REV-CONF 09.11.2007

Vom roten Mars und runden Atomen (K. Weltersbach)

Offenbach, 25.10.2007

Bericht von Konstanze Weltersbach, Zürich
Redaktion: Godehard Janzing

Vom roten Mars und runden Atomen. Bilder von Wissenschaft und Technik
zwischen öffentlicher Wissensvermittlung und Faszinationsproduktion.

(Tagung im Rahmen der Förderinitiative "Wissen für Entscheidungsprozesse" des
BMBF und des DFG-Schwerpunktes 1143 "Wissenschaft, Politik und Gesellschaft";
Hochschule für Gestaltung, Offenbach, 25.-26. Oktober 2007)

Tagungsbericht für H-ArtHist von Konstanze Weltersbach (Zürich)

Bilder vermitteln Wissen über naturwissenschaftliche und technologische
Phänomene und Erkenntnisse. Die Tagung "Vom roten Mars und runden Atomen.
Bilder von Wissenschaft und Technik zwischen öffentlicher Wissensvermittlung
und Faszinationsproduktion" knüpfte an aktuelle Diskussionen um die Rolle der
Bilder in den Wissenschaften und Medien an.
Martina Heßler (Offenbach) und Alexander Gall (München) benannten in ihrer
Einführung als Kernthemen einerseits die Strategien der Bildproduktion
selbst, sowie die Wissensverschiebungen, welche durch die Produktion und
Rezeption von Bildern entstehen. Wie hängen Wissensproduktion, Faszination
und Legitimation durch Bilder zusammen, und wie wird bestehendes Wissen
mittels Produktion und Rezeption von Bildern transformiert?

"Wahre Lücken?" Zur Sichtbarmachung des Vergangenen

Die Tagung eröffnete Hans-Jürgen Lechtreck (Essen) mit einem Vortrag zu
taxidermischen Präparaten des Gorillas und ihrem literarischen Kontext im 19.
Jahrhundert. Die Präparation basierte neben der Verwendung der materiellen
Überreste der getöteten Tiere vor allem auf Reise- und Erlebnisberichten,
Gedichten und Erzählungen, fachwissenschaftlichen Publikationen, Zeichnungen,
Druckgraphiken, Gipsmasken, Fotografien und Flüssigpräparaten. Anhand der
Vielfalt der Medien zeigte Lechtreck auf, wie die verschiedenen sprachlichen
und bildlichen Darstellungen mit- und untereinander um Authentizität und
Glaubwürdigkeit konkurrierten.
Oliver Hochadel (Wien), nahm ebenfalls dreidimensionale Darstellungen zum
Ausgangspunkt: Dermoplastiken und virtuelle Rekonstruktionen der
Australopithecus-Dame Lucy. Rekonstruktionen der prähistorischen
Vergangenheit haben alle mit dem gleichen Problem zu kämpfen: Aus den wenigen
erhaltenen Skelettüberresten eine möglichst realistische und
wissenschaftlichen Erkenntnissen entsprechende Darstellung zu schaffen.
Hochadel lieferte einen Einblick in die vielfältigen Vernetzungen zwischen
Anthropologen, Rekonstrukteuren und den Rezipienten, welche allesamt das
Aussehen kommender Rekonstruktionen beeinflussen.

Faszination und Wissensproduktion

Nina Samuel (Basel) widmete sich in ihrem Beitrag dem Bilderwissen der
nichtlinearen Dynamik. Überzeugend stellte sie die Einstellung einiger
Mathematiker zu "ihren" Bildern vor, die häufig eine Präferenz des
handgezeichneten Bildes über das computergenerierte "objektivere" Bild
verriet. Es wurde eine Differenz zwischen Laborpraxis und
Medienöffentlichkeit erkennbar, die nicht nur die populäre Bildgeschichte der
Fraktale auf den Kopf stellt, sondern auch grundsätzliche Fragen an Methoden
der Bildwissenschaft und die Geschichte des digitalen Bildes aufwirft.

Visuelle "boundary objects" und ihre Präsentation in der Öffentlichkeit

Charlotte Bigg (Berlin) stellte die visuelle Geschichte des Brownschen
Bewegungs-Diagramms vor, welches 1909 von dem französischen Chemiker Jean
Perrin veröffentlicht wurde. Das Diagramm entstand aus einem Zusammenschluss
unterschiedlicher visueller Kulturen von der Physiologie und Filmtechnik bis
zur physikalischen Chemie und Mathematik. Bigg lieferte eine überzeugende
Darstellung der Wechselwirkungen zwischen verschiedenen
naturwissenschaftlichen Disziplinen bzw. Wissenschaft und Öffentlichkeit und
der Fruchtbarkeit eines Bildes als eigenständiger Wissenserzeuger, -träger
und -vermittler.
Im Gegensatz zu den winzig kleinen Studienobjekten in Charlotte Biggs Bildern
beschäftigte Sebastian Linden (Jena) sich mit einer Abbildung des ganz
Grossen. Er zeigte die Karte der kosmischen Mikrowellenstrahlung, welche als
Bestätigung des Urknallmodells gesehen wird und zu einer der populärsten
Illustrationen der modernen Wissenschaft geworden ist. Die Faszination der
populärwissenschaftlichen und populären Medien für die kosmische
Mikrowellenstrahlung scheint durch eine Kombination des Bildes mit dem, was
gerade nicht auf dem Bild zu sehen ist, zu entstehen: Der mystisch klingenden
"dunklen Energie".

Visualisierungstechniken und Popularisierung

Drei Vorträge beschäftigten sich in chronologischer Folge mit verschiedenen
Techniken der Visualisierung. Thilo Habel (Berlin) sprach zu Lithografie und
Xylografie im publizistischen Experiment um 1850 und verglich dabei die
Veröffentlichungen Franz Junghuhns mit dessen Vorbild Alexander von Humboldt.
Junghuhn lieferte methodische Neuerungen wie Langzeitbeobachtungen des
natürlichen Pflanzenwachstums oder die Registrierung der spezifischen
Reliefformen bei Wanderungen durch verschiedene Gebirge. Um die idealisierten
Darstellungen der die Natur charakterisierenden Vorgänge direkt im Textfluss
wiederzugeben, entschied Junghuhn sich nicht für die graustufenreiche
Kreidelithographie, sondern für Holzstich-Textabbildungen.
Alexander Gall (München) zeigte dagegen Bilder populärer Wissenschaft in
Holzstich und Fotografie um 1900. Er wählte die Illustrierten "Gartenlaube"
und "Die Woche", um den Medienwechsel von Holzstich zu Fotografie am Beispiel
von Zoobildern nachzuvollziehen. Dabei stellte er versuchsweise die visuell
reiche "Brillanz" der Holzschnitte dem "Authentizitätsversprechen" der
Fotografie entgegen.
Ann-Sophie Lehmanns (Utrecht) Beitrag führte schließlich ins digitale
Zeitalter und beschrieb die Interaktion naturwissenschaftlicher und
künstlerischer Prozesse bei der Herstellung photorealistischer
Computergraphiken. Sie ging von dem Streben nach visuellem Realismus aus und
ging am Beispiel der Simulation von Haut und anderen Texturen der Frage nach,
wie sich die Computergraphik zur Malerei verhält.

Der Blick zur Kunst

Der erste Tagungstag wurde mit einem Blick auf aktuelle künstlerische
Positionen beendet. Tim Otto Roth (Köln) stellte sein Projekt "Pixelsex" vor.
Hier setzte er unter dem Stichwort "Bioart" die Interaktion eines Zellulären
Automaten (Myxobakterium) auf der 90 x 40 m2 grossen Fläche des KPN Telecom
Tower in Rotterdam künstlerisch um. Wichtig war Roth dabei die Einbeziehung
von Wissenschaftlern, die ihr Forschungsobjekt in seinem Projekt wieder
erkennen sollten.
Im anschließenden Werkstattgespräch zeigte Peter Müller (Maastricht) erste
Beispiele der Zeichnungsserie "'L.Y.S.S.A. wäre natürlich unpassend gewesen'
von Julia Bellberg, Toronto / 'Syndrome und vier Dekaden Forschung' von
Stefan Poller, Brüssel", die er in Zusammenarbeit mit Adrian Nießler
entwickelt. Beide sind interessiert an medial dargestellten
wissenschaftlichen Arbeitsräumen. Die Zeichnungsserie befindet sich noch in
der Herstellung und soll einmal aus 80 schwarzen Konturzeichnungen bestehen,
deren Grundlage sich aus Fotografien verschiedener Onlinedatenbanken
zusammensetzen.

Visuelle Überzeugungsstrategien

In ihrem Vortrag zu populären und nicht-populären Bildern der klassischen
Archäologie im 19. Jahrhundert widmete sich Stefanie Klamm (Berlin) Bildern,
welche in der Jubiläumskunstausstellung der Akademie der Künste in Berlin von
1886 und August Baumeisters "Denkmälern des klassischen Altertums"
(1885-1888) von den Ausgrabungen in Olympia vermittelt wurden und führte vor,
auf welche Weise die Bilder der archäologischen Fachpublikationen an ein
breiteres Publikum herangetragen wurden.
Barbara Wurm (Wien) stellte populärwissenschaftliche Filme der frühen
Sowjetunion und ihre (nicht-)filmischen Verfahren vor. Neben Arbeits- und
Lebenswissenschaften, die im Hinblick auf biopolitische Fragen der Hygiene
und Gesundheit zentral waren, waren auch Naturwissenschaft und Technik in den
institutionellen Bemühungen der jungen Sowjetunion um eine breite
Wissenschaftsdemokratisierung eingeschlossen. Am Beispiel zweier Filme - des
1928 entstandenen "Die Erde und der Himmel" und des 1931 gefilmten
"Ionisierung. Eine Entdeckung von Prof. L. A. Cizevskij", denen jeweils auch
Szenen des "making of" eingebaut waren, beschrieb Wurm die visuellen
Codierungsverfahren von spezifischem Wissen.

Roter Mars und bunte Sterne - Darstellungen der Astronomie in der
Öffentlichkeit

Eine Sektion widmete sich mit dem roten Mars einem der titelgebenden Bilder
der Tagung. Ralf Adelmann (Paderborn) zeigte die mediale Verbreitung der
Daten und Bilder von "Marsis" (Mars Advanced Radar for Subsurface and
Ionospheric Sounding) am 15. und 16. März 2007 im Anschluss an die erste
Veröffentlichung im Magazin "Science". Die Nachricht, dass die Pole des Mars
vermutlich aus gefrorenem Wasser bestehen und eine aus den Daten abgeleitete
Kartierung der Eismassen wurde in mehreren Quellen schnell mit der Frage nach
Leben auf dem Mars und verschiedenen Bildern vom Mars verknüpft: Vom
computergenerierten "Foto" des roten Planeten bis hin zum virtuellen Flug
über die Oberfläche des Mars.
Rolf Nohr (Braunschweig) sprach im Anschluss über die Rolle des Amateurs bzw.
der Amateurastronomie in der Entwicklung des Bildes vom Mars. In Zusammenhang
mit der Einführung von Raumsonden schrieb die Zeitschrift "Stern und
Weltraum", welche Nohr als Beispiel diente, 1972: "Wer so fotografieren kann,
braucht nicht mehr zu beobachten". Inwieweit die Veränderungen in der
Astronomie und im speziellen der Beobachtung des Mars ein "backyard-Wissen"
produziert oder vielmehr als "science in action" zu verstehen seien, war die
Kernfrage des Vortrages.

Medialisierung der Wissenschaften

Die letzte Session der Tagung startete mit Ulf von Rauchhaupts (Frankfurt)
Erläuterung der Auswahlkriterien von Bildern im Wissensteil der Frankfurter
Allgemeinen Sonntagszeitung. Die für den Bilderredakteur entscheidende Frage
sei: "Und was zeigen wir da?" Anhand verschiedener Ausschlusskriterien führte
Rauchhaupt vor, welche Wissenschafts-Bilder es in die FAS schaffen können und
beschrieb, auf welche Weise die Verfügbarkeit von Bildern das Produkt - den
Wissensteil - beeinflussen. Dabei können die Bilder die Geschichte erst
evozieren, aber auch vor allem der Verdeutlichung dienen.
Im Anschluss hielten Christoph Bieber und Benjamin Drechsel (Gießen) einen
Vortrag zum Thema "Bilder im Staatsdienst - die
Instrumentalisierungsstrategien visueller politischer Kommunikation". Sie
versuchten, die Geschichte des Gesichtsbildes als Erkennungsinstrument mit
dem heutigen sicherheitspolitischen Diskurs zu verknüpfen. Dabei suchten sie
auch nach anderen Interessen, die zu einer Strukturierung neuer Kontroll- und
Überwachungstendenzen beitragen könnten.
Helmuth Trischler (München) las zum Abschluss der Tagung nicht nur das
Manuskript der leider abwesenden Karin Bruns (Linz) zum Thema "Die Erde
glüht. Vom Orientierungswissen 'Klima' zum mediopolitischen Katastrophismus"
vor, sondern kommentierte auch die letzten beiden Vorträge. Er verwies auf
den Verlust von Glaubwürdigkeit, wenn zu früh Katastrophenszenarien
sicherheits- oder umweltpolitischer Natur heraufbeschworen würden. Die
Diskussion fand damit den Weg zurück zu einigen Anfangsüberlegungen der
Tagung, welche um das Dreieck Wissenschaft - Politik - Technik kreisten.

Den Organisatoren ist es gelungen, ein vielfältiges und sehr dichtes Programm
zu aktuellen Fragen der Bildwissenschaften zusammenzustellen. Die Vorträge
beschäftigten sich mit den Kernthemen in einer großen historischen
Spannbreite. Der Dialog zwischen Naturwissenschaftlern, Künstlern,
Journalisten und Geisteswissenschaftlern bestätigte, dass es nicht nur
möglich, sondern auch produktiv ist, fachübergreifend über die "Logik der
Bilder" zu sprechen.

Empfohlene Zitation:
Konstanze Weltersbach: [Tagungsbericht zu:] Vom roten Mars und runden Atomen (K. Weltersbach) (Offenbach, 25.10.2007). In: ArtHist.net, 09.11.2007. Letzter Zugriff 29.03.2024. <https://arthist.net/reviews/29862>.

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