Transformationen der Moderne um 1900 - Künstler aus Ungarn, Rumänien und
Bulgarien in München
Tagung am Zentralinstitut für Kunstgeschichte, München
11. - 12. Juni 2008
Tagungsbericht für H-ArtHist von Heinke Fabritius,
Geisteswissenschaftliches Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas an
der Universität Leipzig (GWZO)
Unter dem Titel "Transformationen der Moderne um 1900 - Künstler aus
Ungarn, Rumänien und Bulgarien in München" lud das Zentralinstitut für
Kunstgeschichte zu einer Internationalen Tagung, die einen wichtigen
Schritt hin zu einer gesamteuropäischen Kunstgeschichtsschreibung
markierte. Die Tagung wurde initiiert und veranstaltet von der 2003
gegründeten Gruppe "Forschungen zur Künstlerausbildung", der Mitglieder der
Akademie der Bildenden Künste, des Zentralinstituts für Kunstgeschichte
sowie der Ludwig-Maximilians-Universität angehören. Die Veranstaltung
bildete die fünfte und vorerst letzte Konferenz in einer Reihe, die von
dieser Forschergruppe konzipiert wurde. Nachdem frühere Tagungen im April
und Oktober 2007 ihre Aufmerksamkeit Akademiestudenten aus Griechenland und
Amerika gewidmet hatten, standen nun drei Länder Ostmittel- und
Südosteuropas im Fokus. Die Tagung fand zugleich im Rahmen des 200-jährigen
Jubiläums der Münchener Akademie der Bildenden Künste statt.
Christian Fuhrmeister vom Zentralinstitut und Lia Lindner (Augsburg),
verantwortlich für die Konzeption der Tagung, knüpften mit ihrer
Fragestellung an bereits geleistete Vorarbeiten der Forschungsgruppe an. So
war die tragende Rolle Münchens für die Ausbildung von Künstlern auch aus
Ländern wie Ungarn, Rumänien oder Bulgarien bereits auf der ersten
Konferenz erörtert worden, die 2005 unter dem Titel "Nationale
Identitäten - Internationale Avantgarden. München als europäisches Zentrum
der Künstlerausbildung" stattfand. [1]
Nun ging es darum, einzelne Aspekte der künstlerischen Kontakte näher in
den Blick zu nehmen und Besonderheiten gerade in der Beziehung zu diesen
Ländern zu erläutern. Denn anders als im Falle der griechischen oder
amerikanischen Künstler in München ist unsere Sicht auf die ehemals
kommunistischen Länder Ost- und Mitteleuropas "nach wie vor konditioniert
durch den Kalten Krieg". [2]
Wie berechtigt dieser Einwand ist, zeigten auch einige Vorträge und
Diskussionen dieser Tagung. Denn nach wie vor sind die "westlichen" Zuhörer
mit den Namen, Entwicklungen und Tendenzen der "osteuropäischen" Kunst um
1900 wenig vertraut. Vor diesem Hintergrund ist es jedoch sicher die
falsche Strategie, wenn manche der Referenten, in Vorwegnahme dieser
Unkenntnis, allgemein gehaltene Einführungen boten. So wurde selbst den
geneigten Zuhörern nicht klar, warum ihr Interesse gerade diesen Künstlern
oder Schulen gelten sollte.
Eine grundsätzlich andere Richtung schlugen Annamaria Szöke von der
Budapester Eötvös-Lorand-Universität sowie ihr Kollege András Zwickl von
der Ungarischen Nationalgalerie ein. Sie griffen in ihren Beiträgen eher
spezielle Fragen auf, die allerdings wegweisende Perspektiven einer
(tatsächlich) "europäischen Kunstgeschichte" zu eröffnen vermochten. So
erörterte Szöke in ihrem Vortrag über "Die Grundsätze der Kunst. Bertalan
Székelys Versuche, die Akademische Tradition neu zu begründen" auf
eindrückliche Weise Fragen zu Komposition und Rhythmus, die von Székelys
kritischer Auseinandersetzung mit Menzel und Rethel zeugen und durchaus
auch rückwirkend Bedeutung für die Untersuchung ähnlicher Probleme bei
diesen Künstlern haben könnten. András Zwickl sprach über "München und die
Künstlerkolonie von Nagybánya in den Schriften des Kunstkritikers Károly
Lyka" und warf an diesem speziellen Beispiel eine sehr grundsätzliche Frage
auf, die gleichsam leitmotivisch über der ganzen Veranstaltung stehen
könnte: Warum wird das Schaffen vieler Künstler dieser Region - nicht nur
Ungarns - nach dem Muster "vertrautes Gewand, neue Themen" wahrgenommen?
Denn es wird nach wie vor häufig so getan, als ob sie an Akademien wie in
München ein Rüstzeug, einen "Stil", eine Malweise erworben hätten, die sie
dann "nur" noch mit ihren eigenen nationalen Motiven und Folkloren gefüllt
hätten. Dem gegenüber bestand jedoch, wie Zwickl pointiert hervorhob, die
"wahre Kraftprobe" für diese Künstler oft darin, "München wieder zu
verlernen".
Ähnliche Fragen griff in seinem ausgreifenden Abendvortrag auch László Béke
von der Ungarischen Akademie der Wissenschaften am Beispiel der
Historienmalerei auf. Trotz offenkundiger Parallelen des ungarischen "plein
air" zum Französischen Impressionismus greife auch hier die Formel von
einer impressionistischen Malerei, die mit Motiven aus der ungarischen
Nationalgeschichte angereichert sei, zu kurz. An solchen Überlegungen zeigt
sich, wie treffend immer noch eine Feststellung des ungarischen Künstlers
und Kunstkritikers Károly Kernstok (1873-1940) ist. Selbst stark von
Cézanne beeinflusst, empfand er schon zu seiner Zeit Charakterisierungen
wie "Cézannismus" oder "Kubismus" als unzureichend und aufoktroyiert. [3]
Lia Lindner, Mitorganisatorin der Konferenz, befasste sich in ihrem Vortrag
über die ungarische Moderne mit einer grundsätzlichen Formulierung dieses
Problems. Sie brachte es mit dem Kritiker Lájos Fülep auf den Punkt, es
gehe nicht so sehr darum, was das "Ungarische" an der ungarischen Malerei,
sondern was der spezifisch ungarische Beitrag zur Kunst der Moderne sei.
Gelegentlich war unter den Teilnehmern Kritik daran zu vernehmen, dass die
Konferenz sich ausschließlich auf das Medium der Malerei, sogar
insbesondere die Geschichts- und Landschaftsmalerei, konzentrierte. So wies
auch Ernö Marosi vom Kunstgeschichtlichen Forschungsinstitut der
Ungarischen Akademie der Wissenschaften zu recht auf die Verluste einer
solchen Fokussierung hin, weil etwa München als Residenzstadt gerade in der
Architektur ein enorm wichtiges Vorbild der ungarischen Baukunst gewesen
sei.
So berechtigt dieser Einwand ist, bleibt dennoch anzumerken, dass es
vielleicht gerade ein positives Signal für die Internationalisierung und
Europäisierung auch der osteuropäischen Kunstgeschichte ist, dass Themen
eher an künstlerischen Problemen als an nationalen Grenzlinien entlang
festgelegt werden. Insofern tat die Münchener Tagung gut an ihrer
Konzentration auf die Malerei, zumal die Deutsch-Ungarischen
Wechselbeziehungen in der Architektur jüngst an anderer Stelle in einer
eigenen Ausstellung beleuchtet wurden. [4]
Kritisiert wurde ein Ungleichgewicht in der "nationalen Verteilung" der
Beiträge. Während sich sechs Vorträge mit der ungarischen Kunst
beschäftigten, mussten die bulgarischen und rumänischen Perspektiven mit
jeweils zwei Referaten auskommen. Iona Vlasiu von der Universität Bukarest
stellte das ebenda stehende Atelierhaus des Künstlerpaares Frederic Storck
und Cecilia Cutescu-Storck vor. Ihr gelang es in eindrucksvoller Weise zu
zeigen, wie sehr die Erfahrungen des Münchner Künstlerlebens die beiden
beflügelten, freimütig und selbstbewusst einen eigenen Künstlersalon in
Bukarest ins Leben zu rufen. Um zu begreifen, wie Künstler zu dieser Zeit
München wahrnahmen, müsste man mal bei diesen beiden nachlesen - wenn man
denn könnte: Ein echter Gewinn wäre es, wenn die Korrespondenz des
Künstlerpaars in deutscher Übersetzung vorläge.
Roland Prügel vom Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg, dessen
Dissertation "Im Zeichen der Stadt. Avantgarde in Rumänien 1920-1930" kurz
vor der Veröffentlichung steht, referierte unter dem Titel "Paris oder
München?". Kenntnisreich öffnete er den Blick über Bukarest hinaus nach
Jassy, der ehemaligen Hauptstadt der vereinigten Donaufürstentümer und
Geburtsort des Dadaisten und Aktionisten der "Novembergruppe" Arthur Segal.
Von bulgarischer Seite beleuchteten die beiden Kunsthistorikerinnen Denitza
Kisseler (Sofia) und Irina Genova von der New Bulgarian University,
ebenfalls Sofia, die Bedeutung Münchens für das künstlerische Geschehen im
frühen 20. Jahrhundert. Kisseler wies in einem Überblick auf die bereits
anhand des ungarischen Beispiels diskutierte Schwierigkeit hin, "westliche"
Bezeichnungen wie Modernismus oder Symbolismus auf die bulgarische Kunst zu
übertragen, zumal - anders noch als in Ungarn - der starke Einfluss der
postbyzantinischen Kunst erst spät eine säkulare Ausprägung entstehen
lässt. Genova sprach in diesem Zusammenhang sogar ganz ausdrücklich von
einer "Europäisierung" der bulgarischen Kunst.
Ruxandra Demetrescu von der Universität der Künste in Bukarest machte in
ihrem Kommentar den Vorschlag, die leidige Frage nach West/Ost oder
Innen/Außen in der Kunst dadurch zu überwinden, dass solche Überlegungen
jenseits nationaler Kategorien ansetzen sollten. In diesem Sinne wies auch
Frank Büttner (Universität München) auf den Vorrang der Bearbeitung
biographischer Fragen und der Bedingungen künstlerischer Produktion hin,
die dann auf die Erörterung gemeinsamer Grundstrukturen hin zu erweitern
wäre. Als vorbildhaft erwähnte Demetrescu in dieser Hinsicht die Forschung
zu dem "rumänischen" Künstler Brancusi. Schlägt man diesen Weg ein,
erscheint im Übrigen auch die Frage nach dem Ungleichgewicht der
"nationalen Verteilung" in einem anderen Licht: Das ungarische Übergewicht
der Münchner Tagung wäre dann nichts anderes als Ausdruck einer solchen
"Normalisierung", die ungarische Positionen jenseits nationaler
Geschichtsschreibung bereits stärker ins Bewusstsein gebracht hat - ein
Prozess der Kontextualisierung, der für bulgarische und rumänische Künstler
in ähnlicher Weise verstärkt zu erwarten ist.
Wegweisend könnte auch - der kaum diskutierte - Ansatz Monika Wuchers
(Hamburg) zu dem Siebenbürger Janos Mattis-Teutsch sein. Mit ihrem Diskurs
über Zentrum und Peripherie in der Avantgarde trug sie maßgeblich zur
Klärung des spezifischen Selbstverständnisses "aus dem Osten" stammender
Künstler bei. Souverän und heiter, nicht zuletzt weil aus gebührender
Distanz gesehen, stellte dann Steven Mansbach von der University of
Maryland im Abschlussvortrag seine ganz anderen Überlegungen zur
"europäischen Schieflage" vor.
Unter dem Stichwort "Opfer der Opfer" verwies er kritisch auf die
Vereinnahmung aus Nazideutschland geflohener Kunsthistoriker: Ihr stark an
formalen Ansätzen orientierter, weitgehend unpolitischer Umgang mit der
Bildenden Kunst sei in den USA nur allzu gerne aufgegriffen worden. Gerade
damit aber sei die politisch-historische Motivation vieler künstlerischer
Bestrebungen aus dem östlichen Europa in den Hintergrund des Interesses
geraten und während der Jahrzehnte der Teilung Europas vom Westen
regelrecht vergessen worden. Die osteuropäische Kunst ein weiteres Mal als
Opfer, nun als "Opfer der Opfer"?
Wie also steht es heute um die gesamteuropäische Kunstgeschichte? In seinen
Begrüßungsworten hatte Walter Grasskamp, Sprecher der Forschungsgruppe, auf
die von James Elkins aufgeworfene Frage "Is Art History Global ?"
hingewiesen. Als ernüchterndes Fazit mochte nun scheinen, dass es noch
nicht einmal eine europäische Kunstgeschichte gibt. Zweifellos sind jedoch
Veranstaltungen wie die Münchener Konferenz wichtige Schritte auf dem
schwierigen Weg hin zu diesem Ziel, und dafür gebührt der Forschergruppe,
den Veranstaltern und Referenten großer Dank! Doch ist wenig gewonnen, wenn
solche Bestrebungen nicht entschieden fortgesetzt werden und wenn - um nur
einen Punkt zu nennen - dieser Teil Europas und seine künstlerische Moderne
nicht endlich eine angemessene Berücksichtigung in der Lehre findet.
Das Publikum der Tagung machte es deutlich: Gekommen waren fast nur Zuhörer
mit einem osteuropäischen Hintergrund. Wie belebend diese Art der
Auseinandersetzung sein könnte, verdeutlicht vielleicht eine Anmerkung von
Ernö Marosi. Die besondere Bedeutung Münchens lag nämlich für viele
ungarische Künstler nach 1848 gerade darin, dass Stadt und Akademie
Freiheiten versprachen, wie sie in Wien kaum zu erwarten waren. Ost oder
West spielte dabei keine Rolle: Auch Gustave Courbet erfuhr die erste
Würdigung seines Realismus in München, nicht in Paris.
Anmerkungen:
[1] Vgl.: zeitenblicke 5 (2006), Nr. 2, 19.09.2006, URL:
http://www.zeitenblicke.de/2006/2/index_html .
[2] So Karl SCHLÖGEL in einem Interview von Walter Grasskamp ("Unsere Sicht
steht nach wie vor im Schatten des Kalten Krieges"); in: zeitenblicke 5
(2006), Nr. 2, 19.09.2006, URL:
http://www.zeitenblicke.de/2006/Schlögel/index_html .
[3] Die Verlegenheit solcher Zuordnungen zeigt sich, wenn etwa - ein
anderes Beispiel aus der ostmitteleuropäischen Kunst - von einem
tschechischen "Kuboexpressionismus" gesprochen wird.
[4] Die Ausstellung "Aspekte des ungarischen Historismus", organisiert vom
Deutschen Kulturforum östliches Europa (Potsdam) und dem Institut für
Kunstgeschichte der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, wurde 2007 in
Zusammenarbeit mit dem Schinkel-Zentrum für Architektur in der Technischen
Universität Berlin gezeigt. Der Katalog "Von Berlin nach Budapest. Aspekte
des Historismus in der ungarischen Architektur" erschien begleitend zur
Ausstellung.
Recommended Citation:
Heinke Fabritius: [Conference Report of:] Transformationen der Moderne um 1900 (Jun 11–12, 2008). In: ArtHist.net, Aug 5, 2008 (accessed Dec 21, 2024), <https://arthist.net/reviews/30657>.
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