REV 03.11.2003

Annette Kubitza: Fluxus-Flirt-Feminismus? Carolee Schneemann

Rezensiert von Petra Reichensperger

Carolee Schneemann re|visited

Carolee Schneemanns frühe Arbeiten haben auf die ‚mainstream-culture‘ zurückgewirkt und das Publikum gespalten. Die s/w Fotografien, die während Schneemanns Performance ‚Interior Scroll‘, 1975, aufgenommen wurden, sind heute weltbekannt. Sie zeigen, wie sich die nackte Künstlerin eine Art Schriftrolle aus der Vagina zog. Zur Performance, die sie während der Tagung ‚Women Here and Now‘ in Long Island aufführte, gehörte auch die Ankündigung, dass sie aus ihrer Textsammlung ‚Cézanne, She was a Great Painter‘ vorlesen wolle. Ihr Wunsch nach Um- und Überschreibungen aus feministischer Sicht blitzt hier auf und strahlt noch Generationen später.

Heute zählt Carolee Schneemann, die 1959 ihr Kunststudium abschloss, zu den wichtigsten Vertretern der Body Art. [1] Die Aneignung und Definition des eigenen Körpers und das Insistieren auf Authentizität der körperlichen Erfahrung in der Body Art kann spätestens seit den 1970er Jahre als wesentliches und identitätstiftendes Instrumentarium der Emanzipation für Künstlerinnen und Frauen gelten. In ‚Eye Body: 36 Transformative Actions for Camera‘, 1963, hat Schneemann zum ersten Mal ihren eigenen Körper als künstlerisches Material und visuell territoriales Zentrum eingesetzt. Dabei entdeckte sie den Körpereinsatz als wirksames Mittel zur Inszenierung ihrer selbst als Subjekt. [2] Für die Öffentlichkeit inszenierte sie sich vor der Kamera des Fotografen Errós, posierte mit Schlangen, Plastikfolie, Spiegelsplittern, Schnüren, Hörnern und integrierte ihren nackten, bemalten Körper in ihr Atelier-Environment. Sie selbst wertete ihren Körpereinsatz in dieser Aktion, die fünf Jahre nach Allan Kaprows Aufsatz über Jackson Pollocks Bedeutung für das Happening entstand, auch als einen Versuch die Malerei zu erweitern. Dieser wichtigen Arbeit Schneemanns widmet Annette Kubitza, ein ganzes Kapitel in ihrem Buch ‚Fluxus, Flirt, Feminismus? Carolee Schneemanns Körperkunst‘. Bei der Wahl des Titels hat sich Kubitza von einer Textpassage aus ‚The Pains and Pleasures of Rebirth: Women's Body Art‘ von Lucy Lippard anregen lassen. Mit Blick auf Hannah Wilke schrieb Lippard 1976: „[...] das Durcheinanderbringen ihrer Rollen als schöne Frau und Künstlerin, als Flirt und Feministin, hat manchmal politisch zweideutige Äußerungen zur Folge gehabt, die sie der Kritik auf einer persönlichen wie auf einer politischen Ebene ausgesetzt haben.“ [3] Ein ähnliches Schicksal erkennt Kubitza in Schneemanns Biographie und Künstlerinnenkarriere, denn sie behauptet, dass Schneemann „seit Beginn ihrer Karriere immer wieder marginalisiert, kritisiert und zensiert worden ist von Künstlerkollegen, Staatsdienern und feministischen Kritikerinnen gleichermaßen.“ [4] Der Mythos der Künstlerin als geduldete Außenseiterin wird von der Autorin in ihrer Untersuchung über Schneemann, die selbst einige Bücher über ihr künstlerisches Schaffen veröffentlichte [5] fortgeschrieben, auch wenn sie über weite Strecken sehr präzise Schneemanns Aktionsradius in der Spannung zwischen Vorgabe und eigener Setzung nachzeichnet.

Entstanden ist ein dichter Text mit historischer Tiefenschärfe. Übergreifende Zusammenhänge und Werkvergleiche sind gut dargestellt. Wir erfahren etwas über Schneemanns Aktmalerei, ihren spezifischen Ausstieg aus dem Bild, ihr Interesse an Selbstbeobachtung und -inszenierung. Ihre Rolle als „Mösenmaskottchen in der Männerkunstmannschaft“ [6] und als begehrtes Modell für Künstlerkollegen wie Robert Morris oder Claes Oldenburg bleibt ebenso nicht unerwähnt. [7] Besonders in der Verknüpfung des einzelnen Werks mit der vielschichtigen Rezeptionsgeschichte und dem zeitgeschichtlichen Kontext zeigt sich ein großer Vorzug der monografischen Untersuchung Kubitzas. Aufschlussreich ist auch die Beschreibung produktiver Entstehungsbedingungen, die ihre künstlerische Arbeiten beeinflusst haben. Dazu zählt bei Schneemann auch ihre Verbindung zum Judson Dance Theater. 1962 wurde sie von den Tänzerinnen Yvonne Rainer und Arlene Rothlein eingeladen, sich der Gruppe anzuschließen. Sie war damit die erste bildende Künstlerin, die mit der Judson Dance Gruppe zusammenarbeitete. Zwischen 1962-1964 führte sie dort fünf Performances auf, darunter auch ‚Meat Joy‘, 1964.

‚Meat Joy‘ zählt zu den Arbeiten, in denen Schneemann bewußt Gruppendynamiken mit einbezog. Die Körper der Akteure wurden mit Hühnerkadavern, Würstchen, Fischen, Blut, Ejakulat und Farbe überzogen, wodurch das eindeutige Körperbild teilweise aufgelöst wurde. Diese Auflösung steigerte sie in ihrem 22 Minuten langen Film ‚Fuses‘, mit dem sie direkt im Anschluss an ‚Meat Joy‘ begonnen hatte und der innerhalb von drei Jahren entstanden ist. [8] Der Film zeigt Carolee Schneemann beim Sex mit ihrem Liebhaber und zeitweiligen Ehemann Jim Tenney in verschiedenen Stellungen. Selbstbestimmter Sex, selbstbewusste Posen und exzessive Vereinigung dominieren den Film. Die Auflösung der kohärenten Körperbilder erzeugte Schneemann hier maßgeblich durch Doppelbelichtung und nachträgliche Behandlung des Filmmaterials mit Farbe und Kratzern. In ‚Fuses‘ denkt bringt Schneemann Zeigelust und Voyeurismus zusammen. Welche Perspektive an das voyeuristische Schauen gebunden ist, bleibt hier jedoch genauso offen wie die Frage, ob der Film stärker der Wunschmaschine des männlichen oder weiblichen Voyeurs entspricht? Feststeht, dass Schneemann das Private, den Sex mit ihrem Partner und den Einsatz des Körpers zum Politikum erhoben hat, was in den sechziger Jahren, der Entstehungszeit von ‚Fuses‘, nicht nur zum guten Ton der Szene gehörte, sondern auch noch gesellschaftliche Sprengkraft besaß. Der Film legte damals, wie sein Titel - Fuse: 1. Zünder, 2. Zündschnur / 1. fusionieren, 2. fig.: sich vereinigen - bereits andeutet, eine Lunte zur Ansteckung und Sensibilisierung einer breiteren Öffentlichkeit, zumal er sofort nach seiner Fertigstellung in Ausstellungen gezeigt wurde, also zu einem Zeitpunkt bevor in den USA offiziell das Produzieren und Vertreiben von Sexfilmen erlaubt war, und der Kunstfilm noch als Avantgarde reüssieren konnte.

Besonders an ‚Meat Joy‘ und ‚Fuses‘ macht Kubitza ihre zentrale These fest, dass Schneemann „eine sehr eigenständige sexuelle Ästhetik formuliert“ habe. [9] Doch was ist mit der Einführung des Begriffs einer sexuellen Ästhetik gewonnen? Ohne Zweifel trugen Schneemanns Darstellungen lustvoller Sexualität zur positiven Umwertung weiblicher Sexualität bei, doch entscheidend ist die Frage nach dem Verhältnis zwischen weiblicher und sexueller Ästhetik. Kubitza scheint voraus zu setzen, dass die Kunst von Frauen als Differenz beschreibbar, als weibliche Ästhetik nachvollziehbar ist. Beim Lesen des Buches gewinnt man sogar den Eindruck, dass die Autorin den mittlerweile zu Recht umstrittenen Begriff der weiblichen Ästhetik durch sexuelle Ästhetik ersetzt. Womit inhaltlich und methodisch nicht viel gewonnen ist, denn die Debatten um eine weibliche Ästhetik waren von Anfang stark an die weibliche Sexualität und an den kleinen Unterschied gebunden. Schon Mitte der 1980er Jahre wertete Jutta Held den Versuch die weibliche Ästhetik kategorial bestimmen zu wollen, als „ein zum Scheitern verurteiltes Bemühen“. [10] Ähnliches gilt, wie mir scheint, auch für die Einführung einer sexuellen Ästhetik.

Die von Kubitza favorisierte Differenz unterstützt vor allem ihre Darstellung von Carolee Schneemann als noch nicht hinreichend gewürdigte Künstlerin. [11] Das Leitbild ihrer Monografie ist die Figur der Ausnahmefrau und Vorreiterin. Immer wieder hebt die Autorin das Außergewöhnliche, das Bahnbrechende, die Errungenschaft ihrer Kunst sowie die antizipatorischen Leistungen von Schneemann hervor. Diese Beschwörungen werden von ermüdend vielen Selbstäußerungen der Künstlerin begleitet, so dass streckenweise der Eindruck entsteht, Schneemann sei die Ko-Autorin dieses Buches. Mit ihrer ausgebreiteten Quellenkenntnis erfüllt Kubitza die Erwartungen, die an eine Monographie gerichtet werden, zumal wenn es sich um eine Dissertation handelt. Es wird gern gesehen, wenn der Autor bzw. die Autorin neben dem publizierten Material möglichst viel unveröffentlichte Archivalien und Interviews einfließen läßt. Gewissenhaft und in ihrer Schwärmerei für die Künstlerin unkritisch, versucht Kubitza durch die Hinzunahme zahlreicher Interviews und Primärquellen biographisch zu rekonstruieren, mit welchen Intentionen und Hoffnungen sich Schneemann ihr Kunstrepertoire angeeignet hat. Doch wie bei vielen Interviews, die lange Zeit nachdem die Produktionen entstanden sind, geführt werden, steht im Zentrum das Personalkarussel, die Revisionen und weniger die Arbeiten selbst. Und so verstrickt sich Kubitza allzu sehr in die Fallen der ‚oral history‘.

Das kann jedoch die Leistung des Buches nicht überdecken, das mit seiner sorgfältigen Analyse dreier zentraler Arbeiten Schneemanns ‚Eye Body‘, ‚Meat Joy‘ und ‚Fuses‘ eine erste umfangreiche Vorstellung in deutscher Sprache darstellt. Im Hinblick auf ihre eigene zentrale These rückt Kubitza konsequent die von den feministischen Kunstwissenschaften immer wieder aufgeworfene Frage in den Mittelpunkt, ob Künstlerinnen eine sexuelle Bildsprache entwickeln können, die sich kritisch zur tradierten sexuellen Ikonographie verhält. Annette Kubitzas sprachlich klare, fundierte Darstellung feministischer Diskurse, die historische Kontinuitäten sowie Brüche, Umdeutungen und Neuansätze reflektiert, macht eine weitere Stärke dieses Buches aus.

Anmerkungen:
[1] Amelia Jones stellte in Body Art ? Performing the Subject Schneemann als Schlüsselfigur für die Body Art vor. Vgl. Amelia Jones: Body Art. Performing the Subject. Minneapolis, London: University of Minnesota Press 1998.
[2] „Go back to the body, which is where all the splits in Western Culture occur.“ Schneemann, zit. nach Amelia Jones: Body Art. Performing the Subject. Minneapolis, London: University of Minnesota Press 1998, o.S.
[3] Lippard 1976, zit. nach Kubitza 2002, S. 183.
[4] Kubitza, 2002, S. 13.
[5] Bereits 1979 historisierte und theoretisierte die Künstlerin ihre eigene Arbeit in More Than Meat Joy. Performance Works and Selected Writings. Ihr jüngstes Buch erschien vor einem Jahr: Carolee Schneemann: Imaging her Erotics. Essays, Interviews, Projects. Cambridge, London 2002.
[6] Schneemann, 1979, zit. nach Kubitza, 2002, S. 42.
[7] In der Performance Site, die 1964 vier Mal aufgeführt wurde, wird Schneemann von Morris zur figurierten Olympia gemacht. Kubitzas Analyse trifft, wenn sie schreibt: „Site bildet einen besonders starken Kontrast zu Eye Body, denn während es formal innovativ war, wurde die geschlechtsspezifische Verteilung im Kunstprozess selbst nicht hinterfragt.“ Kubitza, 2002, S. 61.
[8] Fuses, 1964-1967, 16mm Film, ohne Ton, Farbe, 22 Minuten.
[9] Kubitza 2002, S. 15. Stellvertretend möchte ich hier noch ein weiteres Zitat wiedergeben: „In dieser Performance (Meat Joy) hat Schneemann den Körper in seiner komplexen Ausdrucksfähigkeit und Sinnlichkeit in unsere körper- und sexfeindlichen Gesellschaft integriert.“ Kubitza 2002, S. 82.
[10] Held, Jutta: Was bedeutet ‚weibliche Ästhetik‘ in der Kunst der Moderne? In: Kritische Berichte, 13. Jahrgang, Heft 3, 1985, S.29-41, hier S.29.
[11] Kristine Stiles, ebenfalls eine langjährige Kennerin von Schneemanns Werk, kommt zu einem ähnlichen Schluss: „Schneemann erhält noch immer sehr wenig institutionelle Unterstützung in der Kunstwelt, obwohl sie drei Jahrzehnte lang Vorbild für die Arbeit zahlreicher Frauen und Männer war.“ Kristine Stiles: Unverfälschte Freude. Internationale Kunstaktionen, in: Kat. Out of actions. Aktionismus, Body Art und Performance 1949-1979, hg. von Paul Schimmel, The Museum of Contemporary Art, Los Angeles. Hg. der deutschen Ausgabe: Peter Noever, MAK. Mak Österreichisches Museum für angewandte Kunst, Wien 17.06-6.09.1998, S. 227-329, hier S. 297. Petra Reichensperger, Kultur- und Kunstwissenschaftlerin, freie Autorin und Kuratorin.

Kubitza, Anette: Fluxus - Flirt - Feminismus? Carolee Schneemanns Körperkunst und die Avantgarde., Dietrich Reimer Verlag 2002
ISBN-10: 3-496-01264-1, 250 S.

Empfohlene Zitation:
Petra Reichensperger: [Rezension zu:] Kubitza, Anette: Fluxus - Flirt - Feminismus? Carolee Schneemanns Körperkunst und die Avantgarde., 2002. In: ArtHist.net, 03.11.2003. Letzter Zugriff 28.03.2024. <https://arthist.net/reviews/257>.

Creative Commons BY-NC-NDDieser Text wird veröffentlicht gemäß der "Creative Commons Attribution-Noncommercial-No Derivative Works 4.0 International Licence". Eine Nachnutzung ist für nichtkommerzielle Zwecke in unveränderter Form unter Angabe des Autors bzw. der Autorin und der Quelle gemäß dem obigen Zitationsvermerk zulässig. Bitte beachten Sie dazu die detaillierten Angaben unter https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/deed.de.

^