REV 06.02.2003

Sammelrezension: Architektur als Text

Rezensiert von Meinrad von Engelberg
Redaktion: Rainer Donandt

Die beiden hier vorgestellten Paperbacks aus dem Hause Routlegde verfolgen ein gemeinsames Ziel: Sie wollen nachweisen, dass "Architektur" weniger eine Konstruktion aus Baumaterialien als aus Worten und Bildern sei. Kester Rattenbury, freie Journalistin und Lehrerin an der University of Westminster, deutet "Architektur" (im Unterschied zum Gebaeude oder dem Bauen) als "Media construction"; Dana Arnold, Professorin fuer Architekturgeschichte an der University of Southampton, liest Architektur als "Text", dessen verschiedene Auslegungen der eigentliche Gegenstand ihres Faches sei. Rattenbury und Arnold koennen somit methodisch den "new cultural studies" zugerechnet werden, welche die "poststrukturalistische" (Arnold S. 1) Diskursanalyse als das eigentliche Betaetigungsfeld einer interdisziplinaer ausgerichteten Kulturwissenschaft betrachten. Thema beider Baende sind nicht Bauwerke, sondern deren "Bilder" bzw. "Lesarten" in den Koepfen der Betrachter.

"This is not architecture" schreibt Kester Rattenbury zutreffend unter das Coverfoto des Bandes, das den Barcelona-Pavillon Mies van der Rohes zeigt. Magrittes beruehmtes Bild einer Pfeife [1] paraphrasierend weist sie darauf hin, dass gerade diese in allen Koepfen praesente Inkunabel der modernen Architektur nur von wenigen Menschen jemals als Gebaeude wahrgenommen werden konnte, weil der originale Bau nach dem Ende der Weltausstellung 1930 sofort wieder abgerissen wurde und keine Originalplaene mehr erhalten sind. Die Fotos (S. 86f), die waehrend der kurzen Lebensdauer des Pavillons entstanden, wurden aber so beruehmt, dass das Bauwerk 1992 als "Hard-Copy" seiner "Media Representation" am urspruenglichen Ort wiedererstand. Andere Beispiele ungebauter, aber dennoch nachhaltig wirksamer "Architektur" sind die Stiche Piranesis oder Boullées unausfuehrbare Entwuerfe (im Buch nicht thematisiert); als Zwischenphaenomen kann Zaha Hadid gelten, die zuerst mit ihren eher an freie Grafik als an Planzeichnungen gemahnenden "iconic pictures" beruehmt wurde, bevor sie erste Bauten realisieren konnte (S. 71). In der Einleitung weist Rattenbury zurecht darauf hin, dass die Scheidelinie zwischen kanonischer "hoher Architektur" und "Allerweltshaeusern" vor allem durch die Medienpraesenz ihrer Abbildungen determiniert wird. Nur das, was Pevsner oder Arch+ der Wuerdigung wert erscheint, wird auch von Fachkollegen und Publikum als "Architektur" rezipiert (XXIIf).

"This is not architecture" zeichnet sich durch eine erfreulich straffe, gut nachvollziehbare Konzeption aus und vermeidet somit den Fehler vieler anderer Sammelbaende, allzu Disparates nach fuer den Leser unergruendlichen Gesetzen aneinanderzureihen. Rattenbury teilt die 18 Aufsaetze in vier thematische Abschnitte: Eine "Geschichte der virtuellen Realitaet" (Bildformen wie Perspektive, Fotografie und Film), der Einfluss des Darstellungsmodus auf den Entwurf (vom "iconic picture" bis zum Videospiel), unterschiedliche Publikationsformen (von der Architekturzeitschrift bis zum Fernsehen) und schliesslich vier Beitraege zur Architekturtheorie. Der "Apparat" des Buches - Einfuehrungen der Herausgeberin zu jedem Abschnitt, Register, Abbildungsnachweise, Kurzbiographien der Autoren - ist vorbildlich; ergaenzend haette man sich noch eine Auswahlbibliographie zum Thema gewuenscht.

Die behandelten Beispiele sind von einem gewissen Anglozentrismus gepraegt: So spielt die Postmoderne (Charles Jencks, S. 174-198) eine fuer deutsche Verhaeltnisse erstaunlich grosse Rolle, auch wenn Sie "seit der Vollendung von Eurodisney nur noch in Buechern ihren Platz findet" (Paul Finch, S. 201). Die dank der Wortfuehrerschaft von Prince Charles auch ausserhalb der Fachwelt vielbeachtete Debatte um den britischen Neohistorismus z.B. eines Quinlan Terry wird von der Herausgeberin als Medienphaenomen beleuchtet; Rattenbury legt ueberzeugend dar (S. 136-156), dass dieser Streit nach den Regeln des Medienmarktes, nicht aber als architekturtheoretischer Diskurs gefuehrt wurde, indem die ultrakonservative Position des Prinzen genau so lange breite Unterstuetzung in der Presse genoss, als sie, neu und spektakulaer, einen hohen Marktwert versprach. Aus deutscher Sicht haette man sicher einen Beitrag ueber den hierzulande besonders aktuellen Streit um die Reproduzierbarkeit zerstoerter Bauwerke gewuenscht, in dem "Bildhaftigkeit" und "Media representation" ebenfalls eine zentrale Rolle spielt. Das vormoderne Phaenomen einer reinen Papier-Architektur (vom St. Gallener Klosterplan bis zu den zahllosen Vitruv-Illustrationen) scheint zu wenig beachtet: Ein solcher Rueckblick haette gezeigt, dass die gegenwaertige Verunsicherung, ob eine noch so realistisch abgebildete "Architektur" tatsaechlich auch als "Gebaeude" existiert, keine revolutionaere Erfahrung des "PhotoShop-Zeitalters" ist (David Greene, S. 121ff), sondern vor der Erfindung der Fotografie (Ackerman, S. 26-36) in der Epoche des Kupferstichs geradezu die Regel war.

Wie bei Sammelbaenden ueblich, treffen nicht alle Beitraege gleichermassen gut das gewaehlte UEberthema, es seien darum einige besonders Lesenswerte hervorgehoben:

William J. Mitchell versucht in "the revenge of place" (S. 45-53) die gelaeufige These zu widerlegen, dass im Zeitalter von e-communication und virtuellen Welten der Ort selbst keine entscheidende Rolle mehr spiele. Er entwickelt als Beschreibung von Grenzphaenomenen die Modelle von "Vat-Ville" und "Swarm-City": Die "Kuebel-Stadt" dient dem Autor als Bild eines Netzwerks von Gehirnen in Wannen, die ueber Leitungen miteinander kommunizieren: Obwohl der Ort der Wannen und ihre Entfernung voneinander beliebig sind, werden sie sich doch auch Energieeffizienzgruenden zu Clustern buendeln. Die "Schwarm-Stadt" erlaubt dagegen ihren staendig mobilen Bewohnern, sich mittels Handy und SMS frei, aber dennoch zielsicher in voellig unbekanntem Terrain zu orientieren. Mitchell deutet den 11. September als Kollision dieser beiden Modelle, indem die "Vat-Ville" der Zwillingstuerme von Terroristen-Schwaermen zerstoert wurden. Die Zukunft liege daher in einer Abwaegung der Vorzuege und Nachteile beider Systeme, aus welchem der einmalige, unverwechselbare Ort trotz aller Gefaehrdungen als der eigentliche Sieger hervorgehen muesse, weil seine Qualitaeten weder durch niedrige Kommunikations- noch Mobilitaetskosten untergraben werde: New York oder Capri bewahren auch im "globalen Dorf" ihre Einmaligkeit.

Phillip Campbell (S. 110-119) beschreibt sein eigenes Berufsfeld, virtuelle Raeume fuer Computerspiele zu entwerfen, deren Gestaltung dazu dienen soll, den Spieler aufbauend auf ihm bekannten Bildstereotypen zu verunsichern, zu bestimmten Aktionen zu ermutigen oder ihn - je nach gewuenschtem Schwierigkeitsgrad - zu taeuschen, um ihn so "durch die 4. Wand hindurch in den Schirm hineinzuziehen" (S. 118).

Pierluigi Serraino vergleicht in "Framing icons - two girls, two audiences" (S. 127-135) zwei beruehmte Fotografien Julius Schulmans von Pierre Koenigs ueber L.A. schwebendem Haus Stahl (1960): Aus nahezu derselben Perspektive aufgenommen, zeigen sie das transparente Wohnzimmer einmal menschenleer, das andere Mal durch die Staffage zweier Maedchen in Pettycoats belebt. Serraino verfolgt nun die wechselnde Konjunktur beider Inszenierungen durch die Jahrzehnte und stellt fest, dass sie in jeweils verschiedenen Publikationsorganen reussieren: Waehrend die Fachblaetter das "unberuehrte" Gebaeude bevorzugen, waehlen die Publikumszeitschriften das einen bestimmten Lebensstil propagierende "Genrebild".

Beatriz Colomina untersucht schliesslich in ihrem 1988 erstmals publizierten Text "Architectureproduction" (S. 206-221) die interessante Frage, wer die eigentlichen "Kunden" von "Architektur" in der Gegenwart seien: Der Auftraggeber und die wenigen Nutzer eines Gebaeudes oder vielmehr die Abertausende, die eine "Ikone" wie z.B. Gehrys Guggenheim-Museum in Bilbao einzig und allein als Medienereignis wahrnehmen, ohne es je betreten zu haben: "The canon is, what gets written about, collected and taught" (S. 220).

Zusammenfassend kann man feststellen, dass Rattenburys Fragestellung hochinteressant ist, auch wenn die meisten Beitraege nicht zu grundstuerzend neuen Erkenntnissen fuehren. Das Buch veranlasst zum Weiterdenken, zum kritischen Hinterfragen der eigenen Wahrnehmung dessen, was man selbst fuer kanonische "Architektur" haelt und welchen Anteil die "Media construction" an der Entstehung dieses Bildes hat.

Dana Arnold verfolgt mit ihrem Sammelband "Reading Architectural History" ein ebenso komplexes wie ambitioniertes Vorhaben: Sie moechte nicht weniger als einen Meta-Diskurs (Einleitung, S. XVI) der Architekturgeschichtsschreibung anstossen, indem sie ein Thema - die englische Baugeschichte des 16.-18. Jahrhunderts - durch die Gegenueberstellung verschiedener Texte aus jeweils unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchtet. Es handelt sich bei den zwoelf Aufsaetzen des Buches nicht um Originalbeitraege, sondern um Neuabdrucke bzw. Kompilationen von Texten, die zwischen 1953 und 1995 entstanden. Die urspruenglichen Publikationsorte sind jeweils nachgewiesen (S. XIIIf), allerdings vermisst man die fuer eine historische Einordnung eines Textes essentielle Angabe der jeweils ersten Auflage oder bei uebersetzten Texten der Originalversion. Die zahlreichen Illustrationen des Buches wirken oft etwas beliebig und willkuerlich verteilt; aber ein Register sowie eine Auswahlbibliographie erleichtern die Orientierung.

Der Band will mehr sein als ein Reader zur englischen Architekturgeschichte: Durch die Koppelung von je zwei Texten - einem theoretischen und einem architekturhistorischen - unter einem Oberthema soll die methodische Vielfalt der "Lesbarkeit" von Architektur aufgezeigt werden. Arnold konfrontiert "kanonische" Autoren der britischen Kunstgeschichte wie Pevsner, Gombrich oder Summerson mit Vordenkern der Kulturgeschichte wie Barthes oder Foucault. Sechs Kapitel thematisieren die Leitbegriffe Architekturgeschichte, Autorenschaft, Stil, Sozialgeschichte, Architekturfuehrer (Guidebooks) und Geschlechterrollen (Gender). Jedes Kapitel beginnt mit einer Einleitung der Herausgeberin, welche in die behandelten Begriffe einfuehrt und die Texte verknuepft. Ziel des Buches ist es, die Architekturhistoriographie von ihrem traditionellen, an Ranke gemahnenden Selbstverstaendnis einer faktengesaettigten Beschreibung "wie es eigentlich gewesen" zu loesen; Arnold schlaegt statt dessen vor, "[to] read architecture as a text with a range of readings" (S. XI) - als Diskurs divergierender, ihrer Entstehungszeit verhafteter Lesarten, die ebenso viel ueber den jeweiligen Autor wie den betrachteten Gegenstand verraten. Die Herausgeberin nimmt in ihren den Textauszuegen vorangestellten Kommentaren meist eine dezidierte Position ein und bekennt sich zur postrukturalistischen Methodenvielfalt als Kritik der etablierten Architekturgeschichte, welche in ihren Augen lediglich "the construct of white European male subjects" (S. 13) und somit nur eine von vielen gleichberechtigten "narratives" darstellt.

Als Beispiel sei hier das zweite Kapitel zum Thema "Autorenschaft" (S. 35-83) vorgestellt. In ihrem einleitenden Text verweist Arnold auf die Tatsache, dass Bauwerke, die mit einem namentlich bekannten Architekten zu verbinden sind, groessere Beachtung in der Wissenschaft geniessen als anonyme, so dass eine Zu- oder Abschreibung die vermeintliche "Relevanz" eines Entwurfs fuer die Kunstgeschichte staerker beeinflussen kann als faktische Veraenderungen am ausgefuehrten Bauwerk. Hierauf folgt - als Beleg? - die Einleitung (eine Entwicklungsgeschichte des Architektenberufs in England) sowie zwei Artikel (Robert Adam und Decimus Burton) aus Sir Howard Colvins "Biographical Dictionary of British Architects 1600-1840" von 1954 (die Autorin zitiert die 3. Aufl. von 1995). Das Kapitel schliesst mit einem kanonischen Text des (Post-) Strukturalismus, Michel Foucaults "Was ist ein Autor?" (1969) in englischer UEbersetzung von 1979 [2]. Foucault deutet hierin die gelaeufige Annahme, jeder Autor sei der eigentliche und alleinige Urheber "seines" Textes, als ein Konstrukt der neuzeitlichen Diskurspraxis. Das Dogma, jeden Text lediglich als die Emanation eines einzelnen Individuums, eben des Autors, zu verstehen, fuehre de facto zu einer willkuerlichen Einengung moeglicher Interpretationsansaetze. Die Rueckschluesse, welche diese These Foucaults auf die Architekturgeschichte zulaesst, sind evident - aber der Leser muss sie nach Arnolds Gegenueberstellung selbst ziehen und bemerkt dabei, dass die gewonnene Erkenntnis fuer die Kunstgeschichte so neu nun auch wieder nicht ist: Denn wer wollte behaupten, dass ein Werk wie z.B. Michelangelos niemals realisiertes Juliusgrabprojekt lediglich Ausdruck der individuellen Persoenlichkeit des Bildhauers, und nicht ebenso seines Auftraggebers, des Rovere-Papstes, des Biographen Vasari sowie des Kunsttheorie- und Memorialdiskurses seiner und unserer Zeit sei? Die fuer die Literaturwissenschaften vielleicht anregende Erkenntnis, dass die Intention des Autors nicht der einzige plausible Schluessel zur Erklaerung eines "Textes" ist, kann fuer die Kunstgeschichte seit Jacob Burckhardt eigentlich als Binsenweisheit gelten.

Es zeigt sich, dass der "Hase" der New cultural studies, genannt lingustic turn, gelegentlich vom "Igel" der Kunstgeschichte mit den Worten ueberholt werden kann: "Ich bin schon da!" Dieses spannende Thema eroertert Arnold freilich nicht, sondern hofft vielmehr mit ihrem lockeren Diskurs aneinandergereihter Texte, der traditionellen Architekturgeschichte indirekt etwas mehr zeitgemaesses Methodenbewusstsein einzuhauchen. Dabei wird man den Verdacht nicht los, dass die theoretischen Texte "immer recht haben" und stets "aufgeklaerter" wirken sollen als die mit ihnen kombinierten, meist aelteren Beispiele der Fach-Kunstgeschichte. Die eigentlich zentrale Frage, ob, und wenn ja, wie die Thesen des Poststrukturalismus die Architekturgeschichtsforschung konkret bereichern oder reformieren koennen, wird dabei allenfalls implizit beruehrt.

Nicht immer kann die Zusammenstellung der Texte unter einem Oberthema ueberzeugen: Im vierten Kapitel "A class performance - social histories of architecture" (S. 122-171) wird ein Ausschnitt aus Marc Girouards anscheinend grundsolidem Buch "Life in the English country house" (1978) kombiniert mit einem Auszug aus Ernst H. Gombrichs "In search of cultural history" (1967). Gombrichs Reflexionen ueber die Auswirkungen des Hegelianischen Denkens auf die Kulturgeschichte des 19. und fruehen 20. Jh. lassen sich kaum sinnvoll als methodischer Kommentar zur vorangestellten empirisch-sozialhistorischen Studie verstehen. Im letzten Kapitel "Gender" (S. 199-218) wird das System der einander kommentierenden theoretischen und fachlichen Texte bewusst verlassen: Der interessante Aufsatz von Alice T. Friedman (1992) zur Frage, inwieweit die exponierte gesellschaftliche Stellung der Bauherrin Bess of Hardwick innovative Loesungen beim Bau ihres Landsitzes Hardwick Hall (1590-97, Architekt Robert Smithson) befoerdert habe, wird mit einem Text von Denise Scott Brown, der Ehefrau und Buero-Partnerin von Robert Venturi, kombiniert, indem diese sich ueber den Sexismus des derzeitigen Architektur-Starsystems beklagt (1989). Die latente Unterschaetzung der kuenstlerischen Leistung von Scott Brown durch die internationale Fachwelt ist sicher bedauerlich, traegt aber wenig zur Analyse der fruehneuzeitlichen Architektur in England bei, es sei denn, man schliesst sich der im Einleitungstext von Arnold zitierten Aussage Jennifer Blooms an: "Western architecture, is by its very nature, a phallocentric discourse; [..., sic!]." (S. 203).

Manche "Narratives" werden lediglich aneinandergereiht, ohne dass sie einer eingehenden Pruefung auf ihre Relevanz oder Aussagekraft unterzogen wuerden. In ihrer Einleitung zum dritten Kapitel "Histories of Style" (S. 83-126) stellt Arnold die diskussionswuerdige These vor, dass Stilvielfalt innerhalb einer Epoche stets der Ausdruck divergierender Klasseninteressen sei: "[...] implying that different formal elements represent the distinct ideologies of social classes." (S. 99). Der folgende Auszug aus John Summersons "Architecture in Britain" (1969) scheint dies implizit zu bestaetigen, indem der Autor einen direkten Zusammenhang zwischen dem Aufbluehen des englischen Neopalladianismus um 1700 und dem gleichzeitigen Sieg der Whig-Gentry ueber die "barock" gesinnte Aristokratie des Stuart-Hofes konstatiert (S. 109). Der zweite Text, ein sehr kurzer Auszug aus Nicos Hadjinicolaous "Art history and class struggle" (1973, engl. 1978), hat dieser These nichts konkretes hinzuzufuegen, sondern raeumt (ohne Bezug zur Architektur) vielmehr ein, dass "visual ideologies", wie Stile hier genannt werden, eher Untergruppen oder Schichten ("layers") der jeweils herrschende Klasse als verschiedenen Klassen zugeordnet werden koennen (S. 125). Arnold verzichtet in ihrem Einleitungstext auf die Bekraeftigung oder auch die explizite Widerlegungen dieser reichlich altmarxistisch anmutenden Lesart von Stilpluralismus als Klassenkampf: Vielleicht entspricht aber diese methodische Indifferenz gerade jener Forderung nach tendenzieller Gleichwertigkeit verschiedenster "Erzaehlungen" von Architekturgeschichte?

So entsteht der Eindruck eines durchaus disparaten Lesebuches, eines Diskurses, bei dem die Teilnehmer gelegentlich aneinander vorbeirreden - was noch nichts ueber die Qualitaet der Redebeitraege aussagt, sondern lediglich das Konzept der Diskussionsleiterin Arnold in Frage stellt: Methodenvielfalt und Offenheit sollte nicht mit Beliebigkeit und "anything goes" verwechselt werden. Wer Methodenbewusstsein fordert, sollte auch die epistemologische Tauglichkeit verschiedener Ansaetze diskutieren.

Vergleicht man beide Buecher, so scheint Rattenburys Sammelband bei aller Vielstimmigkeit dennoch geschlossener und anregender als Arnolds etwas zu persoenlich gefaerbte und gelegentlich beliebig wirkende "Meta-Erzaehlung".

[1] "Der Verrat des Bildes" mit der Inschrift Ceci n'est pas une pipe, 1928/29.

[2] "Qu'est-ce qu'un auteur ?" in: Bulletin de la société française de philosophie, Ed. Armand Collin, 22 février 1969, S. 75-104.

Rattenbury, Kester (Hrsg.): This is not architecture. Media constructions, London [u.a.]: Routledge 2002
ISBN-10: 0-415-23180-9, XXIV, 264 S

Arnold, Dana: Reading architectural history, London [u.a.]: Routledge 2002
ISBN-10: 0-415-25050-1, XVII, 229 S, £19.99

Empfohlene Zitation:
Meinrad von Engelberg: [Rezension zu:] Rattenbury, Kester (Hrsg.): This is not architecture. Media constructions, London [u.a.] 2002; Arnold, Dana: Reading architectural history, London [u.a.] 2002. In: ArtHist.net, 06.02.2003. Letzter Zugriff 24.10.2024. <https://arthist.net/reviews/237>.

Creative Commons BY-NC-NDDieser Text wird veröffentlicht gemäß der "Creative Commons Attribution-Noncommercial-No Derivative Works 4.0 International Licence". Eine Nachnutzung ist für nichtkommerzielle Zwecke in unveränderter Form unter Angabe des Autors bzw. der Autorin und der Quelle gemäß dem obigen Zitationsvermerk zulässig. Bitte beachten Sie dazu die detaillierten Angaben unter https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/deed.de.

^