REV May 9, 2021

Schweizer, Yvonne: Flimmern. Bewegtbilder in Kunstausstellungen um 1970

Reviewed by Birgit Eusterschulte, Freie Universität Berlin
Editor: Henry Kaap
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Mit größter Selbstverständlichkeit begegnen wir heute den unterschiedlichsten Medienformaten im Museums- und Ausstellungskontext. Für die Präsentation von Film- und Videokunst zeigen sich dabei seit den 1990er Jahren vor allem die Blackbox und Formen der kinematografischen Installation als dominierende Modelle, die mit einem Perfektionismus musealer Displays einhergehen, der kaum konträrer zu den Anliegen früher Bewegtbilder in Ausstellungen um 1970 sein könnte. Die Veränderungen historischer Präsentationspraxis vom gewollt „Unperfektionierten“ (Karl Ruhrberg) und Improvisierten einer Kunstpraxis hin zur Standardisierung und Musealisierung bewegter Bilder nur wenige Jahre später stellt Yvonne Schweizer in ihrer Studie vor. Vor dem Hintergrund einer heute schwindenden Differenz, in der im Ausstellungskontext Film- wie Videoproduktionen als digitale Kopien und Projektionen zunehmend unabhängig von der Dunkelheit des (Kino-)Raums gezeigt werden können, stellt der Nachvollzug eines komplexen Prozesses der Aufnahme von Film- und Videokunst in den Ausstellungsraum und die Einbettung in die zeitgenössischen Diskurse um ‚Kunst als Praxis‘ und die ‚Zukunft des Museums‘ einen grundlegenden Beitrag zur Auseinandersetzung mit der historischen Präsentationspraxis von Bewegtbildern dar.

Die Studie setzt mit zwei kurzen fiktiven Szenen ein, die die Leser:innen unmittelbar in zwei unterschiedliche Präsentationen einer TV-Installation von Nam June Paik führen: einmal in die heute legendäre Ausstellung Exposition of Music. Electronic Television in der Galerie Parnass in Wuppertal 1963, „mit der das materielle Flimmern und Knistern der elektronischen Kiste ausstellungswürdig wurde“ (15), dann in die erste Retrospektive des Künstlers im Kölnischen Kunstverein 1976. Anhand dieser fiktiven Szenen werden zwei unterschiedliche Ausstellungs-Settings und damit verbundene Erfahrungssituationen konfrontiert. Während 1976 Paiks Zen for TV als gelabeltes Einzelwerk im Rahmen einer retrospektiven Ausstellung gezeigt wird, ist dieses in Exposition of Music. Electronic Television 1963 noch Teil eines raumfassenden, multisensorischen Ensembles. Die Studie macht es sich zur Aufgabe, historische Präsentationspraktiken bewegter Bilder zu rekonstruieren und Bedingungen und Prozesse der Aufnahme in Ausstellungsinstitutionen zu untersuchen, und nimmt die Ausstellungspraxis im Zeitraum von 1963 bis 1977 zwischen Experiment und Institutionalisierung in den Blick. Sie orientiert sich dazu an einer Auswahl von Ausstellungen der BRD, die – so die These – einerseits die Diskurse der Zeit geprägt und zur Ausdifferenzierung späterer Präsentationskonventionen beigetragen haben und an denen sich andererseits „historische Debatten um die Verräumlichung von Bewegtbildern“ (22) – gespeist aus oft kontroversen Anliegen und Diskursen der Film- und Kunstszene – aufzeigen lassen.
Neben einer Einführung in die verwendeten Begrifflichkeiten für die Praxis des Vor- und Aufführens zeitbasierter Medienformate und die methodische Vorgehensweise nimmt Schweizer in der Einleitung eine systematische Verortung der Fragestellung in den zuletzt stark angewachsenen Forschungen zur Historiografie und Szenografie von Ausstellungen in der Kunstgeschichte wie in kuratorischen und museologischen Studien der letzten Jahre und mit Blick auf die Filmwissenschaften vor. Sie weist dabei die vorliegende Untersuchung zur historischen Aufführungspraxis von Bewegtbildern um 1970 als ein kaum bearbeitetes Forschungsfeld aus, insofern der Fokus sich bisher zumeist auf „Displays statischer Bilder“ (18) im Kontext von Ausstellungen richtete.
Die folgenden Kapitel sind der Untersuchung einzelner Ausstellungskomplexe gewidmet, an denen sich Veränderungen räumlicher Settings und Modelle der Präsentation von Film- und Videokunst in Ausstellungen besonders prägnant abzeichnen. Schweizer ordnet ihnen die Begriffe Prototyp, Pilotserie und Produktpalette zu und unterstreicht damit einerseits die sich in wenigen Jahren um 1970 vollziehende Standardisierung der Präsentation von Film und Videokunst und spielt andererseits auf die formierenden Ökonomien des Kunstbetriebs auf dem Weg zum erfolgreichen und ausstellbaren Produkt an.
Als Prototyp eines Ausstellens von Bewegtbildern, dessen Präsentationsmodi sich für spätere Ausstellungspraktiken als grundlegend erweisen und der zugleich in Kontinuität zu den Experimenten der historischen Avantgarden mit Filmbildern in Ausstellungen steht, widmet sich das zweite Kapitel der bereits erwähnten Ausstellung Exposition of Music. Electronic Television von Nam June Paik aus dem Jahr 1963. In der Analyse des räumlichen Settings des TV-Raums bestimmt Schweizer diesen als Modell eines geschlossenen Ereignisraums und fokussiert damit im Unterschied zu objektorientierten Analysen das räumliche Ensemble. Wenngleich das multimediale und -sensorische Ereignis der Ausstellung anhand fotografischer Dokumente kaum zu rekonstruieren ist, legt Schweizer anschaulich dar, dass insbesondere der sogenannte Fernsehraum in Paiks Ausstellung „das Flimmern und Rauschen der Bilder und ihrer Apparaturen“ (36) im Raum zur Aufführung bringt – und damit ein neues Format des Ausstellens vorstellt, dessen Parameter prägend sind für spätere kinematografische Installationen.
Dem Prototyp im Sinne eines frühen Entwicklungsstadiums des Zeigens von bewegten Bildern in Ausstellungen folgt im dritten Kapitel die Diskussion der Ausstellung Prospect ’71: Projection in der Düsseldorfer Kunsthalle 1971 unter dem Begriff der Pilotserie. Als eine solche kann diese Ausstellung nach Schweizer gelten, da sie auf das Spektrum der um 1970 verfügbaren Bewegtbilder zurückgreift und als eine der ersten Ausstellungen verschiedene Präsentationsformen von Film und Video in einem offenen und flexiblen Raumkonzept umsetzt. Die Organisatoren der Ausstellung Prospect, die 1968 als Gegenveranstaltung zum Kölner Kunstmarkt erstmals stattfand und in der Ausgabe von 1971 ausschließlich projizierte Werke (Film, Video, Dia) zeigte, entwickelten ein Raumkonzept, das sich pragmatisch an den apparativen Gegebenheiten orientierte und zugleich die Präsentation von Bewegtbild in das System Ausstellung einzupassen versuchte. Wenn der damalige Kunsthallendirektor Karl Ruhrberg feststellt, das „Unperfektionierte der Produktion“ (75) drücke sich in der Präsentation aus, dann liest Schweizer in der improvisierten Ästhetik auch eine bewusste Setzung. Diese soll die Progressivität von Prospect ’71 und das Ausstellen einer Kunst als Praxis hervorheben und macht Produktionsprozesse, technische Apparaturen, Verkabelungen und Aufbauten sowie die operationalen Elemente des Vorführens zum Bestandteil des Ausstellens und des räumlichen Settings. Das in den Ausstellungsraum integrierte Kino, Bewegtbilder im Raum und Bewegtbilder in räumlicher Anpassung für den Raum systematisiert Schweizer als drei Modelle, die hier in einer flexiblen Ausstellungsarchitektur experimentell verknüpft werden. Gerade die simultane Anordnung von Bewegtbildern und Sound samt der technischen Apparaturen im Raum stellte für das Publikum um 1970 eine neue, auch herausfordernde Präsentationsform dar, in der es sich bei „selbstgewählter Zeitökonomie“ (98) im Raum bewegt; als Bewegtbilder für den Raum fasst Schweizer hingegen solche Raumkonzepte, die mit einer vom Künstler festgelegten Inszenierung der bewegten Bilder und räumlichen Anpassungen arbeiten, einer Form, für die sich in den folgenden Jahren der Begriff der Installation mehr und mehr etablieren wird.
Unter dem Titel Produktpalette schließlich diskutiert das vierte Kapitel die documenta 6 1977, die insofern als eine Art Testbetrieb für die museale Präsentation von Bewegtbildern verstanden werden kann, als das „Museum der 100 Tage“ Lösungen für einen Dauerbetrieb erforderte. Von ihrem künstlerischen Leiter Manfred Schneckenburger selbst war diese documenta mit dem Image einer Medien-Documenta versehen worden, wenngleich die Ausstellung letztlich nicht mit einem medienübergreifenden Konzept arbeitete, sondern Film, Experimentalfilm und Video in getrennten Abteilungen zeigte. Schweizer arbeitet hier heraus, wie das vergleichsweise junge Medium Video sich gegenüber dem Film durchsetzen konnte und die von Wulf Herzogenrath verantwortete Abteilung Video dem Wunsch der documenta-Leitung nach Verstetigung und einem „für die Besucher zeitökonomisch handhabbaren Ausstellungsparcours“ (147) aus Videoinstallationen und Videoskulpturen nachkommt und der musealen Einpassung Vorschub leistet. Dies wird in Schweizers Darstellung mit Blick auf die Abteilung Experimentalfilm besonders deutlich, die anders als die Abteilung Video keine permanent ausstellbaren und somit leicht konsumierbaren ,Produkte‘ präsentierte, sondern mit einem offenen und flexibel bespielbaren Raumkonzept mit wechselnden Programmen arbeitete. Die von Birgit Hein konzipierte Abteilung suchte zwar im Rahmen der documenta die strategische Nähe zur Kunstszene, kam aber, wie Schweizer zeigt, keineswegs den Konventionen des Ausstellens noch den Vorstellungen von ausstellbarer Kunst entgegen. Während die Diskussion um die Verräumlichung verschiedener Bewegtbild-Formate etwa noch auf der documenta 12 (2007) geführt wurde, verweist Schweizer abschließend auf die Notwendigkeit einer kontextsensiblen Re-Inszenierung aufführungsbasierter Medien in Ausstellungen (176).
Die Auswahl der diskutierten Ausstellungen, die in kontextualisierenden Analysen über die hier genannten hinausgeht, stellt die Institutionalisierung von Bewegtbildern im Ausstellungskontext um 1970 und damit einhergehender Ausschlüsse – etwa medienaktivistischer und alternativer Medienarbeit auf der d 6 – überzeugend und erkenntnisreich dar. Die Studie lebt von der anschaulichen Analyse und Rekonstruktion historischer Bewegtbild-Displays und räumlicher Konstellationen in Ausstellungen und der Verknüpfung mit den zum Teil kontrovers geführten Debatten unterschiedlicher Akteure der Kunst- und der Filmszene um 1970. Sie stellt damit selbst ein produktives Modell der Analyse historischer Aufführungspraxis von Film- und Videokunst im Ausstellungskontext vor.

Schweizer, Yvonne: FLIMMERN. Bewegtbilder in Kunstausstellungen um 1970, München: Edition Metzel 2018
ISBN-13: 978-3-88960-159-9, 196 Seiten, 32,00 Euro (DE), Inhaltsverzeichnis

Recommended Citation:
Birgit Eusterschulte: [Review of:] Schweizer, Yvonne: FLIMMERN. Bewegtbilder in Kunstausstellungen um 1970, München 2018. In: ArtHist.net, May 9, 2021 (accessed Apr 23, 2024), <https://arthist.net/reviews/24011>.

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