REV 10.06.2008

Steffen Rudder: Der Architekt Hugh Stubbins

Rezensiert von Ralf Dorn, Darmstadt
Redaktion: Claudia Sedlarz
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Als am 1. April 1980 die legendäre Berliner Industrial-Band „Einstürzende Neubauten" ihr erstes Konzert gab und deren Kopf Blixa Bargeld für den Untergang sang, war nicht abzusehen, das im darauf folgenden Monat die berühmte Berliner Kongresshalle, das heutige Haus der Kulturen der Welt, einstürzen würde. Der Auftritt wurde nachträglich als Fanal gesehen und zugleich als musikalische Zeitenwende gefeiert. Zum Zeitpunkt ihres Einsturzes hatte die Kongresshalle ihre Bedeutung bereits weitgehend eingebüßt. 1979 wurde am Messegelände unter dem Funkturm das ICC eröffnet und erfüllte seither die Funktion als internationaler Tagungsort. Als politisches Symbol hatte der im Berliner Volksmund „Schwangere Auster" genannte Bau ebenso ausgedient. Auch unter Architekten wurde das Relikt der 50er Jahre nur noch mit spöttischen Bemerkungen bedacht. So blieb die Bauruine ein Jahr lang gesperrt, während man sich im Berliner Senat über ihr weiteres Schicksal vertagte.

Ebenso wie das Ringen um einen möglichen Abriss der Ruine, der durch ihren Teileinsturz drohte, waren auch Planung und Bau der Kongresshalle nicht ohne Reibungsverluste vonstatten gegangen. Dies zeigt das leichthändig geschriebene Buch von Steffen de Rudder über den Architekten Hugh Stubbins (1912-2006), das eine Inkunabel der amerikanischen Moderne im Berlin der 50er Jahre zum Thema hat. Der Titel verheißt eine Architektenmonographie, doch ist es vielmehr eine Baumonographie zu Stubbins´ einzigem in Deutschland errichteten Gebäude. Auch in seinem Oeuvreverzeichnis steht die Kongresshalle als eher untypischer Ausreißer.
Stubbins, der Zeit seines Lebens in Europa weitgehend unbekannt blieb, gehörte zu den Großen der amerikanischen Moderne des 20. Jahrhunderts. Sein Zeichentalent brachte ihn in das Büro von Royal Barry Wills, dem führenden Architekten im Wohnhausbau der 1930er Jahre, der mit dem „Cape Cod Colonial" den klassischen und oft rezipierten Wohnhaustyp des „All-American Home" schuf. Fleißige Publikationstätigkeit und rege Wettbewerbsteilnahmen verschafften Stubbins die Aufmerksamkeit des berühmten Walter Gropius, der damals Professor und Dekan der Harvard Graduate School of Design war. Er bot Stubbins 1940 eine Assistentenstelle an, die dieser - anfänglich selbstbewusst zweifelnd - schließlich annahm. Den Stil seines Vorgesetzten mochte sich Stubbins jedoch nicht zu Eigen machen, fühlte er sich doch zu dem Werk von Marcel Breuer und Alvar Aalto weitaus stärker hingezogen. Stubbins blieb der Bautradition seines Landes jedoch fest verbunden und hatte unmittelbar teil an der Entwicklung der amerikanischen Moderne. Dies belegen seine Wohn-, wie auch seine späteren Schul- und Universitätsbauten. Schließlich wurde er mit einigen Bürohochhäusern international bekannt. Zu seinen bedeutendsten Hochhausbauten zählen das Citycorp Center in New York (1977) und die Federal Reserve Bank of Boston (1978).

Zu seinem Berliner Auftrag kam Stubbins ohne Wettbewerb. Ein Anruf von Ralph Walker, Direktor des AIA (American Institute of Architects) reichte aus, ihm den Auftrag für den amerikanischen Beitrag auf der Internationalen Bauausstellung 1957 in Berlin zu verschaffen. Für diese Aufgabe hätte normalerweise, laut Stubbins, eine moderne Kiste völlig ausgereicht. „All requirements could fit in a square box easily enough, but it was essentially a propaganda building aimed at the Soviets just half a mile away. So, it had to have imagery and flair." (49) Es sollte also ein Stück politische Architektur mit Signalwirkung in den sowjetischen Ostteil der Stadt werden; und damit begannen die Probleme. Der von den amerikanischen Entscheidungsträgern präferierte Entwurf in Form eines hyperbolischen Paraboloids wollte der deutschen Seite aufgrund seiner monumentalen Dimensionierung und mangelhaft erscheinenden Statik nicht behagen. Der auf diesem Gebiet sich gerade etablierende Architekt Frei Otto sparte nicht mit höflicher, aber deutlicher Kritik. Auch der von deutscher Seite hinzugezogene Statiker Werner Koepke intervenierte und setzte sich schließlich durch. Die von Stubbins Büro angestrebte Lösung wurde modifiziert und im Sinne Koepkes abgeändert. Die verhängnisvollen Folgen dieses Planwechsels zeigten sich 1980.

Ebenso spannend wie die hitzige Diskussion um die statisch beste Lösung liest sich der politische Entstehungshintergrund der Kongresshalle, von de Rudder detailreich erzählt und daher auch den größten Teil des Buches einnehmend. In der Frontstadt des Kalten Krieges trat Uncle Sam als Tante auf, nämlich in Person der geschickt agierenden Diplomatin Eleanor Dulles, der Schwester des US-amerikanischen Außenministers John Foster Dulles. Sie verhalf der Stadt, die noch immer in Schuttbergen fest steckte, durch ihr vielfältiges Engagement um finanzielle Aufbauhilfe auf die Beine. 1959 wurde sie dafür von Willy Brandt mit der Ernst-Reuter-Medaille geehrt und als „Mutter von Berlin" bezeichnet.

Die Ausarbeitung der endgültigen Bauform durch Stubbins und ihr architektonischer Ausdruckscharakter nimmt de Rudder sorgfältig auseinander und setzt die einzelnen Bauabschnitte (Plattform, Auditorium und Dach) in dem irritierend mit „Ikonographie" überschriebenen Kapitel sorgfältig wieder zu einem Gesamtbild zusammen.

De Rudder erzählt faktenreich und bestätigt nachgerade die große Bedeutung der Kongresshalle als politische Architektur und statisches Vabanquespiel. Die kurzweilige Lektüre, aufgelockert durch viele Schwarz/Weiß- und eine Doppelseite Farbpostkarten, liefert einen vertiefenden Einblick in die Entscheidungsprozesse und Animositäten bei Planung und Bau der Kongresshalle. Dabei weitet seine Auswertung der englischsprachigen Quellen den bisherigen Blick auf die Kongresshalle. Den nicht übersetzten O-Ton der englischsprachigen Zitate mag man bedauern, er schmälert aber keineswegs den Wert der Arbeit. Dem Buchtitel gemäß hätte man sich jedoch mehr Detailreichtum beim Blick auf Stubbins´ Gesamtwerk gewünscht. Auch lässt der Untertitel erwarten, dass von amerikanischer Seite geplante oder finanzierte Bauten, beispielsweise die Amerika-Gedenkbibliothek oder der Henry-Ford-Bau der Freien Universität Berlin, um nur einige Bauten zu nennen, einer eingehenden Betrachtung unterzogen würden. Doch dies erfolgt leider nicht. In der Summe bleibt die kritische Würdigung eines bedeutenden Baudenkmals, das zum architektonischen Erbe Berlins gehört, auch und vor allem weil es einen wichtigen Teil seiner politischen Geschichte verkörpert. Im vergangenen Jahr feierte die Kongresshalle ihr 50-jähriges Bestehen, die Einstürzenden Neubauten musizieren mittlerweile in ihrem 28. Jahr.

Rudder, Steffen: Der Architekt Hugh Stubbins. Amerikanische Moderne der Fünfziger Jahre in Berlin, Berlin: Jovis Verlag 2007
ISBN-13: 978-3-939633-23-5, 190 S.

Empfohlene Zitation:
Ralf Dorn: [Rezension zu:] Rudder, Steffen: Der Architekt Hugh Stubbins. Amerikanische Moderne der Fünfziger Jahre in Berlin, Berlin 2007. In: ArtHist.net, 10.06.2008. Letzter Zugriff 23.04.2024. <https://arthist.net/reviews/29>.

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