REV 18.05.2009

Petra Winter: "Zwillingsmuseen" im geteilten Berlin

Rezensiert von Maike Steinkamp
Redaktion: Rainer Donandt

Vor genau sechzig Jahren, 1949, wurden Deutschland und Berlin in zwei Staaten geteilt. Auch die Staatlichen Museen zu Berlin waren von dieser Entwicklung betroffen, waren ihre Sammlungen mit der Museumsinsel im Osten und weiteren Abteilungen im Westen doch über das gesamte Stadtgebiet verteilt. Fortan gab es in der geteilten Stadt zwei Museumskomplexe, die zunächst unter dem Titel „Ehemals Staatliche Museen“ - so die offizielle Bezeichnung des Museumsverbundes seit Juni 1945 - firmierten und das 100-jährige Erbe der preußischen Kunstsammlungen für sich reklamierten. Die Zahl der Kunstwerke, auf die sie zurückgreifen konnten, war allerdings äußerst gering: Kriegsverluste, Auslagerungen und die Beschlagnahmen der alliierten Besatzungsmächte hatten die Bestände der renommierten Sammlungen empfindlich dezimiert. Auch die Kriegsschäden an den Gebäuden machten einen normalen Museumsalltag nahezu unmöglich.

Den Schwierigkeiten des Wiederanfangs an den ehemals preußischen Kunstsammlungen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der doppelten Museumsstruktur in Ost- und West-Berlin nach der Teilung Deutschlands im Jahr 1949 widmet sich die detail- und quellenreiche Studie der Historikerin Petra Winter, die auf ihrer Berliner Dissertationsschrift von 2007 beruht.

Der Autorin kommt das Verdienst zu, die bisher ausschließlich separat betrachteten Nachkriegsentwicklungen der ehemals preußischen Museen in Ost- und Westberlin aufeinander zu beziehen und sie als Gesamtgeschichte zu lesen. [1] Dies macht Sinn, entstand durch die Teilung der Sammlungen, die bereits mit der Berlin-Blockade im Sommer 1948 ihren Anfang nahm, und den divergierenden politischen Entwicklungen in der Stadt doch eine Art Konkurrenzsituation zwischen den Institutionen. Diese wirkte sich auf den Wiederaufbau und die Neugründung der Museumskomplexe auf der Museumsinsel und in Dahlem, auf Mitarbeiterstrukturen, Ausstellungen und auf die Frage der Rückführung der nach dem Krieg von den Alliierten beschlagnahmten und teilweise ins Ausland verbrachten oder in den Central Collecting Points in den Westzonen untergebrachten Berliner Museumsbeständen aus. Insbesondere die fehlenden Bestände und das Ringen um deren Rückführung bestimmten maßgeblich die erste Nachkriegsphase und die weitere Entwicklungen der Sammlungen. Nicht zuletzt aus diesem Grund nimmt die Frage nach dem Verleib der Kunstwerke und die unzähligen Versuche sowohl von West- als auch von Ostberliner Seite, sie zurück an die Spree zu holen, einen nicht unerheblichen Raum in der Arbeit ein.

Winter hat ihr Buch in drei große Kapitel untergliedert, die jeweils eine charakteristische Phase innerhalb der Berliner Museumsgeschichte der Nachkriegszeit markieren. Innerhalb dieser chronologisch angelegten Struktur verfolgt die Autorin den von Konrad Jarausch und Christoph Kleßmann für die Betrachtung der DDR und Bundesrepublik vorgeschlagenen Ansatz einer themenbezogenen Parallelgeschichte. [2] Anhand von repräsentativen Themen, Ereignissen und Personen setzt die Autorin Schwerpunkte, bei denen sie die jeweiligen Entwicklungen in Ost und West innerhalb ihres (kultur-) politischen Kontextes untersucht und aufeinander bezieht. Dabei wird deutlich, wie komplex die Verflechtungen aber auch Konflikte zwischen den jeweiligen Institutionen trotz der Teilung waren.

Im ersten Kapitel geht Winter auf den „Neubeginn“ der Berliner Museen nach dem Ende des Nationalsozialismus (1945-1947) ein, der nicht nur auf personeller Ebene von zahlreichen Kontinuitäten geprägt war. Ausgehend von der politischen Ausgangssituation schildert die Autorin die bereits kurz nach Kriegsende einsetzende „Sicherstellung“ und den Abtransport der Museumsbestände durch die sowjetische „Trophäenkommission“. Doch lässt sie auch die Operation „Westwärts“ der Amerikanische Militärregierung nicht unerwähnt, bei der über 202 Gemälde der Gemäldegalerie in die USA überführt und erst nach öffentlichen Protesten und einer Ausstellungstournee 1948 in die Bundesrepublik zurückkehrten. Neben den Beschlagnahmungen und Auslagerungen schildert Winter die ersten Maßnahmen und Versuche zur Wiederaufnahme der Museumsarbeit, die Aufräumarbeiten und Prüfung der baulichen Substanz der zumeist stark zerstörten Gebäude, den Alltag an den Museen ebenso wie die personelle Umstrukturierung und Neubesetzung. Sie zeigt die Vorgaben und Maßgaben und die ersten Konflikte der alliierten Besatzungsmächte, des Magistrats von Berlin und der Deutschen Zentralverwaltung für Volksbildung auf, die alle ein Mitspracherecht an den Museen einforderten. Schon hier wird deutlich, wie früh der „Machtkampf“ zwischen den Alliierten und den unterschiedlichen deutschen Verwaltungen die Entwicklung der Berliner Museen beeinflusste und nicht zuletzt deren spätere Zersplitterung einleitete. Dies wird mit den zunehmenden Spannungen zwischen den Siegermächten und dem beginnenden „Kalten Krieg“ umso eklatanter und findet schließlich 1948 in der administrativen und politischen Spaltung Berlins einen ersten Höhepunkt. Als eine zu diesem Zeitpunkte noch städtische Einrichtung waren die Museen von dieser Entwicklung fundamental betroffen.

Im zweiten Kapitel, welches das Jahr 1948 behandelt, zeichnet Winter die Auswirkungen der Berlin-Krise auf die „Ehemals Staatlichen Museen“ nach. Sie beschreibt die sukzessiv vollzogene Spaltung des Berliner Museumsverbundes und die Herausbildung einer zweiten Museumsverwaltung in West-Berlin. Allerdings hatte, so Winter, die Teilung der Museen zu diesem Zeitpunkt noch „imaginären Charakter“, da keine Sammlung physisch getrennt wurde und nur die Verwaltung sich dupliziert hatte. Dies änderte sich mit der zunächst temporären Rückführung der ersten Bestände aus den Central Collecting Points in Celle und Wiesbaden nach Westberlin Anfang der 1950er Jahre. Bewusst wurden nun von Westberliner Seite auch die Abteilungen benannt, von denen Kunstwerke in Westdeutschland ausgelagert waren, und auf deren Rückführung nach Westberlin man hoffte.

Die Problematik dieser „Zwillingsstruktur“ und die weitere Entwicklung der Sammlungen in Ost und West nach der Gründung der beiden deutschen Staaten 1949 legt Winter im dritten und gleichzeitig umfangreichsten Kapitel ihrer Buches dar. Bewusst verzichtete die Autorin dabei auf eine getrennt chronologische Darstellung. Vielmehr greift sie, wie schon in den vorherigen Kapiteln, exemplarisch einzelne Themenkomplexe, wie die Wiederherstellung und Neuschaffung von Ausstellungsflächen, einzelne repräsentative Ausstellungsvorhaben und Publikationen sowie die jeweilige Selbstwahrnehmung und Neupositionierung der Berliner Museen in dieser Zeit heraus. Gemäß seiner herausragenden Rolle für den Wiederaufbau und die Neuausrichtung der Museen, räumt Winter der Person Ludwig Justis einen breiten Raum ein. Als Generaldirektor lenkte er von 1946 bis zu seinem Tod 1957 die Geschicke der Berliner Sammlungen, zunächst aller, später dann der Ostberliner Abteilungen. Ein zentrales Thema der Zeit und der Untersuchung, sind weiterhin die Bemühungen um Rückführung der ausgelagerten und beschlagnahmten Kunstgegenstände, die das Handeln und die weitere Entwicklung der Häuser in Ost und West maßgeblich bestimmten und auch kulturpolitisch äußerste Brisanz besaßen. Generell wird an Winters Ausführungen deutlich, auf welche Weise die Museen in der „Frontstadt Berlin“, dem „Schaufenster der Systemkonkurrenz“, der politischen Großwetterlage ausgeliefert waren und auch politisch vereinnahmt wurden, was nicht zuletzt in der Übernahme der Ostberliner Museen in staatliche Obhut der DDR im Januar 1951 und der 1957 vollzogenen Gründung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz ihren Ausdruck fand.

In ihrem Buch führt Petra Winter auf eindrückliche Weise und mit großer Quellenkenntnis dem Leser die komplexe Nachkriegsgeschichte der Staatlichen Museen zu Berlin vor Augen. Indem sie darauf verzichtet, die einzelnen Abteilungen en detail darzustellen, gelingt es ihr, den Komplex der Staatlichen Museen als Ganzes zu erfassen und sowohl die Konkurrenzsituation als auch die weiterhin bestehenden Parallelen und Verflechtungen herauszuarbeiten. Die Publikation schließt mit dem Jahr 1958, dem Jahr, in dem die Rückführungen aus der Bundesrepublik nach Westberlin und eines Teiles der in der Sowjetunion ausgelagerten Bestände auf die Museumsinsel abgeschlossen waren. Für Winter stellt dieses Datum, stärker als der Mauerbau drei Jahre später, eine Zäsur dar. Mit der Rückkehr der Bestände und der Aufnahme des „normalen“ Museumsbetriebes begann, so Winter, eine stark divergierende Geschichte der beiden Institutionen und die Herausbildung einer jeweils eigenen Identität. Trotz dieser prägnanten Zäsur ist es schade, dass Winter der weiteren Entwicklung der „Zwillingsmuseen“ nicht einen etwas ausführlicheren Ausblick gewährt hat. Gerade der Blick auf die nachfolgenden Jahrzehnte und die Wiedervereinigung der Sammlungen 1989/1990 hätte verständlich machen können, wie sehr die Nachkriegsgeschichte noch heute in der aktuellen Berliner Museumspolitik nachwirkt. Noch aufschlussreicher wäre darüber hinaus eine etwas breiter angelegte Untersuchung gewesen, die stärker als geschehen, auch die Rolle und Instrumentalisierung der Museen von Seiten der Kulturpolitik der Alliierten und der jeweiligen deutschen Ministerien und Ämter mit einbezogen hätte, maß doch insbesondere die DDR-Regierung den Museen eine herausragende Bedeutung innerhalb der „Volksbildung“ bei, ein Aspekt, der in der Studie keinerlei Erwähnung findet. Durch die chronologische Anordnung der übergeordneten Kapitel gibt es an manchen Stellen Wiederholungen, die durch eine Straffung hätten vermieden werden können ohne der Verständlichkeit Abbruch zu tun.

Petra Winter hat einen wertvollen Beitrag zur Sammlungsgeschichte der Berliner Museen in der Nachkriegszeit geleistet und eine Fülle von neuem Quellen- und Fotomaterial erschlossen, das bisher noch nicht systematisch erfasst und in dieser Ausführlichkeit und Prägnanz noch nicht kommentiert wurde. Hilfreich ist darüber hinaus der Quellenanhang in dem einige Schlüsseldokumente - vor allem zur Ostberliner Seite - abgedruckt sind und auch die Mitarbeiter der Museen mit Kurzbiografien aufgeführt werden. Die Autorin untersucht in ihrem Buch eine Periode in der Geschichte der Berliner Museen, die bisher in den Forschungen zur Museumsgeschichte noch vernachlässigt wurde. Ihre Publikation ist ein sehr lesenswerter Beitrag, der diesem Desiderat begegnet. Es ist zu hoffen, dass der stattliche Preis von 138,- Euro nicht zu viele interessierte Leser abschreckt das Buch zu erwerben.

[1] Zur Nachkriegsgeschichte der Westberliner Sammlungen vgl. Irene Kühnel-Kunze: Bergung - Evakuierung - Rückführung: Die Berliner Museen in den Jahren 1939-1959, Berlin 1984 (Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz, Sonderband 2). Zu Ostberlin vgl. Günter Schade: Die Berliner Museumsinsel Zerstörung, Rettung, Wiederaufbau, Berlin 1986.
[2] Vgl. Konrad H. Jarausch: „Die Teile als Ganzes erkennen“. Zur Intergration der beiden deutschen Nachkriegsgeschichten, in: Zeithistorische Forschungen - Studies in Contemporary History, 1. Jg., Heft 1 (2004), S. 10-30 und Christoph Kleßmann: Spaltung und Verflechtung - Ein Konzept zur integrierten Nachkriegsgeschichte 1945 bis 1990, in: id. u. Peter Lautzas (Hg.): Teilung und Integration. Die doppelte Nachkriegsgeschichte als wissenschaftliches und didaktisches Problem, Bonn 2005, S. 20-37.

Winter, Petra: "Zwillingsmuseen" im geteilten Berlin. Zur Nachkriegsgeschichte der Staatlichen Museen zu Berlin 1945 bis 1958 (= Jahrbuch der Berliner Museen; N.F. 50.2008, Beih.), Berlin: Gebr. Mann Verlag 2008
ISBN-13: 978-3-7861-2590-7, 235 S., EUR 138,00

Empfohlene Zitation:
Maike Steinkamp: [Rezension zu:] Winter, Petra: "Zwillingsmuseen" im geteilten Berlin. Zur Nachkriegsgeschichte der Staatlichen Museen zu Berlin 1945 bis 1958 (= Jahrbuch der Berliner Museen; N.F. 50.2008, Beih.), Berlin 2008. In: ArtHist.net, 18.05.2009. Letzter Zugriff 27.04.2025. <https://arthist.net/reviews/31604>.

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