Die 90er Jahre waren die Zeit einer Re-politisierung der Kunst. Holger Kube Ventura hat diese Zeit kurz nach dem Ende der Dekade in den Blick genommen und den Veraenderungen im Kunstbetrieb nachgespuert. Der komplette Titel seiner Dissertation lautet: „Politische Kunst Begriffe in den 1990er Jahren im deutschsprachigen Raum“. Im ersten und zweiten Kapitel wird die „Politische Kunst“ und „die Kunst der 90er Jahre“ untersucht. Dann nimmt sich Ventura die „Politisch-Kuenstlerische Praxis in den 90er Jahren“ vor, um schliesslich im letzten Kapitel eine politisch-kunstwissenschaftliche Auswertung vorzulegen. Diese Ueberschriften lassen uebrigens nicht vermuten, wie mitreissend Ventura schreiben kann.
Der Autor beginnt sein Kapitel ueber die „politische Kunst“ mit dem verbreiteten Vorurteil, dass politische Kunst nie gute Kunst sein koenne und fuehrt als Gegenbeispiel den Fall von Jean Louis David an, dessen Werk „ die These von der Unvereinbarkeit praktischer politischer Ziele mit echter kuenstlerischer Qualitaet“ widerlegt.(...)Je restloser er seine Kunst in den Dienst propagandistischer Aufgaben stellte, desto groesser war der kuenstlerische Wert seiner Schoepfungen.“(Ventura zitiert hier Arnold Hauser) Kube Ventura macht sich nun daran, erst einmal die Grundfrage, was politische Kunst sei, zu klaeren und unterscheidet die beiden Pole „Politik via Kunst“, und „Kunst mit politics“. In der ersten Rubrik, die beauftragte „Gesten der Macht“ meint, unterscheidet er noch einmal zwischen Repraesentationen, Instrumentalisierungen und „Federschmuck“, - darunter versteht Ventura Statussymbole oder Imagetransfer. Bei den „politics“ erkennt er verschiedene Artikulationsformen, „Aufzeigen“, „Intervenieren“, „Experimentieren“, „Draussensein“, „Verweigern“, „Anderssein“.
Ventura sieht sich die Kunstgeschichte daraufhin an, wie selbstreflexiv und methodenbewusst sie geworden ist und wie verschieden die Frage nach der gesellschaftlichen Relevanz von Kunst beantwortet wird. Der Autor findet vier unterscheidbare Haltungen der Kunsttheorie zur „Gegenmaechtigkeit von Kunst“ - wie er das, was politische Kunst auszeichnet, nennt: 1.Kunst ist immer politisch. - Hier zitiert Ventura eine schwaermerische Aeusserung von Hans Belting. 2.Kunst darf nie politisch sein. Der Gewaehrsmann dafuer ist Adorno. 3.Kunst muss immer politisch sein. Ventura findet diese Ueberzeugung sowohl bei Lucács, als auch, unter den entgegengesetzten Vorzeichen, bei Sedlmayer. 4.Kunst kann nie politisch sein.- Eine autorenlose Ueberzeugung, dass jegliche kuenstlerische Praxis nur im Dienst des Herrschaftssystems stehe, jede Gegenmacht eine Illusion sei.
Von Zeit zu Zeit holt der Autor sich selbst ein, zitiert etwa, sich disziplinierend Deleuze: „Eine Theorie ist ein Instrumentarium: sie hat nichts zu bedeuten, sie hat zu funktionieren. Und zwar nicht fuer sich selbst. Wenn es niemanden gibt, der sich ihrer bedient - das beginnt schon beim Theoretiker selbst, der damit aufhoert ein solcher zu sein - so taugt die Theorie eben nichts (...) man wird andere Theorien machen.“ Er macht seine blinden Flecken zum Thema oder sein „Draussensein“, etwas kokett, wie es scheint, ist er doch im Gegensatz zu vielen Vertretern seines Fachs ziemlich „drinnen“, nah am Geschehen, an Gegenstaenden, Gruppierungen und Kuenstlern. Das Parteiische macht das Buch gerade wertvoll. Die ganze Arbeit des Nacherzaehlens, Auflistens, Zusammenhaenge Herstellens, wird auf eine sehr engagierte Art getan.
Denn jeder, der in den 90er Jahren die Kunstwelt mit Unterbrechungen im Auge hatte und nicht durch eigene Arbeit involviert war, hat gewisse Tendenzen wahrgenommen, Gemeinsamkeiten entdeckt, Trendbegriffe dumm gefunden oder benutzt, Produktionsformen halb erfasst, hier findet sich nun alles miteinander verbunden. Immer wieder beim Lesen gibt es diese Erlebnisse von nachtraeglichem Begreifen, Zuordnenkoennen. Sehr lehrreich fuehrt er etwa die ambivalente Rezeption politischer Kunst anhand von zwei Beispielen, den Kuenstlern Carsten Hoeller und Knud Vesterskov, zum Thema Glaubwuerdigkeit, „credibility“, vor.
Einer der wichtigsten Kontexte von Kunstproduktion ist der Kunstmarkt. So beginnt die Beleuchtung dieser Szene deshalb auch mit einer Mahnung (von Wilfried Dickhoff): „Vergessen wir nicht die folgende schlichte Tatsache: Der Regisseur aller Bilder und Nicht- Bilder ist das Kapital.“ Ventura laesst die 80er Jahre Revue passieren, den oekonomischen Aufschwung, den irrwitzigen Anstieg der Preise, besonders fuer Werke der klassischen Moderne. Die lebenden Kuenstler wurden zu Spielbaellen in einem schnellebigen Markt. Der Einbruch des Kunstmarktes 1990 war bisher in seinen Rueckwirkungen auf Kunst und Kuenstler noch nicht oft untersucht worden. Der Crash war aber ein wichtiger Grund fuer junge, nicht mehr auf schnellen Erfolg hoffen duerfende, KuenstlerInnen, sich in Gruppen zusammen zu tun, neue Produktionsweisen, Organisationsformen auszuprobieren. Oder auch „Dienstleistungskunst“ zu machen. Im Hauptteil ueber die Politisch-Kuenstlerische Praxis berichtet Ventura ueber die vielen, zum Teil aus der Not geborenen, Projekte, Labels, zitiert Selbstaussagen und Reflexionen von Gruppen und Akteuren, gegenseitige Kritik. Es wird deutlich, wie sich neue Formen durchsetzten, aber auch verbrauchten oder enteignet wurden.
Zwei „feldexterne Kontexte“, die er durchprueft, sind in den 90er Jahren in die Kunstwelt hineingewachsen, die Technoszene und das Internet. Beide Bewegungen fuehrten mit sich Moeglichkeit und Illusion von Selbstermaechtigung, in vielfaeltigen Ankoppelungen an Kunst. Man erinnert sich an die Flyer, die zu Austellungen oder oft zugleich zu Parties einluden und seit dieser Zeit gibt es DJs, die zu Eroeffnungen Platten auflegen. Kube Ventura hat einen kunstgeschichtlichen Fuehrer durch die 90er Jahre und ihre politische Kunst geschrieben, der auch ein Nachschlagewerk geworden ist. Der Anhang ist ueber 100 Seiten lang und funktioniert dabei wie ein solides Fundament. Das faengt mit einem ueppigen und dabei geradezu spannenden Anmerkungsteil an. Eine Liste von Referenz-Ausstellungen der 60er, 70er und 80er Jahre klaert ueber die Vorlaeufer auf, bevor die Ausstellungen von 1990 bis 2000 aufgefuehrt sind. Komplett wird der Service durch eine Zusammenstellung von Art Clubs und Ausstellungsorten, Labels und Gruppierungen, Fanzines und Periodika, Katalogen und Projektmaterialien, Buechern und Aufsaetzen, einem Personen-Index, sowie einem fuer Gruppierungen und Ausstellungsprojekte. Einziger Makel fuer den Gebrauch sind die geisterhaft schwach gedruckten Seitenzahlen.
Kube Ventura, Holger: Politische Kunst Begriffe. In den 1990er Jahren im deutschsprachigen Raum (= ART - XIT), Wien: edition selene 2002
ISBN-10: 3-85266-173-0, 349 S, 18,60 Euro
Empfohlene Zitation:
Bettina Klix: [Rezension zu:] Kube Ventura, Holger: Politische Kunst Begriffe. In den 1990er Jahren im deutschsprachigen Raum (= ART - XIT), Wien 2002. In: ArtHist.net, 25.06.2003. Letzter Zugriff 26.12.2024. <https://arthist.net/reviews/25694>.
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