augustinerkirche als Ganzes
in den Blick zu nehmen, um die gesellschaftliche Rolle der Frau in der
Sepulkralkultur der Frühen Neuzeit auszuloten. Dabei diente ihr neben der
exemplarischen Untersuchung einzelner Grabmäler insbesondere eine
quantitative Bestandsaufnahme des memorialen Denkmalensembles, um einen
überraschend hohen Frauenanteil unter den Bestatteten und eine hohe
weibliche Aktivität auch auf dem Gebiet der Patronage im 15. und frühen
16. Jahrhundert sowie einen geschlechtsübergreifenden Rückgang der
Kirchenbestattungen infolge entsprechender Verordnungen des Konzils von
Trient (1545-63) zu diagnostizieren. Explizit verwies Ladegast auf den
Umstand, dass unser Bild frühneuzeitlicher Grabensembles vor allem aus
Fehlstellen bestehe, die auch jenes diesbezüglicher Geschlechterrollen
mitunter deutlich verunklären oder verschieben können. Als Parameter der
„Gewährleistung von Erhalt“, so Ladegast, kämen in S. Agostino
tendenziell
das künstlerische Niveau eines Grabdenkmals wie auch der Rang eines
Verstorbenen, nicht aber dessen Geschlecht in Betracht. Da in S. Agostino
in der Frühen Neuzeit gerade Grabmäler von Frauen die künstlerischen
Höhepunkte des sepulkralen Ensembles markierten (Costanza Ammanati † 1477,
Pantalisia Grifi † 1527), wurde auch in der Diskussion noch einmal
bestätigt, dass neben der Quantität stets auch die Qualität einzelner
Monumente eines Referenzsystems in den Blick genommen werden müsse, um zu
adäquaten Beurteilungen etwa der Rolle einer gesellschaftlichen Gruppe in
dessen Binnensphäre gelangen zu können. Über beide Pfade jedoch wurde
deutlich: Die Rolle der Frau in der Sepulkralkultur von S. Agostino war
alles andere als marginal.
Aleida Assmanns Abendvortrag „Erinnerung und Trauer im Spiegel der
Geschlechter“, der den Saal noch einmal spürbar füllte, verließ das Feld
der Grabkunst, um jenes der ritualisierten Trauer zu betreten. In einem
Streifzug durch die Kulturgeschichte der Menschheit (Altägypten, England
der Reformation, Deutschland und Israel der Nachkriegszeit) lokalisierte
Assmann zunächst „Archetypen weiblicher Trauer“ in der altägyptischen
Götterwelt (Isis als trauernde Witwe von Osiris) und in der christlichen
Religion (die Pietà, Maria als trauernde Mutter Jesu), die kulturelle
Praktiken und diesbezügliche Geschlechterrollen determinieren konnten. So
sei der Leib des Toten und die retrospektive Erinnerungs- und Trauerarbeit
lange Domäne der Frau (etwa: Klageweiber), die der prospektiven Verwaltung
von Namen und Fama eines Toten jene des Mannes gewesen. In Bezug auf
Letztere stelle etwa Horus, der Sohn von Isis und Osiris, einen
archetypischen Gegenentwurf zur trauernden Frau dar. Blieben zunächst
sowohl die Trauer als die Verwaltung irdischen Nachruhms lange positiv
konnotiert, brachte insbesondere die Reformation in England eine deutliche
Zäsur mit sich, indem sie zwar nicht die geschlechtsspezifischen
Rollenzuweisungen, wohl aber ihre Wertigkeit neu definierte. Mit der
Abschaffung des Konzepts des Purgatoriums sei die Grenze zwischen Leben
und Tod radikalisiert, mit der Aufgabe der altgläubigen Marienverehrung
zudem auch die „Pathosformel der weiblichen Trauer“ marginalisiert worden.
Demgemäß traten etwa in Shakespeares Dramen nun rachsüchtige „Furien des
Erinnerns“ anstelle der mit Übergangsritualen betrauten Frauen auf. In
Folge des zweiten Weltkriegs habe das Motiv der trauernden Frau eine
neuerliche Renaissance erlebt. Während es in Deutschland jedoch einer
„Privatisierung und Verwässerung“ unterlag, machte die israelische
„Erinnerungsgesellschaft“ die Memoria bald schon zur Sache des Mannes und
schrieb der Frau das Vergessen zu.
Hätte man sich – umso mehr vor dem Hintergrund der thematischen und
methodischen Heterogenität der gebotenen Beiträge – auch eine
Abschlussdiskussion über das Allgemeine im Besonderen wünschen mögen, so
gewährte die gelungene Tagung doch nicht nur einen Einblick in das
Erkenntnispotential der Kategorie „Geschlecht“ in der Grabmals- und
Erinnerungskultur, sondern riss immer wieder auch mögliche
allgemeingültige Tendenzen an: So erhielten Frauen (wie Männer) als
historische Personen in der Regel nur dann ein repräsentatives
Erinnerungsmal, wenn sie im Leben – ob nun vom Erbrecht begünstigt oder
aus anderen Gründen – selbst zum politischen Akteur oder zum Politikum
geworden waren. Als Ausnahme von der Regel bestätigen somit auch die durch
Grabmäler memorierten wie die durch Grabmäler memorierenden Frauen der
Geschichte die enge Bindung von Erinnerung und (meist männlich
dominiertem) politischem Tagesgeschäft. Dass sich die Frau „als solche“ in
den Bildprogrammen der Grabmäler von Männern einer mitunter erheblichen
Präsenz erfreuen konnte, wurde mehrfach als kausale Folge respektive als
Kehrseite der weitestgehenden Rollenlosigkeit des weiblichen Geschlechts
im politischen Erinnerungsspiel patriarchaler Gesellschaften
vorgeschlagen: Gerade das „semantische Vakuum“ der weiblichen Figur musste
immer wieder zu deren allegorischer Kodierung einladen. Allemal hat sich
gezeigt: Über Charakter, Qualität und Durchlässigkeit
geschlechtsspezifischer Sphären- oder Rollenzuweisungen, verlaufen deren
Grenzen nun zwischen Historie und Allegorie oder zwischen Perspektive und
Retrospektive, darf und sollte weiter gesprochen werden.
Recommended Citation:
Julian Blunk: [Conference Report of:] Grabmal und Identitaet (Berlin, Feb 05, 2010). In: ArtHist.net, Apr 20, 2010 (accessed Oct 6, 2024), <https://arthist.net/reviews/32629>.
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