REV-CONF 05.12.2001

Herrschaftsinszenierung in Preussen

Berlin, 24.11.2001

Bericht von Philipp Zitzlsperger

Tagungsbericht zum Kongress
"Herrschaftsinszenierung in Preussen"
(Humboldt-Universitaet zu Berlin, 24 Nov 2001).

Am 24. November 2001 fand an der Humboldt-Universitaet zu Berlin eine Tagung
unter dem Titel "Herrschaftsinszenierung in Preussen" statt. Schon der Titel
der Veranstaltung versprach eine Gratwanderung an der Schnittstelle von
Kunstgeschichte und Geschichte, zweier wissenschaftlicher Disziplinen, die
im Bereich der Preussenforschung noch nicht zu einer wuenschenswerten
Annaeherung gefunden haben. Ueberhaupt weist die Preussenforschung einen
beachtlichen wissenschaftlichen Nachholbedarf auf, denn noch immer herrscht
ein polarisierendes Preussenbild vor, das zwischen dem Ideal von Toleranz
und Aufklaerung bzw. dem Gedanken an aggressiven Militarismus und
nationalsozialistische Vereinnahmung oszilliert. Um der Mythenbildung zu
begegnen und die Preussenforschung nicht den Traditionsvereinen zu
ueberlassen, nahm sich zuletzt die Ausstellung "Preussen 1701" in Berlin der
Verbesserung der Situation an. Aber auch Initiativen wie das
"Preusseninstitut" oder der "Arbeitskreis Preussische Geschichte" der
Berliner Wissenschaftlichen Gesellschaft bemuehen sich um eine
kontinuierliche Revision des preussischen Geschichtsbildes.

Die juengste Tagung hat vor diesem Hintergrund einen hoechst interessanten
Beitrag zur Differenzierung des Preussenbildes geleistet. Fuer einen Tag
wurde die Kunst als Medium monarchisch-staatlicher Selbstdarstellung aus
ihrem unverdienten Schattendasein borussischer (Kunst-)Geschichtsschreibung
geholt. Waehrend sich die Vormittagssektion unter der Diskussionsleitung von
Horst Bredekamp mit der Zeit um 1701, dem Jahr der Kroenung des ersten
preussischen Koenigs Friedrichs III./I., beschaeftigte, setzte die von
Michael Diers moderierte Nachmittagssektion das Schlaglicht auf die Zeit
Friedrich Wilhelms III. um 1800 an. Die Schwerpunkte waren sehr vernuenftig
gewaehlt, wie sich herausstellen sollte, denn am Kontrast der
unterschiedlichen Epochen schaerfte sich der Blick fuer das Wesentliche des
eklatanten Funktionswandels von Kunst im Dienste preussischer
Herrschaftsinszenierung. Darueber hinaus garantierte die Auswahl der
Referenten und Vortragsthemen einen bisweilen auch unterhaltsamen Einblick
in die Produktvielfalt der Kunstgattungen, der vom so oft unterschaetzten
Kunstgewerbe ueber die Malerei bis hin zu Skulptur und Architektur reichte.

Im Rahmen der Organisation durch die Redaktion der "Politischen
Ikonographie" der Fachzeitschrift "kunsttexte.de" und durch das
Forschungsprojekt "Requiem. Die roemischen Papst- und Kardinalsgrabmaeler
der fruehen Neuzeit" (gefoerdert von der Fritz Thyssen Stiftung) gelang es
den Initiatoren Godehard Janzing und Arne Karsten auch, die Vorteile des
Internet fuer den Kongress nutzbar zu machen. Als besonders innovativ darf
gewertet werden, dass man bereits vor der Tagung einige der Vortraege als
Aufsaetze in der Internet-Zeitschrift "kunsttexte.de" konsultieren konnte.
Nicht nur die schnelle Verfuegbarkeit der Beitraege, sondern darueber hinaus
die Moeglichkeit der Vorabinformation zur Vorbereitung der Tagung koennte
wegweisend fuer die immer noch internetverdrossenen Geisteswissenschaftler
sein. Um den Tagungsteilnehmern aehnliche Schwellenaengste zu nehmen, war es
denn auch eine ebenso interessante wie erfrischende Idee, zwischen den
beiden Sektionen drei kunsthistorisch-historische Internetprojekte
vorzustellen.

Der erste Vortrag am Vormittag von Sylvaine Haensel handelte wohl von einem
der wichtigsten Themen der repraesentativen Kunst, dem Portraet. Mit einer
Fuelle von Material gelang es Frau Haensel nicht nur die umfassende
Typologie des Koenigsportraets Friedrichs III./I. in der Malerei
aufzuzeigen, sondern ausserdem seine Vorbildfrage zu diskutieren und damit
auf moegliche ikonographische Kontinuitaeten zu verweisen. So entstand ein
umfassendes Bild des preussischen Kurfuersten- und Koenigsportraets, dessen
typologische und qualitative Vielfalt vom Versuch des jungen Koenigshauses
zeugt, sich am internationalen Standard zu messen. Allein die politische
Ikonographie der Portraets kam etwas zu kurz. Wenn auch der Begriff des
Staatsportraets immer wieder fiel, war seine genaue Definition nicht
verfuegbar und mehr oder weniger beliebig. Das ist nicht Frau Haensels
Schuld. Vielmehr weist dieses Defizit auf die seit Anbeginn der
Portraetforschung fehlende Methode der politischen Ikonographie. Darueber
hinaus fehlt dem Begriff des "Staatsportraets" nach wie vor eine genaue,
geschweige denn einheitliche Definition. Ist das Portraet eines sitzenden
Koenigs ohne prunkende Kroenungsinsignien wirklich weniger repraesentativ
und damit weniger Staatsportraet, oder fehlt uns nur die Kenntnis von den
anderen, insigniengleichen Bedeutungstraegern, wie z.B. der Kleidung?

Waehrend das Koenigsportraet um 1701 der Tradition des nordeuropaeischen
Raums zuzuordnen war (Frankreich, Holland, England), konzentrierten sich die
beiden folgenden Vortraege auf den kunsthistorischen Bezug zu Rom.
Sepp-Gustav Groeschels Vortrag nahm dabei Stellung zur Antikenrezeption des
Berliner Schlosses in Architektur und Skulptur. Dabei fokussierten seine
Betrachtungen den sog. Schlueterhof und die Risalite der Portale I und V.
Schlueters Architektursprache war in diesen Teilen eindeutig roemisch (z.B.
Triumphbogenmotive). In diesem Zusammenhang konnte Groeschel entsprechend
dem Forschungsstand zeigen, dass durch die sorgfaeltige Auswahl der
antikischen Kapitelle aus italienischen und franzoesischen
Architekturtraktaten (Palladio, Desgodetz) der Preussenkoenig mit Jupiter
gleichgesetzt wurde; eine Beobachtung, die schliesslich im
Skulpturenprogramm der besprochenen Risalite ihren bis heute unerkannten
Widerhall zu finden scheint. Davon abgesehen, dass ein an derart prominenter
Stelle der Aussenarchitektur inszeniertes Skulpturenprogramm an
Barockschloessern in Europa seines Gleichen sucht, erklaerte Groeschel die
Programme als Allegorien auf den Erwerb der Preussischen Koenigskrone bzw.
die Frieden bringenden Wohltaten des Koenigs fuer Preussen. Medaillons
antikroemischer Koenigskoepfe schliesslich beziehen sich auf die Tradition
der roemischen Koenigszeit, nicht auf die roemischen Kaiser (!), vermutlich
um einen propagandistischen Kollisionskurs mit dem habsburgischen Kaiserhaus
zu vermeiden.

Der folgende Vortrag von Arne Karsten befasste sich mit einer fuer Preussen
weniger zu erwartenden Art der Vorbildfrage, die den Blick auf das barocke
Rom lenkte. Das Zentrum der katholischen Christenheit, dessen stets
innovative und verschwenderische Kunstproduktion des Barock um 1700 bereits
im Abflauen begriffen war, wurde nun sehr konkret und unverhohlen zum
Vorbild preussisch-koeniglicher Kunstproduktion. Dies ueberrascht umso mehr,
als man von einem reformierten Preussen mit ikonoklastischen Tendenzen den
Rekurs auf roemisch-barocke Bildrhetorik weniger erwartete. Ein aus Anlass
der Kurfuerstenkroenung Friedrichs III. 1688 von Johann Gruebel geschaffener
panegyrischer Kupferstich belehrte die Tagungsteilnehmer jedoch eines
Besseren. Im Hintergrund der Darstellung ist Gianlorenzo Berninis roemischer
Vierstroemebrunnen zu erkennen, dessen Rezeption in diesem Zusammenhang auf
die absolutistische Gesinnung des Kurfuersten verweist, der sonnengleich die
Welt erleuchtet und beglueckt. Das wohl eindrucksvollste Beispiel fuer den
Import roemischer Barockkunst war das von Augustin Terwesten 1703
geschaffene Deckengemaelde in der Schwarzen Adlerkammer des Berliner
Schlosses. In diesem Fall diente Pietro da Cortonas Deckenfresko der "Divina
Providentia" im Palazzo Barberini zu Rom als Vorbild. Beide Beispiele
belegen eindrucksvoll den hohen Stellenwert der Bildpropaganda fuer die
fruehneuzeitliche Staatenbildung. Die zunehmende Neutralisierung der
Konfessionsprobleme im Europa des 17. Jahrhunderts ermoeglichte eine
ungehinderte Ausbreitung roemischer Kunst ueber die Konfessionsgrenzen
hinweg.

Insbesondere an den beiden letzten Vortraegen schaerfte sich in der
anschliessenden Diskussion die Frage nach der politischen Relevanz der
besprochenen Objekte. Die ostentative Romrezeption an den vorgestellten
Objekten liess den Einfluss aus Paris vermissen, der sich anscheinend mehr
oder weniger in akademischen und kunsttheoretischen Diskursen erschoepfte.
In der kuenstlerischen Umsetzung ist der Rekurs auf Paris zwar immer wieder
anzutreffen, gegenueber Rom jedoch schien der franzoesische Einfluss ins
Hintertreffen geraten zu sein. Dies zumindest suggerierten die Schwerpunkte
der beiden letzten Vortraege - ein Eindruck, den die Diskussion nicht zu
relativieren vermochte.

Die Vorstellung von drei Internetprojekten folgte der Vormittagssektion.
Joachim Buttler stellte die "Warburg Eletronic Library"
(<http://www.sts.tu-harburg.de/projects/WEL/>), die den Hamburger 'Bildindex
politische Ikonographie' in elektronischer Form nutzbar macht und um
zusaetzliche Dienste erweitert. Die oeffentliche Freischaltung der W.E.L.
via Internet ist fuer Ende des Jahres geplant. Michael Lailach und Robert
Felfe praesentierten die Fachzeitschrift "kunsttexte.de"
(<http://www.kunsttexte.de>),
die erste kunsthistorische Zeitschrift im
Internet (erscheint vierteljaehrlich), die die Vorteile der schnellen und
aktuellen digitalen Publikation, der orts- und zeitunabhaengigen
Erreichbarkeit sowie die Moeglichkeit des unmittelbaren Kontakts zwischen
Autoren und Lesern bietet. Schliesslich stellte Bettina Bieber das
"Virtuelle Museum Preussen" vor
(<http://www.virtuelles-museum-preussen.de>), das sich als Informationsseite
zur preussischen Geschichte und Gegenwart versteht. Ziel ist ein moeglichst
breites Angebot an Links zu nicht nur wissenschaftlichen Informationen,
deren Auswahlkriterien jedoch nicht ganz eingaengig waren. In Zukunft ist
die Umsetzung von virtuellen Ausstellungen geplant.

Der Nachmittag wurde eingelaeutet durch einen belebenden und das
nachmittaegliche Biotief verhindernden Vortrag von Joerg Meiner ueber die
Bedeutung von David Roentgens Automatenmoebeln. Eine kurze Videovorfuehrung
zeigte die stupende Funktionsweise der mechanisierten Schreibtische, die
sich auf Knopfdruck foermlich entfalten, zu Stehpulten verwandeln,
Schubladen und Faecher oeffnen und Musik spielen konnten. Bereits einen Tag
zuvor hatten einige Tagungsteilnehmer die Gelegenheit wahrgenommen, das
Schauspiel eines der Schreibtische im Kunstgewerbemuseum "live" zu erleben.
Die teuren Moebel wurden kurz vor der Franzoesischen Revolution von den
Koenigshoefen zu Paris, Berlin und Sankt Petersburg akquiriert und nie als
Schreibtische genutzt. Vielmehr gruendet gerade in der bewussten
Nutzlosigkeit der Maschinen ihre Allegorie des ueber der Mechanik stehenden,
absolutistischen Herrschers, dem gottaehnlichen Betreiber der
Staatsmaschinerie.

Von diesen letzten, ausgefeilten Visualisierungen absolutistischer
Staatstheorie leitete Godehard Janzing mit seinem Vortrag zur Krise
monarchischer Repraesentation um 1790 ueber, indem er das figurale
Reliefprogramm des Brandenburger Tors neu interpretierte. Durch eine
sensible Formanalyse des Herkuleszyklus wurde deutlich, dass anfangs die
Identifikation mit Herkules allein Friedrich Wilhelm III. vorbehalten
bleiben sollte. Als mit der Franzoesischen Revolution jedoch die politische
Stimmung europaweit umschlug, wurde das Bildprogramm am Brandenburger Tor
subtil veraendert und ein Herkuleszyklus geschaffen, mit dem sich auch die
anderen Staende der preussischen Gesellschaft identifizieren konnten. Vor
dem Hintergrund, dass selbst die Preussische Akademie der Kuenste dem Koenig
1792 riet, das Brandenburger Tor "nicht sich selbst zu Ehren" zu erbauen,
geriet es zum Monument kollektiver Staerke: das Brandenburger Tor als
skulpturaler "contrat social".

Die durch Revolutionsangst veraenderte Repraesentation des preussischen
Koenigs um 1800 thematisierte zuletzt auch der Vortrag von Susanne Deicher,
in dem von einem politisch relevanten Kunstsammelverhalten Friedrich
Wilhelms III. zu erfahren war. Seine Akquisition zahlreicher Bilder Caspar
David Friedrichs, so die These, war ein strategischer Schachzug des Koenigs
in den bedrohlichen Zeiten der napoleonischen Kriege. Dadurch, dass der
Koenig Friedrichs Naturdarstellungen kaufte, identifizierte er sich mit
einer bildgewordenen Naturerfahrung seiner Untertanen, die sich zunehmend in
nationale Stroemungen einordneten. Nationalismus, stimuliert durch homogenen
Kunstgenuss und entsprechende Medientheorien der Zeit, war die Triebfeder
koeniglicher Friedrich-Euphorie, mit der sich der Monarch buergerlichen
Stroemungen anschloss. An die Stelle der herkoemmlichen
Repraesentationsstrategien trat nun das "mikroinvasive Vorgehen", mit dem
der Koenig durch Buergernaehe in das Bewusstsein seiner Untertanen
einzudringen versuchte. Die Friedrich-Euphorie liess freilich nach, als
spaetestens 1826 die monarchische Position in Preussen wieder gefestigt war.
Caspar David Friedrich wurde nun Protege der Zarenfamilie.

In der abschliessenden Diskussion wollte eine konsensgeleitete
Zusammenfassung aller Vortragsthemen nicht recht gelingen. Sowohl
methodische als auch geschichtliche Detailprobleme wurden angesprochen, die
sich in der Frage nach der politischen Ikonographie zuspitzten. Ob der
Ambivalenz des Herkuleszyklus am Brandenburger Tor ueberhaupt noch eine
politische Ikonographie abzugewinnen sei, oder ob sie sich in ihrer
Beliebigkeit erschoepfe, merkte Otto Karl Werckmeister fragend an, der in
diesem Sinne den Vortrag Susanne Deichers als methodisch ganzheitlich lobte.
Horst Bredekamp vertrat dagegen die Meinung, dass jedem der vorgetragenen
Themen der subtile Phaenotyp politischer Klimaveraenderungen abzugewinnen
sei und damit die vorgestellten Kunstwerke ueber jeder inhaltslosen
Kitschigkeit anzusetzen seien. An diesem Punkt setzte auch die Frage nach
der kuenstlerischen Eigenstaendigkeit ein, die sich insbesondere um 1800 im
Kraftfeld des aufkommenden Beamtentums bewegte. Die Rolle des Staatsbeamten,
der sowohl dem Schutz des Untertans als auch dem Koenig zu dienen hatte, und
die damit verbundene Rolle der Akademie im Dienst der Staatsgewalt stellte
sich in der Diskussion als eine zwiespaeltige heraus, deren Einfluss auf die
preussische Kunstproduktion zu beziffern noch offen steht.

Die Tagung rief den Teilnehmern ins Bewusstsein, dass die preussische
Kunstgeschichte noch nicht geschrieben ist. Ueber die Materialsammlung
hinaus ist nun die Ursachenforschung gefragt, die das kausale
Wechselverhaeltnis von Kunst und Macht im Zeitalter zunehmender und
schliesslich schwankender Staatsgewalt zu erklaeren vermag. Wenn die
Kunstgeschichte ihre haeufig geuebte Distanz zur historischen Forschung
aufgibt (und umgekehrt), ist ein grosser Reichtum an ganzheitlichen
Erkenntnissen zu erwarten. Dies zumindest war das Gesamtergebnis der Tagung.

Dr. Philipp Zitzlsperger
Humboldt-Universitaet zu Berlin
Kunsthistorisches Seminar
Dorotheenstr. 28
10099 Berlin
Tel: (030) 2093-4457
www: http://www.unifr.ch/neuzeit/requiem/

Empfohlene Zitation:
Philipp Zitzlsperger: [Tagungsbericht zu:] Herrschaftsinszenierung in Preussen (Berlin, 24.11.2001). In: ArtHist.net, 05.12.2001. Letzter Zugriff 17.04.2024. <https://arthist.net/reviews/24765>.

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