REV 24.12.2003

Hubertus Kohle: Menzels Friedrich-Bilder (Sibylle Ehringhaus)

Rezensiert von Sibylle Ehringhaus
Redaktion: Claudia Sedlarz

Adolph Menzel, das enfant terrible unter den Historienmalern (Jules Laforgue, 1887)

Es verdient immer Beachtung und Anerkennung, wenn Künstlerklischees als solche entlarvt werden, wenn die vermeintlich eindeutige und eindimensionale, durch den Bildgegenstand gegebene Aussage, dem eingehenden Blick weichen muß. Wenn Leser als Betrachter gefordert werden, um zu verweilen und um sich zu versenken, damit sie nicht leichtfertig das Vordergründige als Kern nehmen. Hubertus Kohles Habilitationsschrift über Adolph Menzels Gemälde über die Geschichte Friedrichs des Großen aus den 1850er Jahren verdient an erster Stelle dafür uneingeschränkte Aufmerksamkeit.

Noch immer vernimmt man allenthalben unter interessierten Laien wie unter Sammlern, Menzel sei mit seinen Friedrich-Bildern der Preußenverherrlicher, er sei erster Historien- und Schlachtenmaler des preußischen 19. Jahrhunderts und als solcher gehöre er zur Gruppe konservativer Maler wie Anton von Werner (1843-1915) oder Carl Theodor von Piloty (1826-1886). All das läßt sich jetzt getrost als überholt bezeichnen. Die Szenen aus der Zeit Friedrichs II. sind „konservativ“ im Sinne von retrospektiv. Aber in ikonographischer wie ikonologischer, in formalästhetischer wie mediengeschichtlicher Hinsicht muß man Menzels Friedrich-Bilder als Innovationen bezeichnen. Sie erweisen sich darin als Wegbereiter der Moderne. Dies aufzuzeigen ist dem Verfasser umfassend und überzeugend gelungen.

Wie Hubertus Kohle in der Einleitung schreibt, ist es seine Absicht aufzuzeigen, daß Menzels Friedrich-Bilder in ihrer Ausprägung der „Versuch eines Angebots an die Gegenwart“ war, der der „Selbstfindung“ dienen sollte (S. 9).

In fünf großen Komplexen baut er seine Studie auf. Man liest die Kapitel als inhaltlich in sich geschlossene Aufsätze, da es schwer fällt, einen großen Bogen vom ersten zum letzten Satz zu erkennen. Das entspricht auch der Struktur der Untersuchung, denn jedem dieser Teile sind seine Anmerkungen direkt angefügt.

Der erste Abschnitt behandelt die Rezeption Friedrichs des Großen um die Mitte des 19. Jahrhunderts. Von dort kommt der Verfasser allgemein auf das Thema Herrscherikonographie vor Menzel und in Preußen zu sprechen, um schließlich jedes einzelne von Menzels Friedrich-Bildern in ihre jeweilige ikonographische Tradition einzuspannen.

Wie im Berlin der 1850er Jahre Friedrich II. von den verschiedenen Parteien und Kulturträgern reflektiert, repräsentiert und instrumentalisiert wurde, wie man ihn idealisierte und wie er zur aktuellen „Selbstfindung“ diente, zeigt der Verfasser, indem er auf breiter publizistischer Quellenlage tief in die Berliner Verhältnisse der Jahrhundertmitte eindringt. Dabei erweist sich Kohles Wahl, eher „Quellen“ zugrundezulegen, „die weniger in den fachhistorischen als vielmehr in publikumsnahen Veröffentlichungen wie Zeitschriften, Pamphleten, Traktaten, Belletristik u.a. enthalten waren“ (S. 21) als neu und ertragreich.

Für Menzels Friedrich-Bilder entwickelt Kohle eine „systematische Ikonographie“, die er der gängigen „nationalgeschichtlichen“ entgegensetzen will (S. 55,70). Was der Verfasser allerdings mit „systematischer“ und „nationalgeschichtlicher Ikonographie“ genau meint, bleibt an dieser Stelle offen. Seine anschließende Vorgehensweise läßt folgende Erklärung zu: Die traditionelle Menzel-Forschung steht da wie ein Monolith. Sie hat sich bis zur Vereinigung der Berliner Sammlungsbestände nach 1989 über die Grenzen deutscher Kunstgeschichtsschreibung kaum hinausgewagt. Eine Ausnahme bilden die bereits seit Ende der 70er Jahre erschienenen Veröffentlichungen von Françoise Forster-Hahn (z.B. Art Bulletin 59.1977, S. 242-261). Für die Rezeptionsgeschichte ist darüber hinaus interessant und bemerkenswert, daß Menzels Kunst eine eigenständige, von den historisch-biographischen Bedingungen ihres Schöpfers unabhängige Betrachtung kaum erfahren hat. Was Kohle in seiner Studie nun endlich beginnt, ist genau das: Er versucht eine ikonographische Untersuchung der Bildinhalte in Warburgscher Tradition. Für diesen Fortschritt möchte man dem Verfasser danken. Wenn auch leider die Vergleichsbeispiele nicht alle überzeugen können. Bei einem Blick in den Bildanhang ist die Historikerin irritiert. Reicht motivische Gleichartigkeit aus, um Malerei des deutschen 19. Jahrhunderts mit französischen Handschriften des 14. Jahrhunderts zu verknüpfen (im Text S. 89, Abb. 69)? Eine gewisse Willkür und damit Beliebigkeit bei der Auswahl der Bilder möchte man dem Verfasser nicht unterstellen. Insgesamt bleibt trotzdem festzuhalten: Der methodische Ansatz ist eine grundsätzliche Neuerung für die Menzel-Forschung und es sind ihm darin viele Nachfolger zu wünschen.

Der zweite große Komplex stellt eine fundierte und komprimierte theoretische und geistesgeschichtliche Abhandlung über die Frage Historien- versus Geschichtsmalerei dar, die man jedem zur Lektüre empfehlen möchte, der sich mit der Historienmalerei im 19. Jahrhundert beschäftigt. Kohle breitet hier ein Panorama aus. In dieser Art der Darstellung zeigt sich eine der großen Stärken dieser Arbeit: Eng an die Quellen angelehnt, diskutiert der Autor in gut lesbarer Form die verschiedenen zeitgenössischen Positionen zwischen „innovativem, tendenziell realistischem Kunstbegriff und idealistischem, im ganzen 19. Jahrhundert virulentem Kunstverständnis“(S. 172).

An dritter Stelle steht ein kurzer Abschnitt, in dem der Verfasser mit Menzels zeichnerischer Vorbereitung seiner Malerei - ich verzichte bewußt auf den unglücklich gewählten Begriff „Entwurf“ - das Besondere des Menzelschen Werkprozesses darstellt.

Im vierten Teil setzt sich der Autor mit der Erzählstruktur der Friedrich-Bilder auseinander, um Menzels Verhältnis zur Wirklichkeit zu untersuchen. Er entwickelt hier in brillanter Analyse an Hand der Position und Darstellungsweise des Monarchen eine politische Aussage Menzels. In diesem Abschnitt kommt der Verfasser seiner ersten Absicht am nächsten, nämlich darzulegen, daß Menzels Friedrich-Bilder als „hochindividuelle“ Vergangenheitsbilder zur „Selbstfindung“ sinnstiftend auf die Gegenwart zu wirken vermochten. Er zeigt, daß Menzels Interpretation des Herrschers dem traditionellen Begriff von Historienmalerei widersteht. Der Maler leistet sich eine „gravierende Störung“, denn Friedrich II. hat sich „vom Subjekt der Handlung zum Objekt einer Situation, die er nicht selbst kontrolliert“ entwickelt (S. 217).

Schlüsselwerk ist hier, wie für die gesamte Untersuchung, das herausragende und (noch) verschollene Bild „Friedrich und die Seinen bei Hochkirch“. An dieser Stelle muß der Verfasser auf „das Problem der modernen Schlachtenmalerei“ eingehen (S. 237) Und hierzu, spätestens, möchte man Menzels eigene Stimme hören. Denn was er selbst über eine Charakterisierung als Schlachtenmaler dachte, ist belegt. Der Künstler schreibt in einem Brief von 1867, der die Eindrücke seiner Reise 1866 zu den Schlachtfeldern von Königgrätz wiedergibt: Er sei aus „allgemeinem Künstlerpflichtgefühl“ und NICHT in „Schlachtenmalerinteresse“ nach Böhmen gereist. Er lehnt es ab, als Schlachtenmaler bezeichnet zu werden: „...ich will für keiner dergleichen gelten“ (Brief an Karl Eitner vom 25. April 1867; abgedruckt in: S. Ehringhaus, Adolph Menzels Weimarer Freunde, 1999, S. 135).

Mit dieser klaren Selbstcharakterisierung Menzels ist zugleich das fünfte und abschließende Kapitel der Studie angesprochen, in dem der Verfasser auf Menzels Friedrich-Bilder als Äußerungen seiner politischen Haltung abzielt. Auf der Grundlage zeitgenössischer Veröffentlichungen und Positionen von Künstlerkollegen, wie Theodor Fontane (1819-1898) oder Friedrich Pecht (1814-1903), schließt der Verfasser seine Studie eher indirekt und damit vorsichtig ab. Er sieht in den Bildern über Friedrich II. eine „subtile Unterwanderung“ geläufiger „ästhetischer Ideale“ und Menzels „skeptische Grundeinstellung als effektives Instrument der kritischen Distanzierung.“(S. 288).

Tatsächlich wünscht man sich nach der Lektüre von Kohles Schrift nur noch, worauf die Menzel-Forschung schon lange wartet: die gesammelten, ungezählten Briefe des Künstlers lesen zu können. So manche Vermutung ließe sich dann präzisieren oder verwerfen, mancher Eindruck ergänzen, viele Interpretationen bereichern.

Mit einem Paukenschlag begann sich 1997 die Menzel-Forschung neu zu formieren, als in der Retrospektive „Das Labyrinth der Wirklichkeit. Adolph Menzel 1815-1905“ das Werk des Künstlers aus seinem, um mit Kohle zu sprechen, „nationalgeschichtlichen“ Dornröschenschlaf erweckt wurde. Das anläßlich der Berliner Ausstellung organisierte Kolloquium im Hamburger Bahnhof und die daraus entstandene, vor kurzem erschienene Veröffentlichung (Beiheft des Jahrbuchs der Berliner Museen N.F. 41.1999) zeigten, daß eine historisch-kritische Menzel-Forschung im Grunde gerade erst begonnen hat. Zu den erfreulichen, danach herausgekommenen Neuerscheinungen zählen, neben der hier vorgestellten Studie von Hubertus Kohle, Christina Grummts Dissertation über Menzels Adressen (Christina Grummt, Adolph Menzel - Zwischen Kunst und Konvention, Berlin 2001) und Michael Frieds Monographie, der damit den kaum zu übersetzenden Begriff „Embodiment“ in die Rezeptionsgeschichte des Künstlers einführt (Michael Fried, Menzel's Realism, Art and Embodiment in Ninetheenth-Century Berlin, New Haven 2002; vgl. dazu die Rezension von Marion Deshmukh für H-ArtHist http://www.h-net.org/reviews/showrev.cgi?path=324301045506255). Hubertus Kohles Habilitationsschrift ist dabei unumschränkt als umfassend, grundlegend und methodisch innovativ zu bezeichnen.

Kohle, Hubertus: Adolph Menzels Friedrich-Bilder. Theorie und Praxis der Geschichtsmalerei im Berlin der 1850er Jahre (= Münchener Universitätsschriften des Instituts für Kunstgeschichte; 1), München,Berlin: Deutscher Kunstverlag 2001
ISBN-10: 3-422-06327-7, 432 S.

Empfohlene Zitation:
Sibylle Ehringhaus: [Rezension zu:] Kohle, Hubertus: Adolph Menzels Friedrich-Bilder. Theorie und Praxis der Geschichtsmalerei im Berlin der 1850er Jahre (= Münchener Universitätsschriften des Instituts für Kunstgeschichte; 1), München,Berlin 2001. In: ArtHist.net, 24.12.2003. Letzter Zugriff 28.01.2025. <https://arthist.net/reviews/25895>.

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