REV 28.10.2003

Paret, Peter: An artist against the Third Reich. Ernst Barlach, 1933-1938

Rezensiert von Gudula Mayr

In Deutschland ist die Verfemung Ernst Barlachs durch die Nationalsozialisten ein wohlbekanntes und vielfach bearbeitetes Thema.[1] Tatsächlich dominiert dieser Aspekt die Wahrnehmung von Barlachs Leben und Werk - zumindest in der populären Rezeption - so stark, dass er einer ausgewogenen Bewertung seines künstlerischen Schaffens regelrecht im Wege zu stehen scheint. Durch die unbarmherzige NS-Verfolgung, die er selbst einmal als „langsame[...] Erdrosselung“[2] bezeichnete, ist Barlach eine Art Märtyrerstatus zugewachsen, der zum Teil regelrecht dazu instrumentalisiert wurde, sein Werk aufzuwerten, wie in dem DEFA-Film „Der gestohlene Engel“ von Ralf Kirsten aus dem Jahr 1965. Die abschließende Sequenz zeigt den Güstrower Domengel, der an einem Strick um den Hals aus dem Kirchenraum geschleift wird und damit quasi stellvertretend die physische Misshandlung durch die Nationalsozialisten erleidet, die dem Künstler selbst erspart geblieben ist.

Angesichts einer Neuerscheinung über Barlach und die nationalsozialistische Kunstpolitik stellt sich daher die Frage, ob es notwendig ist, über dieses Thema noch ein weiteres Buch zu schreiben - oder zu lesen. Der Name Peter Parets, der 1980 die wegweisende Monographie „Die Berliner Secession: moderne Kunst und ihre Feinde im kaiserlichen Deutschland“ publizierte, lässt allerdings hoffen, dass auch hier eine ähnlich schlüssige und kenntnisreiche Studie vorliegt, die die Kunstpolitik und Kunstproduktion einer Epoche vor dem Hintergrund politischer und gesellschaftlicher Bedingungen erhellt.[3]

Tatsächlich löst Paret diese Erwartung mit seinem neuen Buch zum größten Teil ein: Er stellt nicht nur die nationalsozialistische Kunstpolitik und wesentliche Charakteristika von Barlachs Kunst schlüssig dar, sondern kann dazu auch noch eine Fülle neuer Erkenntnisse vermitteln, die eine Lektüre auch für diejenigen lohnend machen, die sich schon ausführlicher mit dem Thema beschäftigt haben.

Paret beginnt seine Darstellung mit einer ausführlichen Darstellung von Hitlers Kunstauffassung auf der Grundlage von Quellentexten. Er geht dabei zunächst von der NS-Ideologie aus, als deren wesentliche Grundkonzepte er die „Rasse“ und den „Konflikt“ ausmacht. Die Rolle der Kultur bestünde nach dieser Ideologie darin, das Erstarken und Überleben einer Rasse zu sichern; gleichzeitig sei sie aber auch ein Indikator für die „rassische Gesundheit“ einer Volksgemeinschaft. Entsprechend, so macht Paret deutlich, konnte Hitler die kubistischen, expressionistischen oder veristischen Strömungen in der Kunst nicht nur als Symptom für den allgemeinen Verfall der Weimarer Republik deuten, sondern auch als Instrument der Juden sehen, die kulturellen Werte des deutschen Staates zu korrumpieren und so zu dessen Vernichtung beizutragen. Mit diesen grundlegenden Prämissen deckt Paret die innere Logik der erbarmungslosen Verfolgung der modernen Kunst und ihrer Protagonisten durch das NS-Regime auf und bereitet so den Boden für seine folgenden Ausführungen.

Paret erinnert seine Leser daran, dass Hitler seine Kunstideale nicht klar definierte; als angestrebte Merkmale der Kunst im Dritten Reich sind lediglich Antimodernismus, ein nationaler Charakter, Wertebeständigkeit sowie eine Verbindung der Ästhetik der Renaissance mit den Werten einer disziplinierten, kampforientierten Massenbewegung zu erkennen. Wie diese Vorgaben in der Praxis umzusetzen waren, blieb vorerst offen.

In seinem nächsten Kapitel widmet sich Paret Ernst Barlachs Kunst sowie den Gründen für ihre vehemente Ablehnung durch die Nationalsozialisten. Er führt aus, dass Barlachs bildkünstlerisches Werk nur teilweise Merkmale des Expressionismus aufwies, auch nach der Definition dieser Kunstrichtung durch nationalsozialistische Kulturpolitiker wie Alfred Rosenberg. Ebensowenig wie sein künstlerischer Stil waren die Russlandreise oder die Verbindung zu Paul Cassirer und zur Berliner Secession letztlich ausschlaggebend für die Ablehnung des Künstlers durch die Nationalsozialisten. Vielmehr waren seine Kriegerdenkmäler in Güstrow, Magdeburg und Hamburg sowie die Entwürfe für Malchin und Stralsund mit ihrer Absage an jegliche Glorifizierung von Krieg und Soldatentod die eigentliche Ursache für die entschiedene Ablehnung Barlachs.

Von Barlach aus wendet sich Paret wieder der nationalsozialistischen Perspektive zu und schildert zunächst die politische Situation in Deutschland nach der „Machtergreifung“. Der Kompetenzwirrwarr, der für die politischen Institutionen des Dritten Reiches charakteristisch war, kennzeichnete ebenso die Kunstpolitik, in der sich Rosenberg mit dem Kampfbund für deutsche Kultur und Goebbels mit dem Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda gegenüberstanden. Während Rosenberg eine Kunst in der Nachfolge der deutschen Malerei des 19. Jahrhunderts propagierte, stand Goebbels den modernen Kunstrichtungen wie Expressionismus und Futurismus deutlich aufgeschlossener gegenüber; offenbar aus taktischem Kalkül überließ er den engagierten Einsatz dafür jedoch dem Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund, der unter anderem durch Fritz Hippler und Otto Andreas Schreiber geleitet wurde. Dass letztere den vermeintlich typisch deutschen Expressionismus zum offiziellen Kunststil des Dritten Reiches erheben wollten und sogar (erfolglos) versuchten, Barlach als Präsidenten eines neuzugründenden „Rings deutscher Künstler“ zu gewinnen, ist eine der kurios anmutenden, zugleich aber durchaus bezeichnenden Episoden aus der Frühzeit der nationalsozialistischen Kunstpolitik.

Wenn Parets Buch einen Aspekt offen lässt, dann ist dies eine ausführlichere Darstellung der zeitgenössischen Vorstellung, der Expressionismus sei eine typisch deutsche Kunst und Barlach ein typisch deutscher Künstler. Der Autor beschränkt sich hierbei auf allgemeine stilistische Beobachtungen; an dieser Stelle wäre zumindest ein Hinweis auf die Kunsttheorie der Zeit - allen voran auf Wilhelm Worringer und die Gotik-Rezeption in seiner Nachfolge - wünschenswert gewesen.

Im Anschluss schildert Paret die „Hetzjagd auf Barlach“ ab 1933. Barlachs desolate finanzielle und persönliche Situation aufgrund der fehlenden Aufträge und zunehmender Anfeindungen, das Verbot des 1935 von Reinhard Piper publizierten Bandes mit Barlach-Zeichnungen, die Konfiszierung von nahezu 400 Werken aus öffentlichen Museen sowie die Demontage fast aller seiner Denkmäler sind wohlbekannt. Paret setzt jedoch auch hier wichtige Akzente, so geht er beispielsweise darauf ein, dass Barlach in der verzweifelten Hoffnung auf ein Ende der schlimmsten Anfeindungen 1934 den sogenannten „Aufruf der Kulturschaffenden“ unterzeichnete, ein von Goebbels formuliertes Manifest, das für eine Übertragung der Befugnisse des verstorbenen Reichspräsidenten Hindenburg an Adolf Hitler plädierte - eine Tatsache, die in der Literatur zum Thema gerne vernachlässigt oder ganz unterschlagen wird.

Abschließend stellt Paret die Entwicklung von Hitlers Kunstanschauungen sowie der NS-Kunstpolitik bis zur Ausstellung „Entartete Kunst“ dar, außerdem Barlachs letzte Lebensjahre und Werke bis zu seinem Tod. Noch 1937 schuf der Künstler zwei seiner wichtigsten Holzskulpturen, die „Frierende Alte“ und die „Lachende Alte“. Diese und andere Werke stellte er in dem Jahr in einer Berliner Galerie aus - ein trotziger Affront gegen die staatliche Kunstpolitik, die bis dahin unmissverständlich klargemacht hatte, dass eine öffentliche Zurschaustellung seiner Werke nicht toleriert werden würde. So protestierte Barlach nicht direkt, wohl aber in und mit seiner Kunst gegen das NS-Regime, und das obwohl ihm bewusst gewesen sein wird, dass diese Ausstellung ihn durchaus den Ausschluss aus der Reichskammer der bildenden Künste und ein Berufsverbot hätte kosten können. Tatsächlich beschränkte sich die Reaktion der Nationalsozialisten in diesem Fall auf die Schließung der Ausstellung und die Beschlagnahe der gezeigten Werke. Drastischere Maßnahmen blieben dem Künstler möglicherweise durch seinen Tod im Oktober 1938 erspart.

Paret hat ein ausgesprochen kenntnisreiches, gut lesbares und spannendes Buch geschrieben, das viele neue Einsichten und Schwerpunktsetzungen enthält. Es ist als Einführung in die nationalsozialistische Kunstpolitik, aber auch in Barlachs Kunst uneingeschränkt zu empfehlen. Die Kunstauffassung Hitlers und die nationalsozialistische Kunstpolitik sowie Barlachs künstlerisches Schaffen erscheinen in Parets Darstellung als zwei Seiten einer Medaille [!!], die sich jeweils erst aus der Kenntnis der Gegenseite völlig verstehen lassen.

Besonders lesenswert ist Parets einfühlsame, hellsichtige Charakterisierung von Barlachs Skulpturen, in der er über eine rein stilistische Einordnung hinaus wesentliche Merkmale von Barlachs Kunst herausarbeitet. Dass er dabei vor Qualitätsurteilen nicht zurückscheut, ist vollauf berechtigt - und in der Barlach-Forschung keine Selbstverständlichkeit. Die hervorragende Kenntnis und Auswertung der Primärquellen und die ausführliche Vorstellung der verschiedenen Akteure der nationalsozialistischen Kunstpolitik spricht ebenso für Parets neueste Publikation wie die ausgewogene Beurteilung seines Protagonisten. Hervorzuheben sind dabei die ausführlich kommentierte Bibliographie, die reiche Bebilderung sowie der Index. Für das deutschsprachige Publikum steht zu hoffen, dass bald eine Übersetzung erscheint, in der die von Paret zitierten Quellentexte wieder im Original zu lesen sind.

[1] Ernst Piper, Ernst Barlach und die nationalsozialistische Kunstpolitik, Eine dokumentarische Darstellung zur „entarteten Kunst“, München und Zürich 1983; Wolfgang Tarnowski, Ernst Barlach und der Nationalsozialismus, Ein Abendvortrag gehalten am 20. Oktober 1988 in der Katholischen Akademie Hamburg, Hamburg 1989; Wolfgang Tarnowski, Kunst, heldischer Mensch und rassische Klärung, Ernst Barlach und der Nationalsozialismus, in: Ernst Barlach, Bildhauer, Zeichner, Graphiker, Schriftsteller 1870 - 1938, Ausst.kat. Koninklijk Museum voor Schone Kunsten 1994 - 1995, hg. von Jürgen Doppelstein, Antwerpen 1994, S. 412 - 435; Ernst Barlach - Reinhard Piper, Briefwechsel 1900 - 1938, hg. von Wolfgang Tarnowski, München und Zürich 1997.
[2] Ernst Barlach, Das dichterische Werk in drei Bänden, Bd. 3, Die Prosa II, hg. von Friedrich Droß, München 1959, S. 428.
[3] Peter Paret: The Berlin Secession, Modernism and Its Enemies in Imperial Germany, Cambridge (Mass.) und London 1980 (1983 ins Deutsche übersetzt).

Paret, Peter: An artist against the Third Reich. Ernst Barlach, 1933 - 1938, Cambridge [u.a.]: Cambridge University Press 2003
ISBN-10: 0-521-82138-X, 91 Seiten, 37 Abbildungen (sw), 35,70 Euro

Empfohlene Zitation:
Gudula Mayr: [Rezension zu:] Paret, Peter: An artist against the Third Reich. Ernst Barlach, 1933 - 1938, Cambridge [u.a.] 2003. In: ArtHist.net, 28.10.2003. Letzter Zugriff 26.04.2024. <https://arthist.net/reviews/25955>.

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