REV 16.09.2010

Daniel Hess; Dagmar Hirschfelder (Hg.): Renaissance - Barock - Aufklärung

Rezensiert von Annette Kranz, Staatliche Münzsammlung München
Redaktion: Rainer Donandt
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Nach Jahren der Sanierung wurde am 17. März 2010 der Sammlungskomplex „Renaissance – Barock – Aufklärung“ im Galeriebau des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg neu eröffnet. Als Begleitpublikation verfolgt das vorliegende Katalogbuch – zugleich Band 3 der seit 2002 realisierten Buchreihe „Die Schausammlungen des Germanischen Nationalmuseums“ – das Ziel, „die in der Ausstellung angesprochenen Themen, Fragestellungen und Kontexte vertiefend [zu] erläutern und zu einem besseren Verständnis unserer kulturellen Wurzeln bei[zu]tragen“ (S. 7).

In einem ausführlichen Einleitungsteil (S. 9–22) widmen sich Daniel Hess, Dagmar Hirschfelder und Jana Stolzenberger der „Geschichte und Neukonzeption“ der neuen Schausammlung.
Der ab 1916 errichtete Galeriebau, der in seiner modern-funktionalen architektonischen Gestalt mit dem historisierenden Museumsausbau des späten 19. Jahrhunderts brach, war eigentliche Voraussetzung und Grundlage dafür, dass sich das Germanische Nationalmuseum über sein genuin kulturhistorisches Selbstverständnis hinaus zunehmend zum Kunstmuseum wandelte. Zur Eröffnung 1921 wurden in dem Neubau die bedeutendsten Objekte der Sammlung aus den Bereichen Malerei, Skulptur und Kunsthandwerk gezeigt. Nachfolgende Gebäudeerweiterungen verstärkten durch ihre Präsentationsform die Ausrichtung als Kunstmuseum zusätzlich. Nach Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg konnte der Galeriebau, geringfügig verändert, 1950 wiedereröffnet werden. Erst zur großen Dürer-Retrospektive 1971 wurden hinsichtlich Klimatisierung, Beleuchtung und Inszenierung – als vorbildlich galt die nüchterne Ästhetik der documenta 1 von 1955 – nachhaltige Ein- und Umbauten vorgenommen. Seit 1972 beherbergte der Museumstrakt die Dauerausstellung „Malerei, Kunsthandwerk und Plastik von der Renaissance bis zum Barock“. Die im Jahr 2004 begonnene und 2010 abgeschlossene Sanierung, die sich am historisch gewachsenen Baubestand orientierte, erbrachte durch eine Klärung der Gebäudestruktur eine neue Transparenz und Zusammenbindung der Säle.
Die Neukonzeption der Dauerausstellung zielt darauf, „durch thematische Sequenzen über die chronologische Grundordnung hinaus[zugreifen], um auf der Basis aktueller Forschung kulturhistorische Fragestellungen zu erschließen“ (S. 17). In der gattungsübergreifenden Neupräsentation, welche die Zeitspanne von etwa 1500 bis zur Aufklärung im 18. Jahrhundert beleuchtet, finden sich circa 1000 Objekte aus fast allen Abteilungen des Hauses in 33 Sälen ausgestellt. Eine grundsätzliche chronologische Ordnung, die sich an den Leitthemen „Sammeln“ und „Repräsentieren“ ausrichtet, wird dabei durch inhaltliche Verschränkungen und thematische Fokussierungen aufgebrochen.
Die Einleitung schließt mit einer Skizzierung der Themenschwerpunkte und mit Hinweisen zu Fragen der Konservierung und Restaurierung.

Der Hauptteil des Katalogbuches (S. 31–384) gliedert sich chronologisch in fünf Einheiten („Kontinuität und Neubeginn“, „Bild und Glaube“, „Die Kultur der Erscheinung“, „Neue Kunst und neues Sammeln“, „Inszenierung und Reflexion“), wobei jedes Thema in vier bis sechs Unterkapitel aufgefächert ist. Das jeweils letzte Kapitel jeder Einheit greift einen Spezialaspekt auf, der vertiefende Darstellung erfährt. Als Autoren der 27 Einzelkapitel zeichnen eine Vielzahl der Wissenschaftler des Hauses sowie einige weitere Spezialisten verantwortlich. Im umfangreichen Anhang (S. 387–563) finden sich der „Katalog der ausgestellten Objekte“, das „Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur“, außerdem eine Konkordanz der Signaturen respektive Inventarnummern und der Katalognummern sowie ein Personen- und Ortsregister.

„Ziel ist nicht eine auf Vollständigkeit angelegte, handbuchartige Darstellung der Zeit von 1500 bis 1800, sondern die Vermittlung von Erkenntnissen, die vom Objekt und seinem Kontext ausgehen. Das einzelne Werk erhält und entwickelt seine Aussage und Bedeutung im Zusammenwirken mit anderen Objekten […]“ (S. 22). Entsprechend dieser eingangs formulierten Absicht geben die einzelnen Kapitel einen breiten Überblick über kunst- und kulturgeschichtliche Entwicklungen durch drei Jahrhunderte, wobei sie stets auf Werke aus den Sammlungen des Germanischen Nationalmuseums rekurrieren. Die inhaltliche Konzeption des Begleitbandes folgt dem Ausstellungsrundgang, ohne sich jedoch sklavisch an die thematische Aufteilung der Räume zu halten. Im Vordergrund stehen vielmehr die Autopsie der Objekte und die diversen Bezüge, die sich zu anderen Stücken der Sammlung herstellen lassen. Der kulturhistorische Kosmos, der durch die Kontextualisierung ausgebreitet wird, eröffnet dem Leser ein vielschichtiges Panorama, dessen Anschaulichkeit aus der Konzentration auf die Objekte resultiert.

Bilden die Werke aus der Zeit der Renaissance den Kernbestand der neuen Schausammlung und dominieren sie auch innerhalb des Katalogbuches, so gelingt vor allem auf diesem Gebiet eine dichtmaschige Darstellung der vielfältigen Zusammenhänge. Aus naheliegenden Gründen gilt dabei Albrecht Dürer und der Kunst der Renaissance in Nürnberg sowie der Kunst im Zeitalter der Reformation besonderes Augenmerk.
Letzterer werden allein vier Kapitel unter dem Thema „Bild und Glaube“ gewidmet. Während Jutta Zander-Seidel die Person Martin Luther ins Visier nimmt, dessen Wirken „Vom Augustinermönch zum Reformator“ (S. 101–111) und dessen teils verklärtes Nachleben sie anhand zahlreicher Porträts, ausgewählter Schriften und Gegenstände mit regelrechtem Reliquien-Status nuancenreich nachzeichnet, widmet sich Caroline Real den „Bilder[n] des alten und neuen Glaubens“ (S. 113–123). Luthers Kritik galt der katholischen Frömmigkeitspraxis mit ihrer Heiligenverehrung und der Anbetung von Bildwerken, die nicht selten im Ablasshandel gipfelte. Waren in der Kunst des alten Glaubens Themen wie die Fürbitte durch Heilige oder durch Maria als Vermittler zu Gott üblich, so tendierte das reformatorische Lehrbild – im Vertrauen allein auf die göttliche Gnade – zur Einordnung der Ereignisse in die Heilsgeschichte, oft antithetisch konzipiert und angereichert mit Bibelzitaten. Frank Matthias Kammel skizziert die „Kunst nach den Reformen der katholischen Kirche“ (S. 125–136) seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Die trotz Einführung der Reformation noch immer vielseitigen Ausdrucksformen katholischen Glaubens machten weiterhin sowohl liturgisches Gerät als auch vielfältige Utensilien der Frömmigkeitspraxis notwendig. Auch die Wiederbelebung des Reliquien- und Bildkultes der Marien- und Heiligenverehrung zeitigte kontinuierlich neue Werke. Über „Bildpropaganda und Satire zur Zeit der Reformation“ (S. 138–148) unterrichtet schließlich Hermann Maué. Luthers Auseinandersetzung mit der katholischen Kirche vollzog sich nicht nur in schriftlicher Form, sondern auch im Bild, wie protestantische Propagandadrucke, Spottmedaillen und Flugblätter exemplarisch belegen. Die anfängliche Unterstützung der Reformation durch bedeutende Humanisten wie Erasmus von Rotterdam, Johannes Eck oder Ulrich von Hutten nahm hingegen schon in den 1520er Jahren wieder ab.
Über den streng an den Museumsobjekten ausgerichteten Leitfaden durch alle Kapitel der Sequenz hinaus wird en passant eine Fülle thematisch zugehöriger historischer, kunst- und kulturgeschichtlicher Grund- und Detailinformationen geboten. Auch wenn Einzelaspekte dabei nur gestreift werden können, vermittelt sich dem Leser so ein stimmiger Einblick in „Bild und Glauben“ im konfessionellen Zeitalter.

Der Redaktion des Katalogbuches ist es gelungen, inhaltliche Dopplungen, die sich bei der engen Verzahnung diverser Kapitel schnell hätten einschleichen können, erfreulich gering zu halten. Dem für die Buchreihe typischen Layout scheint der Kompromiss geschuldet, dass die meisten Abbildungen im Katalogteil – nur wenige Werke finden sich überhaupt nicht reproduziert – maximal Spaltenbreite erreichen. Kleinformatige, detailreiche und vielfigurige Objekte wie etwa die Zierbeschläge eines Gürtels (Kat. 83) oder ein Gemälde mit dem Turmbau zu Babel (Kat. 480) lassen daher oft mehr erahnen als erkennen. Beschriebene Feinheiten und künstlerische Charakteristika sind leider auch anhand der Abbildungen in den vorderen Kapiteln nicht immer nachvollziehbar, so zum Beispiel bei den Miniaturreliefs der Renaissance (S. 240–243 mit Abb. 203–207). Aus der wohl aus systematischen Gründen auferlegten Beschränkung bei der Nennung von Literatur in den knappen Fußnoten wie im Katalogteil resultieren zudem notgedrungen einige Leerstellen.

Abschließend stellt sich die nicht unerhebliche Frage, an welches Publikum sich ein Format wie die vorliegende Begleitpublikation richten mag. Die Genese des ambitionierten Unternehmens der neuen Buchreihe ist leicht vorstellbar, müssen sich doch die Museen innerhalb der immer größer werdenden Angebotspalette des bunten Buch- und Freizeitmarkts behaupten, ja darüber hinaus nicht selten auch mit Blick auf ihre Geldgeber ansprechend und repräsentativ in Erscheinung treten. Einerseits handelt es sich bei dem Katalogbuch trotz vollständiger Aufnahme der ausgestellten Objekte im Katalogteil nicht um einen wissenschaftlichen Bestandskatalog, der das einzelne Werk ausführlich analysieren und die relevante Literatur vollständig aufnehmen würde. Andererseits wird der Museumsbesucher den schweren Band auch kaum zur schnellen Information über Einzelobjekte auf einen Rundgang mitnehmen, obwohl in der Katalognummer gegebenenfalls auf die Erwähnung des Objekts im Einzelkapitel verwiesen wird. Der problematische Spagat zwischen wissenschaftlichem Anspruch und hoher Allgemeinverständlichkeit wird exemplarisch deutlich, wenn in den einleitenden Ausführungen zu „Geschichte und Neukonzeption“ der neuen Schausammlung Informationen über das Material der Bodenbeläge, zu Beleuchtungsfragen und Lux-Zahlen, zur Klimatisierung der Räume oder zur Konditionierung der Vitrinen gegeben werden (S. 15, 17, 20–21). Mögen solche Fragen, die sich bei jeder Neueinrichtung stellen, dem interessierten Besucher im Rahmen einer Museumsführung vielleicht noch vermittelt werden können, so dürften diese Auskünfte bei der Kataloglektüre für den Fachmann kaum ausreichend, für den Laien dagegen eher zu detailliert sein.

Dennoch: Widmet sich der aufgeschlossene Leser dem vorliegenden Katalogbuch, so wird er umfänglich in die Kunst- und Kulturgeschichte von Renaissance, Barock und Aufklärung eingeführt, wie diese im Germanischen Nationalmuseum zu erleben sind. Sprachlich klar und allgemeinverständlich, geben die übersichtlichen Kapitel kohärente Einblicke zum jeweiligen Thema und fügen sich zu überzeugenden inhaltlichen Komplexen zusammen. Den hohen Grad von Lebendigkeit in der Vermittlung historischer Fakten und fachlicher Erkenntnisse beziehen die Texte dabei aus der durchgängig engen Orientierung an den Objekten. Auch wenn die thematische Fülle viele Aspekte naturgemäß nur anreißen oder verkürzt darstellen kann, besteht das besondere Verdienst der Publikation gerade in der Kontextualisierung der Werke. Der großen Erkenntnisgewinn bringende Abschied von den Fachsammlungen allenthalben wird bei einem Besuch der neu eingerichteten Schausammlung in Nürnberg erneut deutlich. Das vorliegende Katalogbuch fungiert hinsichtlich dieses integralen Verständnisses als perfektes Äquivalent: Hier finden sich die Exponate auch in schriftlicher Form facettenreich ausgebreitet, im (kultur-)historischen Kontext präsentiert und instruktiv miteinander verknüpft.

Hess, Daniel; Hirschfelder, Dagmar (Hrsg.): Renaissance - Barock - Aufklärung. Kunst und Kultur vom 16. bis zum 18. Jahrhundert (= Die Schausammlungen des Germanischen Nationalmuseums), Nürnberg: Verlag des Germanischen Nationalmuseums 2010
ISBN-13: 978-3-936688-47-4, 563 S.

Empfohlene Zitation:
Annette Kranz: [Rezension zu:] Hess, Daniel; Hirschfelder, Dagmar (Hrsg.): Renaissance - Barock - Aufklärung. Kunst und Kultur vom 16. bis zum 18. Jahrhundert (= Die Schausammlungen des Germanischen Nationalmuseums), Nürnberg 2010. In: ArtHist.net, 16.09.2010. Letzter Zugriff 29.03.2024. <https://arthist.net/reviews/319>.

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