REV Apr 20, 2020

Die Bossards in der Zeit des Nationalsozialismus; Bossard:Texte aus dem Nachlass

Reviewed by Rolf Keller
Editor: Livia Cárdenas
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Die Geschichte der Kunststätte Johann und Jutta Bossard in Jesteburg in der Lüneburger Heide kann in drei Perioden eingeteilt werden. In die erste fällt die Erbauung des Atelier- und Wohnhauses (ab 1913) und des Kunsttempels (ab 1926), mit deren Ausstattung in immer wieder neuen Variationen Johann Michael Bossard (geb. 1874 in Zug/Schweiz) mit Hilfe seiner ehemaligen Schülerin und späteren Gattin Jutta Bossard-Krull (geb. 1903) bis zu seinem Tod 1950 beschäftigt sein wird. Die zweite Periode umfasst die Zeit danach, in der die Künstlerwitwe die Kunststätte mit grossem Engagement bis zu ihrem Tod 1996 am Leben hielt und sie dem Publikum öffnete. In der Postmoderne wurde das Interesse am Gesamtkunstwerk neu erweckt. Ein bedeutender Beitrag dazu leistete die 1983 von Harald Szeemann kuratierte Zürcher Ausstellung „Der Hang zum Gesamtkunst“. Sie war eine wichtige Voraussetzung für die Ausstellung „Johann Michael Bossard. Ein Leben für das Gesamtkunstwerk“, die 1986 in Zug und Oldenburg gezeigt wurde. Zu dieser Zeit erschienen auch zahlreiche Beiträge über die Kunststätte in Zeitungen, Zeitschriften und im Fernsehen (ZDF, SRG). Bossard wurde übrigens weder in der „Gesamtkunstwerk“- Ausstellung noch in deren Katalog mit einem Wort erwähnt. Szeemann begründete das damit, dass er Bossard mehr Raum in einer späteren Ausstellung einräumen wollte. [1] Diese wurde dann 1991/92 im Kunsthaus Zürich unter dem Titel „Visionäre Schweiz“ realisiert.

1995 wurde die Stiftung Kunststätte Johann und Jutta Bossard Jesteburg gegründet, die nach dem Tod der Witwe unter professioneller Leitung den Museumsbetrieb mit Wechselausstellung und zahlreichen Veranstaltungen aufnahm. Sie kümmert sich auch um die Restaurierung und den Unterhalt der Gebäude und des Gartens. Eine weitere Aufgabe der Stiftung ist die Erforschung der Kunststätte und des künstlerischen Schaffen der Bossards. Es sind bereits einige Publikationen erschienen wie die Biografien des Künstlerpaares, Publikationen zum Kunsttempel, zu Kleinplastiken und zur Druckgrafik (im Internet). Mancher Besucher der Kunststätte wird sich angesichts der Themen aus der nordischen Mythologie gefragt haben, wie das Verhältnis der Bossards zum Nationalsozialismus war. Zwei Publikationen gehen dieser Frage nach: „Über dem Abgrund des Nichts.“ Die Bossards in der Zeit des Nationalsozialismus“ (Katalog der gleichnamigen Ausstellung) (zitiert als I) und „Johann Bossard: Texte aus dem Nachlass“ (zitiert als II). Die Beiträge und Kommentare sind von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus der Geschichte, Kunstgeschichte, Literatur- und Politikwissenschaft verfasst.

Nach einer entbehrungsreichen Jugend und Ausbildungszeit zuerst als Hafner in Zug, danach als Kunstmaler und Bildhauer in München (1895/96) und in Berlin (1899-1903) stellten sich für Bossard erste Erfolge ein. Das galt für seine Bronzeplastiken und Skulpturen zum Schmuck von Bauwerken und Grabmälern, die zuerst vom Neoklassizismus und dann vom Jugendstil geprägt sind. 1906 wurde er preussischer Staatsbürger, 1907 folgte seine Berufung als Lehrer an die Hamburger Kunstgewerbeschule. 1916-1918 leistete er freiwillig Militärdienst. Die Anstellung in Hamburg bot ihm soziale Sicherheit. Er identifizierte sich stark mit seiner neuen Heimat durch sein Interesse an der nordischen Kultur und deren Mythologie. Gudula Mayr weist auf den Stilpluralismus Bossards hin und bezeichnet diesen seit der ausgehenden Kaiserzeit als „akademisch-abbildhaft, idealisierend, expressionistisch, karikaturistisch oder auch abstrahierend und formauflösend“ (I 27). Erste expressionistische Werke sieht sie in den Köpfen, die Bossard seit 1917/18 schuf. Er stand aber während der Weimarer Republik weitgehend abseits vom offiziellen Kunstbetrieb. An zwei Wettbewerben, dem für das Tannenberg-Nationaldenkmal (1924/25) und dem für Glasgemälde (1925) beteiligte er sich erfolglos. Allerdings wird er neben dem Lehrerberuf mit der Kunststätte in der Lüneburger Heide auf einem Gelände von 30'000 qm genügend gefordert gewesen sein.

Bossard war Mitglied der Reichskulturkammer, um überhaupt berufstätig sein zu können. 1933/34 war er auch Mitglied des Nationalsozialistischen Lehrerbundes. Zwischen 1932 und 1934 ist eine gewisse Nähe zu dieser Partei festzustellen. In dem Brief an Herrn C. H. (1933) und weiteren Korrespondenzen begrüsste er ausdrücklich die Machtübernahme durch Hitler. Doch schon im Spätsommer 1934 gingen die Bossards auf Distanz zur Partei. Er wurde auch nicht deren Mitglied, obwohl er ab 1937 als Lehrer eigentlich dazu verpflichtet war.

Der Historiker Frank-Lothar Kroll analysiert differenziert Bossards Verhältnis zur nationalsozialistischen Weltanschauung aufgrund seiner „schriftlichen, insbesondere brieflichen Hinterlassenschaft“. Er ordnet dessen Bildprogramm und Ideenwelt „im weitesten Sinn völkisch-esoterischen Denktraditionen“ zu (I 84). Bossard war im geläufigen Sinn nicht modern, aber auch nicht „antimodern“. Kroll spricht von einer „anderen Moderne“. „Denn Bossard teilte durchaus die Erfahrung der Krisenhaftigkeit seiner Zeit und Umwelt, mit all ihren Entfremdungs- und Bedrohungspotenzialen angesichts einer zunehmend von Bindungslosigkeit und Entwurzelung geprägten Fragmentierung der individuellen Existenz.“ (I 84). In den Schriften Bossards finden sich zahlreiche Schnittmengen zum Nationalsozialismus, aber auch zu anderen Gruppierungen. Er setzt auch auf Erneuerung, aber nicht in einem biologisch-rassistischen und totalitären, sondern in einem ideellen, spirituellen und künstlerisch-kulturellen Sinn. Kroll weist darauf hin, dass Bossard das Rassenproblem eher künstlerisch als physiognomisch oder gestaltpsychologisch wie die Nationalsozialisten sah. Antisemitismus und Eroberungsphantasien in Richtung Osten waren ihm fremd. Ihn als eher unpolitisch zu bezeichnen, wie Kroll argumentiert, deckt sich aber nicht mit seinen Schriften, auch wenn die Kunst für ihn an erster Stelle stand.

Magdalena Schulz-Ohm entziffert im Eddasaal (1932-1935) des Atelierhauses die Edda-Sage aufgrund der damals verfügbaren literarischen Quellen in Bossards Bibliothek, die der Künstler eigenwillig interpretiert und die neben der Malerei teilweise auch in den Schnitzereien unter der Galerie fortgesetzt wird. Der am rechten Auge erblindete Bossard fühlte sich mit dem einäugigen Göttervater Odin verbunden. „Dieser hatte sein Augenlicht verpfändet, um eine tiefere Welterkenntnis zu erlangen, eine Gabe, die auch Bossard für sich in Anspruch genommen haben dürfte …“ (I 147). Dargestellt ist der Untergang der Götterwelt, aber auch die Neuschöpfung des Menschen. Die Ausgestaltung des Eddasaales ist kurz nach der Wiederwahl von Paul von Hindenburg 1932 zum Reichspräsidenten begonnen worden. Bossard sah damals in der aufkommenden NSDAP eine Partei, die den von ihm ersehnten Neubeginn auslösen könnte.

Bossard wie andere Lehrer beteiligten sich an der Ausschmückung des Schulgebäudes der Kunstgewerbeschule Hamburg (1913 eingeweiht), das so zu einem Gesamtkunstwerk wurde. Er wollte bereits 1911 mit seinen Kollegen ein weiteres Gesamtkunstwerk schaffen, was aber bei diesen auf kein grösseres Interesse stiess. 1912 und 1924 oder 1925 wurde im Museum für Kunst und die Gewerbe in Hamburg Ausstellungen mit Werken Bossards gezeigt. Sein Unterricht der Bildhauerklasse war konventionell und darauf bedacht, den Schülern das Handwerkliche und das Gestalterische zu vermitteln. Er lud einmal im Jahr seine Schüler in die Kunststätte ein, die dort einen ganz anderen Bossard kennenlernten. Manche kamen wieder und beteiligten sich an den Arbeiten für die Kunststätte. Neben seiner Tätigkeit als Lehrer galt sein obsessives Schaffen ganz dieser Stätte. „Die lebhafte Hamburger Kunstszene der 1920er Jahre blieb ihm weitgehend verschlossen, Kontakte in das gesellige Leben … kamen nicht zustande.“ wie Maike Bruhns feststellt (I 93/4). Die Zeit des Nationalsozialismus überstand Bossard mit etwas Glück, denn wegen der expressiven Bilder für die Kunststätte hätte er denunziert werden können.

Ohne Förderer wären der Bau und die Einrichtung der Kunststätte nicht denkbar gewesen. Die wichtigsten waren der Berner Augenarzt Dr. Emil Hegg, Helmuth Wohlthat und Theo Offergeld. Hegg entdeckte Bossard dank grafischer Blätter in einer Berner Buchhandlung und nahm 1907 mit ihm Kontakt auf. Der Satz „… Emil Hegg vertrat den Künstler ähnlich wie ein Galerist in der Schweiz, wenn auch nicht mit beruflich-professionellem Hintergrund, sondern mit unermüdlichem privatem Engagement“ von Janina Willems trifft zu. (I 122) Er bemühte sich um Verkäufe, Verkaufsausstellungen, Mäzene und publizistische Unterstützung. Er legte sich auch selbst eine grössere Sammlung mit dessen Werken an. Sein fast vollständig erhaltener Briefwechsel ist eine der wichtigsten schriftlichen Quellen zu Bossard. Die beiden deutschen Industriellen Helmuth Wohltat und Theo Offergeld, untereinander bekannt, lernten 1922 respektive 1925 den Künstler kennen. Sie waren von dessen Kunst begeistert, vom geplanten Tempelbau fasziniert und sammelten dessen Werke. Beide waren empört über die hohen Reparationskosten, die Deutschland leisten musste, und mit den Kabinetten unter Reichspräsident von Hindenburg, die mittels Notverordnungen 1930-1933 regierten, unzufrieden. In Bossards Werken erkannten sie die Anfänge einer neuen Ordnung. Die im Katalog veröffentlichten Fotografien zeigen, dass den drei Förderern die Kunststätte in der Heide viel bedeutete und ihnen wohl auch Orientierung gab. Offergeld und Wohlthat wurden 1930 bzw. erst 1940 Mitglieder der NSDAP und nahmen wichtige Stellungen in der Partei respektive in der Regierung und Verwaltung ein, gingen aber später auf Distanz zur Partei. Für sie verfasste Bossard die „Werbeschrift an meine Freunde“. Mit dieser versuchten sie unter anderen auch hohe NSDAP-Funktionäre für die Kunststätte zu gewinnen. Dazu gehörte der Besuch von Alfred Rosenberg, dem Haupttheoretiker der NSDAP und Verfasser des damals einflussreichen Buches „Mythus des 20. Jahrhunderts“. Der Besuch am 15. August 1934 soll in einer frostigen Atmosphäre verlaufen sein und Rosenberg soll fluchtartig den Eddasaal verlassen haben. Es kam zu keinen weiteren Kontakten. Rosenberg war auch ein entschiedener Gegner des Expressionismus. Als das Interesse an seiner Kunst aber ausblieb, und vom brutalen Vorgehen beim sogenannten Röhm-Putsch (Juni/Juli 1934) durch Hitler abgeschreckt, gingen die Bossards schon im Spätsommer des gleichen Jahres auf Distanz zur Partei.

Der Band „Texte aus dem Nachlass“ enthält theoretische Schriften und Reiseberichte; Schriften zur Kunst und Kunstkritik sollen später erscheinen. Die Texte basieren auf Typoskripten; auf Abweichungen, handschriftliche Korrekturen und Ergänzungen wird hingewiesen. Sie waren zur „halböffentlichen Rezeption“ (Mayr II 8) bestimmt. Einige Text sind unübersichtlich geschrieben, aber doch zum Verständnis von Bossards Persönlichkeit und seiner Werke von grosser Bedeutung. Jedem Text wird eine Einführung, von verschiedenen Autoren verfasst, vorangestellt. Einleitend werden zusätzlich zwei Aufsätze zur Weltanschauung und zum Gesamtkunstwerk von Bossard (Udo Bermbach und Roger Fornoff) publiziert.

Der wichtigste Text ist die bereits erwähnte „Werbeschrift an meine Freunde“ (1925). Sie beschreibt den geplanten Kunsttempel auf nur etwa eineinhalb Seiten mit der Vorhalle, die der „Heidewanderer“ zuerst betritt, von dort geht er in die grosse Halle, und weiter kann er durch einen dunklen Gang „in die Zelle des ewigen Lichtstrahles … das Symbol des Übermenschen“ gelangen (II 60). Die Zelle ist auch auf dem Modell der Kunststätte zu sehen. Sie wurde aber nie gebaut. Szeemann sieht darin die „Verschmelzung einer begehbaren und einer unvorstellbaren Gesamtkunstwerkrealität.“ [3] Bossard bezeichnete seine Stätte als Erneuerungsbund oder -gemeinde, der mit hohem Gehalt das Volk einigt. Es sollen mehrere solche Siedlungen mit einem Kunsttempel errichtet werden. „Kunst und Religion. müssen sich einen.“ (II 61). „Kunst muss untrennbar mit dem Leben der Volkheit verbunden sein“ (II 70). „Dem kultischen Kunstwerk also einerseits den höchsten geistigen Rang zu sichern und andererseits den Dienst an ihm in die erdhaftesten Tiefen zu tragen“ (Ackerbau, Kindererziehung, Krankenpflege usw.) (II 66/68). Alle sollen auch körperliche Arbeit während einer gewissen Zeit verrichten. Fotografien zeigen das Künstlerpaar mit Freunden bei der Getreideernte. Das sind einige seiner Thesen, mit denen Bossard sein Gesamtkunstwerk erklärt.

In dem Brief an Herrn C. H. (Adressat unbekannt, ursprünglich an Wohlthat gerichtet) von 1933 weist Bossard zwar auf die „Werbeschrift“ hin, erwähnt aber den Kunsttempel nicht. Es geht ihm um rassische Unterschiede, die nicht wertend verstanden werden sollen, und um sozialutopische Ideen, wie beispielsweise Arbeitsleistungen gegen Produkte unter Ausschaltung des Kapitals getauscht werden können. Eine besondere Rolle spielen die Allmenden, die gemeinsam betriebenen Sennereien. Diese Idee hat zu unterschiedlichen Interpretationen geführt. Ergänzend sei hinzugefügt, dass die bis heute noch von Korporationen betriebenen Allmenden in der Innerschweiz Bossard schon von Zug her bekannt waren.

Den Retter Deutschlands sah er in Hitler („… ehe Hitler aus der Tiefe des notleidenden Volkes aufstieg.“ II 96). Bossard hat über Hitler wohl nie mehr so positiv geschrieben. Er nahm 1934 am Wettbewerb für ein Denkmal für die im Kampf um die nationale Erhebung gefallenen SA-, SS- und Sta-Männer teil. Sein Beitrag, der nicht prämiert wurde, stellt unter anderem die Huldigung des Führers mit NS-Gruss über dem Altar mit Hackenkreuz dar. In einem Brief (1934) an den Leiter der Gau-Führerschule Gundlach kritisierte er die prämierten, vornehmlich architektonischen Entwürfe wegen deren Einfachheit, der Konzentration auf wenige Symbole und der Anspruchslosigkeit, die für den Bildhauer kaum Arbeit bringe. Er forderte die Orientierung an Ideen Richard Wagners, der Edda-Sage und anderen nordischen und deutschen Sagen und Märchen, also ähnliche Themen, wie er sie in seiner Kunststätte realisiert hat.

Des weiteren wird die „Entgegnungen zum Aufsatz des Kollegen Ehrhardt“ (1933) abgedruckt. Der damals bekannte Kunsthistoriker Max Sauerlandt, seit 1919 Direktor des Museums für Kunst und Gewerbe in Hamburg, ab 1930 auch Direktor der dortigen Landeskunstschule beauftragte unter anderen den Pädagogen und Künstler Alfred Erhardt mit der Einführung eines Vorkurses in Anlehnung an den des Bauhauses. Erhardt wollte die Bedeutung des Naturstudiums einschränken und orientierte sich vor allem am Studium des Materials und seiner gestalterischen Wirkung. Das führte zu Konflikten mit Bossard, aber auch anderen Lehrern, die mehr oder weniger eine konventionelle Lehre vertraten.[4] Der Streit dauerte nicht allzu lang, denn Erhardt wie Sauerlandt wurden bereits 1933 entlassen.

Der Textband schliesst mit zwei Reiseberichten. Die Studienreise der Bossards ging 1938 mit dem Auto über Holland und Belgien nach Paris. Bossard argumentierte mit rassischen Kriterien, die wohl die damalige Wahrnehmungskategorien stark prägten, aber auch dem Adressat, der Deutschen Kongresszentrale geschuldet sind, die dem Propagandaministerium von Joseph Goebbels unterstellt war. Er unterläuft im Bericht aber immer wieder rassische Argumente, indem er keine „Rasse“ besser als die andere darstellt. 1940 übernahm er einen siebenmonatigen Sonderkurs zur Ausbildung von praktizierenden Bildhauern, die am Grossprojekt „Führerstadt Gross Hamburg“ mitwirken sollten. Ein Studienausflug führte die Teilnehmer nach Berlin, über den Bossard ausführlich berichtete und die beiden bekanntesten Nazi-Bildhauer Arno Breker und Josef Thorak zurückhaltend mit den Worten kritisierte: „Nebst dem Erfreulichen …, wenn er einer gekonnten Leistung gegenübersteht, empfand sich der Gemütsanspruch des Betrachters doch etwas wie einer äußerlichen Bravour gegenüber.“ (II 175)

Zu Künstlern während des Nationalsozialismus sind in letzter Zeit zahlreiche Publikationen erschienen. Der Expressionismus wurde in der Weimarer Republik als nationale Kunst angesehen. Führende Kunsthistoriker und Museumsfachleute versuchten diesen Anspruch in der Zeit des Nationalsozialismus fortzusetzen und stiessen bis zu Joseph Goebels und Hermann Göring auf Sympathien. Die Ausstellung „Entartete Kunst“ (1937) war aber dann das endgültige Aus für den Expressionismus. Der hier besprochene Ausstellungskatalog setzt sich damit nicht auseinander, weist aber kurz auf einige Hamburger Künstlerschicksale hin. (I 110) Bossard gehörte auch nicht zu den prominentesten Künstlern und nahm mit seiner entlegenen Kunststätte eine Aussenseiterrolle ein.

Die Zahl der Kunstwerke (fast 5000) in der Kunststätte, die teilweise von Bossard zu Zyklen zusammengestellt wurden, ist immens. Der eingangs erwähnte Stilpluralismus prägt auch die späten Werke nach seiner Pensionierung 1944, die im Katalog nur knapp kommentiert werden. Bossard kannte die ältere und die zeitgenössische Kunst gut. Es wird einmal eine interessante Aufgabe sein, stilistische Verbindungen zu älteren Meistern und seinen Zeitgenossen herzustellen. Der Künstler arbeitete rasch, was zu erheblichen Unterschieden führte. So schuf er die qualitativ hochstehenden und doch so gegensätzliche Werke wie das expressionistische Porträt seines Freundes Emil Hegg (I 140) und das abstrahierende Bild „Dunkles Wasser“ (I 189).

Die beiden Publikationen stellen in vielen Facetten und differenziert die starke Identifikation des aus der Schweiz stammenden Künstlers mit dem Norden dar, die von der Mythologie bis zum Licht reichte. Für kurze Zeit näherte er sich dabei auch dem Nationalsozialismus.

[1] Harald Szeemann: „Die Riesenskizze zu einer Zukunftshoffnung“, in: Johann Michael Bossard. Ein Leben für das Gesamtkunstwerk, Ausst. Kat. Kunsthaus Zug, Museum in der Burg Zug, Landesmuseum Oldenburg 1986, S. 17, Anm. 7.
[2]Susanne Harth: Werkstättenunterricht und Gesamtkunstwerk, in: Nordlicht. Die Hamburger Hochschule für bildende Kunst am Lerchenfeld und ihre Vorgeschichte, Hamburg 1989, S.47-88.
[3] Szeemann (wie Anm. 1), S. 17.
[4] Christian Weller: Moderne Zeiten. Reformbestrebungen unter Max Sauerlandt, in: Nordlicht (wie. Anm. 2), S. 173-192.

Mayr, Gudula (Hrsg.): "Über dem Abgrund des Nichts". Die Bossards in der Zeit des Nationalsozialismus (= Schriften der Kunststätte Bossard; 17), Jesteburg: Selbstverlag 2018
ISBN 978393859414, 239 S., 24,80 EUR, Inhaltsverzeichnis

Mayr, Gudula (Hrsg.): Johann Bossard. Texte aus dem Nachlass. Programmatische Schriften und Reiseberichte (= Schriften der Kunststätte Bossard; 16), Jesteburg: Selbstverlag 2018
ISBN-13: 978-3-938594-13-1, 192 S., 14,80 EUR, Inhaltsverzeichnis

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Rolf Keller: [Review of:] Mayr, Gudula (Hrsg.): "Über dem Abgrund des Nichts". Die Bossards in der Zeit des Nationalsozialismus (= Schriften der Kunststätte Bossard; 17), Jesteburg 2018; Mayr, Gudula (Hrsg.): Johann Bossard. Texte aus dem Nachlass. Programmatische Schriften und Reiseberichte (= Schriften der Kunststätte Bossard; 16), Jesteburg 2018. In: ArtHist.net, Apr 20, 2020 (accessed Nov 22, 2024), <https://arthist.net/reviews/22957>.

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