REV 28.05.2008

Sabeth Buchmann: Denken gegen das Denken

Rezensiert von Martin Beck
Redaktion: Claudia Sedlarz
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Sabeth Buchmanns „Denken gegen das Denken“ ist eine Untersuchung des Begriffs der künstlerischen Produktion im Feld konzeptuel-ler Kunstpraktiken der 1960er und frühen 1970er Jahre. Es ist aus drei Teilen aufgebaut. Im ersten Teil verschränkt Buchmann die Neubewertung des Produktionsbegriffs mit den ökonomischen, sozialen und kulturellen Veränderungen, die diese Neubewertung be-dingen. Der zweite Teil fokussiert auf den Zusammenhang von Produktion und Technologie. Der dritte Teil ist Fallstudien gewidmet, die diesen reflexiven Apparat exemplarisch auf das Werk von Sol LeWitt, Yvonne Rainer und Hélio Oiticica anwenden.

„Denken gegen das Denken“ ist ein wichtiges und schwieriges Buch. Es liefert einen bedeu-tenden Beitrag zu Geschichte und Vermächtnis konzeptueller Kunstpraktiken sowohl für die Kunstgeschichte als auch jene gegenwärti-gen Praktiken, die sich auf dieses Vermächtnis beziehen. Der vor allem von der Kunstgeschichte im deutschsprachigen Raum oft sehr eng gefasste werkimmanente Zugang zu künstlerischen Artikulationen wird durch eine Erweiterung des Referenzfeldes und der methodischen Zugangsweisen bereichert. Dem einen künstlerischen Diskurs (und aus dieser Perspektive schreibe ich hier) eröffnet das Buch einen Blick auf konzeptuelle Kunstpraktiken, der – durch die Linse einer historischen Untersuchung – eine Reihe von wesentlichen Herausforderungen für künstlerische Praxis der Gegenwart aufzeigt und kritisch zu denken ermöglicht. Die Schwierigkeit, die einem das Buch auferlegt, liegt darin begründet, dass „Denken gegen das Denken“ keine geradlinige Untersuchung ist. Vielmehr sieht man sich als Leser mit einer ständigen Verästelung der Argumentationslinien und immer neuen Ver-schiebung des Referenzrahmens konfrontiert. Diese Komplexität ist allerdings nicht Selbstzweck, sondern hat Methode – Methode, die es erlaubt, einen neuen und gegenwärtigen Blick auf konzeptuelle Kunstpraktiken zu werfen.

Buchmann beginnt ihre Studie mit einer differenzierten Untersuchung dessen, was unter ‚Conceptual Art’ und ‚Konzeptualismus’ ver-standen werden kann. Sie rekapituliert deren Entstehungs- und Rezeptionsbedingungen und reorganisiert deren Geschichte vor dem Hin-tergrund einer Debatte, die den traditionell marxistischen (aus der Industrialisierung hergeleiteten) Produktionsbegriff mit einem semiotischen Verständnis von Produktion ersetzt hat. Was dadurch gewonnen ist, ist die Mög-lichkeit, die zwei dominierenden Begriffsparadigmen (oder sollte man sagen: Phantasmen) der Kunst der späten 1960er Jahre, Information und Technologie, zusammen zu denken. Das in der Kombination von Information und Technologie zusammengefasste Emanzipationsversprechen ist zum damaligen Zeitpunkt eine der letzten noch stehenden Säulen der modernistischen Gesellschaftsutopie und gleichzeitig auch die Grundlage für den kritischen Impetus, mit dem konzeptuelle Kunst-praktiken an der Demontage ebendieses Ver-sprechens gearbeitet haben. Buchmanns Aus-einandersetzung nimmt dieses Paradoxon auf, um damit eine Anbindung von Produktion – der Produktion von Information und der Produktion durch Technologie – an Subjektivierungsprozesse zu ermöglichen. In einem weiteren Schritt werden die Begriffe Produktion und Subjektivität mit biopolitische Debatten der Gegenwart verbunden. Dieser, auf den ersten Blick überraschende Schritt führt über eine Reihe von reflexiven Schleifen dahin, dass gerade jenes kritische Potential, das konzeptuellen Kunstpraktiken oft als ein a priori zugeschrieben wird, aus einer erweiterten ge-sellschaftlichen Perspektive befragt werden kann; dass, in Anlehnung an Michael Hardt und Antonio Negri, gefragt werden kann: „ob der Konzeptualismus an der Herausbildung der ‚gesellschaftlichen Fabrik‘ [...] erfolgreich mitgewirkt hat.“ (S. 23)

Buchmanns Vorgangsweise teilt den komplexen Argumentationsstrang in kleinere Einhei-ten, die auf den ersten Blick wie eine Fülle von vereinzelten Miniaturstudien erscheinen. Folgt man aber den Schleifen, die ihre begriffliche Methodik vorgibt, durch die im dritten Teil ausgeführten Fallstudien zu LeWitt, Rainer und Oiticica – und dann wieder retour in und durch ebendiese Miniaturstudien, die in den ersten beiden Teilen des Buches dominieren – so entfaltet sich daraus eine Antwort auf die obige Frage nach einer Komplizenschaft konzeptueller Kunstpraktiken mit einer allumfassenden kulturellen Verwertungsmaschine. Die Antwort ist erwartungsgemäß nicht eindeutig. Buchmann schreibt: „die Wechselwirkung zwischen konzeptuellen Produktionsweisen und den Diskursen über neue Technologien [steht] zwar in einer Beziehung zur Transformation des fordistischen Produktionssystems zur ‚gesellschaftlichen Fabrik‘... diese Transformation ist aber von Ungleichzeitigkeiten und Heterogenitäten durchzogen, dass von einer ungebrochenen Parallelität zwi-schen gesellschaftlich dominanten Produktionsweisen und künstlerischen Verfahren nicht die Rede sein kann...“ (S. 277). Der Bereich, in dem Buchmann in den von ihr ausgeführten Beispielen eine Form von Widerständigkeit gegen die kapitalistische Ordnung der Zeichenproduktion feststellt, ist jener der Subjektivität, die hier gleichzeitig als begrenzte und entgrenzte, als verfügbar und unverfügbar erscheint. Konsequenterweise schließt Buchmann daraus, dass der Produktionsbegriff im Konzeptualismus mit Rekurs auf Michel Foucault in einer „(Neu-)Ordnung des Wissens“ gesehen werden muss und dass die „Gründe für die Relativierung und Ausweitung des künstlerischen Produktionsbegriffs im Kontext des historischen Konzeptualismus [...] zu den Bedingungen jener Werkentwürfe [zu suchen sind], die sich in ein lesbares Verhältnis zu den [...] scheinbar ungreifbar gewordenen Machtverhältnissen stellen“ (S. 280).

Damit ist auch die wertvolle Errungenschaft von Buchmanns „Denken gegen das Denken“ beim Namen genannt: das Buch richtet den Blick nicht nur auf die Bedingungen solcher exemplarischer Werkentwürfe, sondern die Untersuchung ist so angelegt, dass daraus ein methodischer Auftrag resultiert: ein Auftrag an die Kunstgeschichte, aber auch ein Auftrag an all jene, die am Produktionsverständnis einer gegenwärtigen künstlerischen Praxis arbeiten.

Buchmann, Sabeth: Denken gegen das Denken. Produktion, Technologie, Subjektivität bei Sol LeWitt, Yvonne Rainer und Helio Oiticia, Berlin: b-books 2007
ISBN-13: 978-3-933557-60-5, 309 S.

Empfohlene Zitation:
Martin Beck: [Rezension zu:] Buchmann, Sabeth: Denken gegen das Denken. Produktion, Technologie, Subjektivität bei Sol LeWitt, Yvonne Rainer und Helio Oiticia, Berlin 2007. In: ArtHist.net, 28.05.2008. Letzter Zugriff 26.04.2024. <https://arthist.net/reviews/25>.

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