REV 09.08.2003

Wettstreit der Künste. Malerei und Skulpturvon Dürer bis Daumier

Rezensiert von Tobias Kämpf, Brühl

Kann es ueberhaupt ein Kraeftemessen ohne Sieger geben? Eine Konkurrenz, die eher dem Ausloten und dem Intensivieren des eigenen Potentials als dem Triumph ueber den Gegner gewidmet ist? An keinem Ort waere sie besser aufgehoben, als im Reich der Musen, dessen Statuten bereits die eingleisige und unbeirrbare Zweckbestimmtheit geradezu verbannen. In dieser friedvollen, aber deshalb nicht minder spannungsreichen Region siedelt dann auch der von Ekkehard Mai und Kurt Wettengl herausgegebene und von Andreas Buettner redaktionell betreute Katalog der Koelner und Muenchner Ausstellung „Wettstreit der Kuenste. Malerei und Skulptur von Duerer bis Daumier“ den im Titel beschworenen Paragone der Bildenden Kuenste an, der hier weniger als isolierter Einzelfall, sondern vielmehr im Kontext einer medialen Selbstreflexion gewuerdigt wird. Dabei erscheint letztlich der Paragone als eine der kunstimmanenten Moeglichkeiten, das eigene gestalterische Vorgehen einer bewussten qualitativen Steigerung zu unterziehen.

Die innere Standortbestimmung und Absichtserklaerung, die der Kuenstler in seinem Werk stellvertretend sowohl fuer sein Medium als auch fuer sein eigenes Schaffen vornimmt, kann als der eigentliche Inhalt dieses Buches gelten, dessen Zielsetzung damit weit ueber das im Titel angesprochene Thema hinausreicht. Freilich ist damit ein Anliegen formuliert, dass weder aus konservatorischen noch aus organisatorischen Gruenden innerhalb eines Ausstellungsprojektes durch die Praesentation aller in diesem Zusammenhang unweigerlich heraufbeschworenen Hauptwerke zu realisieren waere. Ueberzeugend kompensiert der Katalog dieses Problem durch eine Verbindung von ausfuehrlichen Eintraegen zu den ausgestellten Einzelwerken und einleitenden Aufsaetzen mit Vergleichsabbildungen und eingehenden Werkanalysen nicht gezeigter Stuecke.

Darueber hinaus erweitern die begleitenden Essais auch den Zeitrahmen: Waehrend das Gros der ausgestellten Werke den Schwerpunkt auf die Fruehe Neuzeit legt, spannt sich der Bogen der Aufsaetze von der griechisch- roemischen Antike ueber das Mittelalter bis hin in die Gegenwart und ermoeglicht somit die Diagnose sowohl von historischen Kontinuitaeten als auch von Bruechen, Umdeutungen und Neuansaetzen in der kuenstlerischen Selbstreflexion. Obwohl sich mehrere der Essais um eine Periodisierung der Phaenomene bemuehen, wird bedauerlicherweise dieses Interesse an uebergreifenden Zusammenhaengen nicht in ihrer Anordnung reflektiert, die nur lose den thematisch und nicht chronologisch gefuegten Bloecken der Ausstellung entspricht. Andererseits wurde aber auch auf eine engere problemorientierte Verzahnung zwischen den Aufsaetzen und den Werkeintraegen verzichtet, die an einigen Stellen durchaus moeglich gewesen waere. So muessen zur Einstimmung in die einzelnen Katalogsegmente eigens erstellte Kurzeinfuehrungen bemueht werden.

Das Verzeichnis der ausgestellten Werke gliedert sich hierbei in vier Kapitel, von denen das erste (S. 192- 243) sich mit der mythologischen Legitimierung des kuenstlerischen Schaffensprozesses beschaeftigt, das zweite (S. 246- 315) mit seiner Wesensdefinition, das dritte (S. 318-391) mit der persoenlichen Dimension des Erzeugens und des Sammelns und das letzte schliesslich mit der „Wiederentdeckung der Antike im 18. Jahrhundert“ (S. 394- 437).

Hierbei ist das letzte Kapitel chronologisch weiter gefasst, als es sein ungluecklich verengter Titel vermuten laesst. Tatsaechlich bestanden durch die gesamte Fruehe Neuzeit - und teilweise noch darueber hinaus - kuenstlerische Traditionen und intellektuelle Haltungen der Beschaeftigung mit der Antike fort, die letztlich in der humanistischen Vorstellung der imitatio und der aemulatio begruendet waren. Dieses prestigereiche Anliegen machten sich auch die bildenden Kuenstler zu eigen, die ihr eigenes Schaffen an den kanonischen Stoffen und Motiven der als klassisch empfundenen Zivilisation ueberprueften und diese zugleich als nobilitierende Legitimation verwendeten. Ganz im Sinne dieser kreativen Kontinuitaet vermerkt dann auch Joachim Rees in der Kurzeinfuehrung des Kapitels (S. 406), dass die konservativen Kunstakademien noch lange den Resultaten der im 18. Jahrhundert wesentlich perfektionierten Archaeologie trotzten und daher eine angemessene Reaktion auf die „Entzauberung antiker Plastik“ auf sich warten liess.

Damit gebuehrt dem durch die Jahrhunderte gefuehrten Paragone mit der Antike eine herausragende Stellung in der Geschichte der kuenstlerischen Selbstdefinition. Als eigentliches Gravitationszentrum des Abschlusskapitels haette er auch verbal einen Ehrenplatz verdient. Die Werkauswahl laesst ihm dabei einen solchen ohnedies wie selbstverstaendlich zukommen: Bereits die fruehesten datierten Werke der beiden Unterkapitel, „Pygmalion“ (S. 394- 405) und „Roma antica“ (S. 406-437), werden in allen Eigenheiten dieser uebergeordneten Thematik gerecht: Hans Speeckaerts Allegorie der „Scultura“ (S. 395, Nr. 174) wurde von Pieter Perret 1582 in Rom gestochen, wohingegen Marcantonio Raimondis Stich „Mars, Venus und Cupido“ (S. 411- 412, Nr. 190) ins Jahr 1508 datiert ist. Eindrucksvoll verdeutlicht zumal gerade das repraesentative Rom- Kapitel die nicht nachlassende Faszination der Ewigen Stadt fuer Graphiker, Bildhauer und Maler, die sich jeweils in ihrem eigenen Medium an den beruehmten Antiken und Ruinen massen und somit ihren eigenen Wettstreit mit der klassischen Kunst und Architektur inszenierten. So unterstreicht die Werkauswahl in eindringlicher Form das Anliegen der Ausstellung und setzt sich gluecklicherweise ueber die dem Gesamtthema nicht dienliche, obgleich unter anderen Aspekten durchaus gerechtfertigte Anspielung auf eine Besonderheit des 18. Jahrhunderts hinweg.

Auch die Rezeption des Pygmalion-Stoffes stellt kein Privileg der Aufklaerung und ihrer Folgen dar, selbst wenn, den Ergebnissen Andreas Bluehms zufolge (S. 143- 151), die Beliebtheit des Themas besonders im Frankreich der Epoche entscheidend zunahm (S. 144). Aendern sich hier wirklich die geistigen Koordinaten, um den Pygmalion-Stoff zu enttabuisieren? Oder rief nicht eher gerade im aeusserst selbstreflektierten Umfeld der Akademien und der Salons eine aufsehenerregende Rezeption die andere hervor? Im elitaeren Bereich der Kunstsammlung und des Studierzimmers war, wie Rudolf Preimesberger in einem eindrucksvollen Aufsatz (S. 99-109) aufzeigt, der antike Bildhauer ohnehin schon gesellschaftsfaehig, aber auch das potentiell vergroesserte und immerhin nachtridentinische Publikum von Speeckaerts Allegorie der „Scultura“ schien 1582 ebensowenig Anstoss an der Darstellung der Statuenliebe zu nehmen wie das des Hendrick Goltzius von 1593 (Nr. 175, S. 395- 396). Anstelle dem Mythos eine Sonderrolle zuzuweisen, waere er wohl besser in der Abteilung der antiken Kuenstlermythen neben den Goettergestalten (S. 192- 205) sowie den historischen Malern Apelles und Zeuxis (S. 206- 231) unterzubringen.

Hier siedelt ihn auch Anne-Marie Lecoq in ihrem substantiellen Beitrag ueber die Darstellung des Kuenstlers in der griechischen Antike und ihr Fortleben bis ins 19. Jahrhundert an (S. 53- 69). In beispielhafter Weise integriert hierbei die Autorin die Analyse der literarischen Quellen mit der repraesentativer Bildwerke. Es gelingt ihr somit aufzuzeigen, dass bereits in der Antike durchaus eine Selbstreflexion des Kuenstlers im Bild stattfindet. So ist etwa auf der attischen „Hydria Caputi“ des Malers von Leningrad von um 475 vor Christus das Atelier eines Vasenmalers zu sehen, der von Athena gekroent wird, waehrend zwei sie begleitende Siegesgoettinnen sich seiner Gehilfen annehmen (S. 53- 54). Stolz praesentiert der Kuenstler sich selbst und seine Handwerkskollegen unter dem Schutz der Goettin. Er selbst wird als Individuum lediglich durch seinen Stil fassbar; auf eine identifizierende Signatur wurde verzichtet. Gestalterisch findet diese Idee durchaus Parallelen in der Kunstgeschichte, etwa in der ueber 2000 Jahre spaeter entstandenen „Minerva unterweist die Malerei“ des Adam van Noort (Nr. 7, S. 197): Auch hier nimmt sich eine Goettin affirmativ einer schoepferisch taetigen Personifikation der Malerei an. Die Kluft zwischen den beiden Gedankengebaeuden wird erst in den Assoziationen des Betrachters erfahrbar. So wurde in der griechischen Antike die Athena auch als Beschuetzerin des Handwerks erfahren und verehrt, wodurch sich der Maler auf der Vase als perfekter artifex darstellte (S. 53- 54). Dahingegen wurde sie in der Neuzeit vor allem als Personifizierung des Wissens und der Weisheit angesehen (S. 64), wodurch sich die Kuenstler als Schuetzlinge Minervas von den artes mechanicae wiederum gerade abgrenzen und unter die in den artes liberales Taetigen einreihen konnten (S. 66). So ist van Noorts „Minerva unterweist die Malerei“ Ausdruck einer Emanzipation, einer Steigerung im sozialen und kulturellen Prestige, die jedoch ohne eine ikonologische Analyse gar nicht erst fassbar wird. Es kann daher als eines der grossen Verdienste der Ausstellung betrachtet werden, diese oft zu Unrecht gescholtene Methode vor einem breiten Publikum zu rehabilitieren, ohne sie durch eine unreflektierte Anwendung ueberzustrapazieren.

Als eine geradezu ideale Ergaenzung zum Beitrag Lecoqs lesen sich die Ueberlegungen von Jochen Sander zur Selbstreflexion des Kuenstlers innerhalb der christlichen Ikonographie (S. 71- 81). Sie bieten einen hervorragenden Ueberblick sowohl ueber Darstellungen Gottes und der Heiligen als Kuenstler (vor allem S. 71-78) als auch ueber Selbstportraits der Maler als Christus oder aber als Heilige (besonders S. 78- 81), wobei freilich fliessende Grenzen angenommen werden. Hierbei beschraenkt sich Sander allerdings auf malerische Beispiele und erwaehnt lediglich in einer Fussnote, dass bereits Donatellos „Siegreicher David“ als Selbstportrait gedeutet worden sei (S. 81, Anm. 59). Einer Publikation, die dem paragone gewidmet ist und aus rein technischen Gruenden die Plastik benachteiligen muss, haetten hingegen einige skulpturale Selbstbildnisse als Heilige eine groessere Dichte und Ausgeglichenheit verliehen, wie etwa das spektakulaere Selbstbildnis als David des jugendlichen Gianlorenzo Bernini (Rom, Galleria Borghese) oder aber die bravouroesen Selbstdarstellung als Nikodemus, die Baccio Bandinelli in seiner eigenen Grabkapelle vornahm (Florenz, SS. Annunziata). Sander vernachlaessigt auch den Aspekt der Legitimation des religioesen Bildes als solchem, die in jeder mittelalterlichen und fruehneuzeitlichen Darstellung der Herstellung christlicher Kunstwerke mitschwingt, zumal die Auseinandersetzung mit dem alttestamentarischen Bilderverbot und den zahlreichen Bilderstuermen ganze Epochen praegt. Hierdurch erhaelt etwa die Darstellung des Evangelisten Lukas als Maler bis hin zum wohl letzten, anruehrenden Bild des Pierre Mignard von 1695 (Nr. 48, S. 242) ihre grosse Aktualitaet: Mignard kann durch die Lukasepisode seine Kunst nicht nur legitimieren, sondern sogar als Akt unmittelbarer Devotion charakterisieren.

Dieses gemalte Vermaechtnis Mignards laedt dazu ein, auch im Zusammenhang von Peter Springers Ausfuehrungen zum Memorialbild des Kuenstlers betrachtet zu werden. Allerdings sind hier, wo es um den „Tod der Unsterblichen“ (S. 21-37) geht, zwischen tiefschuerfenden Gedanken zu Tod und Ewigkeit durchaus auch Spielraeume der Ironie zu konstatieren: Das von Félix Bracquemond gestochene Exlibris fuer Edouard Manet ist wohl weniger als Springer annimmt (S. 34-35), ein Ausdruck des „existentiellen Wunsches“ (S. 35) seines Besitzers nach kuenstlerischem Nachruhm als vielmehr eine raffinierte Antikenparodie: Zu banal ist das Motto „MANET ET MANEBIT“ und zu erotisiert klaffen die gleich zahlreichen Pinsel des Malers durch die Marmorhaut der dargestellten Herme: Sie draengen die realistisch gehaltene Bueste geradezu aus dem Korsett der Tradition. Die Lebendigkeit der Farbe rebelliert gegen die Starrheit des Steines.

Christiane J. Hessler bietet mit einem ausfuehrlichen und uebersichtlichen Aufsatz zum Paragone zwischen Malerei und Bildhauerei in der italienischen Kunstliteratur des 16. Jahrhunderts (S. 83- 97) nicht nur einen gruendlichen Ueberblick und eine klare Einfuehrung in die Thematik, sondern ihr sogar noch neue Primaerquellen erschliesst, naemlich das um 1564 verfasste „Libro dei sogni“ des durch seinen spaeteren „Trattato dell'arte della pittura“ von 1585 wohlbekannten Giovanni Paolo Lomazzo, von dem die Publikation auch eine ausgefeilte zeichnerische Selbstreflexion, „Merkur weist den Weg zum Erfolg“ (Nr. 1, S. 193), eingehend wuerdigt.

Als besonderes Verdienst der Ausstellung kann es fernerhin gelten, auch den Raum beruecksichtigt zu haben, in dem und fuer den Kunst entsteht. Nicht von ungefaehr haben sich gerade die beiden Ausstellungskuratoren diesem anregenden Thema zugewandt, Ekkehard Mai dem Atelierbild (S. 111- 125) und Kurt Wettengl der gemalten Wiedergabe der Kunstsammlung (S. 127- 141). Als nachgerade ideale Ergaenzung verdeutlicht Rudolf Preimesberger an dem praegnanten Beispiel Vincenzo Giustinianis die enge Interdependenz von Sammlungswesen und Kunstproduktion (S. 99-109). Dabei unterzieht sich Preimesberger keiner leichten Aufgabe, gilt es doch, der Sammlung Giustiniani ein seit 1945 verschollenes Gemaelde zurueckzugewinnen, das Bild „Pygmalion erweckt Galateia“ von Angelo Caroselli. Preimesberger deutet ueberzeugend Carosellis Gemaelde als Psychogramm des Vincenzo Giustiniani als Sammler (S. 101): Giustiniani habe den Statuen seiner beruehmten Kollektion durch ihre druckgraphische Wiedergabe neues Leben geschenkt, ganz wie Pygmalion Galateia belebt habe (S. 103). Vor dem Hintergrund dieser brillianten Deutung des Gemaeldes, seiner Entstehungsgeschichte und seines Kontextes kann man sich bei der Lektuere des Aufsatzes von Joachim Rees des Eindrucks kaum erwehren, die literarische und akademische Auseinandersetzung des 18. und fruehen 19. Jahrhunderts habe das kreative Potential der wohl bis dahin beruehmtesten fruehneuzeitlichen Antikenfunde, des Apoll vom Belvedere und des Laokoon, graduell abgetoetet und klinisch seziert (S. 153-169).

Mediale Moeglichkeiten der Malerei durchdenkt dann Victor Stoichita (S. 10-19), die der Skulptur Andreas Buettner (S. 39-51). Erwartungsgemaess praesentiert Stoichitas Aufsatz das vielleicht beruehmteste Werk der „Kunst ueber Kunst“: „Las Meninas“ von Diego Velázquez, die er einer etablierten Traditionslinie entsprechend, in die wenn auch sehr eigenstaendige Nachfolge eines Gemaeldes von David Teniers d. J. „Erzherzog Leopold Wilhelm in seiner Bruesseler Galerie“ stellt (S. 11-13). Bei Velázquez aber dominieren die Menschen das Interieur, bei Teniers - wie in allen gemalten Kunstkammern - das Interieur die Menschen. Velázquez' erweitertes Selbstbildnis scheint eher aus einer anderen Tradition zu stammen, naemlich der des italienischen Kuenstlerbildnisses, fuer das die Ausstellung eine Galerie der Superlative Zusammenbrachte. Unter ihnen nimmt freilich Annibale Carraccis „Selbstbildnis mit drei Figuren“ (Nr. 145, S. 358) einen Ehrenplatz ein und steht an theoretischer Schaerfe dem Bild des Velázquez am naechsten.

Auch sonst irritiert bei Stoichita eine ungenaue Beurteilung visueller Befunde: So vermag man kaum, im Bild Jan Gossaerts „Lukas zeichnet die Madonna“ die Reflexion einer in Utrecht aufbewahrten, anonymen Holzstatue zu sehen (S. 14) und auch die Beute der Helenaentfuehrer bei Maerten van Heemskerck sieht nicht dezidiert nach bestimmten Werken des Michelangelo oder Raffael aus, sondern rekurriert auf Typen wie den der Venus pudica und akademische Motive, die auch etwa von Raffael als Attribut der „Fornarina“ verwendet werden. Dies schmaelert freilich Stoichitas Verdienst nicht, aufgezeigt zu haben, das das Verstehen des spezifisch neuzeitlichen Menschen auch ueber eine Analyse der Selbstreflexion des neuzeitlichen Kuenstlers in seinem Werk erfolgen kann (S. 11). Somit muesste eine historische Lehre vom Menschen sowohl literarische als auch kuenstlerische und allgemein bildliche Zeugnisse beruecksichtigen.

In die Gegenwart fuehrt dann der Beitrag von Christoph Zuschlag ueber die kuenstlerische Selbstreflexion im 20. Jahrhundert (S. 171-189). Zuschlag verwendet den heuristisch wenig ergiebigen Begriff der „Metakunst“, die sich als Kategorie um 1960 etabliert habe (S. 177). Sie sei an eine „tief greifende Zaesur in der Entwicklung der Kuenste und des Kunstbegriffs“ gebunden (S. 176) und hebe sich von der vorhergehenden „Zitatkunst“ ab. Einen Unterschied zwischen „Metakunst“ und „Zitatkunst“ sieht Zuschlag in einer erweiterten, auf grundsaetzliche Fragen zielenden Selbstreflexion und in einer Ausdehnung des „Referenzfeldes um die Kategorien Topos und institutionelles Umfeld der Kunstgeschichte“ (S. 177). Welchen dieser Gedanken artikuliert nicht schon Edouard Manet in seinem „Fruehstueck im Freien“ von 1863 (S. 171-172), das bei Zuschlag unter „Zitatkunst“ fallen wuerde? Besteht wirklich ein wesentlicher Unterschied in der Kunstauffassung zwischen Manets „Fruehstueck“ und Jeff Walls „The Storyteller“ von 1986 (S. 171)? Beide Werke kennzeichnet zugegebenermassen ein verschiedenes Medium, aber beide ueberschreiten ihre Medialitaet. Manet zitiert das druckgraphische „Parisurteil“ von Marcantonio Raimondi und Jeff Wall das Oelgemaelde Manets in einer Fotographie. Kann man nicht gerade bei einem dermassen selbstreflektierten Kuenstler wie Manet ein Bewusstsein der Kunstgeschichte und ihrer zunehmenden Institutionalisierung finden? Im Rahmen dieses Aufsatzes vermag Zuschlags Theorie jedenfalls nicht zu ueberzeugen, und da die Ausstellung schon auf das 19. Jahrhundert weitgehend verzichtet, haette der Katalog vielleicht auch nicht unbedingt das 20. abdecken muessen.

Diese konzeptionellen Maengel koennen jedoch nicht die grosse Leistung des Katalogs ueberdecken, dessen Eintraege sorgfaeltige monographische Wuerdigungen eines jeden ausgestellten Werkes und nicht selten aktuelle oder sogar unpublizierte Forschungsergebnisse bieten. Eine ausfuehrliche, aktuelle und uebersichtliche Bibliographie, die allein schon den Rang des Buches als Standardwerk rechtfertigen wuerde, rundet eine Publikation ab, die, ganz wie bereits die Ausstellung selbst, ein grosses und positiv ueberraschendes Resultat vorzuweisen hat: Bei aller theoretischen Dichte versteht sie sich ueberwiegend als eine sorgfaeltige und spannungsreiche Annaeherung an das individuelle Kunstwerk, dessen Tiefenschichten sie gewissermassen auslotet und geradezu spielerisch entdecken laesst.

Mai, Ekkehard; Wettengl, Kurt (Hrsg.): Wettstreit der Künste. Malerei und Skulptur von Dürer bis Daumier. Katalog erschienen aus Anlass der gleichnamigen Ausstellung im Haus der Kunst Muenchen (1. Februar bis 5. Mai 2002) und im Wallraf-Richartz- Museum - Fondation Corboud, Koeln (25. Mai bis 25. August 2002), Wolfratshausen: Edition Minerva 2002
ISBN-10: 3-932353-58-7, 472 S., 200 Farb-, 200 s/w-Abb., Festeinband : EUR 72.00, sfr 114.00

Empfohlene Zitation:
Tobias Kämpf: [Rezension zu:] Mai, Ekkehard; Wettengl, Kurt (Hrsg.): Wettstreit der Künste. Malerei und Skulptur von Dürer bis Daumier. Katalog erschienen aus Anlass der gleichnamigen Ausstellung im Haus der Kunst Muenchen (1. Februar bis 5. Mai 2002) und im Wallraf-Richartz- Museum - Fondation Corboud, Koeln (25. Mai bis 25. August 2002), Wolfratshausen 2002. In: ArtHist.net, 09.08.2003. Letzter Zugriff 23.04.2024. <https://arthist.net/reviews/25830>.

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