REV 17.03.2008

Petra ten-Doesschate Chu: The most arrogant man in France

Rezensiert von Matthias Krüger, München
Redaktion: Rainer Donandt
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Bereits Zeitgenossen galt Gustave Courbet als Aufschneider und Provokateur. Selbst die Kritiker, die dem Maler Courbet, jenen maître peintre aus Ornans mit seinen kraftvollen Impasti, applaudierten, distanzierten sich meist im gleichen Atemzug von dem Menschen Courbet, den die Karikatur gern als tölpelhaftes Großmaul aus der Provinz darstellte. So sehr dieses Image auch auf einer polemischen Überzeichnung beruhte, so wenig lässt sich bestreiten, dass der Künstler keine Gelegenheit verstreichen ließ, durch Skandale auf sein Werk und seine Person aufmerksam zu machen. Dieser forcierten Selbstdarstellung Courbets hat sich Petra ten-Doesschates Chu in ihrer Studie "The Most Arrogant Man in France. Gustave Courbet and the Nineteenth-Century Media Culture" angenommen.[1]

Im 19. Jahrhundert war die soziale Situation der Schriftsteller und Künstler unsicher geworden. Der freie Markt erlaubte ihnen zwar, sich von Hof und Kirche zu emanzipieren, doch bedeutete diese hinzugewonnene Autonomie zugleich ein neues, wenngleich abstrakteres Abhängigkeitsverhältnis gegenüber den Zwängen des Marktes. Chu zufolge war Gustave Courbet vermutlich der erste, der diese Ausgangslage, in der sich der "moderne Künstler" wiederfand, nicht nur akzeptierte, sondern sogar willentlich annahm, dem der Spagat gelang, einerseits seine künstlerische Unabhängigkeit gegenüber der Öffentlichkeit zu wahren und sich andererseits auf dem Markt zu behaupten (S. 2). Hier sieht Chu auch die Funktion von Courbets exzessiver Selbstdarstellung, in der sie zum einen eine Manifestation der vom Künstler in Anspruch genommenen künstlerischen Freiheit erkennt, zum anderen aber auch den Schlüssel für seinen ökonomischen Erfolg: "Controversy had brought him the celebrity on which he could cash in by submitting less controversial and more salable works" (S. 108).

Bei Chu ist Courbet also nicht mehr der naive Provinzler, zu dem ihn die französische Kunstkritik gerne abstempelte, sondern ganz im Gegenteil ein gewitzter Stratege, der sich immer wieder geschickt ins Rampenlicht der Öffentlichkeit zu bringen wusste, nicht zuletzt um damit den Marktwert seiner Gemälde zu steigern. Mit einer solchen Sichtweise setzt sich Chu, wenn auch unausgesprochen, von dem Courbet-Bild ab, das in den 1960er und 1970er Jahren von einer sozialgeschichtlich orientierten Kunstgeschichtsschreibung gezeichnet wurde.[2] Sah diese in Courbet vornehmlich einen politischen Revolutionär, erscheint es bei Chu so, als habe Courbet den Skandal nur um des Skandals bzw. des ökonomischen Vorteils willen gesucht. Zum künstlerischen und politischen Radikalismus Courbets heißt es bei ihr lapidar: "This outrageousness to Courbet is both medium and the message" (S. 14).[3] Dass damit auch der krude Realismus seiner Malerei, mittels derer der Künstler Salonkritik und -publikum so oft verstörte, in seiner künstlerischen Bedeutung abgewertet wird, scheint die Autorin stillschweigend in Kauf zu nehmen.

Wie bereits aus dem Untertitel ihres Buches hervorgeht, ist es Chu um das Verhältnis von Courbet und der zeitgenössischen "Media Culture" zu tun - einen Begriff unter dem Chu vor allem das Pressewesen versteht, dessen explosionsartiges Wachstum während des 19. Jahrhunderts sie facettenreich nachzeichnet. An dieses neue Leitmedium - so die zentrale These - habe sich Courbet in Marktstrategie und Bildrhetorik angelehnt.

Nachdem sie diese These im ersten Kapitel ihres Buches eingeführt hat, widmet sich Chu im zweiten Kapitel Courbets Selbstbildnissen. Hier geht es ums Posieren, um die Rollen und die Masken, in denen sich Courbet öffentlich zur Schau stellte und sein eigenes Image kreierte. Es ist wohl das stärkste Kapitel der Studie, auch wenn man bedauert, dass sich die Autorin allein auf Courbets Selbstdarstellung beschränkt und auf die Verballhornung seines Images in der zeitgenössischen Presse und der Karikatur nur en passant eingeht.[4] Nach den Selbstporträts widmet sich Chu den Bildnissen, die Courbet von berühmten Persönlichkeiten, meist der Bohème zugehörig, anfertigte. Auch mit diesen "celebrity portraits", so Chu, habe Courbet das vorrangige Ziel verfolgt, durch eine "strategy of association" vom Ruhm und Ruch der porträtierten Personen zu profitieren und dadurch seinen eigenen Namen bekannt zu machen. Damit überträgt die Autorin eine These, die Elisabeth McCauley bereits in Bezug auf Nadars Photographien berühmter Bohemiens aufgestellt hatte, auf Courbet.[5]

Das anschließende Kapitel über die Rhetorik von Courbets Skandalbildern beginnt mit Überlegungen zur Ironie, in der die Autorin die vielleicht wichtigste Waffe der Publizistik sah, die Zensur zu umgehen. Dass auch Courbet Ironie einsetzte, weist Chu anhand einiger Bildbesprechungen plausibel nach - besonders augenfällig wird sie etwa im Bild der "Badenen", das Chu überzeugend als Persiflage des akademischen Aktbildes interpretiert. Die beiden abschließenden Kapitel schließlich fragen nach den Zielgruppen, die Courbet mit seiner Malerei zu erreichen suchte. Im fünften Kapitel, das den etwas skurrilen Titel "bisextuality" (sic!) trägt, geht es um die unterschiedlichen Lesearten von Courbets Werken je nach Geschlecht des Betrachters. Das sechste Kapitel verfolgt schließlich die These, dass die verschiedenen Genres, die Courbet in seiner Malerei bediente, auf unterschiedliche Käuferkreise ausgerichtet gewesen seien, ähnlich den verschiedenen, ein breites Leserspektrum abdeckenden Rubriken einer Zeitung.

Dass das Pressewesen einen erheblichen Einfluss auf die zeitgenössische Malerei ausgeübt hat, ist sicherlich als Feststellung richtig. Schon allein Anzahl und Länge der in der Tages- und Fachpresse erschienenen Salonberichte deutet auf die enge Verschränkung beider Bereiche. Die Überlegung, ob und inwieweit sich auch die Salonmalerei an dem neuen Leitmedium Zeitung zu kalibrieren hatte, ist nicht ohne Reiz. Doch fragt man sich, ob die Autorin ihre These nicht überspannt, wenn sie etwa schreibt: "The Salon was a public forum not unlike the newspaper, in which artists competed for public attention" (77). Entsprechend meint sie auch strukturelle Analogien zwischen dem Aufbau einer Tageszeitung und dem Werk Gustave Courbets erkennen zu können. Demnach komme Courbets skandalträchtigen Salonwerken eine ähnliche Aufgabe wie dem Aufmacher einer Zeitung zu, habe doch Courbet mit ihnen in erster Linie Aufmerksamkeit auf sich und sein Werk zu ziehen beabsichtigt. Dagegen seien seine unspektakulären Jagd- und Landschaftsbilder dazu gedacht gewesen, seinen Lebensunterhalt zu sichern. Sie werden von Chu mit Artikeln über Sport, Mode und Reisen verglichen, welche die hinteren Seiten der Tageszeitungen füllten und mit denen eine Reihe mit Courbet befreundeter Schriftsteller ihr Geld zu verdienen pflegten (S. 140 f.).

Ob sich allerdings ein Salongemälde derart geschmeidig mit der Titelseite einer Tageszeitung gleichsetzen lässt, ist wohl zu hinterfragen. Das Salongemälde war ja an einen Ort - nämlich den Salon - gebunden, während eine Zeitung allerorts gelesen werden konnte. Gewiss, auch Bilder konnten dank der neuen Reproduktionsmöglichkeiten in bis dato unbekannter Weise in Zirkulation gebracht werden, doch war es wiederum gerade diese Entwicklung, die entscheidend zur allmählichen Bedeutungserosion der Institution des Salon beitrug. Chu geht auf die durch die neuen Reproduktionstechniken angefachte Zirkulation von Bildern nur kurz und einzig im Zusammenhang mit Courbets "celebrity portraits" ein (S. 67 f.). Tatsache ist indes, dass Courbet die Öffentlichkeit vor allem über Ölgemälde zu erreichen suchte, die er im Salon oder auf den beiden von ihm anlässlich der Weltausstellungen von 1855 und 1869 organisierten Ausstellungen zeigte. Zu diesem Zeitpunkt hatten allerdings eine Reihe anderer Künstler längst damit begonnen, die ihnen durch die technische Reproduzierbarkeit dargebotenen Möglichkeiten effektiv für die Popularisierung ihrer Werke zu nutzen. Hier ist vor allem Léon Gérôme zu nennen - von Zeitgenossen gern als Gegenspieler Courbets herausgestellt, von Chu jedoch mit keinem Wort erwähnt - der durch die photographischen Reproduktionen seiner Gemälde und ihren Vertrieb durch den Kunsthändler Goupil einen neuen und sehr lukrativen Markt für seine Bilder erschließen konnte.[6] An seinem Beispiel hätte sich leicht zeigen lassen, inwieweit die technische Vervielfältigung den Charakter der Malerei veränderte - und dies sowohl formal als auch thematisch. Die in Gérômes Werk konstatierbare Dominanz von antiken und orientalischen Sujets, die sich der Kategorie ‚Sex-and-Crime' zuschlagen lassen, dürfte in einer wesentlich engeren Verwandtschaft zu den in der Tagespresse so beliebten Fortsetzungsromanen stehen als - wie Chu dies nahe legt - die Malerei eines Gustave Courbet. Doch gehört es zu den Schwachstellen von Chus Buch, dass die Autorin nahezu gänzlich darauf verzichtet, die Selbstvermarktungsstrategien Gustave Courbets mit denen anderer zeitgenössischer Künstler zu vergleichen. Neben Léon Gérôme hätte sich hier auch Ernest Meissonier als Kontrastfolie angeboten, ebenso wie dieser ein Künstler, der im Horten von Ruhm und Geld Courbet mehr als die Waage halten konnte.[7]

Schwerwiegender ist es jedoch, dass Chus Vergleich zwischen Courbets Malerei und dem Zeitungswesen immer wieder der Gefahr erliegt, die Eigenheiten des jeweiligen Mediums zu negieren. Die spezifischen malerischen Qualitäten, die Courbet den Ruf eines Meistermalers (maître-peintre) einhandelten, ein Prädikat, dass der Künstler selbst lancierte, werden von Chu geradezu unterschlagen, wenn sie meint, bei Courbet eine "primacy of the verbal over the visual, of text over image" feststellen zu können.[8] Man mag es der Übersetzerin von Courbets Briefen verzeihen, wenn Sie in ihrer Studie ein größeres Interesse an der Verbalität als an der Visualität des Künstlers an den Tag legt. Doch hätte es der aufs Wort fixierten Autorin doch kaum entgehen dürfen, welchen Stellenwert nicht nur die zeitgenössische Presse, sondern auch die Forschungsliteratur der Maltechnik Courbets einräumten - hier sei nur an Klaus Herdings Aufsatz "Farbe und Weltbild", Michael Frieds Buch "Courbet's Realism" oder in jüngerer Zeit Paul Galvez` Artikel "Courbet`s touch" erinnert.[9] Tatsächlich geht Chu gelegentlich durchaus auf Courbets Malweise ein. Offenbar variierte Courbet die Faktur seiner Bilder je nach Geschmack seines Auftraggebers. Chu zitiert in diesem Zusammenhang aus einem Brief Courbets, in welchem er seinen Agenten die Anweisung gibt, eine Ausstellung in Wien mit pastos gemalten, seriösen Bildern zu beschicken, eine Londoner Ausstellung hingegen mit lieblichen Sujets (S. 148). Dagegen scheint Chu das Provokationspotential, welches auch die Malweise Courbets in sich barg, nicht wahrzunehmen. Vor allem Courbets exzessive Verwendung des Palettmessers für das Auftragen von Farbe löste bei der Kritik heftige Kontroversen aus. Die ‚peinture au couteau’ (Messermalerei) musste schon deshalb als Angriff auf den hehren Status der Kunst gesehen werden, weckte doch das Auftragen der Farbe mittels des Messers Assoziationen an einen mit der Kelle hantierenden Maurer und rückte die Malerei damit in die Sphäre niederer Arbeit - ganz im Sinne von Courbets dezidierter Absicht, die Kunst in die Gosse zu führen. Nicht umsonst wird ja die Maurerkelle in der zeitgenössischen Karikatur zu einem der festen Attribute des Künstlers. Auch das Palettmesser hätte daher in eine Untersuchung von Courbets Publizitätskampagne in eigener Sache gehört, zumal vor dem Hintergrund der zeitgenössischen "Media culture".

Versäumnisse dieser Art sind umso bedauerlicher, als das Thema, dass sich Chu für ihre Untersuchung gesteckt hat, von der Forschung bislang nur ansatzweise aufgearbeitet worden ist.

Anmerkungen:

[1] Wie en vogue das Thema derzeit ist, zeigt das gleichzeitige Erscheinen der Stuttgarter Dissertation von Stefan Borchardt: Heldendarsteller. Gustave Courbet, Èdouard Manet und die Legende vom modernen Künstler, Berlin 2007, die ebenfalls die Selbstvermarktungsstrategien Gustave Courbets ins Visier nimmt. Obgleich Chus als Titel gewählte Selbstdefinition Courbets als "arrogantester Mann von Paris" Courbets Selbstinszenierung weit treffender beschreibt als die zweifelhafte Rede von einem "Heldendarsteller", liest sich Borchardts Studie in vielen Punkten wie ein Korrektiv zu Chus Buch.
[2] Siehe vor allem Linda Nochlin: Gustave Courbet. A study of style and society, New York (u.a.) 1976; Timothy J. Clark: Image of the people. Gustave Courbet and the 1848 Revolution, London 1973; und die einschlägigen Aufsätze von Klaus Herding (die wichtigsten finden sich versammelt in: Klaus Herding: Courbet. To venture independence, New Haven (u.a.), 1991).
[3] In diesem Zusammenhang wäre eine Diskussion des im kunstkritischen Diskurs des 19. Jahrhunderts so zentralen Begriffs der Aufrichtigkeit (oder fr. sincérité) sinnvoll gewesen. Ausgiebig diskutiert werden Fragen der Gesinnungsethik dagegen bei Stefan Borchardt (Borchardt, wie Anm. 1).
[4] Wer zu diesem Aspekt mehr erfahren möchte, findet in der eingangs erwähnten Arbeit von Stefan Borchardt mehr (Borchardt, wie Anm. 1), grundlegend bleiben hier die Aufsätze von Klaus Herding; siehe insbesondere Klaus Herding: Erlöser und Scharlatan, Zerstörer und Märtyrer. Zur Rolle Courbets, in: Realismus als Widerspruch. Die Wirklichkeit in Courbets Malerei, Frankfurt/M. 1978, 2. Aufl. 1984, 12-20; ders. Courbets Modernität im Spiegel der Karikatur, in: Courbet und Deutschland, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle, Hamburg (u.a.), hrsg. von Werner Hofmann in Verbindung mit Klaus Herding, Köln 1978, S. 501-521.
[5] Elisabeth Anne McCauley: Industrial madness. Commercial photography in Paris. 1848 - 1871, New Haven u. London, 1994, S. 105-148 ("Nadar and the Selling of Bohemia").
[6] Ausst.-Kat.: Gérôme et Goupil. Art et enterprise, Bordeaux, Musée Goupil, Paris 2000.
[7] Sinnvoll wäre auch der Vergleich mit Edouard Manet gewesen, wie ihn etwa Stefan Borchardt, durchaus erhellend, in seiner Studie durchführt (Borchardt, wie Anm. 1).
[8] Vielleicht erklärt die erstaunliche Behauptung, Courbets Gemälde seien "conceptual rather than perceptual" (S. 16) die kuriose Idee, "Rekonstruktionen" zweier nie ausgeführter Bildideen Courbets unter die Abbildungen zu mischen (S. 110, Abb. 85 und S. 135, Abb. 102).
[9] Klaus Herding: Farbe und Weltbild, in: Ausst.-Kat.: Courbet und Deutschland (wie Anm. 3); Michael Fried: Courbet's Realism, Chicago (u.a.) 1990; Paul Galvez: Courbet's touch, in: Frances Fowle (Hrsg.): Soil and stone. Impressionism, urbanism, environment, Aldershot u.a. 2003. S. 17-31.

Petra ten-Doesschate Chu: The Most Arrogant Man in France. Gustave Courbet and the nineteenth-century media culture, Princeton [u.a.]: Princeton University Press 2007
ISBN-13: 978-0-691-12679-1, X, 238 S, alk. paper

Empfohlene Zitation:
Matthias Krüger: [Rezension zu:] Petra ten-Doesschate Chu: The Most Arrogant Man in France. Gustave Courbet and the nineteenth-century media culture, Princeton [u.a.] 2007. In: ArtHist.net, 17.03.2008. Letzter Zugriff 28.03.2024. <https://arthist.net/reviews/24>.

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