REV 17.01.2009

Katja Kleinert: Atelierdarstellungen in der niederländischen Genremalerei

Rezensiert von Raupp Hans-Joachim
Redaktion: Karin Leonhard
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Nur in den Niederlanden des 17. Jahrhunderts hat sich das Atelierbild zu einer eigenständigen Form der Künstlerdarstellung entwickelt, obwohl dieses Jahrhundert in ganz Westeuropa ein "Goldenes Zeitalter" der Malkunst gewesen ist. In Italien, Frankreich und den Ländern des Kaiserreiches wurden vor allem Kunstallegorien und Akademiebilder als Spiegel künstlerischer Selbstdarstellung und Selbstreflexion genutzt. Dabei ging es in erster Linie um Statusprobleme, um die Stellung der Malerei im "Wettstreit der Künste" [1], um die Stellung des Malers in der höfischen Gesellschaft und um das intellektuelle Fundament des "disegno". Nur in den niederländischen Kunstzentren Antwerpen, Leiden, Haarlem, Utrecht, Amsterdam und Rotterdam wurde die Darstellung des Malers vor der Staffelei zum eigenständigen Bildthema, und zwar gleichermaßen in porträthaften Selbstdarstellungen namhafter Künstler wie in anonym genrehaften und in fiktional historisierenden bzw. allegorischen Bildern.

Der 2003 an der Berliner FU eingereichten Dissertation von Katja Kleinert, die seit 2006 als ansehnliches (wenngleich schludrig redigiertes) und reich mit Abbildungen ausgestattetes Buch vorliegt, kommt das Verdienst zu, den Bestand an niederländischen Atelierbildern des 17. Jahrhunderts zum ersten Mal in einem Katalog erschlossen und grundlegende Fragen zu Bedeutung und Funktion gestellt, geklärt bzw. einer weitergehenden Klärung nahegebracht zu haben.

Zwei leitende Fragestellungen bzw. Thesen bilden die Angelpunkte ihrer Untersuchung: erstens geht Katja Kleinert davon aus, dass die Atelierbilder als eine "Kategorie des Genrebild(es)" zu gelten haben (Kapitel 4.3) und als solche von (Selbst-) Porträts tätiger Maler abzugrenzen sind. Zweitens stellt sie fest, dass die Atelierbilder nur in einer stark verengten, typisierten und klischeehaften Weise die zeitgenössische Wirklichkeit der malerischen Produktion und der Produktionsbedingungen wiedergeben. Sie verraten keine Betriebsgeheimnisse, sondern nehmen die Besucherperspektive ein und zielen auf ein "Image" des Malers, das mit Erwartungshaltungen, durchaus auch Vorbehalten der Bilderkäufer rechnet und sogar humoristisch damit spielt [2].

Die Zugehörigkeit des niederländischen Atelierbildes zur Genremalerei und die Abgrenzung vom Künstlerporträt ergeben sich einerseits aus der Anonymität der Malerfiguren und andererseits aus dem Nachweis von Kompositionsmustern, Motivübernahmen und Darstellungskonventionen, die für Genrebilder charakteristisch sind. Ein weiteres Indiz sind lokalspezifische Eigenarten (Ateliers als Gelehrtenklausen bei den Feinmalern der Universitätsstadt Leiden) oder Künstlerspezialitäten (Adrien van Ostades Ateliers als bäuerliche Interieurs voller Gerümpel). Freilich sind die Grenzen zum Künstlerporträt fließend, wenn einzelne Maler sich erkennbar selbst darstellen (z.B. Cornelis Saftleven Kat. 64, 65). Ob die Darstellung in ganzer Figur in solchen Fällen als Kriterium eines Genrebildes tragfähig ist, möchte ich bezweifeln.

Bei der Frage nach dem Realitätsgehalt erweist sich die strikte Unterscheidung zwischen bildnishaften und genrehaften Atelierdarstellungen als nicht sinnvoll wenn nicht gar kontraproduktiv. Katja Kleinert stützt ihre Befunde auf eine sehr gründliche, alle Aspekte von Heizungsmöglichkeiten bis zu Malmaterialien einbeziehende Beschreibung der Arbeitsumgebung, -bedingungen und -abläufe niederländischer Kunstmaler des 17.Jahrhunderts, wobei sie sich hauptsächlich auf schriftliche Quellen stützt [3]), aber eben auch Künstlerbildnisse nicht außer Betracht lassen kann. Daraus folgt notwendig die Frage, ob und inwieweit die Realität des Malers in bildnishaften Darstellungen anders gespiegelt bzw. typisiert wird als in genrehaften, aber dieses Problem wird nicht thematisiert.

Wie die Mehrheit der aktuellen Forscher-innen geht auch Katja Kleinert davon aus, dass im Künstlerbildnis vor allem kunsttheoretische Ideen in allegorischer und exemplarischer Form vorgetragen werden und die Beschreibung der Tätigkeit überformen [4]. Es ist daher schwer verständlich, dass Katja Kleinert diese Möglichkeit bei den Atelierbildern dezidiert außer Betracht lässt. In dieser Hinsicht schließt sie sich einem modischen "anti-iconological turn" an, der sich zum großen Schaden einer um historische Perspektiven bemühten Forschung seit den 1980er Jahren auch in der niederländischen Kunstgeschichtsschreibung breit gemacht hat. Es sollte Katja Kleinert nicht vorgehalten werden, dass sie sich emblematischen Deutungen verweigert (obwohl die Fülle an Maler-vor-Staffelei-Bildern in der didaktischen und religiösen Emblematik des 17. Jahrhunderts beachtlich ist), aber einige schlichte Grundgedanken der zeitgenössischen Kunstauffassung hätten doch nicht außer Acht bleiben dürfen, z.B. das in den Biographien von Genremalern von De Bie bis Houbraken omnipräsente "zo de man, zo het werk" oder die Rolle des Lebensalters [5].

Die im 7. Kapitel eröffnete Frage nach dem Erfolg der Atelierbilder bei den Sammlern und auf dem Kunstmarkt musste gestellt, aber aus Mangel an verwertbaren Informationen über Käufer, Produktionszahlen und Preise auch offen für Spekulationen bleiben. Spärliche Hinweise deuten auf "artist's art", die möglicherweise auch im Sinne von Werbung (auch zur Anwerbung von Malernachwuchs?) fungiert haben könnte. Die Möglichkeiten einer kunsthistorischen Einordnung in das Themenspektrum der Genremalerei wurden leider nicht genutzt. Nach meiner Überzeugung sind die Atelierbilder nicht den seltenen Handwerkerdarstellungen zuzuordnen sondern stehen in der Nähe der Bilder von Gelehrten und Alchemisten, sowohl als Vertreter einer "vita contemplativa" wie in der Ausstattung mit Studienmaterial und sogar in ihrem vergleichbaren zahlenmäßigen Anteil. Ebenfalls unzulänglich berücksichtigt wurde die Genese des Bildtyps: neben den St. Lukas-Bildern gab es im 16. Jahrhundert zumindest in der Graphik auch profane Malerdarstellungen (u. a. bei Pieter Bruegel d. Ä. und Marcus Gheeraerts).

Katja Kleinert kann uns aber versichern, dass am Anfang der holländischen Atelierbilder kein Geringerer als Rembrandt selbst stand (Kat. Nr. 58, 1628/9, Boston, Museum of Fine Arts). Dass Rembrandts Geniestreich, ein Duell zwischen dem Maler und seiner Bildtafel auf dramatisch beleuchtetem Schauplatz, in programmatischer Weise die Einheit von Idee und Ausführung postuliert [6], bleibt freilich außerhalb ihres Horizonts.

Als Überblick und Dokumentation der niederländischen Atelierbilder des 17. Jahrhunderts und als fundierte Untersuchung ihres Realitätsgehaltes füllt das Buch von Katja Kleinert eine wichtige Forschungslücke und ist als lange erwartetes Desiderat zu begrüßen. Auf seiner Grundlage kann die Frage nach dem "Image" und der "Image-Bildung" des niederländischen Malers mit verbesserten Erfolgsaussichten weiterverfolgt, darf aber auch neu gestellt werden.

Anmerkungen:
[1] So der Titel einer sehr informativen Ausstellung, die 2002 in München und Köln gezeigt wurde, Katalog hrsg. von Ekkehard Mai und Kurt Wettengl, Edition Minerva, Wolfratshausen 2002.

[2] "Hoe schilder hoe wilder" lautete etwa ein solcher Vorbehalt, den noch Adriaen van der Werff bei seinen Eltern überwinden musste, um eine Malerlehre antreten zu dürfen. Vgl. Katalog Nr. 45 und 47.

[3] Die Angaben zu Malmaterialien und der Präparierung der Bildträger wären durch (vielfach auch publizierte) praktische Befunde von Gemäldeuntersuchungen zu differenzieren, zu korrigieren und zu ergänzen.

[4] Vgl. Hans-Joachim Raupp, Untersuchungen zu Künstlerbildnis und Künstlerdarstellung in den Niederlanden im 17. Jahrhundert. G. Olms-Verlag, Hildesheim u. a. 1984.

[5] Vgl. Hans-Joachim Raupp, Der alte Künstler und das Alterswerk, in: Ausstellungskatalog "Bilder vom alten Menschen in der niederländischen und deutschen Kunst 1550-1750", Braunschweig, Herzog Anton Ulrich-Museum, 1994, S. 87-97.

[6] Vgl. Karel van Mander, Den grondt der edel vry schilder-const, uitgegeven en van vertaling en commentaar voorzien door Hessel Miedema, Utrecht 1973, Bd. 1 cap. XII, Bd. 2, S. 588-608; Ernst van de Wetering, Rembrandt. The painter at work. Amsterdam 1997.

Kleinert, Katja: Atelierdarstellungen in der niederländischen Genremalerei des 17. Jahrhunderts. realistisches Abbild oder glaubwürdiger Schein? (= Studien zur internationalen Architektur und Kunstgeschichte), Petersberg: Michael Imhof Verlag 2006
ISBN-13: 978-3-86568-114-0, 367 S. zahlr. Ill., EUR 69.00, EUR 70.95 (AT)

Empfohlene Zitation:
Raupp Hans-Joachim: [Rezension zu:] Kleinert, Katja: Atelierdarstellungen in der niederländischen Genremalerei des 17. Jahrhunderts. realistisches Abbild oder glaubwürdiger Schein? (= Studien zur internationalen Architektur und Kunstgeschichte), Petersberg 2006. In: ArtHist.net, 17.01.2009. Letzter Zugriff 24.04.2024. <https://arthist.net/reviews/242>.

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