REV 26.05.2003

Frank Stella (Hg.): The Writings of Frank Stella

Rezensiert von Tobias Vogt
Redaktion: Rainer Donandt

Zu Beginn des Buches lächelt Frank Stella mit zwei Schoßpudeln als Attributen dem Leser entgegen. Im Hintergrund des fotografischen Portraits von Herr und Hunden in Dreieckskomposition hängen angeschnitten zwei überbunte, verschlungene Gemäldecollagen, die Stellas Werk der neunziger Jahre repräsentieren. Die Durchsicht des Abbildungsteils am Ende des Buches - zum einen altmeisterliche Gemälde, zum anderen moderne Abstraktion - macht schließlich offenkundig, worin das Eingangsportrait des Malers seine Vorläufer findet: Was vormals Maria mit Jesus- und Johannesknaben in einer Landschaft, empfindet nun Stella mit zwei Pudeln und der eigenen Malerei im Rücken nach.

Die in deutscher Übersetzung und englischem Original gegenübergestellten Schriften von Stella entstammen drei verschiedenen Schaffensperioden. Bei der ersten handelt es sich um Stellas Vortrag am Pratt Institute aus dem Jahr 1959, der aus gutem Grund bereits die Textsammlung zur Minimal Art von Gregor Stemmrich eröffnete [1]. Der zweiten Teil besteht aus sechs Vorlesungen, die Stella im Winter 1983/84 an der Harvard University hielt. Sie wurden 1986 unter dem Titel "Working Space" veröffentlicht und nun zum ersten Mal ins Deutsche übersetzt. Der dritte Teil ist eine Zusammenstellung von Ausstellungsbesprechungen, Danksagungen, Laudationes, allgemeinen Reflexionen zur Malereitradition und Beschwerden über die Gegenwartskunst. Stella schrieb sie in den neunziger Jahren und ließ sie zum Großteil zuerst im Katalog seiner Ausstellung "Frank Stella at two thousand. Changing the rules" in Miami 2000 publizieren.

Den Vortrag am Pratt Institute - ein Text von einer Seitenlänge - kennzeichnet eine Lakonie, die nicht nur für die New Yorker Rhetorik um 1960, sondern auch für die im Vortrag erläuterten "Black Paintings" des Malers spricht. Stellas damaliger Anstrich großformatiger Leinwände mit schwarzer Wandfarbe in Streifenmustern gehört zu den unbestrittenen Avantgarde-Akten des 20. Jahrhunderts. Ihn begründet sein ebenfalls bekannter Vortrag kunsttheoretisch: Was Malerei sei und wie man ein Bild zu "machen" habe, stellt Stella hier wortwörtlich in Frage. Die in der reduzierten, mechanischen Malpraxis gefundenen Antworten markieren den Beginn von Stellas Karriere. Von da an stieg er einerseits zur Malerprominenz der zweiten Jahrhunderthälfte auf, andererseits riefen seit den sich neigenden achtziger Jahren seine an Volumen, Formen, Farben und Materialien wachsenden Gemälde, die später konsequent in architektonische Werke und Kunst-am-Bau-Projekte mündeten, zunehmend Kritik hervor.

Stellas Harvard-Vorlesungen, die den Kern seiner Schriften ausmachen, stehen an diesem Wendepunkt vom Wohlwollen zur Skepsis in der Rezeption. Die Texte widmen sich in der ersten Hälfte überwiegend einer, Stella schreibt es selbst, "spekulativen Kunstgeschichte" (S. 128) des frühen 16. und frühen 17. Jahrhunderts in Italien und schlagen dann verstärkt einen Bogen zur klassisch modernen Malerei. Stella geht es - kurz gefasst - um folgende Parallelisierung: Raffael und Tizian stellten ihre Nachfolger Caravaggio, die Caracci und auch Rubens vor ähnliche Probleme wie Picasso, Kandinsky und Mondrian die Kunst am Ende des 20. Jahrhunderts, Stellas eigene mit eingeschlossen. Diese Probleme beträfen, so Stella, "Fülle und Ausdehnung, die wir als Wesenskern der Malerei betrachten" (S. 32) sowie den von ihm durchweg ins Visier genommene "Illusionismus", dessen Aufgabe in der Darstellung von Volumen und innerem Raum bei gleichzeitiger Distanz zum Gegenstand bestünde (S. 96). Laut Stellas Kunstgeschichtsmodell standen im frühen 16. Jahrhundert Klassizismus und Naturalismus in ebenjenem Konflikt zueinander wie 400 Jahre später - in versteckter Anspielung auf Kandinskys Theorie - Abstraktion und Realismus.

Mit großen Künstlernamen und großen Begriffssetzungen zieht Stella eine Traditionslinie nach alter Schule und erweist sich damit selbst die Ehre sowohl des normativen Kritikers als auch des moderner Künstlers. Um 1983 war das ein beachtenswerter Anachronismus. Er versucht die moderne Abstraktion in die gesetzten Konstellationen einzubinden und das eigene künstlerische Vorgehen im großen historischen Rahmen kontinuierlicher, bruchloser Kunstgeschichtsschreibung zu plausibilisieren. Den hohen Anspruch löst er allerdings nur bedingt ein. In seinem Vortrag zu Caravaggios Rosenkranzmadonna meint Stella zum Beispiel: "Dennoch könnte sich herausstellen, dass das, was Rubens für Tintoretto und Veronese tat, wichtiger war, als das, was er für Tizian tat." Das wirkt wie die Denksportaufgabe einer Logelei, bei der das Name-Dropping noch mit Argumenten zu füllen ist.

Sein Blick auf die erwähnte Rosenkranzmadonnna birgt dabei auch erhellende Beobachtungen, besonders zur Anlage des "inneren Raums" bei Caravaggio. Diese Vorstellung verbindet alle Vorlesungen, sinnvoll mit "Working Space" überschrieben, und verweist für Stella im Falle Caravaggios direkt auf den Raum des Ateliers. Stella beschreibt, ausgehend vom Gemälde, Caravaggios Arbeitsumfeld und kann so die Überwindung des flächigen Bildaufbaus der Renaissance durch die naturnahen Volumina nach dem Vorbild lebender Modelle, die um 1600 in Caravaggios Atelierräumen posierten, eindrücklich darlegen. Hier erweisen sich Stellas Überlegungen im Kontext der 1980er Jahre als unvermutet zeitgemäß. denn auch Derek Jarman legte es in seinem Film "Caravaggio" von 1986 darauf an, die physische Präsenz der Figuren im Raum als lebendige Gemälde im Atelier zu verbildlichen.

Stella begreift sich - anders als die meisten textproduzierenden Künstler der Gegenwart - als moderner Maler und nicht als poststrukturalistischer Kulturwissenschaftler. Seine Schriften verlegte das Kunsthistorische Seminar der Universität Jena zusammen mit dem Sponsor Jenoptik AG folgerichtig gleich nach einem Band mit einem Vortrag von Paul Klee in der Reihe "Minerva. Jenaer Schriften zur Kunstgeschichte". Stellas Schriften erscheinen im Doppelpack mit dem Werkverzeichnis seiner "Heinrich von Kleist-Serie", das Texte von Franz-Joachim Verspohl, Martin Warnke, Wolfgang Hogrebe und Robert K. Wallace begleiten [2]. Das Werkverzeichnis ist gleichzeitig der Ausstellungskatalog zur Serie, die von 2001 bis 2003 in Jena, Hildesheim, Stuttgart und Berlin gastierte.

Das gerät den Texten der Kunsthistoriker, des Philosophen Hogrebe und des Literaturwissenschaftlers Wallace nicht zum Vorteil. Sie lassen häufig eine Kritik an ihrem Gegenstand vermissen und stellen überwiegend Verbindungen her, die der Künstler durch seine Beitexte nahe legt. So treten einerseits Stellas eigens behaupteter Gewinn von Bildräumlichkeit und andererseits die Bezüge zu den Texten von Kleist, die in den Titeln der Werke auftauchen, in den Vordergrund der Katalogbeiträge. Gemäß Stellas Kopplung von Werken an Beitexte - Künstlerschriften wie Titeln - verlegen sich auch die Wissenschaftler überwiegend auf diese Analogiebildung. Die technisch errungene Überbetonung von Formvolumen und Farbvaleurs sowie der Anspielungsreichtum der Titel erscheinen aber gerade als Merkmale einer Krise, die Stellas Werk von den "Black Paintings" an zu überspielen versucht und dabei nur betont: Die Krise der Autonomie moderner Malerei. Stellas Kunst ist hochgradig ambivalent und verinnerlicht einen Zweifel, auf den die Katalogautoren zu wenig zu sprechen kommen. Sie reden dem Künstler sehr nach dem parallel publizierten Wort, obgleich Stella darin anmahnt: "Kunsthistoriker sind sehr tolerant gegenüber Künstlern, die über Kunst schreiben (...)" (S. 232).

Die Beziehung von Wort und Bild - eine medienbedingte Liebesbeziehung in der Kunstgeschichte - führt in Stellas Fall auch deshalb zu besonderen Komplikationen, weil die Titelanspielungen des Malers bedeutungsschwer den bürgerlichen Literaturkanon evozieren. Dies begann prominent mit Stellas "Moby Dick-Serie" 1986 und zieht sich bis zur "Heinrich von Kleist-Serie" (2000). Ins Jahr 1986 fällt auch die Publikation von Stellas Harvard-Lectures, welche ebenso die Hinwendung zum traditionellen Kanon, diesmal der Malerei, charakterisiert. Anstatt diese Fährten nur nachzuvollziehen und die Bilder formal auf die Romanfiguren und -kapitel zu beziehen, wäre vielmehr die Rhetorik großer Worte insgesamt zu hinterfragen. Dies versäumt Robert K. Wallace auch in seinem 2000 erschienenen Buch "Words and Shapes" bei der Analyse der Bilder, die Stella nach den Kapiteln von Herman Melvilles "Moby Dick" betitelte [3]. Stellas Bild-Text-Relationen, die sich zwischen den Werken, ihren Titeln und den Künstlerschriften aufspannen, sind als ein Fortführen der Moderne anzusehen, das sein Scheitern bereits in Betracht zieht.

Denn was Stella zu bieten hat, ist weniger Kunstschriftstellerei mit einigen gebildeten Verweisen auf verehrte Vorbilder. Es ist vielmehr als Selbsterklärung oder Verteidigung des eigenen, kritisierten und auch marginalisierten Vorgehens in den achtziger Jahren aufzufassen. Wie in den meisten Künstlertexten spricht der Autor, indem er die Kunst anderer zu erklären versucht, in der Hauptsache über die eigene. Für das Verständnis von Stellas einsamem Weg von den minimalistischen Streifengemälden hin zu raumgreifenden, bedruckten und bemalten Stahl- und Aluminiumformen ist die Lektüre seiner Schriften von Nutzen. Besonders "Working Space" zeigt, wie Stella die Probleme der Abstraktion im Rekurs auf das 16. Jahrhundert zu lösen versucht und eine erweiterte Form von Bildillusionismus mithilfe von "innerem Raum" und farbenfrohem Überschwang zu begründen versucht. Dieser visuelle Sexappeal sei wichtig, denn "was nicht erotisch ist, ist keine Kunst. Jeder weiß das" (S. 80). In der allzu großen und damit verräterischen Geste kaschiert Stella - offensichtlich - das Problematische seines Anspruchs aber nur unzureichend.

Keine Kunst, das zeigen Stellas harte Angriffe auf die Installationen der neunziger Jahre im dritten, vermischten Teil seiner Schriften, sei vor allem die Konzeptkunst. Das verschuldet allerdings kein mangelnder Sexappeal, sondern der Verzicht auf die handwerkliche Schöpfung und die ungeschönte Übernahme des Alltäglichen in der Tradition von Duchamp. Rauschenbergs Ausradierung einer Zeichnung von Willem de Kooning von 1953 gehört für Stella genauso hierzu wie Jenny Holzers elektronische Schriftbänder und Bill Violas Videos von heute (S. 274). Selten waren in jüngster Zeit solche Infragestellungen des zeitgenössischen Kanons zu lesen. Dass Stellas dies nicht als bloße Provokation versteht, sondern vom anti-avantgardistischen Gebot der Abgehobenheit der Kunst gegenüber dem Leben theoretisch herleitet, verdient, selbst als konservativer Standpunkt verstanden, Beachtung.

So scheut es Stella im letzten der abgedruckten Texte auch nicht, das Museum of Modern Art, das schon 1959 seine "Black Paintings" ausstellte und entscheidend zu seiner Karriere beitrug, anzuklagen: Dessen Milleniums-Ausstellung "Modern Starts" degradiere die gesamte, von Alfred H. Barr (der große Kuratorenname) zusammengetragene Sammlung. Die Gegenüberstellung von Cézannes Gemälde eines Badenden und der Portraitfotografie eines Jungen in Badehose der niederländischen Gegenwartskünstlerin Rineke Dijkstra beschäme in dieser Ausstellung, so Stella. Denn dies sei die ungerechtfertigte Konfrontation einer individuell-kreativen, malerischen Bildfindung mit dem Abklatsch einer vorgefundenen Situation. Dijkstras zumindest aufwändige Inszenierung unterschlägt Stella genauso wie die Tatsache, dass er selbst der Attraktivität solcher Parallelisierungen erlegen war, als er mit seinen Pudeln ein Marienbild nachstellte.

Dieses Portraitfoto, das seine Schriften eröffnet, kann demnach keine Kunst sein. Seine beiden angeschnittenen Gemäldecollagen in dessen Hintergrund sind es dann aber umso mehr. Doch genau diese Zwiespältigkeiten, die sich aus normativen Setzungen ergeben, machen den Malermeister Stella heute zum bemerkenswerten Gegenläufer in der struktur- und kontextbewussten Gegenwartskunst.

[1] Gregor Stemmrich (Hg.): Minimal Art. Eine kritische Retrospektive. Dresden und Basel 1995.

[2] Heinrich von Kleist by Frank Stella. Werkverzeichnis der Heinrich von Kleist-Serie herausgegeben von Franz-Joachim Verspohl in Zusammenarbeit mit Anna-Maria Ehrmann-Schindlbeck und Ulrich Müller. (Minerva, Jenaer Schriften zur Kunstgeschichte, Band 11.) Kunsthistorisches Seminar mit Kustodie, Jenoptik AG, Verlag der Buchhandlung Walter König, Jena und Köln 2001. 103 Farbabbildungen. EUR 24,80. ISBN 3-88375-488-9.

[3] Robert K. Wallace: Frank Stella's Moby-Dick. Words and Shapes. Ann Arbor 2000.

Stella, Frank; Verspohl, Franz-Joachim (Hrsg.): The Writings of Frank Stella. [anlässlich der Ausstellung des Kunsthistorischen Seminars mit Kustodie der Friedrich-Schiller-Universität Jena und der Jenoptik AG Jena "Heinrich von Kleist by Frank Stella" ; Jena, 27. März - 4. Juni 2001, Galerie der Jenoptik AG und Ehemalige Arbeiter- (= Minerva), Jena [u.a.]: Verlag Walther König 2001
ISBN-10: 3-88375-487-0, 339 S, ca. DM 48.00, ca. sfr 49.00, ca. S 359.00

Empfohlene Zitation:
Tobias Vogt: [Rezension zu:] Stella, Frank; Verspohl, Franz-Joachim (Hrsg.): The Writings of Frank Stella. [anlässlich der Ausstellung des Kunsthistorischen Seminars mit Kustodie der Friedrich-Schiller-Universität Jena und der Jenoptik AG Jena "Heinrich von Kleist by Frank Stella" ; Jena, 27. März - 4. Juni 2001, Galerie der Jenoptik AG und Ehemalige Arbeiter- (= Minerva), Jena [u.a.] 2001. In: ArtHist.net, 26.05.2003. Letzter Zugriff 28.03.2024. <https://arthist.net/reviews/229>.

Creative Commons BY-NC-NDDieser Text wird veröffentlicht gemäß der "Creative Commons Attribution-Noncommercial-No Derivative Works 4.0 International Licence". Eine Nachnutzung ist für nichtkommerzielle Zwecke in unveränderter Form unter Angabe des Autors bzw. der Autorin und der Quelle gemäß dem obigen Zitationsvermerk zulässig. Bitte beachten Sie dazu die detaillierten Angaben unter https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/deed.de.

^