Kleidung im Bild. Zur Ikonologie dargestellter Gewandung
Humboldt-Universität zu Berlin, 10.-12. Oktober 2008
Tagungsbericht für H-ArtHist von Antje Kempe
Man könnte in aktuellen Interesse am Textilen, das sich derzeit in einer
raschen Abfolge von Konferenzen und Ankündigungen zu diesem Thema
offenbart, einen Paradigmenwechsel in den Bildwissenschaften wittern, der
gar einen ,textile turn' auslösen könnte. Abgesehen von der Feststellung,
dass eine Neufokussierung noch keinen ,turn' ausmacht, sei vorab bemerkt,
dass die Konferenz, die nun am Kunstgeschichtlichen Seminar der
Humboldt-Universität zu Berlin von Philipp Zitzlsperger veranstaltet
wurde, gezeigt hat, dass es zudem noch ein weiter Weg dorthin ist. Ein
großer Verdienst muß jedoch dem Veranstalter zugesprochen werden, hat er
doch mit der Tagung das Thema der Kostümkunde im wahrsten Sinne des Wortes
aus der Mottenkiste geholt und zu entstauben versucht. [1]
Daher konnte sein Vortrag, der die Tagung eröffnete, als Einführung zum
Forschungsstand und Grenzerweiterung einer vestimentären Kunstgeschichte
verstanden werden. Am Beispiel des Selbstbildnisses von Dürer legte er
dar, dass die Kleidung im Bild sich nicht nur an Kleiderordnungen
orientiert, sondern eine eigene Realität schafft. Die dabei entstehende
Differenz birgt soziales und symbolisches Kapital, das es zu entschlüsseln
gilt.
In chronologischer Abfolge schlossen sich dann die weiteren Beiträge an --
eine Ordnung, die, wie der Organisator gestand, sich aus den disparaten
Zugängen zu dem Thema ergab und eine methodische oder thematische
Einteilung erschwerte. Die Mannigfaltigkeit der Zugänge zu der
Beschäftigung mit dem Gewand wurde einem durch die zweieinhalb Tage der
Konferenz vor Augen geführt.
Am Anfang stand der anregende Vortrag von Stefan Trinks (Berlin) zu einer
vestimentären Ikonographie im 11. Jahrhundert, die sich vor allem den
zeitgenössischen Formen des Einkleidens in ein neues Gewand widmete. Er
spannte dabei den Bogen vom Ablegen des "alten" also alltäglichen Kleides
entlang des Pilgerweges nach Santiago de Compostela, dass sogar in einer
rituellen Verbrennung auf dem Dach der Pilgerkirche endete, bis hin zum
legendärem Gang Heinrich IV. nach Canossa im Büßergewand. Damit nahm er
die Charakterisierung des 11. Jahrhundert als dasjenige des
Investiturstreit (Investitur= Einkleiden in ein Amt) wörtlich und gab ihm
ein kleidendes Antlitz.
Evelin Wetter (Bern) wandte sich in ihrem Vortrag den Ausführungen des
Durandus in seinem Rationale zu, die sie als Quelle für die Darstellung
liturgischer Gewänder am Beispiel der Glatzer Madonnentafel las. Obwohl
die malerisch dargestellten den materiell überlieferten liturgischen
Gewändern gleichen, betonte die Referentin, dass im Bild die Hervorhebung
von Kostbarkeit mit den der Malerei eigenen Techniken bestimmender war.
Die gemalten Luxusstoffe beweisen dabei ein hohes Maß an
Autoreferenzialität. In der Diskussion wurde die Frage aufgeworfen,
inwiefern Kostbarkeit nicht auch ein Merkmal profaner Selbstdarstellung
war und in politischer Hinsicht auf den sakralen Bereich reflektierte.
Einen vollkommen anderen Akzent setzte Mateusz Kapustka (Wroclaw) in
seinem Referat über die Kutte des Hl. Franziskus. Bei ihm stand nicht
Kleidung als soziales Distinktionssymbol im Mittelpunkt, sondern die
Körperfrage bzw. die Dekonstruktion des Heiligenkörpers durch die Betonung
der Kutte als visuelles Signal der Christoformitas -- noch vor dem Empfang
der Stigmata.
Die sich anschließenden Referate führten in die burgundischen Niederlande
mit dem Vortrag von Birgit Franke (Münster) zu Tapisserien mit
Darstellungen des Rosenromans als performatives Bühnenbild für die
thematischen Abendempfänge am Hofe, sowie den Ausführungen von Simona
Slanicka (Bielefeld) zu der Kleidersymbolik in den "Très Riches Heures du
duc de Berry".
Den Abendvortrag hielt Martin Warnke (Hamburg) zur Statue Karls V. von
Leone Leoni. Im Kontext der Tagung war von besonderem Interesse, welche
Semantik Nacktheit sowie Rüstung -- beide Zustände müssen dabei als
vestimentäre Bestandteile aufgefaßt werden -- durch die Wandelbarkeit der
Skulptur zum Ausdruck bringen. Geben doch gerade diese Details mittels
ihrer Symbolkraft Auskunft über die herrschaftlichen Eigenschaften des
Dargestellten und sein Verständnis des Amtes. Denn je stärker sie
hervortreten, desto mehr tritt die Person hinter ihr Amt zurück. Die durch
die Nacktheit scheinbar suggerierte Ungeschütztheit muß dabei als Signum
eines guten Kaisers verstanden werden, der keines besonderen Schutzes bedarf.
Mit dem kurzfristig verändertem Vortragstitel ">Mehrstimmiges< Sehen --
Porträts von Isabella und Albrecht" wandten sich Birgitt Borkopp-Restle
(Köln) und Barbara Welzel (Dortmund) in ihrem Dialog dem Herrscherpaar der
spanischen Niederlande zu. Mit kennerschaftlichen Blick führten sie eine
kostümkundliche Studie vor. Mit dieser Herangehensweise wird allerdings
ein methodischer Zugriff verfolgt, der Bilder einzig als historische
Quelle zur Bestimmung von Kleidung sieht. Gerade der komplexe Vorgang der
Übersetzung von Gewändern in das Medium des Bildes und ihre damit
verbundene erneute Semantisierung wurden hier umgangen, ebenso wie die
sich einstellende Diskrepanz, die sich einerseits aus dem Verschwinden der
Körper in der Kleidung und andererseits mit der gleichzeitigen Betonung
der Individualität durch die Technik der Porträtmalerei ergibt.
In einem weiten Panorama von der Frühen Neuzeit bis in die heutige Zeit
zeigte Marian Füssel (Göttingen) die - trotz einiger kurios anmutenden
Brüche, wie dem Auftauchen der Darstellung des Gelehrten im Hausrock -
ungebrochene Anziehungskraft des Talars. Auch wenn sich Verschiebung in
dieser Form der ständischen Identitätskonstruktion ergaben, kommt ihm die
Produktion von Autorität zu.
Alberto Saviello (Florenz) untersuchte den westlichen Blick auf die
osmanischen Herrscher mit Fokus auf ihre Gewandung, und zeigte, wie er
zwischen abendländischer Herrschafts- und Phantasievorstellungen sowie
dokumentarisierender Annäherung changierte.
In gewisser Weise eine Ergänzung zu dem Vortrag von Birgitt Borkopp-Restle
und Barbara Welzel lieferte Stefan Weppelmann (Berlin) mit seinen
Ausführungen zu Porträtbildnissen von Giovanni Bellini. Sein
Hauptaugenmerk lag dabei auf dem Porträt des Dogen Leonardo Loredan, in
dem das Gewand die Funktion eines Gradmessers im Kontext des
Porträtgebrauchs zwischen öffentlicher und privater Sphäre übernahm. Denn
obwohl für den privaten Gebrauch bestimmt, ist das Porträt von politischen
Aussagen zum Amt des Dogen geprägt, die sich durch das Gewand Loredans
mitteilen. Andererseits verschwindet in der malerischen Auffassung des
Bildes der Doge hinter dem Ornament, tritt seine Person hinter das Amt zurück.
In die Welt der Oper führte darauf Saskia Werth (Düsseldorf) mit den
Kostümgestaltungen für die Inszenierungen des Masaniello-Aufstandes.
Marianne Koos (Fribourg/Schweiz) warf schließlich einen
sozialgeschichtlich geprägten Blick auf die Kleidung von Jean-Étienne
Liotard in seinen Selbstporträts, mit dem sie zugleich einen anregenden
Beitrag zum künstlerischem Selbstverständnis lieferte. Auch wenn ihre
begriffliche Engführung auf die Deutung der Verkleidung als Maskerade z.
T. Widerspruch hervorrief, konnte sie doch aufzeigen, dass es Liotard
selbstsicher verstand, sich mittels seiner orientalischen Kleidung ins
Bild zu setzten und sie zu einem Aushängeschild seiner eigenen
Kunstfertigkeiten werden zu lassen, um so auch seinen Marktpreis zu sichern.
In einem schwungvollen Beitrag widmete sich Godehard Janzing (Berlin) der
Nacktheit in den Historienbildern von Jacques-Louis David. Diese wirkte
vor allem in "Leonidas an den Thermopylen" auf die männlichen Betrachter
und Kunstkritiker verstörend und rief heftige Polemiken hervor. Allerdings
wurde deutlich -- wie bereits bei Martin Warnke --, dass Nacktheit kein
Zeichen für Verletzlichkeit sein muß, sondern so das Idealbild eines
Körpers -- eines Soldatenkörpers -- geformt wird. Mit der Rezeption
antiker Skulpturen übertrug sich sogar die Unsterblichkeit der Skulptur
auf die Körper, wodurch man hier bereits die Vorstellung des
untersterblichen Soldatenkörpers angelegt findet.
Birgit Haase (Hamburg) beschäftigte sich mit dem allmählichen Ausklingen
der Herrschaftsrepräsentation mittels Kleidung. Am Beispiel der Garderobe
von Eugénie de Montijo, der Ehefrau Napoleon III., zeigte sie wie nun im
Second Empire, die höfische Kleidung veraltet wirkte und ihre innovative
Kraft verloren hatte. Der Modegeschmack wurde nicht mehr vom Hof bestimmt.
Den Abschluß der Tagung bildete das Referat von Michael Diers
(Hamburg/Berlin) der einen fulminanten Schlußpunkt setzte, indem er sich
mit der Deklination des Begriffs "Modus" noch einmal dezidiert dem Bild
zuwandte. In einem Parcours von der italienischen Porträtmalerei des 16.
Jahrhunderts bis zu Antonionis "Blow up" stellte er Kleidung als Modus der
künstlerischen Selbstreflexion dar, gar als wesentlichen Bestandteil der
Kunst selber, wenn er postuliert, dass Kunst ohne Mode nicht möglich wäre.
Das Potential, das der Materie der Kleidung innewohnt, jenseits einer
historischen Bildkunde wurde zumindest in einigen Beiträgen sowie
insbesondere in der Diskussion auf dieser Tagung deutlich, die man als
einen Rahmen verstehen kann, der nun kontinuierlich erweitert werden
sollte. Insofern kann man gespannt sein, wie sich die nachfolgenden
Tagungen in Lausanne [2] und Konstanz [3] des textilen Themas annehmen und
eine thematische wie auch methodische Vertiefung ausloten werden, die sich
jenseits von Bourdieu und der Kostümkunde bewegt.
[1] Siehe dazu auch die Teilpublikation seiner Habilitationsschrift:
Zitzlsperger, Philipp, Dürers Pelz und das Recht im Bild. Kleiderkunde als
Methode der Kunstgeschichte, Berlin 2008.
[2] Siehe CfP "Meta-textile: identity and history of a contemporary art
medium", (Lausanne, 12.-13. Februar 2009), organisiert von Marco
Costantini und Tristan Weddigen.
[3] "Das Kleid der Bilder. Bildspezifische Sinndimensionen von Kleidung in
der Vormoderne", (Konstanz, 3.-5. April 2009), organisiert von David Ganz
und Marius Rimmele.
Empfohlene Zitation:
Antje Kempe: [Tagungsbericht zu:] Kleidung im Bild (Berlin, 10.–12.10.2008). In: ArtHist.net, 10.11.2008. Letzter Zugriff 26.12.2024. <https://arthist.net/reviews/30934>.
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