REV-CONF 11.03.2009

Taeuschend echt. Die Kunst des Trompe -l’oeil

Hamburg, 11.02.2009

Bericht von Clara Meister, Berlin
Redaktion: Godehard Janzing

Symposium: "Täuschend echt. Die Kunst des Trompe-l'oeil", 11. Februar
2009, Bucerius Kunst Forum, Hamburg

Tagungsbericht für H-ArtHist von Clara Meister, Berlin

Vorbereitend zur Ausstellung "Täuschend echt. Die Kunst des Trompe-
l'oeil" (2010) veranstaltete das Bucerius Kunst Forum in Hamburg ein
eintägiges Symposium, in dem die illusionistische Gattung breit
gefächert - von der Antike bis zur Moderne, von der Malerei bis zum
Film, von lyrischen Vorläufern bis hin zu Installationen - vorgestellt
und analysiert wurde. [1] Die Frage, ob Bilder täuschen können oder
gar sollen, beantwortet die Kunst des Trompe-l'oeil mit einem
eindeutigen Ja. Als Sondergattung des Stilllebens steht sie ganz im
Zeichen des Augentrugs, forciert die Auseinandersetzung mit der
Wahrnehmung der Betrachtenden, und wirft zugleich die Frage nach dem
Status der Bilder als sinnlichen Medien der Erkenntnis auf.

Bärbel Hedinger (Berlin) stellte in ihrer Rolle als Gastkuratorin und
Initiatorin der Ausstellung die Grundzüge der "seit der Antike
moderne(n)" Gattung vor. Ausgehend von dem programmatischen Gemälde
"Flucht vor der Kritik" des Spaniers Pere Borrell del Caso, in welchem
ein Knabe im Begriff ist, aus dem Rahmen zu steigen und den dunklen
Bildraum in Richtung Betrachter in die reale Welt zu verlassen,
verwies Hedinger auf die Aktualität des Konzeptes, den Betrachter und
dessen Vorstellung von den kanonisch verbürgten ästhetischen Grenzen
des Bildes zu irritieren. In der kunsthistorischen Forschung
widerfahre der Gattung erst seit Beginn der neunziger Jahre - im Zuge
des 'Iconic Turn' - erhöhte Aufmerksamkeit; lange Zeit sei sie
vornehmlich wegen ihrer Virtuosität geschätzt worden. Heute gelte sie
als wichtiger Baustein zur Reflexion des Systems des Bildes und seiner
Wahrnehmung durch den Betrachter.

Ausgehend von Albertis Betonung der Zentralperspektive zur Bestimmung
des Bildraumes diskutierte Sybille Ebert-Schifferer (Bibliotheca
Hertziana, Max-Planck-Institut für Kunstgeschichte, Rom) in ihrem
Vortrag mit dem Titel "Der Durchblick und sein Gegenteil. Malerei als
Täuschung" das Spiel mit den Realitätsebenen innerhalb eines Gemäldes.
Der illusionistische Maler nutze bevorzugt Augenblicke des
Alltäglichen, um diesen zu überraschen und zu verblüffen und auf diese
Weise Fragen zu Darstellung und Wahrnehmung aufzuwerfen. Hierher
gehört die scheinbar auf der Oberfläche gelandete Fliege ebenso wie
das Spiel mit dem Cartellino, den der Maler wie beiläufig als flaches
Objekt der Darstellung anheftet. Herrschte im 15. Jahrhundert noch die
Vorstellung eines Bildraumes vor, der sich hinter einer Membran
öffnet, so durchbrach das Trompe l'oeil diese Grenze, da das
Dargestellte sich gleichermaßen in den Bildraum erstreckte und
zugleich in die Realität außerhalb des Bildraumes, und zwar nach vorn,
auf den Betrachter zu drängte. Ebert-Schifferer schlug über Cornelis
Gijsbrechts, der mit seiner gemalten Rückseite eines Gemäldes ein
radikales Beispiel für ein Zusammenfallen von Form und dargestelltem
Objekt bietet, einen Bogen hin zu Künstlern der zweiten Hälfte des 20.
Jahrhunderts, die Objektimitationen mit realen Objekten kombinierten
und das Bild zu einer "dinghaften Fläche" haben werden lassen.

Gottfried Boehms (Universität Basel) Vortrag "Die Lust am Schein.
Trompe l'oeil und Stillleben" rückte die täuschende Malerei in die
Nähe der Zauberkunst als Paradigma von Illusion und Täuschung. Mit dem
elsässischen Maler Sebastian Stoskopff aus dem 17. Jahrhundert, führte
Boehm in die Kunst des Stilllebens ein, die sich in der Regel auf die
Darstellung einiger weniger Objekte beschränkte und deren
Materialität, darunter Zinn, Kupfer oder Glas, überraschend
wirklichkeitsnah darstellte. Diese Malerei war auf Wirkung angelegt.
Das "Wie" der Darstellung verschwindet hinter dem "Was", wobei das
Bild zur jener Sache wird, die es darstellt, wodurch die Distanz
zwischen Darstellung und Dargestelltem aufgehoben zu sein scheint. Der
implizierte Effekt des Augentrugs bringt zwei Betrachtungsweisen
hervor, die sich jedoch oft vermischen: zum einen den Betrachter, der
sich täuschen lässt, und darüber hinaus jenen Beobachter, der kritisch
beäugt und die Technik der Illusionierung durchschaut. Die
Verschränkung dieser beiden Positionen, endet, auch dann, wenn die
Erkenntnis den künstlerischen Trug entdeckt, in der Lust am Schein und
ermöglicht das Nachdenken über die Darstellung und die Effekte, die
sie tragen. Die illusionistischen Bilder sind folglich weniger
"visuelle Fallen" als vielmehr "optische Systeme", die als
Probiersteine des Sehens fungieren.

Michael Philipp (Bucerius Kunst Forum Hamburg) diskutierte in seinem
Vortrag "Een rechtnaturlijke Schildery. Johannes Torrentius, die
Camera obscura und der Augentrug in der niederländischen Malerei des
17. Jahrhunderts" die Frage, ob der heute wenig bekannte
Stilllebenmaler, von dem sich nur ein einziges Gemälde erhalten hat,
bereits die Camera Obscura zur Konstruktion seiner Bilder Hilfe nahm.
Er zog vor allem Gerichtsakte und andere Schriftstücke heran, um das
Profil des Malers, der ob seiner hohen Kunst des Augentrugs den
Zeitgenossen als Zauberer (und Ketzer) galt, nachzuzeichnen.

"Das zerbrochene Glas" war Thema des Vortrages von Monika Wagner
(Universität Hamburg). Die Referentin erläuterte anschaulich, wie
gesprungenes Glas in der Trompe-l'oeil-Kunst als ein die Darstellung
überlagerndes abstraktes Liniensystem den Bildern eine visuelle
Leseanweisung, somit einen visuellen Kommentar im Bild hinzufügt.
Zerbrochenes, flächiges Glas zu malen, gilt als die Krönung der
Augentäuschung und regt den Betrachter vielfach zur haptischen
Rückversicherung an. Die Transparenz, Vergänglichkeit und Fragilität
des Materials Glas fordern den Trug heraus, scheint es doch nahezu
immateriell zu sein. Dass Glas in einer Reihe von Arbeiten mit dem
Sujet des dargestellten Bildes interagiert oder sogar auf andere Werke
anspielt, veranschaulichte Wagner unter anderem an einer Darstellung
von François Jouvenet, in dem der Künstler das Bild eines
Malerkollegen als Ausgangspunkt nutzte und dieses durch die
Inszenierung des gesprungenen Deckglases zu kommentieren wusste.

Michael Diers (Hochschule für Bildende Künste, Hamburg und Humboldt-
Universität zu Berlin) stellte mit seinem Vortrag "Den Wald vor lauter
Bäumen nicht sehen. Täuschungsmanöver in der zeitgenössischen Kunst"
die Arbeit "Clearing / Lichtung" von Thomas Demand vor, welche einer
vorgelagerten Fototapete ähnelnd "täuschend echt" einen hinter dem
Bild liegenden Wald eines Gartenabschnitts des venezianischen Biennale-
Geländes zeigt. Erst bei genauerem Hinsehen wird dem Betrachter klar,
dass dies nicht schlicht eine fotografische Wiedergabe der
Wirklichkeit, sondern der fotografisch reproduzierte Nachbau eines
papierenen Modells dieser Szenerie ist. Dieses illusionistische
Verwirrspiel und die Verschränkung der Wirklichkeitsebenen verglich
Diers mit der Tradition der pompejanischen Wandmalerei und den
Gemälden Magrittes. Dabei wurde die Frage nach den
Täuschungsmöglichkeiten der Fotografie als einem gemeinhin
Dokumentation und der Schilderung der Wirklichkeit verpflichteten
Mediums aufgeworfen.
Diers bezeichnete die Installation "Lichtung" als eine Parabel von der
"Genese und Wirkung des fotografischen Bildes".

Bice Curiger (Kunsthaus Zürich) stellte in ihrem Vortrag "Simulierte
Readymades bei Fischli/Weiss und Maurizio Cattelan" das Konzept des
Schweizer Künstlerduos Fischli/Weiss vor, die mit ihren farbig
gefassten, aus Polyurethan gefertigten Objekten, das Verwirrspiel um
den Wirklichkeitsstatus der Alltags- und Ateliergegenstände bevorzugt
im Bereich der Skulptur erproben.

Abschliessend referierte Victor Stoichita (Université de Fribourg)
über das kinematographische Trompe-l'oeil. Stoichita stellte den
Sprung aus der Realität in den Film (und umgekehrt) am Beispiel von
Woody Allen und Buster Keaton vor. In Allens "The Purple Rose of
Cairo" von 1985 springt der Filmheld aus der schwarz-weißen
Hollywoodtraumwelt in die farbige Realität des Kinosaals hinein und
damit in die Alltagswelt der von Mia Farrow gespielten Filmzuschauerin
hinein. Dabei wird nicht nur ein Blick und ein Wort getauscht, sondern
zugleich jeweils die verschiedenen Realitäten. Den umgekehrten Sprung
von der Wirklichkeit in den Film unternimmt Keaton in "Sherlock
Junior" von 1924, indem er in der Rolle eines eingeschlafenen
Filmvorführers traumwandlerisch den Film besteigt und auf diese Weise
die ästhetische Systemgrenze durchbricht.

Seit dem antiken Wettstreit zwischen Zeuxis und Parrhasios ist die
Lust an der Verblüffung durch Augentrug lebendig. Das gut besuchte
Symposium bot einen reichhaltigen - und vor allem auch verständlichen
- Überblick über die Gattung und ihre künstlerischen und philosophisch-
intellektuellen Möglichkeiten, wobei einige Fragen der Aktualität
intensiver hätten diskutiert werden können. Auf die Ausstellung im
kommenden Jahr kann man gespannt sein.

Anmerkungen:

[1] Täuschend echt. Die Kunst des Trompe-l'oeil" im Bucerius Kunst
Forum, Hamburg, Ausstellung vom 13. Februar bis zum 24. Mai 2010.
Website: www.buceriuskunstforum.de .

[2] Sibylle Ebert-Schifferer kuratierte 2002 in der National Gallery
in Washington die Ausstellung "Deception and Illusion", vgl. dies.:
Five Centuries of Trompe L'oeil Painting. Deception and Illusion,
Washington, 2002.

[3] Vgl. Victor Stoichita: Das selbstbewußte Bild. Vom Ursprung der
Metamalerei, München 1998.

Empfohlene Zitation:
Clara Meister: [Tagungsbericht zu:] Taeuschend echt. Die Kunst des Trompe -l’oeil (Hamburg, 11.02.2009). In: ArtHist.net, 11.03.2009. Letzter Zugriff 25.04.2024. <https://arthist.net/reviews/31408>.

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